Im Interview: Hundeexperte- und Comedian Martin Rütter: "Kind oder Hund? Für die Erziehung fast egal"
„Hunde kommen auch in der Stadt prima klar“, sagt der populäre Hundecoach und Comedian Martin Rütter. Ein Gespräch über salonfähige Sozialpartner auf Pfoten, Anti-Hunde-Hysterie und Parallelen zur Kindererziehung.
Die Idee, unseren Redaktionshund Tico mit zum Interview zu bringen, findet Deutschlands populärster Hundetrainer Martin Rütter längst nicht so toll wie die Kollegen. Und als das Tier dann auch noch zum Fotomotiv werden soll, aber anfangs immer in die falsche Richtung schaut, zeigt sich Deutschlands Hundeerzieher Nr. 1 genervt. „Wissen Sie, warum?“, fragt er später. „Weil der Hund erst gar nicht wusste, was los ist und was man von ihm will.“ Dass Tico die Fotosession aber dann ganz entspannt und ohne Gebell ertragen hat, nahm ihn für den Hund ein. Für Pudel habe er ohnehin eine Schwäche. Und nun zu den Fragen:
Hunde in der Stadt, Herr Rütter, ist das nicht an sich schon falsch?
Gar nicht. Hunde sind die anpassungsfähigsten Tiere überhaupt, die kommen überall klar. Es ist auch Quatsch zu sagen, einen Hund kaufe ich erst, wenn ich ein Haus und einen Garten habe. Inuit haben Hunde, Großstädter haben Hunde. Das geht alles – wenn der Hund es so kennen gelernt hat. Am wichtigsten ist ihm ohnehin die Nähe zur Familie. Aber: Einen Hund, der acht Jahre auf dem Bauernhof gelebt hat, plötzlich in die Stadt zu verfrachten, ist nicht in Ordnung.
Aber in der Stadt ist wenig Platz zum Herumrennen.
Jeder Hundehalter kennt Grünflächen, auf denen sich der Hund austoben kann.
In Berlin werden Hundehalter oft schon schief angeguckt, wenn sie mit ihrem angeleinten Tier auf dem Bürgersteig laufen.
Es ist immer und überall eine Frage der gegenseitigen Toleranz. Wenn ich einen Hund in der Stadt halte, habe ich als Halter die Verantwortung dafür, dass der Hund gesellschaftsfähig ist. Außerdem muss ich tolerant sein gegenüber denjenigen, die keine Hunde mögen. Umgekehrt erwarte ich aber von Menschen ohne vierbeinigen Begleiter, dass sie die Hunde anderer Menschen tolerieren.
Das funktioniert hier aber oft nicht.
Ja, ich habe schon mitgekriegt, dass sich in Berlin in der Hundefrage eine Eigendynamik entwickelt hat. In Köln, wo ich lebe, aber auch in anderen Städten regt sich niemand so über Hunde auf wie in Berlin. Keine Ahnung, woher diese Aggression kommt.
Vielleicht sind die Berliner Hunde schlechter erzogen als anderswo.
Ach Unsinn. Warum sollte das so sein?
Vielleicht, weil in Berlin alles ein bisschen egaler ist als anderswo.
Aber es ist ja gerade nicht egal hier. Dabei wäre es ganz einfach. Zum Beispiel Hundehaufen. In Wien gab es vor Jahren eine Aktion, da wurden auf Plakaten ein Mensch und sein Hund gezeigt und ein kleines Tütchen, drüber stand „Sackerl fürs Kackerl“. Es wurden Tütenspender aufgestellt, aus denen man gratis Sackerl ziehen kann. Und es gibt viele Abfallbehälter.
Wer sich nicht an die Regeln hält, der muss höhere Strafen zahlen als in Berlin. Seither hat das Ärgernis ein Ende.
Bellerei, Anspringen – auch das regt viele auf. Haben Sie ein Rezept dagegen?
Das Problem sind weniger die Hunde, sondern die Halter am oberen Ende der Leine. Mancher weiß zu wenig über sein Tier und kann es nicht auf eine hundegerechte Art dirigieren. Aber gerade in einer Großstadt müssen Hund und Halter ein gut eingespieltes Team sein.
Deshalb führt Berlin jetzt den Hundeführerschein ein. Wer sich einen Hund anschafft, muss mit ihm trainieren und gemeinsam eine Prüfung bestehen. Andernfalls darf er sein Tier nicht von der Leine lassen. Ist das okay?
Die Grundidee ist gut. Das Interesse am eigenen Hund und dessen Verhalten wird so gefördert. Aber das Training und die Prüfungsanforderungen müssten bundesweit von kompetenten Leuten einheitlich durchgeführt und abgenommen werden. Derzeit herrscht da noch Kuddelmuddel, es gibt keine Standardisierung.
Auf jeden Fall sind Sie mit Ihren kabarettistischen Hunde-Tipps in Berlin am richtigen Ort.
Naja, wir reden hier von Negativszenarien. Ich möchte mal betonen, dass aus meiner Sicht 95 Prozent der Menschen gut mit ihren Hunden klar kommen.
Richten sich Ihre Shows in der Mercedes-Benz-Arena an die anderen fünf Prozent?
Nein, überhaupt nicht, von den 10.000 Menschen, die da kommen, werden einige tausend gar keinen Hund haben, die freuen sich auf einen schönen Abend und haben verstanden, dass das, was ich mache, Erziehung ist, und zur Erziehung gehört Beziehung, ich mache extrem intensive Beziehungsarbeit, und ich verspreche Ihnen, dass die, die keinen Hund haben, den ganzen Abend denken: das ist wie bei meinen Kindern, das ist ähnlich wie beim Ehepartner, beim Chef. Weil die Mechanismen dieselben sind.
Führt jemand, der seinen Hund im Griff hat, auch eine glückliche Ehe?
Sagen wir es so: Meine Beschäftigung mit Hundeerziehung hat mir auch extrem als Vater geholfen.
Kinder- und Hundepädagogik gleichgesetzt: Da werden etliche Eltern und Pädagogen aber vehement widersprechen.
Wenn ich das sage, schreien manche empört auf. Aber es ist so. Beispiel: Einer meiner Hunde, Emma, ist ein Temperamentsbündel, die hört zwar auf „Platz“, aber ruhig liegen würde die hier nur, wenn wir vorher etwas Spannendes erlebt haben. Inzwischen habe ich einen Deal mit Emma, der geht: Emma, wenn du hier ruhig rumgelegen hast, dann kommt das Spannende danach.
Und wenn jetzt hier eine Dreijährige mit am Tisch säße und sollte unser Gespräch ertragen, dann muss der Deal sein: Danach machen wir etwas, was für dich interessant ist, und ich red nicht von einem Eis, sondern: Wir machen etwas gemeinsam.
Zum Beispiel?
Als meine Kinder klein waren, habe ich mit denen gespielt, auch auf dem Spielplatz, bin mit aufs Gerüst, auf die Rutsche, die anderen Erwachsenen dachten schon, ich hätte eine schwierige Kindheit gehabt, aber es geht immer um eine echte Sozialpartnerschaft, ein gemeinsames Erlebnis. Einer meiner Söhne war ein Jahr in England, da stand über der Schule ein Schild „Keep them busy“. Das war’s. Kinder und Hunde müssen beschäftigt sein, sie brauchen Bewegung und Spaß. Die meisten Probleme entstehen, weil der Hund unterfordert ist. Es ist vieles auf Kindererziehung übertragbar.
Aber Kinder müssen irgendwann selbstständig sein, Hunde nicht.
Das ist der Punkt. Beim Kind wollen wir alles dafür tun, dass es eigenständig überlebt, guck mal hier: So ist Schuhe zumachen, so Jacke, Schlüssel, Abitur und weg. Beim Hund ist der Plan, dass er unselbstständig und in einer leichten Abhängigkeit zu uns bleibt. Denn wenn der Hund lernt, ich kann alles auch allein, dann ist Schluss mit gesellschaftsfähig. Aber das ist auch der einzige Unterschied. Ansonsten gilt für beide: Es gibt ein klares Rahmenpaket, und innerhalb dessen kann nach bestimmten Spielregeln agiert werden. Die Regeln müssen allerdings an der Umgebung, zum Beispiel der Großstadt, orientiert und individuell angepasst sein. Auch Hunde haben unterschiedliche Persönlichkeiten.
Was sollte zur Schulung für den Berliner Hundeführerschein gehören?
Es fängt schon bei der Auswahl der Tiere an. Ich hatte mal eine Frau als Kundin, die war alleinerziehend mit drei Kindern und hat sich zwei Jack Russells angeschafft, weil die ihr handlich-knuffig erschienen. Das konnte nichts werden. Diese Rasse ist viel zu reizempfänglich. Und weil sie so klein ist, halten die Kinder nicht automatisch Abstand. Richtig für die Familie wäre ein eher phlegmatischer, einfältiger und großer Hund gewesen.
Was ist das größte Missverständnis im Umgang Mensch-Hund?
Vermenschlichung, dass der Hund nicht wie ein Hund behandelt wird, sondern wie ein Mensch. Das ist gesellschaftlich logisch, weil wir in einer anonymisierten Gesellschaft leben und der Hund kein Nutztier mehr ist. Sie schaffen ihn nicht an, weil er Sie zur Jagd begleitet oder den Hof bewacht, sondern weil Sie einen Sozialpartner wollen.
Er gehört zur Familie oder ist Familienersatz. Ihn wie einen Menschen zu behandeln, verunsichert ihn. Dem kann er nicht gerecht werden.
Unterschätzen viele Hundehalter die Anstrengung des Chefseinmüssens?
Ja, auch, aber es geht ja gar nicht nicht um Diktatur und Hierarchie. Früher dachte man so über Wolfsrudel, oben die Alpha-Tierchen, und die bestimmen, aber man weiß längst, dass das Quatsch ist. Es wird im Rudel situativ entschieden, wer was bestimmt. Das heißt für die Hundeerziehung: Ich darf zwar nicht demokratisch sein, Demokratie oder gar antiautoritäre Erziehung sind für Hunde asozial. Aber sie brauchen auch keine Gewalt und lautes Schreien, zumal Hunde bestens hören.
Wichtig sind nur ruhige, bestimmte Zuwendung und klare Ansagen. Das gibt ihm Sicherheit. Wenn er Sie heute anspringen darf und morgen nicht, macht ihn das wahnsinnig.
Es lernt also nicht der Hund, sondern der Mensch?
Bei mir lernt nur der Mensch. Was ich mache, ist keine Hundeerziehung, an keiner Stelle.
Was fasziniert Sie an Hunden?
Hunde sind die einzige Tierart, die in der Lage ist, einen Artfremden als vollwertigen Sozialpartner anzusehen. Der Hund weiß, dass Sie kein Hund sind, aber Sie sind genauso wichtig für ihn. Da ist eine hochkomplexe soziale Leistung. Das Verrückte ist, dass der Hund zwei Kommunikationsebenen beherrscht.
Wenn Sie sich über Ihren Hund beugen, dann hat der gelernt, dass das nicht Schlimmes ist. Er weiß aber: Wenn ein anderer Hund sich so über ihn beugt, dann ist das eine Drohung. Der Hund ist also in der Lage, zwei verschiedene Sprachen zu sprechen. Das kann kein Affe und kein Delfin. Diese unglaubliche emotionale Nähe von Mensch und Hund fasziniert mich.
Bei vielen Großstadtkindern steht ein Hund ganz oben auf der Wunschliste. Aber die Eltern lehnen oft ab. Was sagen Sie diesen Familien?
Schafft euch keinen Hund an. Wenn die Eltern keine Lust drauf haben, dann läuft das von Anfang an chaotisch. Sie haben ja die Hauptverantwortung für das Tier. Bevor ein Hund kommt, sollten alle begeistert Ja sagen. Für Kinder sind Hunde natürlich das Größte, die bringen ihnen viel fürs Leben bei.
Was zum Beispiel?
Das Gute am Umgang mit Tieren für Kinder ist, das sie dabei Empathie lernen und sich auf die Bedürfnisse anderer einzustellen. Meine Kinder zum Beispiel sind gar nicht so tierverrückt, aber irgendwann kam die jüngste Tochter, die ist jetzt acht, und wollte Hasen. Da haben wir ihr gesagt: Bevor du die bekommst, muss dir dein Bruder vorlesen, worauf man bei Hasen achten muss, damit du weißt, was auf dich zukommt.
Ist so passiert, die Hasen kamen, wir bauten einen großen Auslauf für sie, und eines Tages sehe ich die Kinder, wie sie bäuchlings zu dem Auslauf robben. Nanu? Ich bin dahin und wurde angeblafft, runter auf die Knie! Weil sie gelesen hatten, dass die Hasen, wenn etwas von oben kommt, denken, dass Greifvögel sie angreifen. Das fand ich super, wie die sich in die Hasen reinversetzt haben. Ganz ähnlich läuft das bei Kindern auch mit ihrem Hund.
Herr Rütter, wenn Sie als Hund wieder geboren würden, welche Rasse wäre Ihr Favorit?
Als Hütehund-Terrier-Mischling. Ein Hütehund arbeitet sehr gern und kann Wiederholungen nicht so gut leiden, der möchte immer wieder was Neues. Und Terrier, weil, wenn der eine Idee hat, kann er sich sehr in die Idee verbeißen.
Und wo würden Sie dann gerne leben?
Ich glaube, ich würde gern bei uns auf dem Hof leben.
MEHR INFOS ZU MARTIN RÜTTER: TIERISCH-MENSCHLICHE NACHHILFE
Martin Rütter (46) ist Deutschlands bekanntester Hundecoach. Er studierte Tierpsychologie, beschäftigte sich jahrelang mit australischen Dingos und Straßenhunden und gründete 1995 das „Zentrum für Menschen mit Hund“. Daraus hat sich ein bundesweites Netzwerk von Hundeschulen entwickelt. Sie praktizieren eine von ihm entwickelte „gewaltfreie, am Wesen des Hundes orientierte Ausbildung“. Außerdem tritt der Hundetrainer als „Mann für alle Felle“ in TV-Shows auf, erklärt in Büchern wie dem Sprachführer „Hund - Deutsch, Deutsch - Hund“, wie die Tiere ticken und wie man am besten mit ihnen kommuniziert.
Mit seinen kabarettistischen Hunde-Shows füllt Rütter große Hallen. 2014 trat er mit „Der tut nix“ in der ausverkauften Berliner O2-World auf, jetzt Mercedes-Benz- Arena. Am 11. Februar 2017 gibt er dort erneut tierisch- menschlichen Nachhilfeunterricht. Titel: „NachSitzen“ (Tickets ab 37 Euro).
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