Karen Duve im Interview: „Chefs sind oft Psychopathen“
Der Planet geht kaputt, und die Politik tut nichts dagegen: Karen Duve spricht im Tagesspiegel-Interview über ihr wütendes Buch „Warum die Sache schiefgeht“, den dramatischen Klimawandel, unfähige Manager und die Schwachstellen der Demokratie.
Vor zwei Jahren machte die Schrifstellerin Karen Duve mit dem Sachbuch „Anständig essen“ Furore. Ihr Selbstversuch, vegan zu leben, und ihre Kritik an der Lebensmittelindustrie löste eine breite Diskussion aus. Jetzt polemisiert sie in der Streitschrift Warum die Sache schiefgeht. Wie Egoisten, Hohlköpfe und Psychopathen uns um die Zukunft bringen gegen die meist männlichen Entscheider in den Chefetagen, die zum Beispiel den dramatischen Klimawandel verdrängen. Die 1961 in Hamburg geborene Autorin hatte ihren literarischen Durchbruch 1999 mit „Regenroman“, zuvor arbeitete sie viele Jahre als Taxifahrerin. Ihre Romane („Dies ist kein Liebeslied“, „Die entführte Prinzessin“, „Taxi“) wurden in 14 Sprachen übersetzt;.die Verfilmung von „Taxi“ kommt nächstes Jahr ins Kino. Duve lebt auf einem Bauernhof in der Märkischen Schweiz.
Frau Duve, vor drei Jahren erschien Ihre Fleischkonsum-Anklage „Anständig essen“, jetzt folgt mit „Warum die Sache schief geht“ die Abrechnung mit den Entscheidern in Politik und Wirtschaft, die die drohende Klimakatastrophe ignorieren: Wollen Sie sich als zornige Moralistin der deutschen Publizistik etablieren?
Ach, ich komme mir schon selber vor wie jemand, der mit Weltuntergangs-Pamphleten am Hauptbahnhof steht. Dabei hätte ich viel lieber an meinen nächsten Roman weitergeschrieben. Eine Science- Fiction-Geschichte, die 2030 in Hamburg-Lemsahl spielt, wo ich aufgewachsen bin. Dafür habe ich recherchiert, wie es dort in der Zukunft aussehen wird. Aber wenn man sich mit einem Thema beschäftigt, radikalisiert einen das schnell. Die Fakten waren einfach dermaßen brisant, dass ich sie in ein Sachbuch auslagern musste. Der kurze Zeitraum, den die Wissenschaftler für das Ende unserer Zivilisation voraussagen, hat mich erschreckt.
Kommt es durch eine Naturkatastrophen oder den ökonomischen Zusammenbruch?
Durch den Klimawandel. Ein Finanzcrash bringt die Leute nicht in großem Stil um. Klar, müssen auch deswegen Menschen sterben, aber es ist nicht das Ende der Menschheit. Das wird eine Naturkatastrophe sein, die ein wirtschaftlicher Zusammenbruch eher noch etwas herauszögert.
"Unternehmen stellen keine Chefs ein, die Ideen haben, sondern die Gewinne bringen"
In Ihrer Polemik reden Sie davon, dass es unter Politikern und Konzernchefs überdurchschnittlich viele Psychopathen gibt: Wie definieren Sie das?
Ich meine die ganz konkrete neurobiologische Definition. Das, was man im Kernspintomografen feststellen kann. Dort ist zu sehen, dass bei Psychopathen die Gehirnareale, die für Empathie, Schuldgefühle, Reue und eigene Ängste – also das Gewissen – zuständig sind, deutlich weniger aktiv sind.
Welche bekannten Persönlichkeiten passen in dieses Entscheider-Raster?
Ich werde den Teufel tun und jetzt sagen, der und der Politiker oder Wirtschaftsboss ist ein Psychopath. Aber als Künstler fällt mir Klaus Kinski ein. Bei dem liegt der Verdacht schon sehr nahe. Menschen wie ihn zählt man gerne unter „verrücktes Genie“. Die Leute fanden ihn toll, weil sie glaubten, der traut sich was in den Talkshows, der ist mutig und unangepasst. Aber ein Psychopath braucht für ein solches Verhalten keinen Mut, weil er überhaupt kein Schamgefühl besitzt. Kinski musste sich aller Wahrscheinlichkeit nach gar nicht überwinden, der hat einfach anders funktioniert. Ein unangenehmer Typ, der mit seinen Pöbeleien durchkam und dafür auch noch bewundert wurde. Solche Leute, die sich unglaublich mies benehmen, gibt es auch in den Führungsetagen. Dort gelten sie als durchsetzungsfähig und kühn.
Trotzdem hat wohl kaum die Mehrheit der Chefs eine Hirndeformation.
Natürlich nicht. Aber die Eigenschaften von Psychopathen entsprechen fatal den klassischen Unternehmertugenden. Deswegen gibt es in den Führungsetagen und in der Politik so viele davon. Problematisch sind aber bereits die sogenannten Normalen, solange die Kriterien, nach denen Chefs ausgewählt werden, immer noch Selbstbewusstsein, Durchsetzungsfähigkeit und Risikobereitschaft sind.
Eigenschaften, die Sie im Buch „Voraussetzung für eine Verbrecherlaufbahn“ nennen: Wollen Sie die Welt lieber von entscheidungsunfähigen Konsensgläubigen regieren lassen?
Ja, das wäre mir lieber! (lacht) Natürlich ist Selbstbewusstsein eine gute Sache, auch Durchsetzungsfähigkeit, aber nur in Verbindung mit Kompetenz und Verantwortungsbewusstsein.
Fallen Ihnen bei diesem Entscheider-Typus nur Männer oder auch Frauen ein?
Sicher. Ich kenne auch Frauen in Führungspositionen, die genauso ticken. Deswegen haben sie es ja bis dahin geschafft. Unternehmen stellen keine Menschen ein, die tolle Ideen haben, wie sich weniger Kohlendioxid verbrauchen lässt, sondern Leute, die dem Unternehmen kurzfristige Gewinne bringen, Gewinne, die auf der nächsten Aktionärsversammlung richtig Eindruck machen.
Aber prozentual gesehen ist der psychopathische Typus meist männlichen Geschlechts?
Das ist so. Und bei den normalen, bloß überdurchschnittlich risikobereiten, rücksichtslosen und selbstverliebten Chefs ist das ebenfalls so. Man wird einfach nicht so viele Frauen finden, die so funktionieren. Übrigens werden Chefpositionen nicht nur nach rationalen Kriterien besetzt. Das ist ja auch das Argument der Quotengegner, die genau das behaupten und dann befürchten, mit den Quoten- Frauen nicht mehr die angeblich rein rational ausgewählten besten Manager zu bekommen. Das ist Unfug. Männer besetzen Posten auch mit dem Kumpel vom Golfplatz. Und ich glaube tatsächlich, dass eine richtig große Frauenquote etwas in den Chefetagen verändern könnte.
"Männer sind signifikant gewalttätiger", sagt Karen Duve
Sie glauben wirklich, was Sie schreiben: „Frauen sind die besseren Menschen“?
Ja. Und in Wirklichkeit wissen das auch alle. Wenn irgendwo ein Bushäuschen zerstört ist, dann geht jeder davon aus, dass das ein junger Mann gewesen ist. Die Zahlen sind international gleich: Rund 95 Prozent der Gefängnisinsassen sind Männer. Männer sind signifikant gewalttätiger. Wenn man der üblichen Definition folgen will, dass gut sein bedeutet, gesellschaftlich erwünschte Eigenschaften an den Tag zu legen und nicht das zu tun, was andere Leute schädigt, dann ist die Sache doch eigentlich klar.
Warum Männer, die in Führungsetagen sitzen, nicht besonders sozial funktionieren
Ist die Unterteilung in dominante, egomanische Männer und empathische, sozialverträgliche Frauen nicht finsterer Biologismus?
Das ist allerfinsterster Biologismus, andererseits ist es aber auch sehr unwahrscheinlich, dass die Biologie überhaupt keine Rolle spielt. Was dafür spricht, ist, dass in keiner, aber auch wirklich keiner Gesellschaft jemals alle wichtigen Posten von Frauen besetzt waren. Es lässt sich wohl kaum mit Zufall erklären, dass es überall und zu allen Zeiten fast immer nur Männer waren. Ich lege aber keinen gesteigerten Wert darauf, recht zu behalten. Es ist das, was die Neurologen sagen, aber natürlich könnte es auch an der Erziehung liegen statt am Ypsilon-Chromosom. Ich würde mich freuen, wenn mir jemand das Gegenteil belegt.
Sie kreiden den Führungskräften auch „Generationenimperialismus“ an.
Natürlich. Früher hat man Kolonien ausgebeutet und bis heute leben die Bewohner der Industrienationen auf Kosten anderer Ländern. Und jetzt müssen eben auch noch die eigenen Kinder – selbst in den Industrienationen – daran glauben. Die unter 20-Jährigen sollen ihre Zukunft als Tribut an ihre Eltern und Großeltern abtreten, damit die so weitermachen können wie bisher. Führungskräfte sind ja meistens so um die 60 Jahre alt.
Dass die Idee unbegrenzten Wirtschaftswachstums angesichts begrenzter Ressourcen Wahnsinn ist, weiß jeder. Wie erklären Sie sich, dass das trotzdem fast kein Entscheider thematisiert oder gar danach handelt?
Das ist die Schwachstelle in der Demokratie, dass die, die man wählen kann, eben auch wieder gewählt werden möchten. Da macht sich Verzicht predigen nicht gut. Und dann gibt es in der Bevölkerung die Vorstellung, dass einem das so lange gelebte gute Leben einfach zusteht, dass es möglich sein müsste, das Problem Klimawandel zu lösen, ohne am gewohnten Luxus zu kratzen.
Duve fordert: Lass uns wenigstens Zeit herausschinden für das Weiterleben der Menschen
Dass das unmöglich ist, versteht jeder. Die Fantasie eines Chefs müsste doch so weit reichen, zumindest das Überleben eigener Enkel sicherstellen zu wollen.
Sollte man glauben. Aber da greift, dass die Leute, die in Führungsetagen sitzen, nicht besonders sozial funktionieren. Politiker und Manager haben 16-Stunden- Tage und sind abgekoppelt von der Gesellschaft, Freunden und Familie. Hinzu kommt, dass Menschen nicht das glauben, was logisch ist und der Faktenlage entspricht, sondern was sich gut anfühlt, wenn man es glaubt. Zudem: Wenn man aus dem Fenster schaut, dann sieht doch alles normal aus. Ich habe selbst bei den Recherchen oft gedacht, spinne ich jetzt oder ist das wirklich wahr? Den Weltuntergang zu denken – das kommt einem so übertrieben, so irreal vor. Aber die Klimaforscher und Sozialwissenschaftler gehen davon aus, dass er kommen wird. In Jahrzehnten, nicht Jahrhunderten.
Sie vertreten die biologistische Position, dass der Planet ohne uns besser dran ist. Wieso machen Sie sich dann die Mühe, zur Verhaltensänderung aufzurufen?
Weil sich das so leicht sagen lässt, wenn man über die Menschheit schwadroniert, die den Globus wie eine böse Krätze überzieht. Aber wenn ich dann Besuch von meiner Freundin mit ihren zuckersüßen und echt netten Kindern bekomme, dann denke ich: Ich will denen das nicht zumuten. Lasst uns Zeit herausschinden, damit es wenigstens die noch nicht trifft.
Das Gespräch führte Gunda Bartels.
Karen Duve: Warum die Sache schiefgeht. Wie Egoisten, Hohlköpfe und Psychopathen uns um die Zukunft bringen. Galiani Verlag, 192 S., 12 €). Die Autorin stellt ihr Buch am 30. Oktober um 20 Uhr im Heimathafen Neukölln vor (Karl-Marx-Str. 141).
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