Neuer Wein: Scheurebe: Das junge Scheusal
Nie war der deutsche Wein so gut wie heute – jetzt wird sogar die Scheurebe mit ihrem duftenden Bukett salonfähig. Eine Hymne zum 100. Geburtstag einer Problemtraube
In Wein kann man ja vieles hineinlesen. Hunderte aromatische Verbindungen, die während der alkoholischen Gärung entstehen, liefern endlos Futter für geübte Nasen und poetische Getränkekundler. Doch die Zeiten, in denen Sommeliers ihren Gästen erst erklären, was sie gleich zu riechen und schmecken haben, bevor sie endlich den Wein ausschenken, neigen sich ihrem verdienten Ende zu. Schuld daran ist die Renaissance der sogenannten Bukettrebsorten wie Muskateller, Traminer, Bacchus oder Sauvignon blanc. Bei ihnen müssen auch untrainierte Weintrinker nicht lange rätseln, welche Aromen ihnen aus dem Glas entgegenströmen. Generös, klar heraus und ohne Hintergedanken bieten sie Nase und Gaumen ganze Fruchtkörbe, denen man sich hingeben kann wie sonst nur einem karibischen Cocktail. Und das Ganze mit deutlich weniger Zucker und Alkohol.
Warum es der Scheurebe nie besser ging
Heimlicher Star unter den heimischen Bukettrebsorten ist die Scheurebe. Sie feiert in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag, und man darf getrost sagen: Es ging ihr nie besser. Dabei sah es lange so aus, als sei ihre Zeit in den Weinbergen von Rheinhessen, Pfalz, Franken und Nahe vorbei. Die süße Spielart galt als unrettbar trutschig, Weine aus Massenerträgen von wenig geeigneten Lagen konnten einen übel riechenden Misston entwickeln. Das Image der Scheurebe, die einen zarten Namen trägt, aber uncharmant penetrant sein kann, lag am Boden. Doch eine neue Winzergeneration erkennt ihr Potenzial und widmet ihr viel Aufmerksamkeit. Mit strahlender Frucht und Frische tritt sie aus ihrem typisch deutschen Lebenslauf heraus.
"Easy drinking and less thinking"
„Die Kombination aus fruchtig-herber Exotik und mineralischer Leichtigkeit“ schätzt Jungwinzer Fabian Mengel aus Engelstadt in Rheinhessen an der Scheurebe. Verglichen mit der Nobelrebe Riesling biete die bestens an heimische Kalkböden adaptierte Neuzüchtung „easy drinking and less thinking“. Erstmals gekreuzt wurde die Scheurebe ganz in der Nähe des Weinguts Zimmer-Mengel, in Alzey. Ihr Züchter Georg Scheu hatte kurz zuvor noch das Flugblatt „Anleitung zur Obst- und Gemüseverwertung während des Krieges“ verfasst, das Einmachen als Mittel zum Sieg empfahl. Mit seiner neuen Weinrebe wollte Scheu der Winzernot begegnen: In Folge der Reblauskatastrophe kam es immer wieder zu Missernten.
Scheu, Gartenbautechniker und Obstveredler, machte sich auf in den Rheingau, um dort mehr über Wein zu lernen: „Ich war durch die harten, sauren Rheingauer Weine sehr enttäuscht, denn ich hatte mir eingebildet, dort, an der Quelle, müsste alles Duft und Blume und volle Reife sein.“ Man erklärt Scheu, dass nur Rieslingtrauben edle Weine hervorbringen können, auch wenn sie spät reifen und nicht in jedem Jahr zu voller aromatischer Tiefe gelangen.
Nach dem Krieg wird die Scheurebe entnazifiziert
Eine Rebsorte, die auch in schlechten Jahren ganz reif wird, mit aromatischem Most und lebendiger, aber nie beißender Säure – das schwebte Scheu als Zukunft für den deutschen Wein vor. 1916 war er mit dem Ergebnis seiner Kreuzungsversuche nach über 4000 weggeworfenen Topfreben zufrieden: Ein Sämling im 88. Feld erfüllte die Anforderungen des Züchters. In Österreich heißt die Scheurebe noch heute so wie gerade aus dem Labor entlassen: Sämling 88. Lange ging man davon aus, Riesling sei die Mutter und Silvaner der Vater der neuen Rebe. Erst eine DNA-Analyse bringt 2012 Gewissheit: Es ist die so genannte Bukettrebe, die ihrerseits eine Kreuzung aus Silvaner und Trollinger ist. In Deutschland bekommt die Neuzüchtung zunächst den Namen „Dr. Wagnerrebe“ nach einem Bauernführer der NSDAP und Dienstherrn des Rebenzüchters Scheu.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Scheurebe entnazifiziert und erhält den Namen ihres Züchters. Für Winzer war sie ohnehin immer nur die „Scheu“ gewesen. Ihr Bestand wächst, weil sich aus ihr süße Weine bereiten lassen, die den Nachkriegsgeschmack prägen. Als sich deutsche Weinliebhaber davon entwöhnen und ab Mitte der Achtziger aufgeklärtes Trinken nur trocken sein kann, sieht die Scheurebe alt aus. Misslungene Exemplare bringen die Kehrseite der geballten Cassis-Aromen zum Vorschein – und dem Wein den Beinamen „Katzenpisse“ ein. Wer Scheurebe in seinem Weinberg hat, verkauft sie an Großkellereien, wo sie in Grundweinen die deutsche Sektsucht stillen hilft. Der Bestand von einstmals 4100 Hektar schrumpft.
