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Fleischlose Küche: Da lachen ja die Hühner

Die Schriftstellerin Karen Duve ist nach Brandenburg gezogen. Auf dem Land entdeckte sie die Liebe zum Tier – und damit die fleischlose Küche.

Ringenwalde, 60 Kilometer östlich von Berlin. Die ersten Lebewesen, denen man nach einer anderthalbstündigen Rutschpartie durch eine brandenburgische Schneewüste begegnet, sind Ronny und Rudi.

Ronny ist der Nachbar der Schriftstellerin Karen Duve. Er kniet neben einem toten Wildschwein, dem er den Bauch aufgeschlitzt hat.

Rudi ist ein humpelndes Huhn, das den Besuchern entgegenkommt. Karen Duve hat es von einer nächtlichen Recherche aus einer Legebatterie mitgebracht. Im Oktober war sie zusammen mit Bekannten heimlich durch eine Falltür, durch die die Hühner am Tag den Auslauf erreichen, dort eingestiegen, um die kotverkrusteten Käfigböden und die kahl gerupften Hühner zu filmen. Unter einem der Käfige hing Rudi kopfüber, mit einem Fuß in einem Gitter verklemmt. Nur noch matt flatternd, dem Tod geweiht. Ein Bekannter befreite den Fuß, Karen Duve brachte das Huhn in die Tierklinik, wo das Bein geröntgt und geschient wurde.

Es wird ein sehr unterschiedlicher Umgang mit Tieren gepflegt in dem kleinen roten und dem kleinen weißen Haus in der Ringenwalder Ringstraße, vor dem Ronny gerade die Innereien des Wildschweins auf einer Plastikplane ausbreitet.

Karen Duve wartet schon in ihrer Tür. Eine große Frau. Sie trägt Jeans, Leinenhemd, Filzpantoffel, die aber, wie sie korrigiert, nicht aus Filz, sondern „aus irgendeinem billigen Industriezeugs“ seien. Den aus Schafswolle hergestellten Filz lehnt sie ab, weil in Neuseeland Schafen unbetäubt ein faltiger Hautlappen herausgeschnitten wird, damit man sie später besser scheren kann. Ein Jahr lang hat sie sich mit den Grausamkeiten beschäftigt, die Menschen Tieren antun. Sie hat ein Buch darüber geschrieben: „Anständig essen“ erscheint am Montag im Verlag Galiani. Seit der Recherche ist sie Veganerin, isst also nur Pflanzen.

Duves Haus hat ein spitzes Dach, eine Wohnstube mit niedriger Decke, weiße Metallfenster und Bodenfliesen, die aussehen, als wären sie nach der Wende in einem der neuen Baumärkte erstanden worden. Eine Wand hat Karen Duve mit einem nostalgischen Vogelmuster tapeziert. Sie hat viele kleine gerahmte Tierbilder aufgehängt: vor allem Pferde und Reptilien. Kröten seien ihre Lieblingstiere, sagt sie lächelnd. Und man sieht ihr an, dass sie sich in der Rolle der Tierfreundin gefällt, die es nicht auf die Niedlichkeit der jeweiligen Spezies abgesehen hat.

Karen Duve zieht sich einen Stuhl an den Tisch heran. Sie hebt das Huhn auf ihren Schoß, das sein gebrochenes Bein in der Wohnung auskurieren darf. Schon als Kind, sagt sie, habe sie sich den Tieren nahe gefühlt. „Ich habe in ihnen meinesgleichen gesehen.“

Auch in ihren Romanen spielen Tiere eine gewisse Rolle. Da werden Froschlazarette gebaut und Drachen getötet. Und selbst in „Taxi“, ihrem wohl bekanntesten Roman, der auf 13 Jahren eigener Erfahrungen als Hamburger Taxifahrerin beruht, ist es ein Schimpanse, der die Taxifahrerin Alex aus ihrer Lethargie reißt.

„Taxi“ ist ein boshaftes, witziges Buch. In den genauen Beobachtungen und dem unsentimentalen Ton glaubte man eine Hassliebe auf die Stadt herauszuhören und war damals umso erstaunter, als man die Autorin in einem Bahnhofshäuschen auf dem Land bei Brunsbüttel antraf. Dort lebte sie, zusammen mit zwei Maultieren, einem Pferd und einigen Hühnern. Vor anderthalb Jahren wollte sie „der Liebe wegen“ nach Berlin. Doch mit ihrer kleinen Tierfamilie war an eine Stadtwohnung nicht zu denken.

