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Sternwarte. Vom Hotel auf dem Gornergrat (links) lässt sich der Nachthimmel beobachten.
© Promo

Unterwegs in der Schweiz: Sternsehen auf dem Gornergrat in Zermatt

In Berliner Winternächten strahlen 400 Sterne, überm Matterhorn sind es zehn Mal so viele. Ein Dinner mit Sirius, Orion und dem Großen Hund.

Langsam schiebt sie sich heran, die Wolkenbank. Drüben, dort, wo Italien sein muss, breitet sie sich aus wie ein wattiger Teppich. Der hat das Matterhorn erreicht. Doch es scheint so, als würde sich der Berg mit seiner gekrümmten Pyramidenspitze der Woge aus dem Süden entgegenstemmen. Auf der Schweizer Seite gleißt die Sonne blendend hell vom makellos blauen Himmel, tanzen die Reflexe auf den Schneekristallen.

Das Licht strahlt intensiver hier oben. „Tragen Sie eine Sonnenbrille“, empfiehlt ein Schild gleich an der Gondelstation „Matterhorn Glacier Paradise“, das Gletscherplateau mit der grandiosen Fernsicht. 48 und damit mehr als die Hälfte aller europäischen Viertausender stehen auf dem Territorium der Schweiz, mehr als 30 sollen von hier zu sehen sein, darunter der ob seiner charakteristischen Form vielleicht schönste, das Matterhorn.

Und so gleißend hell die Tage, so dunkel sind über den Gipfeln die Nächte. Dann leuchten hier nicht mehr die Kristalle, dann sind es die Sterne. Nicht 400 wie am nächtlichen Winterhimmel über Berlin mit seiner nie versiegenden Lichterkuppel, gespeist aus unzähligen leuchtenden Fenstern, Laternen, Scheinwerfern, 4000 mögen es sein. Das verspricht jedenfalls Peter Salzmann für den Abend. Im Winterhalbjahr erklärt er jeden Donnerstag auf dem Gornergrat drüben auf der anderen Seite des Mattertals den nächtlichen Himmel.

Noch aber ist helllichter Tag über dem 3883 Meter hohen Kleinmatterhorn mit seinem Gletscherplateau. Das reicht für das laut Eigenwerbung höchstgelegene Skigebiet Europas.

Sternführer? Wie wird man so etwas?

Wer oben die Gondelbahn verlässt und rasch noch die paar Stufen einer Treppe nimmt, spürt die Höhe als Beklemmung in der Brust. Unwillkürlich beginnt man schneller zu atmen. Auf dem Gipfel gibt es schlicht weniger Luftmoleküle als im Tal, deshalb wird der Sauerstoff in der Lunge knapp. „Machen Sie langsam“, sagt ein Einheimischer, „vor allem am ersten Tag.“ Es dauert, bis sich der Körper an die Höhe gewöhnt hat.

Langsam also. Gemütliche Skiläufer fahren die rund 20 Kilometer lange Abfahrt runter ins Tal in rund 40 Minuten. Seil- und Gondelbahn brauchen für Auf- und Abstieg etwa genauso lange.

Als es Abend wird, wartet Peter Salzmann schon an der Gornergratbahn in Zermatt. Der 54-Jährige ist entweder ein ganz harter Bursche oder Optimist. Denn über seinem Holzfällerhemd trägt er lediglich eine vergleichsweise dünne Funktionsjacke. Dabei sind für die Bergstation minus 14 Grad angekündigt. Dazu lächelt er breit, und das, obwohl die Wolkendecke sich mit Einbruch der Dunkelheit doch am Matterhorn vorbeigeschoben hat. Die einzigen Sterne, die im Moment funkeln, stammen von den LEDs an der Balkonbrüstung eines Hotels an Zermatts Bahnhofstraße. Keine Milchstraße, nirgends, „das wird schon“, versichert der Sternführer.

