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Wie alles begann. Die Comic-Strips um Charlie Brown sind seit 1950 in mehr als 2500 Zeitungen erschienen. Die Abbildung entnehmen wir dem Prachtband „Kein Strich zu viel – 65 Jahre Peanuts“ (Baumhaus Verlag, Köln, 304 Seiten, 39 €).
© Baumhaus Verlag

Peanuts: Der traurige Optimist

Was verraten die philosophischen Kultcomics über das Seelenleben ihres Schöpfers ? Ein Treffen mit der Witwe von „Peanuts“-Autor Charles M. Schulz.

Depression? Nein, das Wort mag Jean Schulz nicht. Für einen Moment gefriert das Lächeln der 76-Jährigen. „Ich nenne es lieber Melancholie“, sagt sie. Und mustert ihren Gesprächspartner, um zu sehen, ob er den Unterschied verstanden hat. Denn auch wenn die kleine Frau mit den vielen Lachfalten und den blondierten Haarsträhnen aus beruflichen Gründen in Berlin ist und in einem Luxushotel am Gendarmenmarkt ein Interview nach dem anderen gibt, geht es ihr doch um etwas zutiefst Persönliches: um ihre Familie. Vor allem um ihren Mann, den Schöpfer und Zeichner der „Peanuts“. Eine der erfolgreichsten Comicserien der Welt, deren philosophischer Witz bis heute weltweit verehrt wird. Mit leisem Humor erzählte Schulz darin von den vielschichtig lesbaren Alltagserlebnissen des ewig unverstandenen Charlie Brown und seiner Altersgenossen und vermittelte mit feinem Strich jede noch so kleine Gefühlsregung seiner Figuren – was besonders anschaulich der soeben erschienene Prachtband „Kein Strich zu viel – 65 Jahre Peanuts“ vor Augen führt.

Charles M. Schulz starb vor 15 Jahren, seitdem verwaltet Jean Schulz sein Erbe, zusammen mit Schulz’ Kindern aus erster Ehe. Jean Schulz leitet das „Charles M. Schulz“-Museum in Santa Rosa, Kalifornien. Sie wacht darüber, was im 21. Jahrhundert mit dem ewigen Verlierer Charlie Brown, seinem Freund Snoopy und den anderen Figuren passiert, die Schulz erfunden hat und die seit 1950 Generationen von Zeitungslesern begleitet haben – und die jetzt mit ihrem Segen in einem abendfüllenden 3-D-Animationsfilm auftreten, der Weihnachten in Deutschland in die Kinos kommt. Und sie hilft bei der Antwort auf jene Frage, die sich Leser der „Peanuts“-Strips immer wieder gestellt haben: Wie viel Charles M. Schulz steckt eigentlich in Charlie Brown?

Eine besonders umfangreiche und kontrovers diskutiert Antwort hat der US-Autor David Michaelis vor einigen Jahren mit seiner auf Deutsch bislang nicht veröffentlichten Biografie „Schulz and Peanuts“ gegeben. Basierend auf Interviews mit Familienangehörigen und einstigen Weggefährten arbeitet der vielfach ausgezeichnete Biograf auf 700 Seiten bemerkenswerte Parallelen zwischen Schulz’ Leben und den Charaktereigenschaften seiner Hauptfiguren heraus: vor allem zum Pechvogel Charlie Brown – nicht gerade zur Freude von Jean Schulz und ihrer Familie. Denn Michaelis’ Bild von Schulz ist wenig schmeichelhaft.

Ein schüchterner und zurückhaltender Junge

Schulz, geboren in Minnesota im Mittleren Westen der USA am 26. November 1922 als Kind eines deutschstämmigen Vaters und einer aus Norwegen stammenden Mutter, wuchs demnach als „überbehütetes Einzelkind“ auf, das sich in Vaters Geschäft vor der Welt da draußen versteckt. Schulz senior war Barbier – wie im Comic der Vater von Charlie Brown. Der später so erfolgreiche Comiczeichner, dem ein Onkel den von einem damals populären Strip inspirierten Spitznamen Sparky gibt, ist als Junge schüchtern und zurückhaltend. „Sparky will gemocht werden, weiß aber nicht recht, wie man Freunde macht“, schreibt Michaelis. Der Junge leidet still darunter, dass er kaum auffällt. Schulz junior verbringt Michaelis zufolge seine ersten Lebensjahre als Einzelgänger.

