48 Stunden in einer Stadt im Wandel: Tipps für Nantes
Komisch, diese Stadt wird stark unterschätzt. Früher industriegrau, ist sie heute grün, kreativ und lebenswert. Ein Besuch
10:00
„Le Mahout“ ist ein guter Ort für einen Kaffee in der Morgensonne. Vor der Brasserie, genauer: einmal schräg über die Straße, sitzt man zwischen blühenden Gräsern und blickt auf einen 63 Meter hohen Kran. Hier, auf der Île de Nantes, einer Insel in der Loire, schlug einst das industrielle Herz von Frankreichs sechstgrößter Stadt. In den 80ern kam der Niedergang. Hafenanlagen und Fabriken hatten dichtgemacht, die Arbeitslosigkeit stieg, die Alkoholikerrate war angeblich die höchste des Landes. Doch Nantes hat die „Wiederauferstehung“ geschafft, wie es der „Guardian“ formuliert. Der Kran ist ein Symbol dafür. Nach dem Aus für die örtliche Werft hat ihn die Stadt gekauft und leuchtend gelb streichen lassen (mit 1400 Liter Farbe!). So ragt er nun heraus aus seiner Umgebung, die sich stark verändert hat. Neue Gebäude wurden da hochgezogen, in denen etwa Schulen und Unis residieren, in ehemaligen Hangars gibt es jetzt Bars, und entlang des Flussufers finden sich Spielplätze, Skateparks und Grillecken.
11:00
Ein früheres Lagerhaus ist Heimat für „Les Machines de l’île“. Die Gruppe „La Machine“ – ein Kollektiv von Künstlern, Ingenieuren und Handwerkern – baut aus Holz und Metall mechanische Geschöpfe, die an die imaginären Welten des gebürtigen Nantesers Jules Verne erinnern. Draußen läuft man an einem zwölf Meter großen Elefanten vorbei, auf dem man sogar durch die Gegend reiten kann, hinterm Eingang schaut man riesigen Spinnen und Ameisen in die Augen.
13:00
Zeit fürs Mittagessen. Die „Cantine du Voyage“, einen Kilometer weiter westlich auf der Insel gelegen, ist von Juli bis Anfang Oktober geöffnet. Ihr Name spielt auf das sommerliche Kulturfestival „Voyage à Nantes“ an. Auf der Tageskarte stehen heute Salat, Grillhähnchen und Kartoffeln, dazu ein lokales Craft Beer vom Fass. Gegessen wird draußen, unter einem hohen Dach, an langen Holztischen. Das Gemüse stammt zum Teil von dem Urban-gardening-Projekt auf dem Parkplatz nebenan. Das Gelände ist mit Holzlatten umzäunt, doch an einer Stelle darf man hineinlugen. Der Gemüsegärtner greift in eines seiner Beete auf Paletten, zieht eine Gurke heraus, schneidet sie auf und lässt kosten. Mmh, schmeckt.
14:30
Beim Überqueren der Straße fällt der Blick auf den Boden: Was ist denn das? Statt gerader Zebrastreifen verlaufen hier kreuz und quer weiße Schlangenlinien; die Installation eines Künstlers. Macht gute Laune! So wie die meisten der Kunstwerke, die aufgestellt wurden, manche temporär, manche dauerhaft. Nantes wächst jedes Jahr um 9000 Einwohner. Das Erfolgsgeheimnis: eine kluge Wirtschaftspolitik – flankiert von Kunst und Kultur. Letzteres habe der Stadt eine ganz neue Atmosphäre verliehen, sagen viele.
15:00
Runter von der Insel. Hinter der Brücke liegt das Denkmal für die Abschaffung der Sklaverei, der größte Teil davon unterirdisch. Nantes wurde einst auch deshalb wohlhabend, weil von hier aus Schiffe für den Dreieckshandel Richtung Afrika starteten; von dort brachten sie Sklaven nach Amerika. Die Schiffsnamen sind im Boden eingelassen: Saint Philippe, Les trois maries ... Stufen führen hinunter, dort geht nach links ein Gang ab. Durch halboffene Betonwände dringt Licht und das Geräusch der anbrandenden Loire. Wie im Innern eines Schiffs.
17:00
„Lieu unique“, einzigartiger Ort, nennt sich ein Kulturzentrum, 20 Gehminuten entfernt. Es befindet sich in der ehemaligen Fabrik von Lefèvre-Utile, kurz LU, bekannt für die „Petit Beurre“-Kekse. Die Firma ist vor die Tore der Stadt gezogen. Ihre alten Hallen – von Weitem erkennbar am schnörkeligen Art-déco-Turm – wurden behutsam umgebaut. So viel Industrieästhetik wie möglich sollte erhalten bleiben, deshalb sind die Wände unverputzt, die Metallrohre an der Decke werden nicht versteckt. Elektronische Musik schallt durch die Gänge. Hier gibt’s nun Brasserie, Buchhandlung und Hammam, aber vor allem Kunstausstellungen.
