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Eine Kultur gedeiht. In den Unstruter Weinbergen bei Schloss Neuenburg wächst Weißburgunder.
© imago/imagebroker

Champagner in Deutschland: Wo der Schaumwein zu Hause ist: Saale-Unstrut

Noch wenige Tage bis Silvester. Jetzt ist die Zeit für eine Reise durch Europas prickelndste Regionen. Teil 2: Saale-Unstrut, der Großproduzent.

Alle 20 Minuten ereignet sich in Freyburg an der Unstrut dasselbe Schauspiel: Ein Sattellastzug verlässt die Rotkäppchen-Kellerei und windet sich durch das Städtchen an der Flussbiegung, um seine Fracht dorthin zu bringen, von wo sie in jeden Supermarkt der Republik gelangen kann. Ein Logistikzentrum außerhalb der historischen Mitte des Weinbauzentrums musste her, um die Nachfrage nach den schäumenden Produkten des Marktführers zu decken.

Rotkäppchen ist eine Erfolgsgeschichte, die ihre Heimat in Deutschlands nördlichstem Weinanbaugebiet hat, aber weit darüber hinaus bekannt geworden ist – zwei Weltkriegen und der deutschen Teilung zum Trotz. Sie beginnt mit der Gründung einer Weinhandlung durch die Brüder Kloss sowie Carl Foerster 1856. Schnell fassen die drei Freunde den Entschluss, „eine Fabrik auf Aktien zur Anfertigung moussierender Weine in Freyburg“ zu gründen. Die Technik stammt aus der Champagne, auch die frühen Marken von Kloss & Foerster tragen französische Fantasienamen. Monopol, Crémant Rosé und Lemartin frères.

Das Geschäft floriert, doch der Weinanbau an Saale und Unstrut steht vor dem Aus: Die Region wird zum ersten Reblausseuchengebiet in Deutschland erklärt, Weinberge werden gerodet, die Stöcke verbrannt. Kloss & Foerster produzieren dennoch weiter, sie kaufen stille Grundweine ein, die in Freyburg mithilfe von Zucker und Hefe ein zweites Mal zur Gärung gebracht werden. Alte Reklamezettel im Rotkäppchen-Museum werben gar für Sekt aus Champagne-Weinen.

Tanklaster kommen aus Spanien, Italien und Frankreich

1894 trifft die Sekthersteller das „Gesetz zum Schutz von Warenbezeichnungen“. Das Champagner-Haus Heidsieck erstreitet sich das alleinige Recht am „Monopol“, den das Haus heute noch herstellt, in den Varianten Blue Top und Red Top. Einen roten Hals hatte auch die verbotene Flasche von Kloss & Foerster. Sie behielt ihn – und wurde zum Namensgeber der neuen Marke Rotkäppchen.

In der Rotkäppchen-Kellerei kann man auch historische Fässer besichtigen.
In der Rotkäppchen-Kellerei kann man auch historische Fässer besichtigen.
© picture alliance / Hendrik Schmi

In den historischen Hallen ist allerlei aus den Gründertagen erhalten, als der Sekt zum Ende seiner Reifezeit noch von Hand auf Holzpulten gerüttelt wurde. 100 000 Besucher zieht die Rotkäppchen-Kellerei im Jahr an, geöffnet ist sie an 365 Tagen. Was kein Besucher zu Gesicht bekommt: die modernen Gärhallen mit gewaltigen Drucktanks und einer Kapazität von 50 Millionen Litern. Durch unterirdische Kanäle strömt der Sekt zur Abfüllhalle, vor der schon der nächste Sattelschlepper wartet.

Weine aus den umliegenden Hügeln sucht man im Rotkäppchen-Sekt vergeblich, die Grundweine treffen per Tanklaster aus Spanien, Italien und Frankreich ein. Die DDR-Planproduktion von 15 Millionen Flaschen brach nach der Wende zunächst auf 1,5 Millionen ein, heute sind es über 120 Millionen.

Wer sich bei der Fabrikantenvilla von Kloss & Foerster nach links wendet und auf den Wanderweg nach Zscheiplitz macht, bekommt einen Eindruck davon, wie sehr Reben diese Kulturlandschaft prägen. Und das seit über 1000 Jahren. In der Ferne sind die Türme des Naumburger Doms zu erkennen, die historische Weinbergslage Edelacker säumt das tief ausgeschnittene Tal der Unstrut. Heute wachsen hier Trauben für Weine, die zu den feinsten der Region gehören.

Muschelkalk prägt die Böden

Es begann in Freyburg. Und zwar in dieser Kellerei, aus der ab 1894 der Rotkäppchen seinen Siegeszug durch die Welt antrat.
Es begann in Freyburg. Und zwar in dieser Kellerei, aus der ab 1894 der Rotkäppchen seinen Siegeszug durch die Welt antrat.
© Mauritius

Nach einer guten halben Stunde auf dem Panoramaweg erreicht man das ehemalige Klostergut Zscheiplitz. Hier hat ein Winzer sein Refugium gefunden, dessen Qualitätsstreben die Region für viele zum ersten Mal auf die Weinkarte setzte. Bernard Pawis’ aktuelle Kollektion reicht vom einfachen Grünen Silvaner bis zum hochreifen Riesling. Auch ein Sekt ist darunter, der sich deutlich abgrenzt vom gewaltigen Nachbarn: Riesling, knackig brut nature ausgebaut, während im Rotkäppchen-Klassiker 30 Gramm Zucker pro Liter zugesetzt werden.

Vom Fluss aus lässt sich gut erkennen, warum gerade Weißweinreben an Saale und Unstrut guten Grund finden. Muschelkalk prägt die Böden, in der Vergangenheit auch ein begehrter Baustoff für die Burgen entlang der Saale. Ein schöner Zwischenstopp bei einer Schlauchboottour ist das Weingut Zahn im thüringischen Großheringen.

Touristen strömen nach Naumburg

Am Wasser liegt das gutseigene Restaurant, dahinter ragen die Weinberge auf. Die Forelle kommt vom Grill, der Sekt aus Kerner-Trauben ist brut, herb, aromatisch. Frisch gestärkt geht es flussabwärts in Schlangenlinien vorbei an Steinbrüchen und der Rudelsburg bis nach Bad Kösen. Von hier aus ist es ein kurzer Spaziergang in die Saalberge zu Uwe Lützkendorf. Seine Familie macht Wein, seit in den 1920er Jahren die gerodeten Berge neu aufgerebt wurden, mit Silvaner, Riesling und Weißburgunder. Lützkendorfs Paradelage „Hohe Gräte“ bringt charakterstarke Weine hervor, die zu den besten Deutschlands gehören, ein Sekt befindet sich nicht darunter.

Der Schatten ist groß, den Rotkäppchen mit Flaschen für weniger als drei Euro im Sonderangebot über die Region wirft. Ein sorgfältig hergestellter Winzersekt kostet viermal so viel, mindestens. Doch handwerkliche Traditionen wiederzubeleben kann sich lohnen. Touristen strömen nach Naumburg, auch wenn es gerade wieder nicht geklappt hat mit der Aufnahme des Doms in die Unesco-Welterbeliste. Die dortige Wein- und Sektmanufaktur tritt das Erbe von Deutschlands erster Sektfabrikation an, die 1824 in den Räumen eines Klosters den Betrieb aufnahm. Im Blütengrund, direkt am Saale-Unstrut-Radweg, bietet sie Sekte aus eigenen Grundweinen an, die mindestens zwölf Monate gereift sind.

Mehr zu Europas prickelndste Regionen, Teil 1: Champagne und Teil 3: Franciacorta.

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