Skiurlaub: Zehn Gründe für die Leutasch in Tirol
Es gibt hier mehr Loipen, Wanderwege und Schnee als anderswo. Und überall duftet es nach Knödel oder Topfenstrudel.
1 LOIPEN
Sechs Scheinwerfer fräsen einen Lichtkegel in die Finsternis. Feine Flocken wirbeln umher. Die Uhr zeigt sechs Uhr in der Früh, und Helmut Krug ruckelt durch pulverigen Neuschnee, einen 210 PS starken Motor im Rücken, welcher zwei Ketten antreibt, die Armatur meldet minus zehn Grad draußen. In der Fahrerkabine ist es mollig warm, sogar die Scheiben sind beheizbar, freier Rundumblick ist wichtig in einem Loipenspurgerät, „mir sog’n Pistenbully“, spricht Krug. Seine linke Hand hält ein kleines Lenkrad, die rechte umfasst einen Joystick mit Knöpfen, so steuert er Schneeschieber und -greifer vorn, die blaue Welle, maximale Drehzahl 1600 pro Minute, und die zwei Spurplatten hinten. Er glättet die Loipe für die Skater oder hinterlässt scharfkantige Dellen für den klassischen Langlauf – eine bis zu neun Meter breite Sportschneise. Sein Morgen, wenn die Touristen noch in den Betten liegen, führt ihn über weite Ebenen und enge Forstwege, wo Zweige an die Scheiben klatschen, die Scheinwerfer bestrahlen Märchenland. 40 Jahre Erfahrung lassen Krug ahnen, wo die weiße Decke zu dünn ist oder die Spur zu schmal, virtuos verteilt und begradigt er den Schnee, mal vier, mal sechs Stunden, je nach Wetterlage, jeden Wintertag, die Leutascher Ecke zum Inntal hin ist sein Revier. Noch sieben weitere Kollegen der „Olympiaregion Seefeld“ sind jetzt unterwegs, insgesamt 279 Kilometer Loipen zu präparieren, es gibt kaum Vergleichbares in Europa für alle, die Skilanglauf lieben. Als der Morgen anbricht, gegen acht Uhr, die Buffets fürs Frühstück sind gerichtet, ist der Himmel verhangen. Ganz allmählich gleichen sich die Farben von Landschaft, Wolken und Schnee an und verschmelzen zu einem milchig-trüben Brei, in dem sich alle Konturen auflösen. Nur geübte Augen finden sich in diesem Licht zurecht. Herr Krug zieht im wendigen Schneepanzer weiter seine Bahnen.
2 TAL
Es ist eine gottesfürchtige Gegend, zwei Pfarrkirchen und 24 Kapellen, niemand soll es weit haben, um zu beten. Die Leutasch also, kein kompakter Ort, sondern Name für ein Tiroler Hochtal, das aus 23 Dörfern und Weilern besteht, eingekerbt in steil aufragende Zweieinhalbtausender, an die sich im Nordosten die Zugspitze lehnt. Forstwirtschaft und Jagd sind seit Jahrhunderten der Broterwerb gewesen; früher schlugen im Sommer 300 Holzknechte die Bäume und schickten sie durch eine Rutsche ins Inntal. Längst gibt’s auch Fremdenverkehr, aber was für einen: Der winterliche Gegenentwurf zu Gondeln und Liften und Schneekanonen, dem Ballermann-Après-Ski, den Nerzmänteln, der akustischen Beschallung. Gemächlich fließt die Ache durch die sich 16 Kilometer hinziehende Leutasch, stürzt sich in einer Klamm über die deutsche Grenze nach Mittenwald. 2800 Einwohner, 4600 Gästebetten, meist Privatpensionen, kaum Hotels.