Sternführer? Wie wird man so etwas? Nun, Salzmann, groß, schlank, dunkelblond mit grauen Schläfen, hat schon viel gemacht, für die Schweiz geworben, ein Theater gemanagt, seit 15 Jahren ist er Wanderleiter in den Alpen. Er führt durch alte Dörfer und einsame Hochmoore. Auf die Idee mit den Sternen kam er erstmals vor 25 Jahren, damals hatte er mit seiner Frau einen Urlaub in einem Ferienhaus im Wallis verbracht, auf 1400 Meter Höhe. Gäste waren zum Abendessen da, beim Abschied vor dem Haus sagten die plötzlich, „schaut mal, der Orion“. Bis dahin hatte sich Salzmann um die Sterne wenig geschert, weshalb er auch dachte, „Orion, wer ist das“. Heute ist Orion sein Lieblingssternbild am Winterhimmel, drei Sterne in einer Linie, alle im gleichen Abstand zueinander, bilden den Gürtel des Jägers Orion, den die antiken Griechen darin sahen.

„Dining with the Stars“ heißt das Programm

Sternwärter. Peter Salzmann erklärt seinen Gästen die Gebilde wie Orion oder Hera. Wenn’s draußen bewölkt ist, hilft eine Präsentation.
Sternwärter. Peter Salzmann erklärt seinen Gästen die Gebilde wie Orion oder Hera. Wenn’s draußen bewölkt ist, hilft eine Präsentation.
© Andreas Austilat

Jahre später war Salzmann so weit, seinen Zuhörern die Sterne zu erklären. Er kombinierte das mit einem Abendessen im Sternerestaurant auf 2000 Meter Höhe, weil da die Luft trockener und klarer war. Aber er merkte, was sind 2000 Meter gegen die 3100 Meter des Gornergrats? Denn für das Licht schwach leuchtender Sterne gilt, es wird von der Luft geschluckt. Doch was bis runter auf 1000 Meter Höhe gar nicht mehr durchdringt, ist auf 3000 Metern noch auszumachen.

Der Gornergrat liegt auf der anderen Seite des Mattertals. Der Aufstieg ist wieder leicht: Von Zermatt aus fährt eine Bahn hinauf. Bahnen, ob nun am Seil hängend oder auf Schienen, sind die Lebensadern von Zermatt. Keine einzige Straße führt von draußen in den 5700-Einwohner-Ort, die einzigen Fahrzeuge hier werden elektrisch angetrieben.

Hinzu kommt, dass der Gornergrat dunkel ist – abgesehen von den Fenstern des Gipfelhotels. Zermatt liegt unten im Schatten der Berge. Was die Leuchtkegel der Städte ausmachen, kann man auf der anderen Seite des Tals neben dem Matterhorn beobachten. In dieser Richtung spiegeln sich die Lichter des 100 Kilometer entfernten Turin wie eine Glocke am nächtlichen Himmel. Das gleiche Schauspiel bietet sich hinter dem Monte Rosa, dem zweithöchsten Gipfel der Alpen auf der Grenze zwischen Italien und der Schweiz. Dort strahlt Mailand gegen den nachtschwarzen Himmel.

Lange war das eine Toplage für die Wissenschaft

Salzmann war nicht der Einzige und vor allem nicht der Erste, der die Vorzüge der Höhenlage für die Sternenkunde entdeckte. Seit den 60er Jahren wird das Hotel auf dem Gornergrat von zwei astronomischen Beobachtungskuppeln gekrönt. Die Universitäten von Turin und Köln nutzten die Lage lange für ihre Beobachtungen. Bis zuletzt die Kölner im Jahre 2010 ihr Teleskop abbauten. „Lange war das hier eine Toplage für die Wissenschaft“, sagt Timm-Emanuel Riesen von der Universität Bern. Inzwischen sind die Profis in größere Höhen weitergezogen, nach Hawaii oder Chile, wo die Beobachtungsposten heute auf 4000 und 5000 Meter stehen.

Die Station blieb nicht verwaist, Riesen hat sich inzwischen hier mit seinem Team eingerichtet, ein neues Teleskop mit außergewöhnlich großem Sichtfeld installiert. Damit ist das Stellarium auf dem Gornergrat immer noch die höchste Sternwarte Europas und wird weiter genutzt. Nicht mehr für Spitzenforschung, aber doch für Schüler, Studenten und interessierte Laien. Auf der Homepage kann jeder beobachten, worauf das Teleskop gerade gerichtet ist.

