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Schon im Frühjahr soll mit dem Bau der Gigafactory von Tesla im Ortsteil Freienbrink begonnen werden.
© Jürgen Ritter/Imago

„Wie groß kann der Ort werden? Und was ist mit Kitas?“: Wie Tesla Grünheide träumen lässt

Das Tesla-Werk wird Grünheide verändern, die Menschen sind skeptisch. Sie müssen lernen, in neuen Dimensionen zu denken.

Trocken oder halbtrocken, für jeden Geschmack soll etwas dabei sein. Im Saal der Gaststätte „Heydewirt am Peetzsee“ schenkt eine Kellnerin Sekt ein. Vier Tabletts mit Gläsern stehen vor ihr, die Rechnung geht aufs Rathaus, gleich soll der Minister kommen. Es gibt etwas zu feiern an diesem Donnerstagabend in Grünheide. Oder etwa nicht?

Knarrendes Parkett und Kronleuchter, normalerweise wird in diesem Saal getanzt, heute tagt hier der Hauptausschuss der Stadtverordnetenversammlung. Es wird viel Publikum erwartet, der übliche Raum im Rathaus war zu klein. Mit einem Knall fliegt der Korken aus einer Sektflasche, die Kellnerin zuckt zusammen. „So weit isses noch nicht“, ruft ein Stadtverordneter und lacht. „Der erste Spatenstich kommt erst noch.“

Seit Tagen ist Grünheide in Aufruhr, so sehr wie eine idyllisch an einer Seenkette gelegene Brandenburger Gemeinde von knapp 8700 Einwohnern, verteilt auf sechs versprengte Ortsteile, in Aufruhr sein kann. Am Dienstag hat der Elektroautobauer Tesla völlig überraschend verkündet, in Grünheide ein riesiges Werk bauen zu wollen, eine seiner weltweit vier Gigafactories, die ersten Stellen sind schon ausgeschrieben. Die Rede ist von Tausenden Jobs, Millioneninvestitionen, von einer neuen Zeit.

Deswegen strömen die Grünheider nun zum Heydewirt – sie wollen herausfinden, was das alles für sie bedeutet. Die einen glauben, dass Tesla die Lösung all ihrer Probleme sein könnte. Die anderen, dass die Probleme mit Tesla erst anfangen.

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Ganz vorne im Saal hat Lothar Runge Platz genommen, als Ortsvorsteher des Ortsteils Grünheide steht dem 77-Jährigen ein Platz in der ersten Reihe zu. Runge wohnt seit seiner Jugend hier, seine Söhne leben hier, eigentlich hatte er vor, heute Abend den achten Geburtstag seines Enkels zu feiern. Zu DDR-Zeiten war er Ratsmitglied für Bauwesen in der Gemeinde, nach der Wende Stadtverordneter, einer seiner Söhne ist ihm in dieser Position gefolgt. Runge hat beim Hereinkommen viele Hände geschüttelt, einen Sekt hat er nicht genommen.

"Das sieht schön aus, wenn sie im Fernsehen diese Roboter zeigen"

Ältere Herrschaften, junge Männer, eine Frau mit Baby auf dem Arm: Die rund 90 Stühle sind besetzt, wer jetzt noch rein will, muss stehen. Auf einer Leinwand laufen RBB-Fernsehberichte, die Gesichter von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke, Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller und Tesla-Chef Elon Musk wechseln sich mit Bildern aus High-Tech-Autofabriken ab.

Runges Sitznachbar beugt sich zu ihm rüber und raunt: „Das sieht immer schön aus, wenn sie im Fernsehen diese Roboter zeigen – und dann sprechen sie von 7000 Arbeitsplätzen.“ Lothar Runge faltet erst einmal die Arme vor dem Bauch.

Bürgermeister Arne Christiani greift zum Mikrofon und verkündet, die Abordnung des Ministeriums werde sich verspäten, Stau am Schönefelder Kreuz. Die Menschen im Saal lachen grimmig, das kennt hier jeder. Und dann ist Wirtschaftsminister Jörg Steinbach doch da, er wird mit Applaus empfangen.

