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Hundeflüsterer. Cesar Millan mit einer kleinen Auswahl seiner 20 Hunde.
© Cesarsway-Inc

Cesar Millan: Vom Friseur zum Weltstar: Der Hundeflüsterer

Cesar Millan bändigt die wildesten Bestien - und ihre Besitzer. Seine Anhänger schwärmen von Magie, seine Kritiker werfen ihm brutale Methoden vor.

Duffy ist nicht mitgekommen. Vielleicht ein Glück, denn höchstwahrscheinlich hätte er mich hier blamiert. Duffy, sechseinhalb Kilo schwer, neun Jahre alt, ist unser kleiner Tibet-Terriermix aus dem Tierheim, den die meisten Menschen, die ihn das erste Mal sehen, für unfassbar niedlich halten. Aber er hat seine Fehler.

Welches sind denn seine schlimmsten, fragt Cesar Millan. Er tut das oft zu Beginn seiner Therapiesitzungen, ich kenne seine Videos. Doch das hier ist kein Film, der bekannteste Hundetrainer überhaupt steht leibhaftig vor mir, auf dem wüstentrockenen Boden seines Hauptquartiers im kalifornischen Santa-Clarita-Tal. Kein Hundeexperte hat weltweit derartig viele Fernsehzuschauer wie er – in mindestens 20 Ländern, darunter auch in Deutschland, wenn er sonntags auf dem Sender Sixx seine Sprechstunde hält. Und kein anderer füllt darüber hinaus international mit seinen Auftritten so viele Hallen, im März auch wieder in Berlin.

Duffys Fehler. Nun, wo soll ich anfangen? Vielleicht, dass er furchtbar gern Postboten jagt, hin und wieder mein Bein rammelt, beim Gassi-Gehen gern Richtung und Tempo vorgibt oder beim Frühstück dadurch nervt, dass er mich permanent mit unfassbar traurigen Augen anstarrt. Das kann er wirklich gut.

Die wahren Patienten sind die Herrchen

Cesar Millan, 47 Jahre alt, untersetzt und kräftig, zeigt lächelnd seine unglaublich weißen Zähne. Er sagt es natürlich nicht, aber ich glaube, dass er hinter seinem Lächeln gerade denkt, was für ein Loser. Und damit meint er nicht meinen Hund. Auch wenn hinter Millan in riesigen weißen Lettern auf grünem Kunstrasen die Worte „Dog Psychology Center“ zu sehen sind, die Hundepsyche steht hier nur scheinbar im Mittelpunkt.

Das Center vor den Toren von Los Angeles ist das knapp 17 Hektar große Herzstück in Millans Hundekosmos. Rund 20 einst verhaltensauffällige Hunde leben hier unter Palmen und Zitrusfrüchten zusammen mit Schafen, Lamas und Hühnern, haben einen Swimmingpool und natürlich auch ihre Sportanlage. Millan hat Tiefpunkte erlebt, darunter einen Suizidversuch nach der Scheidung von seiner ersten Frau. Und er hat viel erreicht, seit er vor 26 Jahren den Grenzzaun zwischen Mexiko und den USA überwand, um sein Glück als illegaler Einwanderer zu suchen.

Die wahren Patienten in diesem „Psychology Center“ sind die Herrchen. In Millans Trainingsvideos läuft es nämlich sehr oft auf diese Botschaft hinaus: Dein Hund benimmt sich so, weil er dich nicht als seinen Rudelführer anerkennt. Und wenn der Mensch nicht führt, spürt der Hund die Lücke. Doch wenn der Meister auftritt, immer kontrolliert, immer seelenruhig, dauert es keine fünf Minuten, bis sich selbst ein aufgeregter Rottweiler wieder beruhigt.

Warum muss ich ein mir fremdes Rudel ausführen?

Das muss Magie sein, glauben seine Anhänger. Von wegen, schimpfen Kritiker, bezichtigen Millan brutaler Methoden. Er würde seine Hunde mit Schlägen, Stachelhalsband und Elektroschocks drillen: aversive Methoden seien das. Kronzeuge ist Holly, ein Labrador. Auf Youtube kann man das Video sehen, wie er auf Millan losgeht, ihn beißt, das war vor fünf Jahren. Es fehlt nicht an Experten, die an diesem Fall erläutern, der Trainer habe keine Ahnung.