20:00
An der Place Graslin, einem rechteckigen Platz mit Springbrunnen im bourgeoisen Teil der Stadt, ist eine Nanteser Institution zu Hause: die Brasserie „La Cigale“ . Das Essen ist ordentlich, aber eigentlich kommt man wegen der Jugendstil-Architektur hierher. Faszinierend, all diese bunten Keramikfliesen und Skulpturen an den Wänden! Und danach noch ein Bier im „Le nid“ in der 32. Etage des Hochhauses „Tour Bretagne“.
Der zweite Tag: Botanik, Wein und ein Fischerdorf
09:30
2013 war Nantes europäische Umwelthauptstadt. Dabei protestieren Naturschützer seit Jahren gegen einen geplanten Großflughafen. Tatsächlich ist Nantes eine der grünsten Großstädte Frankreichs – und soll noch grüner werden. Kein Bewohner lebt weiter als 300 Meter von einer Grünfläche entfernt. Schmuckstück ist der Botanische Garten beim Bahnhof. In seinem Tropenhaus wachsen zum Beispiel Pflanzen der Kanarischen Inseln, draußen führt ein Pfad vorbei an Ginkgo, Zypressen und Kamelien. Selbst hier gibt es Skulpturen: Da, ein großer, schlafender Vogel! Sein Kopf, die Gliedmaßen und der dicke Bauch aus Buchsbaum, die Krallen aus Bambus.
12:00
In der Kathedrale stehen Touristengruppen fotografierend um das Grabmal von Franz II. herum, der im 15. Jahrhundert Herzog der Bretagne war. Nantes ist die historische Hauptstadt der Bretagne, erst in den 1940er Jahren wurde es aus der Region herausgelöst und gehört nun zu Pays de la Loire. Ein Schmerz, der nicht verwunden ist, sagen viele Einheimische. Ulkig: An der spätgotischen Fassade der Kathedrale hängt eine Bahnhofsuhr. Gegenüber noch schnell ein Mitbringsel kaufen. „ABC Terroirs“, vom Gemüsegärtner der „Cantine“ empfohlen, ist ein kleiner Laden, vollgestopft mit kulinarischen Produkten der Loire-Region – und der Bretagne. Soll man Nanteser Wurst nehmen? Oder Rillettes de la Loire? Nein, am besten eine Flasche Muscadet, den typischen Weißwein der Region.
13:00
Und noch eine Spezialität der Region: Im Restaurant „Les Oubliettes“, im Innenhof des Schlosses der Herzöge der Bretagne, gibt es hervorragende Crêpes.
15:00
Zu Fuß Richtung Norden. Entlang der Erdre kann man großartig spazieren oder joggen. Links und rechts des Flusses gibt es anfangs noch Mehrfamilienhäuser, einige Brasserien haben Stühle nach draußen gestellt. Der Japanische Garten auf der kleinen Île de Versailles zieht vorbei. Yachten legen am Ufer an. Unter dem Pont de la Tortière hindurch, dann wird es langsam immer ruhiger, und irgendwann findet man sich im Wald wieder.
19:00
Das Shuttleboot („Navibus“) startet an der Gare Maritime. Ein paar Minuten ist es auf der Loire unterwegs Richtung Atlantik, lässt das Stadtzentrum von Nantes hinter sich und legt schließlich in Trentemoult an. Das Fischer- und Seemannsdorf ist das Lieblingsziel der Nanteser für einen schnellen Ausflug. Unzählige Leute sitzen in den Cafés am Ufer, trinken Wein im Liegestuhl, essen Fisch in Lokalen wie „La Civelle“ und genießen die Abendsonne. Nantes muss sich neu erfinden? Hier gibt es dazu nicht den geringsten Anlass.
Praktisches: Anreise und Unterkunft
REISETIPPS FÜR NANTES
ANREISE
Mit der Billig-Fluglinie Transavia kommt man direkt von Tegel nach Nantes und zurück, und zwar immer Donnerstag und Sonntag. Kosten: ab rund 90 Euro. Von Paris aus erreicht man Nantes mit dem Hochgeschwindigkeitszug TGV in knapp über zwei Stunden (rund 85 Euro für die einfache Strecke). Wer mit dem Auto in der Gegend unterwegs ist: Die bretonische Hauptstadt Rennes im Norden ist knapp über 100 Kilometer, La Rochelle im Süden an die 150 Kilometer entfernt.
UNTERKUNFT
Die Kette Okko betreibt ein empfehlenswertes Boutique-Hotel in unmittelbarer Nähe des Schlosses.
Ein Doppelzimmer kostet ab 185 Euro pro Nacht. Eine günstigere Alternative in der Nähe: Hôtel Astoria (ab 70 Euro). Oder im Quartier Graslin: Hôtel Voltaire Opéra (ab 65 Euro).
AUSFLÜGE
Die Bucht La Baule erreicht man gut mit dem Zug, für die Küstenorte Le Pouliguen, Pornichet oder Saint-Marc-sur-Mer empfiehlt sich ein Mietwagen. Beliebt sind Touren entlang der Weinanbaugebiete der Loire. Mehr unter tourisme-loireatlantique.com oder levignobledenantes-tourisme.com
INFORMATIONEN
Kultur und Tourismus sind – einmalig in Frankreich – unter einem Dach vereint. Infos auf Deutsch:
nantes-tourisme.com/en/willkommen. Ein „Pass Nantes“ bietet für einen, zwei oder drei Tage Vergünstigungen (ab 17 Euro).