Junge Winzer arbeiten ein neues Geschmacksbild heraus
Nie hätte sich Scheu träumen lassen, dass seine Rebe ihr Überleben einmal Frankreich verdankt und dem Siegeszug, den der Sauvignon Blanc von der Loire aus weltweit angetreten hat. Mit seinen kräftigen Aromen muss er nicht das Erbe einer restsüßen Vergangenheit herumschleppen. Mit ihm geht die Ära des Neutraltrinkens zu Ende, aber auch die des Weinbesserwissens. Während in Deutschland Platz in den Weinbergen für die Trendrebsorte geschaffen wird, gibt es Winzer, die nachdenklich werden. Hat die Scheurebe nicht eine ähnliche Aromatik? Gedeiht sie nicht optimal auf den kalkhaltigen Böden Rheinhessens? Und gibt es im Gegensatz zu Sauvignon Blanc nicht alte Scheu-Stöcke, die von Natur aus konzentrierte Erträge liefern?
Die Scheurebe bedeckt nur noch 1,4 Prozent der Weinanbaufläche in Deutschland, doch nie standen die Chancen besser, dass sie in dieser Nische prächtig gedeihen wird. Junge Winzer arbeiten bewusst das Geschmacksbild heraus: die grüne Seite mit ihren Gras-, Kräuter- und Kiwinoten oder die gelbe mit reifer Exotik von Passionsfrucht und Mango, gepaart mit dem satten Aroma reifer Birne und der erfrischenden Säure von Grapefruit und schwarzer Johannisbeere – das alles bei vergleichsweise niedrigen Alkoholgraden. Christine Huff aus Nierstein-Schwabsburg etwa baut ihre Scheurebe zusammen mit Jeremy Bird aus, der aus Neuseeland stammt und die Vorstellung eines würzigen Sauvignon Blanc nach Rheinhessen mitgebracht hat. Die Trauben für ihren „The Green Bird“ werden so früh gelesen, dass der Wein von Kräuternoten und knackiger Frische getragen wird.
Ein verbranntes Kind, das Spaß macht
Was alles möglich ist, zeigen zwei Pfälzer Weingüter: Stefanie Weegmüller in Neustadt an der Weinstraße ist mit der Scheurebe aufgewachsen, die ihr Vater vor 50 Jahren pflanzte. Die Winzerin sieht sie als verkanntes Kind, das Spaß macht. In Bad Dürkheim zeigt Jan Eymael vom Weingut Pfeffingen alle Facetten der Scheurebe: einfach trocken, im kleinen Fass vergoren, als Sekt oder auch süß. Von besten Lagen profitiert auch die Jubilarin, die eben nicht ganz so anspruchslos geraten ist, wie sich das ihr Züchter vor 100 Jahren gedacht hatte.
Scheu-Winzer können auf keinerlei Vorschuss von Konsumenten und Kritik rechnen – sie müssen allein mit dem überzeugen, was sie in die Flasche bringen.
Trinktipps Berliner Weinhändler:
Viniculture, Grolmanstr. 44-45, Charlottenburg: Weingut Pfeffingen, Pfalz: 2015 Scheurebe Ungstein trocken (12,90 €), 2013 Scheurebe SP trocken (17,50 €), 2012 Scheurebe Sekt brut Selektion Viniculture (16,50 €)
Not only Riesling, Schleiermacherstr. 25, Kreuzberg: Weingut Weegmüller, Pfalz: 2015 Scheurebe trocken (10,90 €), Weingut Katharina Wechsler,Rheinhessen: 2015 Scheurebe trocken (9,90 €)
Goldhahn & Sampson, Dunckerstr. 9, Prenzlauer Berg: Weingut Fritz Ekkehard Huff, Rheinhessen: 2015 The Green Bird (7,50 €)
Mövenpick Wein, Lietzenburger Str. 93–95, Charlottenburg: Weingut Wirsching, Franken: 2015 Scheurebe Kabinett trocken (13,50 €)
Weinhandlung Suff, Oranienstr. 200, Kreuzberg: Weingut Zimmer-Mengel, Rheinhessen: 2015 Scheurebe trocken (6,30 €)
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