Wirtschaftsminister Jörg Steinbach will in Grünheide "Begeisterung übertragen".
Wirtschaftsminister Jörg Steinbach will in Grünheide "Begeisterung übertragen".
© Spannagel

Steinbach entschuldigt sich für die strenge Geheimhaltung der vergangenen Wochen, Vertraulichkeit sei „ein Schlüsselthema“ bei den Verhandlungen mit Tesla geworden. Er berichtet vom Konkurrenzkampf mit den Mitbewerbern, hektischen Telefonaten in der Nacht, vom permanenten Druck der Amerikaner: „Das Wort timeline will ich nie wieder hören.“

50 Prozent des Weges sind seiner Meinung nach zurückgelegt, die Absichtserklärung ist unterschrieben, jetzt komme das Genehmigungsverfahren. „Keine Sorge: Dieses ganze Verfahren wird in allen Teilen nach unserem geltendem Recht gemacht“, sagt Steinbach. „Mit allen Fristen, aller Öffentlichkeitsbeteiligung, aller Offenlegung, allem drum und dran.“

Der Zeitplan ist "wahnsinnig ambitioniert"

Tesla hat vor, schon im ersten Quartal 2020 mit den Bauarbeiten zu beginnen, im Frühjahr 2021 soll das Werk stehen, die ersten Autos sollen im Sommer vom Band rollen. „Das ist wahnsinnig ambitioniert. Ob es wirklich so kommt, müssen wir abwarten“, sagt Steinbach. „Ich möchte aber versuchen, eine gewisse Begeisterung auf sie zu übertragen – bei aller Sorge, die ich auch sofort verstehe.“

Das Tesla-Werk nennt er „ein Signal von Brandenburg hinaus in die Welt“ und eine „Riesenchance für Grünheide“.

Auch Lothar Runge glaubt, dass Tesla seine Heimat zum Guten verändern kann. Ein paar Stunden vor der Ausschusssitzung hat er Zeit, über seine Hoffnungen zu sprechen – und über seine Bedenken. Als Ort für ein Treffen hat er die „Heimatstube“ in der ehemaligen Schule vorgeschlagen, neben seinem Amt als Ortsvorsteher ist der pensionierte Bauingenieur auch Vorsitzender des Heimatvereins.

Lothar Runge hat große Hoffnungen - und Bedenken.
Lothar Runge hat große Hoffnungen - und Bedenken.
© Spannagel

In der Heimatstube ist die Geschichte Grünheides ausgestellt, Runge gibt gerne eine kleine Führung. Gleich am Eingang hängt der Stammbaum der Familie Große vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis heute, der Königliche Schleusenmeister Christian Große war 1708 einer der ersten Menschen, der sich in der Region niederließ. Später kamen Holzschläger und Teerschweler, Friedrich der Große siedelte ausgediente Soldaten an. Noch später wurden aus Fischerbooten Ausflugsdampfer, Berliner machten Urlaub zwischen Werlsee, Peetzsee und Bauernsee.

Der KGB, die Stasi, die RAF

Zu DDR-Zeiten gab es viele Ferienheime, auch eines vom KGB, die russische Botschaft hat immer noch eine Villa am See, „aber nicht mehr so geheim, wie es damals war“, sagt Runge. In Freienbrink, wo jetzt Tesla bauen will, unterhielt das Ministerium für Staatssicherheit ein Versorgungslager und kontrollierte die Post der gesamten DDR, auf dem abgeriegelten Gelände soll die Stasi auch RAF-Terroristen ausgebildet haben.

Heute steht hier ein Gewerbegebiet, riesige Lager von Lidl und Edeka. Runge hat nichts gegen die Logistikbranche, es sei aber wichtig, dass es auch Bedarf für anspruchsvollere Tätigkeiten gibt, eine Vielfalt von Ausbildungsmöglichkeiten, „wo die Jugend auch Perspektiven hat“. 2001 hätte Grünheide fast ein BMW-Werk bekommen, der Automobilhersteller zog dann aber doch nach Sachsen.

Zwischen Peetz- und Werlsee lässt es sich in Grünheide ruhig leben. Bis jetzt.
Zwischen Peetz- und Werlsee lässt es sich in Grünheide ruhig leben. Bis jetzt.
© Michael Handelmann/Imago

1993 hatte der Ortsteil Grünheide nur noch 2200 Einwohner, mittlerweile sind es knapp 3800. Im Prinzip habe sich Grünheide in den vergangenen Jahren zu einem Schlafort entwickelt, viele Einwohner pendeln zur Arbeit nach Berlin. „Das mit dem Tourismus und so“, sagt Runge. „Das können sie vergessen.“

Andere Dimensionen. So muss man jetzt denken

Im Ortsbeirat haben sie sich zuletzt mit der Stellplatzsatzung beschäftigt. „Aber das ist alles so kleinklein, das kam mir auf einmal wie nichts vor“, sagt Runge. Seit er aus dem Radio erfahren hat, dass Tesla kommt, treiben ihn andere Fragen um. „Wie wollen wir uns entwickeln? Wie groß kann der Ort werden? Wie groß muss er werden?“, sagt er. „Jetzt ist es mehr denn je wichtig, dass man in anderen Dimensionen denkt.“

In Freienbrink sind bislang vor allem Logistiker beschäftigt.
In Freienbrink sind bislang vor allem Logistiker beschäftigt.
© Hannibal Hanschke/Reuters

Runge holt eine Karte aus seinem Rucksack, breitet sie vor sich auf dem Tisch aus und tippt mit dem Zeigefinger auf den Ortsteil Kargel. „Da ist einiges im Gange, da werden gerade Bebauungspläne gemacht, da kann man was entwickeln“, sagt er. Bisher sei es aber immer nur um vereinzelte Flecken gegangen, an echtes Wachstum hat niemand gedacht. Runge spricht von Wohnungen für „1000 Menschen, 2000 Menschen, diese Größenordnung“. In den 30 Jahren seit der Wende sind in der Gemeinde rund 1000 Wohnungen entstanden.

Grünheide ist von Wald umgeben, Bauland ist knapp. Die Grundstückspreise von derzeit etwa 120 Euro pro Quadratmeter werden steigen, glaubt Runge „das wird sich verdoppeln und mehr“.

Eine ordentliche Planung, das will er

Auf der Versammlung im Heydewirt erzählt Bürgermeister Christiani, im Rathaus hätte bereits ein Bauunternehmer aus Bayern angerufen und angeboten, 22-geschossige Wohnblocks hochzuziehen. Minister Steinbach verspricht eine „Neubetrachtung Grünheides in planerischer Sicht“.

Eine ordentliche Planung – darum geht es Runge. Zurzeit ist die Erweiterung der Schule für 450 Kinder geplant, sieben Millionen Euro sollte das kosten, dafür wollte die Gemeinde schon einen Kredit aufnehmen. „450 Schüler – ja reicht das denn jetzt noch? Und was ist mit Kitas?“, fragt Runge. Er wagt kaum, seinen Traum von einem Hallenbad auszusprechen, von einer Feuerwache, einem Gemeindezentrum.

Er will im Ortsbeirat eine Sitzung einberufen, in der alle ihre Ideen vortragen können. „Spinnstunde“ nennt er das. Wohnungen, Straßen, Parkplätze. „Da ist das Land gefragt, das kann die Kommune nicht alleine stemmen“, sagt Runge. „Deutschland freut sich und wir haben nichts als Verkehrsprobleme – das geht nicht.“

Am Bahnhof Fangschleuse hält der Regionalexpress nur einmal pro Stunde.
Am Bahnhof Fangschleuse hält der Regionalexpress nur einmal pro Stunde.
© Kitty Kleist-Heinrich

Mit dem Finger fährt Runge die Karte entlang, am Bahnhof Fangschleuse hält er an. Einmal pro Stunde stoppt hier der Regionalexpress 1, in 30 Minuten ist man am Alexanderplatz. Aber wieso soll der Regio nicht dreimal pro Stunde halten? Dann müssten allerdings auch neue Busverbindungen her.

Direkt neben dem Bahnhof beginnt das Grundstück, auf dem Tesla bauen will, rund 300 Hektar, logistisch perfekt gelegen zwischen Autobahn und Zugtrasse. Noch stehen hier Kiefern, die müssen natürlich weg. Und natürlich weisen Umweltverbände daraufhin, dass hier geschützte Reptilienarten leben, Baumfalken und Fledermäuse.

Käfer zählen? "Irgendwann ist auch mal gut"

Runge hat im Fernsehen ein Interview mit einem Naturschützer gesehen, „da hatte ich den Eindruck, wir müssen erst mal wieder die Käfer zählen. Irgendwann ist auch mal gut.“ Man werde sich von dem einen oder anderen Baum trennen müssen, „sonst brauchen wir uns gar nicht erst Gedanken zu machen“.

In der Bürgerversammlung ist Minister Steinbach mit seinem Vortrag fertig, die Grünheider sind nun aufgerufen, ihre Fragen zu stellen. Ein Mann im blauen Kapuzenpullover bekommt Applaus für die Anmerkung, Grünheide stehe bislang für Erholung, Freizeit, Natur, „das sollte bei der ganzen Euphorie hier nicht unter den Tisch fallen“. Andere Bürger wollen wissen, ob der Ausbau der „vom Betonkrebs zerfressenden A10“ nun endlich schneller vorangetrieben werde, die Funklöcher verschwinden, Umgehungsstraßen für die LKW gebaut werden.

Bahntrasse, Autobahn: Die Verkehrsanbindung für das geplante Werk ist nahezu perfekt.
Bahntrasse, Autobahn: Die Verkehrsanbindung für das geplante Werk ist nahezu perfekt.
© Monika Skolimowska/dpa

Fast scheint es so, als könne die Autofabrik der Schlüssel zu allen Sorgen sein, die die Gemeinde hat. Der Minister antwortet, es werde jetzt darum gehen, genau diese „Liste der Hausaufgaben“ abzuarbeiten, gemeinsam mit der Kommune, der Ministerpräsident habe das Projekt zur Chefsache gemacht. Tesla habe zudem zugesichert, sich auch kommunal zu engagieren. „Wenn ein Geräteanhänger oder so etwas für die Feuerwehr gebraucht wird, habe ich die klare Aussage von denen: Das machen wir.“

Ein Stadtverordneter fragt, ob Tesla in Grünheide auch Gewerbesteuer zahlen werde, das würde seine Begeisterung deutlich steigern. Steinbach holt für seine Antwort weiter aus, dann sagt er: „Ich habe bisher keinen Hinweis, dass die Gewerbesteuer nicht in die Gemeinde fließen soll. Aber ich kann für Tesla hier keine Zusage machen.“ Er werde die Frage in die nächsten Gespräche mitnehmen.

Wenigstens die Einkommenssteuer wollen sie haben

Bei diesen Worten wiegt Lothar Runge seinen Kopf bedächtig hin und her. In der Heimatstube hat er gesagt, dass er nicht an Gewerbesteuereinnahmen glaubt. Umso wichtiger sei es, Tesla-Mitarbeiter in Grünheide anzusiedeln, um wenigstens Einkommenssteuer zu kassieren.

Dann bricht der Minister auf, der Saal leert sich. Im Hauptausschuss wird es noch um einen Fahrstuhl für den Jugendclub geben, Lothar Runge setzt sich seit neun Jahren dafür ein, 179.000 Euro soll der Aufzug kosten. Die Abstimmung will er aber nicht mehr abwarten, lieber doch noch mit seinem Enkel Geburtstag feiern. Als Runge den Heydewirt verlässt, sind die Tabletts mit den Sektgläsern noch halbvoll.

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