Von draußen, jenseits des Zauns, der das Center umgibt, dringt lautes Gebell, es klingt nach Wut, gepaart mit Verzweiflung. Ganz so, als befände sich gleich neben diesem Hundehimmel die dunkle Seite des Santa-Clarita-Tals. Eine Farm, sagt Millan ganz ohne Lächeln, der Farmer nimmt Hunde auf, deren Besitzer derweil zur Arbeit sind.

Macht ihm das Geheule nicht zu schaffen? Das seien die Angelegenheiten anderer Leute, erwidert er. Und er könne sich nicht um alle kümmern. Dann drückt er mir sieben Leinen in die Hand. Am anderen Ende befinden sich: ein Mastiff, ein Labrador, ein Pitbull, ein Zwergspitz, ein Mops, ein Yorkshire mit rosa Schleife im Haar und eine Mischung mit reichlich Dackel drin. Dazu ist es so heiß, wie die Sonne Kaliforniens eben auch im Winter scheinen kann. Schnell steht mir der Schweiß auf der Stirn.

Warum muss ich ein mir fremdes Rudel ausführen? Das wird bis zum Ende der Lektion nicht ganz klar. Aber es könnte damit zu tun haben, einem vorzuführen, wie verspannt man ist. Verspannt sein ist ganz schlecht. Denn die Energie, so erklärt Millan, überträgt sich vom Menschen auf den Hund, im Guten wie im Schlechten.

Gut, dass das keiner gesehen hat

Ich widerstehe der Versuchung, mir den Schweiß abzuwischen, weil das irgendwie unlocker wirken könnte. Millan läuft neben mir her, relax, ruft er mir zu, guck nicht nach den Hunden und nicht auf den Boden. Die Hunde sollen mir folgen, nicht ich ihnen. Schon zieht der Pitbull an mir vorbei, es ist Junior, Millans Liebling. Gio, der Mops, folgt ihm, wenigstens bleibt Holly hinter mir, der Labrador, der Millan einst gebissen hat und mittlerweile sehr friedlich wirkt.

Geh ein wenig schneller, sagt Millan. Und erklärt mir, worauf es ankommt. Dass ich die Richtung vorgebe, dass ich Struktur reinbringe. Dass ich die Führung übernehme. Erst müsse der Hund mir folgen, dann, wenn ich es ihm erlaube, dürfe er ein bisschen in der Gegend rumschnüffeln, auch mal sein Territorium markieren, aber nicht andauernd, nur weil ihm danach ist. Sonst tanzt der mir immer auf der Nase rum. Prompt bleibt Junior stehen, hebt das Bein und macht einen veritablen See. Beinahe wäre Millan auf den Mops getreten, der ebenfalls abrupt stehengeblieben ist. Gut, dass das keiner gesehen hat, sonst würde es wieder heißen, Cesar Millan tritt Hunde.

Ich sage stolz, dass mein Duffy zwar oft vorneweg gehe. Aber wenn ich am Zaun „Auto“ rufe, dann biegt er nach rechts ab, zur Garage, und wenn ich „Bäcker“ rufe, dann geht er nach links, weil dort die Bäckerei ist. Aber hier hört natürlich keiner auf das Wort „Bäcker“. Und dass Duffy manchmal einfach geradeaus rennt, weil er ein Eichhörnchen gesehen hat, verschweige ich lieber. Erst später sehe ich eines von Millans Videos, in dem er den Grundfehler erklärt, den viele Menschen machen: Sie denken, sie könnten zu ihrem Vierbeiner einen intellektuellen oder einen emotionalen Zugang bekommen. Aber der Hund lasse sich von seinen Instinkten leiten, da seien Worte allenfalls zweite Wahl.

Es ist zuerst der Mensch, der sich falsch verhält

Vom 23. Februar an Cesar Millan mit seiner „Once Upon a Dog-Tour“ in Deutschland unterwegs, am 4. März gastiert er in der Max-Schmeling-Halle in Berlin.
Vom 23. Februar an Cesar Millan mit seiner „Once Upon a Dog-Tour“ in Deutschland unterwegs, am 4. März gastiert er in der Max-Schmeling-Halle in Berlin.
© imago/Pixsell

Die Sprache des Hundes will er seinen Klienten beibringen. „Und deshalb bin ich auch kein Hundetrainer, deshalb trainiere ich Menschen.“ Unter diesen Menschen befindet sich halb Hollywood. Oprah Winfrey hat sich mit ihrem Cockerspaniel an Millan gewandt, Will Smith und Scarlett Johansson. Ich stelle mir vor, wie Scarlett Johansson versucht, sieben Hunde auszuführen. Hat er wirklich sie trainiert? Ja, antwortet er knapp. So wie Stars einen Personal-Trainer engagierten, bräuchten sie auch jemanden, der ihnen zeigt, wie sie ihren Hund besser verstehen.

Die deutsche Zoologin Kate Kitchenham, ebenfalls aus dem Fernsehen als Hundetrainerin bekannt, hält Cesar Millans Theorien über die Sprache der Hunde zumindest in Teilen für wissenschaftlich unhaltbar. Wenn der Mann zur Begrüßung zuerst seine Frau und dann die Kinder küsse, sage das ja auch nichts über die Reihenfolge in der Wertschätzung aus. Genauso sei das beim Hund: Für die Hierarchie im Rudel sei es vollkommen egal, wer als erster durch die Tür geht.

In anderen Punkten sind sich die beiden allerdings bemerkenswert einig: Sie gehen davon aus, dass man die Führungsposition gegenüber einem Hund durch ruhiges, selbstbewusstes Auftreten erlange. Beide warnen, es sei für das Sozialverhalten des Hundes ganz schlecht, wenn er sich langweile und unterfordert bleibe. Beide sagen, es sei zuerst der Mensch, der sich falsch verhalte. Wobei Inkonsequenz der größte Fehler sei, den viele machten. Und beide finden es nicht schlimm, wenn der Hund zu seinem Menschen auf das Bett springe. Solange er das nur auf Einladung tut und sich auch wieder runterschicken lässt.

Er fing zunächst als Hundefriseur an

Es fällt auf, dass Millan die Halsbänder sehr weit oben am Hundehals anlegt. Das schränkt ihre Bewegungsfreiheit ein. Sieht nach Quälerei aus. Ist also etwas dran am Vorwurf, er arbeite mit aversiven Mitteln? Natürlich bestreitet er das, erzählt stattdessen eine andere Geschichte. Cesar Millan ist in Sinaloa, Mexiko aufgewachsen. Dort habe es viele magere Hunde gegeben aber dafür anders als in den USA keine neurotischen. Und die mexikanischen Hunde wüchsen ohne Leine auf, wild und im Rudel.

Schon als Junge habe er lernen müssen, sich auch gegenüber solchen Rudeln durchzusetzen. Dabei und nicht an der Universität habe er viel über die Sprache des Hundes gelernt. In den USA fing er zunächst als Hundefriseur an, bevor er ihr Trainer wurde. Was hält er von Donald Trumps Idee, einen höheren Zaun zwischen seiner alten Heimat und den USA bauen zu lassen? „Wenn die Leute ihn nicht überspringen können, werden sie sich eben darunter durchgraben.“

Accessoires wie das Stachelhalsband habe es in Mexiko nicht gegeben, die habe er erst in den USA kennen gelernt. Und schnell begriffen, dass die Leute gar nicht wüssten, wie man damit umgeht. Wenn überhaupt, dann habe er ihnen gezeigt, wie man solche Dinge temporär nutzen könne.

Duffy hätte das Roastbeefbrötchen genommen

In Deutschland sind solche Halsbänder geächtet, nur in Ausnahmefällen erlaubt. Sie gelten als Tierquälerei. Vielleicht spricht für Millan, dass er mit gefährlichen Hunden gearbeitet hat, solche, die sonst getötet worden wären. Doch eines wird dabei klar: Eine Welt, in der es Geschäfte für veganes Hundefutter gibt und die es vorzieht, auch einen Rottweiler antiautoritär zu erziehen, wird dem einstigen Jungen aus Sinaloa, der am liebsten mit den Worten Respekt und Distanz jongliert, fremd bleiben. Ebenso wie die Haltung, einen Pitbull allein wegen seiner Rassenzugehörigkeit zu verurteilen.

Bekommen seine Hunde eigentlich auch mal ein Leckerli? Natürlich, antwortet Millan und führt ein ganz besonderes Schauspiel auf. Er legt ein Sandwich auf den Boden, wickelt es aus und klappt es auf, bis jeder das Roastbeef sieht. Keiner der sieben Hunde rührt das Brötchen auch nur an. Und die Belohnung? „Timing“, sagt er, „ganz wichtig. Bei jeder Belohnung kommt es auf den richtigen Zeitpunkt an“. Jeder, der brav wartenden Hunde bekommt einen kleinen Keks.

Wieder zu Hause begrüßt mich Duffy überschwänglich. Keine Frage, er verehrt mich. Oder wenigstens tut er so und wirkt dabei überzeugend. Ich bin mir sicher, er hätte das Roastbeefbrötchen genommen. Aber ich mag ihn trotzdem.

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