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Elfriede Jelinek 2004.
© REUTERS

Elfriede Jelinek zum 70.: Tanzen auf der Textfläche

Wortmächtige Wut, ironische Distanz, Autobiografisches. Die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek lässt sich in keine Schublade pressen. Heute wird sie 70.

„Wir setzen uns mit nichts mehr auseinander, wenn wir einmal beisammen sind.“ Solche Sätze kann wahrscheinlich wirklich nur Elfriede Jelinek. Dieser stammt aus ihrem jüngsten Theatertext „Wut“, urinszeniert im April von Nicolas Stemann an den Münchner Kammerspielen. Jelinek, Büchner- und Literaturnobelpreisträgerin, „bestgehasste Frau Österreichs“, wortmächtige Wüterin „gegen die allgegenwärtigen männlichen Herrschafts- und Gewaltverhältnisse“ (Sigrid Löffler) und was der Labels sonst noch so sind – feiert am heutigen Freitag ihren 70. Geburtstag. Und führt in „Wut“ – wie immer auf der Höhe der Zeit – das dumpfe Grundrauschen und die tümelnde Gesinnungslagerbildung unserer Tage vor. IS-Terroristen und Pegidisten, Religionsverfechter wie -verächter, „Wut“- und selbsternannte Mutbürger kommen zu Wort, wobei oft erst nach mehreren Satzkaskaden klar wird, wer da eigentlich spricht. Die titelgebende Emotionsaufwallung war halt noch nie eine zielführende Angelegenheit.

Ein Glücksfall an Komplexität und produktiver Verunsicherung

Tatsächlich hat die im steiermärkischen Mürzzuschlag geborene Autorin, die 1983 mit ihrem autobiografisch grundierten und von Michael Haneke verfilmten Roman „Die Klavierspielerin“ über ein beklemmendes Mutter- Tochter-Verhältnis ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit drang, in den letzten Jahren vor allem das Theater zu ihrem Medium erkoren. Und das Netz, wo sie auf www.elfriedejelinek.com regelmäßig Stellung zu Aktualitäten nimmt.

Für die Bühne sind Jelineks gegenwartsanalytische „Textflächen“ meist ein Glücksfall an Komplexität und produktiver Verunsicherung. Sie verzichten auf Figuren, Dialoge, klassische Dramaturgie, gleichen eher einem Materialsteinbruch, wo sich Ereignisse zu Strukturanalyen verdichten und jeder, der das Wort ergreift, garantiert gleich über einen scharfkantigen Kalauer stolpert oder auf seiner eigenen Sprechblase ausrutscht.

Jelinek lässt Regisseure mit Lässigkeit schalten und walten

Selbst Nicolas Stemann – neben Jossi Wieler der Jelinek-Uraufführungsregisseur der letzten Jahre – gesteht, ihre Texte „nicht gut alleine lesen“ zu können. „Ich merke immer wieder, dass ich auf einen Verstehmodus schalte, der letztlich vieles nicht erfasst. Deshalb muss ich das inszenieren“, erklärt er. Und weil Jelinek die Regisseure – Chapeau! – in einer Lässigkeit schalten und walten lässt, wie sie im dramatischen Business ihresgleichen sucht, traten in „Ulrike Maria Stuart“ vor zehn Jahren bei Stemann etwa zwei Schauspielerinnen in Vagina-Kostümen auf, die Jelinek selbst und ihre Schriftstellerkollegin Marlene Streeruwitz bei einem ziemlich komischen Dialog aus der „Emma“ darstellten. Während Streeruwitz juristisch dagegen vorgehen wollte, ließ Jelinek auf Nachfrage ausrichten, sie fände den Auftritt sehr lustig.

Inzwischen fast kompletter Rückzug aus der Öffentlichkeit

Bekanntlich schreckt die in München und Wien lebende und seit 1974 mit einem Münchner Informatiker verheiratete Autorin weder in Texten noch Interviews davor zurück, Autobiografisches zu veröffentlichen: die schwierige Beziehung zur Mutter, die Demenz und den frühen Tod ihres Vaters, ihre Angstzustände und den inzwischen fast kompletten Rückzug aus der Öffentlichkeit. Gleichzeitig beherrscht sie aber auch wie kaum eine andere anspruchsvolle Camouflagetechniken wie höhere Ironie. Kurz: Elfriede Jelinek lässt sich in keine Schublade pressen.

Am wenigsten in eine banalfeministische. Als sie 2004 den Literaturnobelpreis bekam, rüpelte „Bild“-Kolumnist Franz-Josef Wagner: „Nehmen Sie Ihr Preisgeld, geben Sie es aus für Therapeuten und werden Sie glücklich!“ Damit konfrontiert, konterte Jelinek lässig: „Also eine Million Euro gebe ich bestimmt nicht für Therapeuten aus. Da kauf’ ich mir lieber ein japanisches Kleid.“ Glückwunsch zum Siebzigsten!

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