3 GANGHOFER
Vollbart und blonde Locken, er ginge locker als Hipster aus Neukölln durch und ist doch 100 Jahre tot. Ludwig Ganghofer war ein Star seiner Zeit, mehr als 30 Millionen verkaufte Bücher, Landschaftsbeschreibungen und Liebesglück, seine Theaterpremieren waren in München und Wien gesellschaftliche Ereignisse, seine Stoffe werden bis heute verfilmt („Der Jäger von Fall“; „Nur der Berg kennt die Wahrheit“). Ein Geld hat er gehabt, welches ihm ein feudales Leben ermöglichte, und so konnte er 20 000 Hektar Jagd pachten und das Haus Hubertus, 1896, hinten im Gaistal, wo er „Das Schweigen im Walde“ schrieb. Ein Naturpoet: „Ihnen zu Füßen lag der Nebel ausgegossen, flach und weiß wie Milch, und drüber stiegen aus dem Meer dieser silbernen Dünste die Steinkolosse der Wetterschroffen auf, über deren wild zerrissenen Grat die goldleuchtenden Schneegehänge der Zugspitze herüberblickten.“ Den armen Bauern war so einer nicht geheuer, der feudale Feste feierte und das Bier über 120 Kilometer aus der bayerischen Hauptstadt ankarren ließ. Aber der Fremde setzte bald 30 Leute in Lohn und Brot, die dem narrischen Jäger zur Hand gingen. Und heute kann jedes Leutascher Kind aufsagen, welche befreundeten Zeitgenossen der berühmte Ganghofer anlockte: Rainer Maria Rilke, Richard Strauss, Hugo von Hofmannsthal, und der Ludwig Thoma kam aus München sogar mit dem Radl daher, Respekt! In Kirchplatzl haben sie Ganghofer, der 20 Jahre blieb, ein Museum gewidmet. Sein abgenutzter Schreibtisch mit Stuhl steht da, die runde Metallbrille liegt in der Vitrine neben dem kecken Jägerhut, aufgeschlagene Hausbücher mit Eintragungen und Aquarellzeichnungen; er ist auch ein begeisterter Fotograf gewesen, und posiert hat er gern, mit Flinte, mit Gästen, mit Enkeln, einem Rehkitz. Nebenbei schrieb er Sätze wie: „Und die Einsamkeit verträgt nur jener, der sich selbst in jeder Stunde etwas zu sagen hat.“
4 THERME
Immer zur vollen Stunde steht ein Mann vor dem Dampfbad und schöpft Nackten mit einer Holzkelle aromatisiertes Salz in die Hände, die reiben sich damit die Haut ab. Das sei „a Pilling“, erklärt er. In der Finnischen Sauna fordert einer beim Aufguss „Hois owe“, also der Handtuchwedler möge die unter der Decke stehende Hitze bitte gleichmäßig verteilen. Das „Alpenbad“ liegt am Waldesrand von Weidach, dem Hauptort von Leutasch, ausladend und leuchtend, es birgt Wasserfall und Eisbecken, Kneippbäder und Schwitzhütte, Ruheräume und ein großes Schwimmbad mit acht Bahnen, mehrere Saunakammern, und wer will, geht ins Freie und reibt sich mit Schnee ab. Von einem Außenbecken steigt Dampf auf, man kann sich auf Unterwasserliegen fläzen und schaut wohlgewärmt auf die Winterlandschaft ringsum. In einer dieser klaren Nächte muss Ganghofer geschrieben haben: „Wie stark und feurig in der reinen Höhenluft die Sterne funkelten! Als wären es andere, schönere Sterne als jene, die man dort unten sieht in der staubigen Ebene und im Ruß der Stadt!“
5 SÜSSES
Beim Skilanglauf, weiß das Fachmagazin für Waschbrettbäuche „Fit For Fun“, würden 95 Prozent der Körpermuskulatur in Schwung gebracht, dieser Sport sei „die Fettschmelze schlechthin“. Und doch geht Abnehmen in dieser Gegend schlecht, wo an jedem Berg eine bewirtschaftete Hütte lauert, hinter jeder Schneewehe eine Alm oder ein Gasthaus, von überall lockt der Duft von Kaiserschmarrn, Speckknödeln und Strudeln. Und diese backt keine besser als Magdalena Gabl, leicht erkennbar an ihrer schwarzen Mähne. Am Abend, wenn sich Stille und Dunkelheit übers „Ferienheim Wildmoos“ legen, macht sie drei verschiedene Strudelfüllungen und lässt sie über Nacht kühl ruhen, in der Herrgottsfrüh schiebt sie dann Apfel-, Topfen- und Mohnstrudel in den Ofen. Ja mei, erzählt sie, sie habe lange mit den Zutaten experimentiert, und so einen „drockenen Dopfn kriagts ihr in Berlin nehd“. Sie hat das Rezept für ihren saftigen, lockeren Mohnstrudel dann noch mal rausgerückt (siehe Kasten) und mit ein paar Tricks ergänzt, an ihr soll’s nicht scheitern.
