Wind in München: Der Föhn ist an allem schuld!
Missrät der Schweinebraten oder sacken die Umfragewerte der CSU ab: Der Föhn ist Sündenbock für alles, was in Bayern schief läuft.
Einen guten Kunden hat er vergrault, den Pumuckel so beleidigt, dass der das Sprechen einstellt, der Beruhigungsschnaps hat nichts geholfen, außer, dass danach der Geldbeutel fehlte, und jetzt hat sich der Meister Eder auch noch in der Werkstatt eingeschlossen. Was für ein Tag!
„Ich hob’ heut an Kopf wie a Wasserfasserl“, sagt Schreinermeister Eder in der Serie von Ellis Kaut, als er endlich erkennt, wer schuld an seiner Pechsträhne ist: der Föhn.
Wie überhaupt alles, was schiefgeht in München, an diesem lauwarmen, trockenen Wind liegt. Eine geniale kollektive Ausrede hat sich die Stadt damit erschaffen: Missrät der Schweinebraten, steigt 1860 mal wieder ab, sacken die Umfragewerte der CSU unter die absolute Mehrheit – der Föhn, der hundsgemeine, war’s. Franz Beckenbauer schob tatsächlich einst eine Niederlage des FC Bayern gegen Hansa Rostock auf die Witterung.
Gern fällt den Münchnern das, wie dem Meister Eder, erst im Nachhinein ein. Und überprüfen, ob es nicht vielleicht gänzlich windstill war an jenem Tag, mag dann auch keiner mehr. Wann immer die Zugspitze zum Greifen nah scheint, – das Signal, dass „mir an saubern Föhn ham“– wird eine ganze Stadt zum Jammertal.
Föhn tritt meistens in der Alpenregion auf
Der bayerische Schriftsteller Ernst Hoferichter beschrieb den geföhnten Zustand einst so: „Der Leib wird zum biologischen Niemandsland und gibt den Weg frei für Schwindelgefühle, vibrierende Pulse, verkrampfte Muskeln und zuckende Nervenbündel. An den Gehirnkasten wird ein Brett genagelt; Häkelnadeln stechen an die Wände der Herzkammern, und in den Apotheken werden Antiföhntabletten zur Mangelware.“
Auch der Begriff stammt aus der Literatur: Friedrich Schiller brachte das Wort mit „Wilhelm Tell“ in den gesamtdeutschen Sprachgebrauch. Ursprünglich kommt es aus dem Latein „favonius“ und bedeutet „lauer Westwind“.
Der Föhn entsteht, wenn feuchte Luft an einem Gebirge aufsteigt, weil sie ein Druckgefälle auszugleichen sucht. Mit zunehmender Höhe kühlt die Luft herunter, regnet oder schneit ab, um schließlich als trockener, warmer Wind auf der anderen Seite des Berges ins Tal hinab zu den Menschen zu stürzen. Daher auch der Name „Fallwind“. Damit ein Gebirge vom Föhn erfasst wird, muss es so hoch sein, dass die Luft nicht problemlos darüberfließen kann und breit genug, dass sie es nicht einfach umströmt.
Meteorologisch passiert es nur zwei bis drei Mal im Monat, dass eine Luftmasse vom Gardasee die Alpen herüberkraxelt. Häufiger ist beispielsweise die Schweiz mit ihren vielen Bergen und Tälern betroffen. Auch die Innsbrucker könnten sich an jedem fünften Tag beschweren; das Geheule über den Föhn bleibt jedoch eine bayerische Eigenart.
Er ist nicht nur Täter, sondern auch Wohltäter
Oder wie der Autor Herbert Rosendorfer über den Münchner schrieb: „Der Föhn ist gewissermaßen der Stachel, an dem er, wenn er ihn spürt, merkt, dass er lebt.“ Der Föhn, ein Kulturgut.
Was wirklich dran ist an dieser spezifischen Wetterfühligkeit haben Wissenschaftler in vielen Studien zu ergründen versucht. Jürgen Kleinschmidt, Professor an der Münchner Universität, hat beispielsweise 1000 selbst ernannte Föhnopfer untersucht und keinen Zusammenhang feststellen können zwischen dem Wind und ihren Kopfschmerzen. Andere finden Erklärungen, die von Fremdgasen in der Atmosphäre bis zu Änderungen des luftelektrischen Feldes reichen.
Der Atmosphärenphysiker Hans Richner von der ETH Zürich beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Phänomen. Jegliche Ergebnisse, sagt er, hingen nicht kausal zusammen, sondern seien Scheinkorrelationen. Natürlich würde es durch den Föhn plötzlich trocken und warm, das mache einige Menschen müde und möglicherweise auch gereizt. Wer ohnehin schon einen niedrigen Blutdruck habe, der könnte davon betroffen sein. Meist fühlten sich Menschen bei gutem Wetter jedoch einfach besser als bei schlechtem. Mediziner raten dazu, Wetterfühligkeit abzutrainieren, mit Kneippkuren und Saunagängen und ein wenig Ausdauersport.
Im Vergleich zu seinen luftigen Verwandten weltweit ist der Föhn zwar eher harmlos. Ein wenig echten Schaden hat er aber doch angerichtet: In manch einem Schweizer Alpental bringt er’s auf Orkanstärke mit Böen von 190 Stundenkilometern. Der trockenen Luft sind außerdem verheerende Dorfbrände geschuldet. 1890 zerstörte ein solches Feuer im Schweizer Oberriet 294 Häuser. Er wird hier deshalb auch „Hexenwind“ genannt.
Bei manchen erzeugt der Föhn euphorische Gefühle
Dabei ist der Föhn nicht nur Täter, sondern auch Wohltäter. Er beschert unerwartet goldenes Herbstwetter, innerhalb von 24 Stunden können die Temperaturen um mehr als zehn Grad steigen, er vertreibt hässliche Wolken, rückt Berge optisch heran (Herbert Rosendorfer schreibt, man könne „ von den Frauentürmen das Weiße in den Augen der Watzmann-Gemsen sehen“.) Der Föhn zaubert den Himmel himmelblau, trocknet Wäsche im Nu, verwöhnt empfindliche Weinreben. In der Schweiz heißt der Wind daher auch Traubenkocher oder Maisvergolder.
Manch einer spricht sogar von einem Rausch, einem Zustand der Euphorie, den der Föhn erzeuge. Hermann Hesse schrieb in seinem ersten Roman „Peter Camenzind“: „Es gibt nichts Seltsameres und Köstlicheres als das süße Föhnfieber, das in der Föhnzeit die Menschen der Bergländer und namentlich die Frauen überfällt, den Schlaf raubt und alle Sinne streichelnd reizt.“
Das mag noch einen anderen Grund haben, der eng mit dem warmen Wind verbunden ist. Gutes Wetter war schon immer eine Ausrede, den trockenen Rachen mit einem Bier zu erfrischen.
Den Föhn erleben
AM EIGENEN LEIB
Keine bayerische Spezialität: In München weht der böse Wind nur zwei bis drei Mal pro Monat, in Innsbruck an jedem fünften Tag. In den Rocky Mountains heißt er Chinook, im Tatra Gebirge Almwind, in Neuseeland Northwester.
IM BUCH
„Föhn ... ein erlösendes Brevier“ von Jürgen Brauerhoch, Langen-Müller.
„Föhnlage: Alpenkrimi“ (mit Kommissar Jennerwein) von Jörg Maurer, Fischer-Verlag.