Nachlass: Klaus Kinski: Neuestes vom Hexer
Keiner war lauter: Ein opulenter, 400 Seiten starker Band aus seinem Nachlass zeigt Klaus Kinski als Pionier der Selbstvermarktung.
Am Ende hatte sich Klaus Kinski gänzlich vom Maniac zum Misanthropen gewandelt. Viertägige Verhandlungen waren nötig, um ihn – „was soll der ganze Scheiß?“ – davon zu überzeugen, das zugesagte, dann aufgekündigte Interview fürs deutsche Fernsehen doch noch zu geben. Schließlich hockt er auf einer Felsklippe, der Wind bläst durch seine langen weißen Indianerhaare, unter ihm schäumt der Pazifik. Kinski schimpft, schreit und stichelt, ein Stakkato der Empörung. Die Fragen: „dumm“. Das Wort Schauspieler: „ekelt mich an“. Ein Mensch, der sich auf der Straße befremdet nach ihm umgedreht hat: „ein Stück Scheiße“.
Aber irgendwann ist der Zorn verflogen, Kinski erschlafft und kuschelt sich in den Schoß seiner Gesprächspartnerin Désirée Nosbusch, damals 17 Jahre alt, und sagt: „Bei Dreharbeiten schlafe ich immer ein.“ Statt sich von der Jungmoderatorin für ihre Reihe „Zeit zu Zweit“ befragen zu lassen, hätte der legendäre Sexualprotz sie wahrscheinlich lieber verführt. Als am Stinson Beach, unweit von Kinskis letztem Wohnsitz im kalifornischen Lagunitas, ein uniformierter Parkwächter auftaucht und nach der Drehgenehmigung fragt, versichert der Angesprochene: „Ich bin ein Filmstar.“ Der Beamte lacht und kann es nicht fassen: Dieser alte Mann mit der Nicht-Frisur – ein Filmstar?
Das 1982 entstandene Fernsehgespräch, das vor kurzem auf einer DVD herauskam, endet auf einer Sommerwiese. „Wie warst du als Junge?“, will Nosbusch wissen. Kinski: „Ich habe mich gewundert, dass die Leute immer zu mir gesagt haben: Was hast du für große Augen?!“ Nosbusch: „Dein Mund ist auch nicht klein.“ Kinski: „Meine Mutter hat gesagt, ich soll nicht so viel schreien, dass er nicht so groß wird.“ Aber das Lautsein konnte der Schauspieler, Autor und Performer, der vor 85 Jahren in Zoppot bei Danzig geboren wurde und vor 20 Jahren in den USA starb, einfach nicht lassen.
Einen größeren Egomanen hat der deutsche Film bis heute nicht hervorgebracht, Kinskis Kunst hatte immer wieder dasselbe Thema: Kinski. Schon dreißig Jahre zuvor hatte er sich narzisstisch mit seinem Äußeren beschäftigt. „Seine Augen sind groß und schwer und traurig und alt und schreiend voll empörerischen Feuers und kindlicher, jugendlicher Hoffnung“, heißt es schwärmerisch in einer frühen Selbstbeschreibung. Die mit „ ,Leben’ bis Sommer 1952“ überschriebene Würdigung, ein bislang unbekannter Vorläufer seiner Skandal-Autobiografien „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ (1975) und „Ich brauche Liebe“ (1991), erscheint nun zum Doppeljubiläum in einem monumentalen Band voller Fotos, Texte und Zeichnungen als „Vermächtnis“ aus dem Nachlass.
Der Anfang der fünfziger Jahre nach ersten Theatererfolgen bereits so berühmt wie berüchtigte Schauspieler tarnt sich als objektiver Biograf seiner selbst und schreibt in der dritten Person. Statt wie im „Erdbeermund“ um den großen Erotomanen („Es kommt ihr so oft, dass ich mich verzähle“) geht es hier vor allem um den überragenden Künstler. Dieser Kinski sei der „größte Schauspieler des 20. Jahrhunderts“, konstatiert Kinski, in Cocteaus Stück „Schreibmaschine“ habe er so überzeugend einen Epileptiker gespielt, dass eine Zuschauerin beinahe eine Frühgeburt erlitten haben soll.
Lesen Sie auf Seite zwei mehr über die „Überintensivität“ Kinskis.