Die Landschaft grüßt in prächtigem Weiß, wie immer
6 WANDERN
Breitbeinig wie John Wayne müsst ihr gehen, sagt Andreas, erfahrener Bergführer mit vier Achttausendern am Himalaja in den Haxen, was ihm drei Stahlplatten und acht Schrauben im Körper eingebracht hat. Er stapft mit den Schneeschuhen voran, „und hebt’s die Knie nicht hoch, das kostet zu viel Energie“. Es geht querfeldein durch den Wald, stetig bergan, vorbei an Spuren von Schneehase, Fuchs, Eichkatze und Hirsch. Das Tief „Egon“ bläst dicke, weiße Fetzen von den Bäumen, die Muskeln jaulen, bis zur Rauthhütte hinauf (1605 Meter) ist einiges an Höhe zu machen. Zum Zeitvertreib erklärt Andreas den winterlichen Stoffwechsel der Tierwelt, und, woran man Fichte (rauer Stamm, Nadeln piksen, Zapfen hängen) und Tannen (glatt, Nadeln rund, Zapfen stehen) unterscheidet. Es ist die archaischste Art der Fortbewegung im tiefen Schnee, das Wandern mit Schneeschuhen, Jack Londons Alaska-Erzählungen (nie unter einem verschneiten Baum Feuer machen!) kommen einem in den Sinn. Und mit jedem schweißtreibenden Schritt wird die schöne Illusion stärker, auf einer großen Expedition zu sein.
7 WETTER
Wer nach Leutasch fährt, wird häufig kurz vor dem Ziel von der klammen Sorge befallen, es könnte in diesem Urlaub mal keinen Schnee geben. Weil in Garmisch oder Mittenwald die Wiesen braungrün daliegen, im Inntal sowieso. Dann geht es in Serpentinen auf gut 1100 Meter Höhe, und die Landschaft grüßt in prächtigem Weiß, wie immer. Es ist ein Phänomen, und Michael Winkler ist extra von Innsbruck heraufgefahren, es zu erklären. Der Mann von der ZAMG (Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik) hat ein blaues Buch mitgebracht – „Das Klima“ – und die Seite 49 aufgeschlagen. Er zeigt auf ein dunkles Band, das sich auf einer Landkarte von Ost nach West zieht, und sagt, das sei es. Das Wetter käme meist von Nordwesten, und dieser Gebirgszug versperre ihm den Weg, sodass sich die Wolken nach oben schöben „wie an einer Rampe“. Dahinter verstecke sich die Leutasch. Und der Föhn von Süden her ziehe über Innsbruck ab und verschone das Hochplateau, in Mulden wie Seefeld und Leutasch bleibe die eisige Luft stehen, „Kälteseen“ würden Meteorologen das nennen. Deshalb liege hier einfach mehr Schnee als anderswo.
8 ABFAHRT
Die Faulen spazieren gemütlich zur Hämmermoosalm, futtern sich durch Kaspressknödel und Frittatensuppe, leihen einen Schlitten für fünf Euro, rodeln über den Fahrweg zum Parkplatz und stellen ihn dort ab. Die Eifrigen stapfen von Emmat aus die Naturrodelbahn zum „Hohen Sattel“ hinauf, ziehen den Schlitten hinter sich her, 75 Minuten Anstrengung braucht’s schon, und oben wartet keine warme Hütte. Dafür kann man es auf den knapp drei Kilometern runterwärts krachen lassen, Bauchkribbeln und Jauchzer sind garantiert, und wen es mal aus der Kurve getragen und in den Tiefschnee geschleudert hat, der weiß: tolle Sache.