So ist sie hier in der Märkischen Schweiz gelandet, in diesem zwischen Dorfteich und Rapsfeld eingebetteten Häuschen, mit einem Stall für die Hühner und einem für die Pferde im Garten.Der Liebe wegen, ergänzt sie, wäre sie nicht nach Düsseldorf gegangen. Und so vermutet man, dass sich ihr soziales Leben in Berlin abspielt. „Soziales Leben?“, fragt sie. „Ich bin Schriftstellerin!“

Karen Duve führt eine Art Einsiedlerexistenz, auch wenn sie mitten im Dorf wohnt, dessen Bewohner sie als nette, feierfreudige Menschen beschreibt. Sie hat eine Mitbewohnerin, die hin und wieder aus Berlin anreist. Doch ihre Lebensgefährten sind vor allem Tiere, womit zu erklären ist, warum der Selbstversuch, mit dem Duve das vergangene Jahr eher spielerisch begann, zu ihrem großen Thema wurde.

In den ersten Monaten des Jahres hatte sie sich bloß auferlegt, über ihre alte Ernährung Buch zu führen und fortan nur noch Biokost zu kaufen. Tagebuch führen – das mag sie eigentlich nicht. „Bemüht man sich um Ehrlichkeit, so erfährt man mehr über sich, als einem lieb sein kann“, so schrieb sie mal. „Beschönigt oder verbessert man seine Erinnerungen und Motive, weil man eine posthume Veröffentlichung nicht ausschließt und die Nachwelt beeindrucken will, ekelt man sich schon beim Schreiben.“

Doch wenn man ihren Erfahrungsbericht liest, beschränkt sich ihre Selbstbeschau auf Unverfängliches: dass sie zum Beispiel einmal Heißhunger auf Steak hatte. Denn in den folgenden Monaten wurde ihr Speiseplan immer eingeschränkter. Zwei Monate ernährte sie sich vegetarisch, zwei Monate vegan und zwei frutarisch. Frutarier essen nur Pflanzen, die nicht durchs Ernten absterben. Äpfel sind beispielsweise erlaubt, Kartoffeln verboten.

Doch dem Heißhunger auf Steak gab sie nicht nach. Sie hatte zwischenzeitlich zuviel über die industrielle Massentierhaltung gelesen. Da bekommen Rinder, weil die Betäubung versagt, mitunter bei lebendigem Leib die Hufe abgeschnitten. Milchkühen werden die Kälbchen gleich nach der Geburt abgenommen, damit allein die Menschen ihre Milch bekommen. 700 Millionen Tiere werden in Deutschland im Jahr geschlachtet. Der Umgang mit den Nutztieren sei „barbarisch“, sagt sie. „Das ist kein Alte-Tanten-Thema. Es ist eine existenzielle ethische Frage, wie wir mit den Tieren, die uns ausgeliefert sind, umgehen. Ob man sagt, dass man mit ihnen alles machen kann, weil es ja keine Menschen sind.“

Eine große Lesereise ist geplant, zusammen mit dem amerikanischen Romancier Jonathan Safran Foer, der mit seinem Buch „Tiere essen“ einen weltweiten Bestseller landete. Foer geht es wie Duve bei seinen Essgewohnheiten um moralische Maßstäbe. Zurzeit scheint es eine Sehnsucht danach zu geben, ein guter Mensch zu werden, nachdem die Menschen lange vor allem erfolgreich sein wollten. Auf den Bestsellerlisten stehen Titel wie „Die Kunst, kein Egoist zu sein“ von Richard David Precht oder „Charakter“ der ZDF-Moderatorin Petra Gerster und ihrem Mann Christian Nürnberger. „Viele Menschen spüren ein großes, diffuses Unbehagen, weil unser Alltag im Grunde skandalös ist“, sagt Karen Duve.

Selbst ihre Lederhosen, Lederjacken und -schuhe hat sie weggeben. Dabei, so könnte man einwenden, werden davon die dafür verwendeten Tiere auch nicht mehr lebendig. „Wenn man Leder trägt, zeigt man aller Welt, dass man Tiere für Objekte hält – ausbeutbar, nicht zu berücksichtigen“, sagt Duve. Die ausgestopften Tierköpfe, mit denen sie ihre Wohnung geschmückt hatte, hat sie auf Ebay zum Verkauf angeboten.

Das einzige Supermarkt-Lebensmittel, das in ihre Küche zu finden ist, ist Katzenfutter. Die Katzen dürfen weiter Tiere essen.

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