In der Grundschule überspringt er eine Klasse, weil er ein sehr guter Schüler ist, mit dem Ergebnis, dass der klein gewachsene Junge körperlich seinen neuen Mitschülern noch unterlegener ist als zuvor. Michaelis beschreibt Schulz als von den Klassenkameraden gering geschätzten Schlaumeier, der seine Fähigkeiten unterspielt, um nicht aufzufallen. Im Comic wie im neuen Film, der sich sehr eng an Schulz’ Werk orientiert, ist Charlie Browns zentrales Problem, dass niemand versteht, was in ihm los ist und zu welchen großen Taten er eigentlich fähig ist – wenn nicht immer etwas dazwischenkäme. Auch nach der Armeezeit, die der Michaelis zufolge sozial unsichere Schulz als belastend empfindet, hat er zunächst nicht viel mehr Glück mit anderen Menschen. Eine Jugendfreundin, von der er sich etwas erhofft hatte, zeigt ihm die kalte Schulter, weitere Zurückweisungen durch andere Frauen folgen.

Charles M. Schulz am 12. Februar 2000.
Charles M. Schulz am 12. Februar 2000.
© AFP

Mit dem rasanten Erfolg der „Peanuts“, die von 1950 an erscheinen und in ihren besten Zeiten in mehr als 2500 Zeitungen täglich abgedruckt werden, scheint sich auch Schulz’ Leben zum Besseren zu wenden. Er heiratet die selbstbewusste Joyce Halverson, doch auf dem Weg in die Flitterwochen, so schreibt David Michaelis, gesteht der Zeichner ihr: „Ich glaube, ich kann niemals richtig glücklich sein.“ Seine Strips werden von mehr und mehr Zeitungen gedruckt, Schulz verdient in den späten 1950ern bereits das Zehnfache des US-Durchschnittsgehaltes. Dennoch ist der Zeichner mit seiner Arbeit unzufrieden, er zweifelt an sich, schämt sich für von ihm so empfundene zeichnerische Mängel. Zunehmend, so schreibt Michaelis, machen ihm Depressionen und Panikattacken das Leben schwer.

Die Melancholie eines Künstlers

Allem Erfolg zum Trotz scheint Schulz von der Angst verfolgt zu sein, dass sein äußerliches Glück nicht von Dauer sei. Dazu kam eine starke Abneigung, sein Atelier zu verlassen. „Sein Zuhause war seine Schmusedecke“, schreibt Michaelis mit Bezug auf die „Peanuts“-Figur des Linus, der nie ohne „Security Blanket“ das Haus verlässt. Zunehmend entfernt der Künstler sich in jenen Jahren von seiner Frau und den vier gemeinsamen Kindern, so schreibt Michaelis in einer Passage, der besonders Schulz’ Kinder öffentlich heftig widersprechen: „Schulz konnte nicht lieben und fühlte sich unliebbar.“ Die Ehe endet 1972, ein Jahr später heiratet Schulz die 17 Jahre jüngere Jean Forsyth Clyde, die 27 Jahre bis zu seinem Tod mit ihm zusammenlebt.

„David hat für sein Buch viele Menschen besucht und interviewt, die Sparky als Kind oder als jungen Mann kannten“, sagt Schulz’ Witwe beim Gespräch in Berlin. „Dabei hat er so viele Dinge über Sparky herausgefunden, die man so noch nicht gehört hatte.“ Und er habe sie in einen neuen Kontext gesetzt. „Ich denke, wir wissen heute mehr über Sparky, als er je über sich selbst wusste“, sagt Jean Schulz. Dass die Biografie in ihrer Familie dennoch gerade von Schulz’ Kindern aus erster Eher mit Entsetzen aufgenommen wurde, erklärt sie vor allem damit, dass der Zeichner darin als emotional blockierter, von Depressionen geplagter Mensch erscheint, der keine wirkliche Beziehung zu seiner Familie aufbauen konnte.