Mit seiner „Überintensivität“ will er ein Wunderkind gewesen sein, das mit sechs die Bibel auswendig gelernt hatte und mit neun erste Gedichte schrieb. Kinski vergleicht sich mit Van Gogh und den Dichtern Villon und Rimbaud, mit deren Versen er gerade als Rezitator gefeiert wird. Wohl um dem Bild vom verarmten Genie zu entsprechen behauptet er, zeitweilig „von gestohlenem unreifen Obst“ leben zu müssen. Aber er gesteht auch Selbstmordversuche, Morphiumsucht und einen verbürgten Aufenthalt in der Nervenheilanstalt Berlin-Wittenau. Ein Ausflug in eine Grenzregion des Daseins, den er als Fortbildung verbucht: „Jeder andere wäre vielleicht dem Wahnsinn verfallen, er aber saugte sich fest an allem Entsetzlichen, was er im Irrenhaus sehen musste.“
Kinski, der seine ersten Berufserfahrungen als 18-jähriger Kriegsgefangener in einem britischen Lagertheater gesammelt hatte, war ein Pionier des Selbstmarketing. Seine vermeintliche Armut hinderte ihn nicht daran, regelmäßig teure „Starfotos“ in Auftrag zu geben und dann eine Auswahl davon – bis zu 50 Stück – an Journalisten zu verschicken. Den beigefügten Pressespiegel erstellte er mit Schreibmaschine und Kohlepapier, und wenn es an Lobeshymnen fehlte, dichtete er selbst und schrieb die „Rezension“ einem Berliner Blatt zu: „Klaus Kinski besitzt angeborene schauspielerische Magie.“
Die obsessive Arbeit am eigenen Image war nur eine Seite von Kinskis Perfektionsdrang. Als er 1949 für Cocteaus Einpersonenstück „Die menschliche Stimme“ die Rolle einer verlassenen Frau probt, die sich nach einem Telefonat mit ihrem Geliebten umbringt, studiert er nachts stundenlang Passantinnen auf der Straße. Die Aufführung im Theater an der Kaiserallee wird von der Militärregierung aus Gründen des Urheberrechts verboten, sorgt aber für eine Presse-Sensation und macht Kinski zum „interessantesten jungen Schauspieler Berlins“, wie damals der Tagesspiegel befindet.
Allerdings wird dem Talent auch „mangelnde Ensemblefähigkeit“ attestiert. Am Berliner Schlosspark-Theater wirft Kinski Fensterscheiben ein, weil er nur Nebenrollen bekommt, und wird dafür vom Intendanten Boleslaw Barlog gefeuert. Später verliert er sein Engagement am Wiener Burgtheater, als er im Tasso-Kostüm im Treppenhaus posiert und nach der Premiere Kusshände ins Publikum verteilt. Danach lebt der Schauspieler seine Liebe zur Bühne aus, indem er gewissermaßen ein eigenes Ein-Mann-Theater gründet, in dem er die Dramen von Shakespeare, Goethe, Schiller und Brecht inszeniert. Zwischen 1957 und 1962 nimmt der erfolgreichste Rezitator deutscher Zunge dreißig Sprechplatten auf, die bis heute immer wieder aufgelegt werden.
Kinski ist ein ewig heißlaufendes Kraftwerk der Kreativität, seine Projekte produzieren viel Überschuss. Von seiner Bühnenfassung von Dostojewskis Roman „Schuld und Sühne“ haben sich nur die wunderbar aquarellierten Kostümentwürfe erhalten. Mit dem Drehbuchautor Erich Ebermayer arbeitet er an einem „Caspar Hauser“-Skript. Ausgerechnet Werner Herzog, Regisseur von Kinskis wichtigsten Filmen und dessen Lieblingsfeind, wird den Stoff 20 Jahre später verfilmen. Für eine geplante Mammutinszenierung von „Romeo und Julia“ antichambriert Kinski 1950 beim Kreuzberger Bezirksbürgermeister. Gespielt werden soll „in der Zeit von 23 bis 3 Uhr morgens“ auf dem Kreuzberg, benötigt werden „300 bis 1000“ Komparsen, darunter „300 ausgesprochen südländisch aussehende Frauen“. Es wurde nichts daraus.
Kinski ist tot, aber die Legenden um ihn blühen. Nachlassverwalter Peter Geyer hat aus Zeitungsnotizen und Anekdoten das Porträt eines Mannes montiert, der vor allem ein Gerücht gewesen zu sein scheint. Kinski habe, heißt es in der Zitatesammlung aus Illustrierten, Büchern und Interviews, einem Techniker den Finger gebrochen, einem Paketboten zwei Kinnhaken verpasst, eine Schauspielerin gewürgt, geschlagen und bespuckt. Einmal sei er nur bereit gewesen, im Theater aufzutreten, wenn ihm eine Dame vor versammeltem Publikum „einen blase“.
Kinski, so viel steht fest, hat das Lärmen der Welt immer mehr gehasst, je älter er wurde. Er träumte sich aufs Meer, segelte auf seinem Schiff, der „Joshua“, im Golf von Mexiko und plante den Bau eines utopischen Bootes, dem „Ship unter God“. Im Februar 1992 wurde seine Asche in der Bucht von San Francisco verstreut.
Peter Geyer, OA Krimmel (Hg.): Kinski. Vermächtnis, Edel Verlag, Hamburg 2011, 400 S., 49,95 €. – Die DVD-Reihe „Kinski Talks“ mit TV-Auftritten und Interviews erscheint bei der Deutschen Grammophon.
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