Riesen muss aushelfen, immer noch verbirgt die Wolkendecke den Sternenhimmel vor den Augen von Peter Salzmanns Gruppe. Wenigstens seine Monitore zeigen, was das Teleskop des Observatoriums einzufangen imstande ist. Detaillierte Bilder vom Mond mit seinen Kratern, Aufnahmen vom Andromedanebel, 2,2 Millionen Lichtjahre entfernt, seltsam geformte Strukturen, denen fantasiebegabte Astronomen frei nach ihrer Gestalt Namen wie Pferdekopfnebel oder Nordamerikanebel gegeben haben.

Salzmann führt seine Gruppe runter ins Hotelrestaurant. „Dining with the Stars“ heißt das Programm. Und wenn schon die Sterne bisher nicht aufgegangen sind, soll wenigstens das Abendessen jetzt serviert werden. Es gibt Fondue, nicht in der den Schweizern so vertrauten Käse-Variante, sondern mit Fleisch und Gemüse. „Wegen der Flexibilität“, erklärt der Sternführer. Fondue habe den Vorteil, dass jeder sein eigener Koch sei, die Mahlzeit jederzeit unterbrochen werden könne, wenn es draußen aufklart. Salzmann zeigt sein optimistisches Lächeln: „Das Wetter wechselt sehr schnell in den Bergen. Und es gibt eigentlich immer irgendwann ein Fenster in den Wolken.“

Plötzlich ziehen alle hastig ihre Mäntel an

Bis dahin unterhält er sein Publikum mit einer Diashow vom Sternenhimmel, damit sich seine Gäste später am Firmament besser zurechtfinden, wenn es doch noch etwas zu gucken gibt. Seine Geschichten basieren auf jener Mythologie, mit der sich die antiken Griechen am Nachthimmel orientierten. Danach ist das Firmament ein Abbild göttlicher Ausschweifung: Zeus schwängerte Callisto, die wird daraufhin von der düpierten Göttergattin Hera als Sternbild an den Himmel verbannt, die gleiche Hera, deren Muttermilch die Milchstraße nährte. Keine Frage, kommentiert Salzmann seinen Vortrag, die alten Griechen müssen beim Betrachten des Firmaments irgendwelche Drogen konsumiert haben – oder wenigstens reichlich Rotwein. Wie sonst könne man solche Geschichten in den Sternenhimmel hineininterpretieren.

Plötzlich ist es so weit. Keine Zeit mehr, den Brokkoli in seinem Körbchen aus der brodelnden Brühe zu ziehen, der Himmel ist aufgerissen. Alle ziehen sich hastig ihre Mäntel an, draußen führt Salzmann auf knirschendem Schnee vom Hotel weg – und da ist er: Sirius, hellster Punkt am nächtlichen Winterhimmel, Teil des Sternbildes Großer Hund. Der Gürtel des Orion, Kleiner und Großer Wagen, alle sind sie jetzt da.

Aus der Dunkelheit sind sogar die Viertausender ringsum als Schattenriss auszumachen. Wer sie nicht erkennt, dem hilft Salzmann mit dem Laserpointer auf die Sprünge. „Da drüben“, sagt er, „das ist der Liskamm, der Menschenfresser.“ Seit mehr als 100 Jahren wird er so genannt, weil es dort immer wieder Tote gab, Seilschaften von seinem Grat stürzen. Die Berge haben ihre dunklen Seiten. Umso schöner strahlen über ihnen die Sterne.

Reisetipps für Zermatt

Hinkommen

Ab Berlin-Tegel mit Swiss bis Zürich, zirka zwei Stunden weiter mit der Bahn, umsteigen in Visp. Nach Zermatt gibt es keine Straße, Autos müssen in Täsch parken, den Parkplatz sollte man besser vorab reservieren unter zermatt.ch.

Unterkommen

Zum Beispiel im Allalin Swiss Alpine Hotel, das von einigen Zimmern einen Blick auf das Matterhorn bietet und ein gutes Frühstücksbuffet, um 260 Euro, hotel-allalin.ch.

Rumkommen

Der Skipass kostet 68 Euro am Tag. Einmal „Dining with the Stars“, Essen inklusive Bahnfahrt auf den Gornergrat und Sternenführung, gibt es für 86 Euro, noch bis 22. März.

Weitere Infos unter: myswitzerland.com.

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