„So war Sparky aber nicht“, sagt sie und ihre sonst so ruhige Stimme wird laut. „David hatte vor der Veröffentlichung über viele Passagen mit mir gesprochen und sie dann auf meine Rückmeldung hin noch geändert.“ Trotzdem habe er sich zu sehr auf das konzentriert, was er Sparkys Depression nennt. „Ich nenne es lieber Melancholie“, sagt Jean Schulz. Ihr Mann sei ein Künstler gewesen, „der viel Inspiration aus seinen Neurosen zog, wenn man es so ausdrücken will“. Das sei seine Art gewesen, diese Unsicherheit loszuwerden, das Gefühl der Unzulänglichkeit. „Er schrieb darüber, um damit fertigzuwerden.“

Jean Schulz, die Frau von Charles M. Schulz.
Jean Schulz, die Frau von Charles M. Schulz.
© AFP

Auch Schulz’ Sohn Monte wehrt sich gegen die Darstellung seines Vaters als eines gefühlskalten, depressiven Einzelgängers. In einem Essay für die Fachzeitschrift „The Comics Journal“ zeichnet er stattdessen das Bild eines liebenden Vaters, der zwar seine Marotten hatte, für seine Kinder aber vor allem ein enthusiastischer, vielseitig interessierter und lebensbejahender Vater war.

"Er erschließt uns den Sinn des Lebens"

Allerdings ist David Michaelis nicht der erste Schulz-Biograf, der dem Zeichner eine Depression attestiert hat. Bereits in dem kurz vor Schulz’ Tod veröffentlichten und von dem Zeichner autorisierten Buch „Good Grief – The Story of Charles M. Schulz“ beschreibt die Autorin Rheta Grimsley Johnson Schulz auf Basis langer Interviews mit ihm und vielen Weggefährten als „Kriegsveteran mit einer Depression, die ihn sein ganzes erwachsenes Leben begleitet hat“. Schulz habe die Zurückweisungen seines Lebens, das Verlieren zu seinem Fachgebiet gemacht und lebenslang an deren Perfektion gearbeitet, in persönlicher wie künstlerischer Hinsicht: „Je erbärmlicher er sich fühlt, desto mehr Herzblut floss in sein Werk.“ Vielleicht, so mutmaßt die Autorin, liege hierin das Erfolgsgeheimnis der „Peanuts“: „In einer der hedonistischsten Gesellschaften der Menschheitsgeschichte ziehen Schulz’ Minnegesänge des Trübsals Millionen Menschen in ihren Bann – er schuf mehr als einen Comic-Strip, er erschließt uns den Sinn des Lebens.“

Für Jean Schulz ist das zu kurz gegriffen. Weder werde man Schulz in seinen jungen Jahren noch seiner berühmtesten Figur gerecht, wenn man sie auf die Rolle des ewigen Verlierers reduziere. Ihr Mann habe das Leben und die Menschen um sich herum geliebt und ihnen das auch gezeigt, was sich auch in seiner Arbeit spiegele: „Sie dürfen Charlie Browns Optimismus nicht vergessen. Natürlich, er ist traurig, er fühlt sich für die Gesellschaft ungeeignet, er meint, dass ihn niemand mag.“ Aber er sei doch auch immer zuversichtlich, dass es besser wird: „Er gibt die Hoffnung nie auf.“ Diese positive Seite von Charlie Brown und auch von seinem Schöpfer komme in der öffentlichen Betrachtung oft zu kurz: „Sparky zeichnete sich einen Weg aus seinem Gefühl der Unzulänglichkeit heraus.“

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