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Klassiker: Die Reinzeichnung eines Calvin-und-Hobbes-Strips, der am 1. Februar 1987 erschien.
© Carlsen

„Calvin und Hobbes entdecken“: Auf den Tiger gekommen

Er gilt als der medienscheueste Comic-Künstler überhaupt. In einem neuen Buch spricht Bill Watterson nun erstmals ausführlich über seinen Werdegang und das Ende von „Calvin und Hobbes“.

Auch Comic-Legenden haben mal klein angefangen: „Ich hab einfach einen Zettel gefaltet, sodass acht Kästchen zu sehen waren, und hab irgendwie versucht, am Ende eine Art Pointe zu haben“, beschreibt Bill Watterson seine ersten Gehversuche als Zeichner in „Calvin und Hobbes entdecken – Das große Bill Watterson-Buch“. In einem 33-seitigen Interview gibt der Schöpfer von „Calvin und Hobbes“, dem bis heute enorm populären Strip mit dem sechsjährigen Calvin und seinem Stofftiger Hobbes, erstmals ausführlich Auskunft über seine Karriere als Zeichner, seine Einflüsse und die Entwicklung seines 1995 abrupt beendeten Comic-Strips.

Im Falle von Watterson ist eine solche Publikation eine kleine Sensation: Zwei Jahrzehnte lang war es geradezu ein Ereignis, wenn sich der zurückgezogen lebende Zeichner überhaupt zu Wort meldete; so etwa als Watterson 2013 ein Interview für die Zeitschrift Mental Floss gab – sein zweites innerhalb von 20 Jahren.

Der nun vorliegende Band entstand im Rahmen der zweiten Watterson-Einzelausstellung 2014 im Billy Ireland Cartoon Library & Museum in Ohio, welchem der Zeichner über 3000 Originalstrips vermacht hat. „Calvin und Hobbes entdecken“ ist quasi die Ausstellung in Buchform: Es enthält neben dem Interview über 100 thematisch gesammelte Original-Strips (noch mit Korrektur-Spuren), frühe Karikaturen, sowie von Watterson kommentierte Comics und Karikaturen seiner Vorbilder. Besonders faszinierend: Ein Foto von Wattersons Zeichenwerkzeug, darunter ein roter Druckbleistift: „Mein Dad hat mir diesen Stift gegeben, als ich ein Kind war, und ich habe seitdem alle meine Comics damit vorgezeichnet.“

Bei Disney-Filmen machte er den Ton aus

Freilich: Die Geschichte von „Calvin und Hobbes“ muss nach dieser Veröffentlichung nicht neu geschrieben werden. Watterson bestätigt vieles, was Fans schon wussten, allerdings angereichert durch etliche faszinierende Hintergrund-Details, vor allem über seine Einflüsse: Während er etwa die Looney Tunes liebte, machte er bei Disney-Filmen oft lieber den Ton aus, um in Ruhe die Animationen zu studieren.

Charles M. Schulz („Die Peanuts“) hingegen war für Watterson nicht nur in grafischer Hinsicht ein Vorbild: „Vermutlich der größte Einfluss, den Charles Schulz auf mich hatte, war, dass er damals, als nahezu alle erfolgreichen Zeitungsstrips mit Hilfe von Assistenten entstanden, seine Strips ausnahmslos alleine geschrieben und gezeichnet hat.“ Dabei war der übergroße Schulz zunächst eher ein Hemmnis für Watterson, der die Idee, einen Comic mit Kindern als Hauptfiguren zu zeichnen, von vornherein verwarf: „…ich hatte das Gefühl, dass Schulz diesen Raum komplett besetzt und für jeden anderen unbewohnbar gemacht hatte.“

„Das Ende von Calvin und Hobbes hat mich auch überrascht“

Watterson gibt – wie üblich – kaum Privates preis, doch wenn es um seine Arbeit und um Kunst geht, gewährt der Zeichner ausführliche und vor trockener (Selbst)Ironie strotzende Erläuterungen. So erfährt man beispielsweise, warum Calvin nach dem Reformator Johannes Calvin benannt wurde: „… das war ein Witz. (lacht) Hauptsächlich auf meine Kosten“, so Watterson, der in einer unreligiösen Familie aufwuchs und sich seiner Bildungslücke in Sachen Religion später im Kunstunterricht schmerzlich bewusst wurde.

Unzertrennlich: Der auf ewig sechsjährige Calvin und sein Plüschtiger Hobbes, der im Strip zum Leben erwacht.
Unzertrennlich: Der auf ewig sechsjährige Calvin und sein Plüschtiger Hobbes, der im Strip zum Leben erwacht.
© Carlsen

Zur Sprache kommt auch der enorme Druck, als professioneller Syndikat-Zeichner 365 Tage im Jahr täglich einen guten Comic-Strip zu liefern: „Ich habe damals in meinem Leben alles eliminiert, was nicht mit dem Strip zu tun hatte.“ Das plötzliche Ende von „Calvin und Hobbes“ nach zehn Jahren habe ihn ebenso überrascht wie alle anderen, gesteht Watterson: „Es gab keine Krise. Ich wusste einfach nur, dass es Zeit war, aufzuhören.“ Dass die Comics um Calvin und seinen Stofftiger nach wie vor enorm populär sind, verblüfft auch Watterson: „Ich verstehe das überhaupt nicht.“

Abseits von „Calvin und Hobbes“ gibt Watterson viele Einblicke in das, womit er sich seit Mitte der Neunziger Jahre hauptsächlich beschäftigt: Kunstgeschichte und Malerei. Er schätze besonders Egon Schiele und viele andere deutsche Expressionisten: „Ich schätze, es war die zeichnerische Energie dieser Bilder, die mich ansprach: Kräftige Linien, Verzerrungen und eine erhöhte emotionale Sichtweise. Nicht allzu weit weg vom Comic.“

Kein neues Comic-Projekt in Planung

Man kann durchaus bemängeln, dass die Interview-Fragen von Kuratorin Jenny Robb recht brav und vorhersehbar sind. Aber der große Respekt ist verständlich – wer will schon einen der schweigsamsten Comic-Künstler überhaupt mit einer frechen Bemerkung vergrätzen? In dieser Hinsicht ist die 2013 erschiene Biographie „Auf der Suche nach Calvin und Hobbes“ von Nevin Martell (dem kein Interview gewährt wurde) deutlich aufschlussreicher.

Doch eine Frage muss auch Robb am Ende stellen: Wird es je neue Comics von Watterson geben? Ja, er vermisse die Möglichkeit, zu Millionen von Lesern zu sprechen, räumt Watterson ein, aber ein neues Comic-Projekt habe er nicht: „Es müsste etwas ziemlich Andersartiges und Ungewöhnliches sein, damit ich mich dafür begeistern kann.“ Vielleicht für eine Graphic Novel? Doch auch diese Frage wird verneint: „Ich schätze, ich bin nicht diese Art von Autor.“ Wattersons Fans müssen sich also nach wie vor damit zufrieden geben, dass er in seiner Karriere „nur“ den vielleicht besten Comic-Strip der Welt geschaffen hat – immerhin ein kleiner Trost.

Calvin und Hobbes entdecken – Das große Bill Watterson-Buch, Carlsen, 160 Seiten, 25 Euro

Mehr von unserem Autor Erik Wenk auf seiner Website www.elfenbeinbungalow.de, weitere Tagesspiegel-Artikel von ihm unter diesem Link

Zeitlos: Calvin und Hobbes auf dem Cover des neuen Buches.
Zeitlos: Calvin und Hobbes auf dem Cover des neuen Buches.
© Carlsen

Erik Wenk

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