9 FISCH & WURST
Schon der Kaiser Maximilian, erzählen sie, habe gern im Weidachsee geangelt, und auch Ganghofer war da: „Wie die jungen Fischerln gfüttert und aufgezogen werden, dös is lieb zum Betrachten.“ Oben speit der Berg Quellwasser aus, 200 Liter jede Sekunde, sechs Grad frisch, es fließt in die Zuchtbecken mit den Forellen und Saiblingen, die wegen der Kälte langsam wachsen. Im Bruthaus glitzern 350 000 Eier wie Perlen, am See haben Angler Löcher ins Eis gebohrt und fischen mit kurzen Ruten, 22 Euro pro Tag kostet die Erlaubnis, zwei Kilo Fanggarantie inklusive, wer weniger aus dem Wasser zieht, bekommt das Restgewicht im Verkaufsladen eingepackt. Dort putzen sie jeden Morgen frische Fische, schneiden Filets, bringen einen Teil davon in die Räucherei. Auch ein paar Kilometer weiter, in Klamm, duftet es fein geräuchert. Im „Gut Leutasch“ hängen in vier Reifekammern Kaminwurzen, Landjäger, Schinken und Salami, geschlachtet wird vor Ort, vier oder fünf Tiere die Woche, nur aus der Umgebung, 800 Stück Wild liefern Jäger übers Jahr. Wer will, kann sich in der Fleischerei auf die Eckbank setzen und einen Imbiss nehmen, Weißwurst, Fleischkäse, Gegrilltes, oder die Verkäuferin stellt eine Platte mit Aufschnitt auf den Holztisch, Trüffelsalami, Nackenspeck, Hirschsaftschinken, Wildschweinpastete. In der Theke liegt, was halt gerade da ist, heute Ossobuco, Rehrücken, Rib-Eye-Steak. Sieht nicht nur schön aus, schmeckt auch verdammt gut.
10 GEISTER
Es ist bisweilen passiert, dass einem Spaziergänger ein schwarzer Pudel erschien, mit verkrüppelten Beinen und brennenden Augen. Und von einer Feuerkugel wird erzählt, die durchs Tal flog und an einem Heustadl zerplatzte, zum Schrecken der Leute. Es muss sich auch niemand wundern, wenn plötzlich zwei Schuhe des Wegs kommen, ganz ohne dass ein Mensch in ihnen steckt. In all diesen Fällen ist es angebracht, Reißaus zu nehmen und sich zwei, drei Mal zu bekreuzigen. Das hilft, soviel ist erwiesen.
Reisetipps für
ANREISE
Von Berlin nach Seefeld fährt der ICE knapp neun Stunden, manchmal sogar ohne Umsteigen. Die ganze Region hat sehr gute Busverbindungen.
VERLEIH
Ski und Schneeschuhe gibt es bei Sport-Wedl und Sport-Günter in Weidach. Im Ort ist auch das Alpenbad.
ESSEN
Urig und deftig im Kühtaierhof (Kirchplatzl) und der Ropferstub’m (Buchen). Feiner im Naturwirt (Gasse). Wurst und Fleisch einkaufen im Gut Leutasch (Klamm), Fisch frisch und geräuchert in der Fischerei Leutasch (Weidach).
ÜBERNACHTEN
Hotel Leutascherhof (Weidach), Speisen und Getränke sind komplett biologisch, üppige Weinkarte. Landpension Monika (Weidach), da ist alles Bio bis hin zur Matratze, traumhaftes Frühstück. Zentral gelegene Ferienwohnungen: appartement-leutasch.com. Mehr als 300 private Anbieter findet man unter seefeld.com oder über das Informationsbüro Leutasch (Weidach), 0043/50 880 510.
MUSEUM
Das Ganghofermuseum (Kirchplatzl) bietet Einblicke in Geschichte und Brauchtum der Leutasch. Eintritt 3 Euro.
BERGLEKTÜRE
Ludwig Ganghofer: „Das Schweigen im Walde“ (der Roman spielt in der Leutasch). Thomas Willmann: Das „finstere Tal“ (grandioser Alpen-Krimi).
WANDERN
Schnee erleben ohne Ski? Geht hier perfekt. Geräumte Wege, kilometerweit.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität