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Kostenlos und draußen. Ischgl versucht – auch mit Konzerten – vor allem junge Leute anzulocken. Immer wieder treten internationale Stars auf.
© Felix Hörhager/dpa

Skitourismus: Ischgl - Ballermann der Alpen

Der Wintertourismus steckt in der Krise. Skiorte werden deshalb zu Vergnügungsparks für Spaßwütige. Ischgl in Tirol macht es vor – das Motto lautet: Party, Party, Party.

Wenn jemand nach einem Symbolbild für den Tourismus in Ischgl suchte, dann wäre er mit dieser Szene am frühen Nachmittag mitten im Skigebiet gut bedient: Eine Clique aus sechs jungen Frauen, alle mit Hasenohren auf ihren Skihelmen, prostet sich kreischend mit großen Gläsern Aperol Spritz zu. Das orange Getränk funkelt in der Sonne, aus dem Skirestaurant „Alpenhaus“ schallt laute Musik. Ihre Skier haben die Damen abgeschnallt, und es sieht nicht so aus, als würden sie es bei diesem einen Glas belassen wollen.

Damit wären sie auch untypisch für den Gast im Tiroler Skiort Ischgl, der von sich behauptet, das „Ibiza der Alpen“ zu sein. Also ein Ort, in dem es vor allem um eins geht – Party machen, Tage und Nächte durchfeiern, „voll abgehen“, wie der 25-jährige Sven aus Oberhausen sagt. Während der etwa 20-minütigen Auffahrt mit der Fimba-Gondelbahn hat Sven ein Grundsatzreferat über das Ischgler Nachtleben gehalten, dessen Essenz etwa so lautet: „Geile Location, nur die Frauenquote is ’ne Katastrophe!“ Offenbar hat er die Clique am Alpenhaus noch nicht entdeckt.

Die Natur? Eher Nebensache

Nun ist Ischgl natürlich nicht nur ein berüchtigtes Partyziel, sondern gleichzeitig eines der größten Skigebiete der Alpen, eine hightech-optimierte „Luxus Destination“ wie Fachleute sagen, in der kompromisslos die Ansprüche des Tourismus weit vor denen der Natur stehen.

238 Pistenkilometer, Achter-Sesselbahnen mit Sitzheizung und W-Lan, ein schier unüberschaubares Angebot an Skipisten, Schneebars und Restaurants wie der „Lounge & Mountain VIP Club“, in dem es heute das „Tomahawk Steak vom Ibericoschwein“ für 45 Euro gibt. Ganz offensichtlich nimmt die Entschlossenheit, den Ischgl-Gästen immer neue Superlative zu bieten, im gleichen Maß zu, in dem die Probleme mit dem Wintertourismus größer werden.

Dabei ist die größte Schwierigkeit nicht einmal, dass der Schnee immer später kommt. Zur Hauptsaison in den Weihnachtsferien hatte es diesmal so gut wie nicht geschneit, die Pisten waren trotzdem alle offen. „Das kriegen wir hin“, sagt Tourismusdirektor Andreas Steibl. Er meint damit die 1100 Schneekanonen, mit denen Ischgl sein Skigebiet künstlich befahrbar machen kann. „Das größere Problem ist, dass ohne Schnee in den Städten keine Winterstimmung aufkommt. Da hat doch keiner Lust aufs Skifahren.“

Kostenlose Konzerte auf der Piste

Andreas Steibl ist ein Typ, der den Ischgl-Tourismus authentisch repräsentiert. Lange, blond gefärbte Haare, weißes Hemd mit drei offenen Knöpfen, Jeans, schwarze Sneakers. So wie er aussieht und redet, könnte er auch Plattenmanager oder Discobetreiber sein. An den Wänden seines Büros hängen Plakate, auf denen die Auftritte internationaler Stars in Ischgl angekündigt werden. Von Elton John über Bon Jovi bis Pink waren alle schon da, bei kostenlosen Konzerten auf der Piste oder im Ort.

