Autorentheatertage am Deutschen Theater: Aufstand in der Nasszelle
Ach, wie die Weltlage drückt: ein Ausblick auf die Berliner Autorentheatertage, das Festival für zeitgenössische Dramatik am Deutschen Theater.
Eigentlich wollte sich die Theatermacherin Yael Ronen mit der „Zukunft des Sex“ beschäftigen, als sie letztes Jahr ihr Regiedebüt an den Münchner Kammerspielen gab. Mitten in die Recherchephase zu „Dating-Apps, Körperimplantaten und Cyber-Sex“ fiel allerdings der Amoklauf des 18-jährigen Schülers David S. im Münchner Olympia-Einkaufszentrum, bei dem neun Menschen starben. Und „Point Of No Return“ wurde zu einem Abend über Terrorangst, Katastrophenhysterie und (Medien-)Bilder, dem es ausdrücklich nicht um die Rekonstruktion der Ereignisse geht, sondern um deren Bespiegelung durch das Münchner Ensemble. Und wie immer, wenn Ronen und ihre Akteure gut in Form sind, ist daraus eine erhellende Bestandsaufnahme der Gesellschaft entstanden.
„Point Of No Return“ eröffnet an diesem Mittwoch die Berliner Autorentheatertage, das Festival für zeitgenössische Dramatik, das Ulrich Khuon 1995, während seiner Intendanz in Hannover, erdacht und dann übers Hamburger Thalia Theater 2009 nach Berlin ans DT gebracht hat. Vor dem finalen Kernstück – der „Langen Nacht der Autoren“, in der wieder drei Texte uraufgeführt werden – liegt ein zehntägiges Gastspielprogramm mit Podien, „Europa Table Talks“ sowie einem Salon, in dem „die musikalischen, literarischen, popkulturellen und politischen Leibspeisen“ der beteiligten Autorinnen und Autoren offenbart werden sollen.
Einige Aussagen zum Festivalprogramm lassen sich glücklicherweise auch ohne Enthüllungsplattform treffen. Zum Beispiel, dass der Druck, sich wie Ronen mit der Weltlage auseinanderzusetzen, dramatisch gestiegen ist. Und dass er leider nicht immer zu einem lohnenden Ergebnis führt.
Zu den europäischen Themen der Stunde gehört auch der Rechtsruck
Das zweite große Gastspiel der Autorentheatertage etwa – „Ein europäisches Abendmahl“ vom Burgtheater Wien – bleibt ein papierener Thesenträger vom Dramaturgenreißbrett: Fünf renommierte Autorinnen aus fünf verschiedenen Ländern, von Elfriede Jelinek bis zu Terézia Mora, wurden gebeten, in Minidramen europäische Frauenfiguren zu entwerfen. Herausgekommen ist außer biblischer Ratlosigkeit vor allem eine Klischeeparade, die durch Barbara Freys Regie leider noch verstärkt wird. Die Putzfrau mit mutmaßlich osteuropäischem Migrationshintergrund etwa, die sich in Nino Haratischwilis Beitrag im prolligen Glitzeroberteil in heftigen Flüchtlingshass bis hin zur Mordfantasie hineinsteigert, wird fürs Theaterpublikum mehr zum drolligen Distinktionsobjekt als zum Reflexionsgegenstand.
Zu den (unerfreulichen) europäischen Themen der Stunde gehört natürlich auch der Rechtsruck. Dirk Lauckes sehenswerte, minuziös recherchierte Szenenfolge „Furcht und Ekel. Das Privatleben glücklicher Leute“, die in einem Gastspiel des Schauspiels Köln gezeigt wird und nicht umsonst auf Bertolt Brechts „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ rekurriert, legt kommentarfrei entsprechende Denkmuster offen. Und zwar quer durch Regionen, Milieus und Soziotope: vom bekennenden Neonazitreff in Halle-Silberhöhe bis zur politisch hyperkorrektheitsbewussten Dramaturgiesitzung in einem x-beliebigen deutschen Stadttheater.
Eine merkwürdig verdruckste und eindeutig nicht sympathietragende Spezies stellt auch die junge Wiener Autorin Miroslava Svolikova mit den „hockenden“ vom Wiener Burgtheater vor. Es handelt sich um ein nicht näher ausdifferenziertes Kollektiv von Mulden-Siedlern, die zwar alles um sich herum sehen und kommentieren, dabei aber so ultimativ in ihrem „Sumpf“ feststecken wie die beinlosen Beckett-Kollegen Nagg und Nell in ihren „Endspiel“-Mülltonnen (und gelegentlich vergleichbare Weisheiten von sich geben). Bis, mal wieder, die Dorfkneipe brennt. Die Autorentheatertage widmen der 31-jährigen Nachwuchsautorin, die für „die hockenden“ 2015 den Retzhofer Dramapreis gewann, mit zwei Aufführungen einen eigenen kleinen Schwerpunkt.
Anne Leppers „Mädchen in Not“ fehlt
Gute Stücke übrigens werden – auch dies zeigen die Autorentheatertage allen Unkenrufen zum Trotz – fleißig nachinszeniert. Das DT hat zwei eigene Aufführungen von Texten im Programm, die dieses Jahr, jeweils in der Urinszenierung, bei den Mülheimer Theatertagen gastierten, dem renommiertesten Festival für deutschsprachige Gegenwartsdramatik. Während Elfriede Jelineks Textfläche „Wut“ postfaktische Erregungszustände untersucht, träumt der Bademeister Hannes in Ferdinand Schmalz’ Nasszellen-Aufstandsdrama „Der thermale Widerstand“ vom globalen Kurbad-Umsturz. Wo dem gemeinen Zeitgeist mal wieder nur einfällt, eine schnöde Schwimmhalle zum Wellnesstempel für realkapitalistische Leistungsoptimierer hochzujazzen, tritt Hannes wacker für das Recht auf Faulheit und einen „zweckfreien, nicht funktionierenden Körper“ ein. (Da behaupte noch einer, der Gegenwartsdramatik mangele es an gesellschaftlichen Gegenentwürfen!)
Natürlich gibt es auch Arbeiten, die definitiv fehlen bei den Autorentheatertagen. Zum Beispiel Anne Leppers „Mädchen in Not“, das frisch gekürte Siegerstück der Mülheimer Theatertage. Dessen Protagonistin Baby gehört zu den beneidenswerten Zeitgenossinnen, die ein klares Lebensziel formulieren können: Sie will „mit einer Puppe als Mann nach Italien“ und tritt bei dieser Gelegenheit den Beweis an, dass man sich auch klug an der Weltlage reiben kann, ohne verbissen über Tagespolitik zu reden; in diesem Fall an der patriarchalen.
Autorentheatertage Berlin, Deutsches Theater, 14. bis 24. Juni
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