Eine Menge Aufwand, aber schließlich geht es um viel Geld. Mindestens 300 Millionen Euro haben die Ischgler in den vergangenen zehn Jahren investiert, in Liftanlagen, Straßen, einen Tunnel unter dem Dorf, Parkplätze, Luxushotels. Längst firmiert die Seilbahngesellschaft als AG, Aktionäre sind vor allem die ansässigen Hoteliers. Die Einwohner haben ein enormes Selbstbewusstsein entwickelt, das sich aus der Gewissheit speist, alles richtig gemacht zu haben.

Blöd kommen darf man hier keinem. Einen etwa 40-jährigen Holländer, der an der Liftkasse nachfragt, ob es denn sein könne, dass die Tageskarten für ihn und seinen Kumpel tatsächlich 104 Euro kosten, raunzt der Tiroler Kassenmann an: „Burschi, du bist nicht der Erste, dem ich a Kartn verkauf!“

Besonders segensreich hat sich offenbar die Idee entwickelt, eine „klar definierte Zielgruppe“ anzusprechen, wie der Tourismusdirektor erklärt – das „Segment der jungen Vermögenden“. Leute, die Geld haben und es auch gerne ausgeben. Touristen, die sich in einem Hotel wie dem „Trofana Royal“ wohlfühlen, über dessen Eingang der Schriftzug „*****Superior“ riesig und in Gold prangt. Skifahrer, die gerne mal im „Skyfly“, der neuesten Attraktion, an ein Seil angeschnallt mit 80 Stundenkilometern ins Tal rasen. Und die, vielleicht das Wichtigste, beim Après Ski die Sau rauslassen wollen.

Ein letzter Schwung vor dem Einkehren

Wobei der Ischgl-Tourist angesichts der riesigen Après-Auswahl praktisch immer in der Krise steckt. Denn jedes Mal, wenn er eine besonders aufregende Schneebar gefunden hat, nagt in ihm das ungute Gefühl, dass es ja noch so viele andere tolle Lokale gibt, in denen er jetzt gerade nicht ist. Aber egal, nichts falsch machen kann der entschlossene Partyskifahrer in der „Schatzi-Bar“, gleich an der Talstation der Pardatschgratbahn.

Die Musik wummert schon über die Piste, die Skifahrer und Boarder machen den letzten Schwung genau vor dem Lokal. Es ist kurz nach vier Uhr nachmittags, draußen stehen ein paar hundert Spaßwütige mit Bier und Glühwein. Im überfüllten Innenraum tanzen vier knapp bekleidete Frauen auf dem Tresen. Sie tragen sogenannte Dirndl, die etwa so original tirolerisch sind wie die putzigen Älplerfassaden der neuen Ischgl-Hotels, die entlang der Fußgängerzone entstanden sind. Auf Plakaten steht das aktuelle Angebot: „Heute geile Zickenparty“.

"Home of Wahnsinn"

Das klingt mehr nach Ballermann als nach Ibiza. Aber die Gäste finden es gut so. „Relax. If you can …“, heißt der offizielle Ischgl-Slogan. Die Studenten Tobias und Rüdiger aus Wiesbaden zum Beispiel wollen partout nicht relaxen. Sie stehen um halb zwölf Uhr nachts in der Bar „Kuhstall“, die den zutreffenden Beinamen „Home of Wahnsinn“ trägt. Gerade läuft brüllend laut „Dancing Queen“ von Abba und Tobias erklärt: „Unser Urlaubskonzept geht so: abends zehn Bier und morgens dafür ’ne Müslisemmel.“Neben ihnen bestellt Jan aus dem holländischen Arnhem das ortstypische Getränk „Flying Hirsch“, Jägermeister mit Red Bull.

Im Skigebiet sind zu dieser Zeit 36 Raupen im Einsatz, um die Pistenautobahnen wieder glattzubügeln für den Ansturm am nächsten Tag. 134 000 Personen können auf den Liftanlagen befördert werden, pro Stunde. Vor einigen Jahren wurde gegen den Protest von Umweltschützern der Piz Val Gronda (2812 Meter) für das Gebiet erschlossen. Ist es damit komplett? Tourismuschef Andreas Steibl lächelt ein bisschen schief. „Naa. Des hört nie auf in Ischgl.“

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