Außenminister Heiko Maas: Wie gedopt von seiner neuen Bedeutsamkeit
Er wäre fast im Saarland versauert. Jetzt ist Heiko Maas Außenminister. An diesem Mittwoch trifft er auf seinen US-Kollegen – in der größten transatlantischen Krise seit dem Irak-Krieg. Ein Porträt.
Der Außenminister legt das Jackett ab, er zupft ein wenig an den Ärmeln, silberne Manschettenknöpfe verhindern das Hochrutschen knapp hinter dem Handgelenk. Heiko Maas sitzt in einer Regierungsmaschine auf dem Rückflug vom litauischen Badeort Palanga, wo er die drei baltischen Außenminister getroffen hat. Der Besuch war ein Erfolg, die Stimmung herzlich. Das ist selten geworden in dieser Welt, die womöglich gerade auseinander bricht. Als der Kapitän die Anschnallzeichen ausschaltet, lehnt Maas sich lässig zurück, hängt ein Bein über die Armlehne. Er hält eine Salzstange zwischen zwei Fingern wie eine Zigarette, in der anderen Hand eine Dose Cola light.
Ist das der neue Stil der deutschen Diplomatie?
Die Szene ist ein Einblick in den Alltag eines Ministers, der noch lernt. „Ich muss mich noch daran gewöhnen, jeden Morgen zum Flughafen zu fahren statt ins Büro“, sagt er im Flieger.
„Ich muss mich noch daran gewöhnen …“, das kann man auch als einen ziemlich koketten Satz lesen. Wenn nicht alles trügt, dann scheint sich Maas sehr, sehr wohl zu fühlen in seinem neuen Amt. Er wirkt auf fast jungenhafte Weise begeistert, gleichsam wie gedopt von der Flut neuer Eindrücke, dem Takt der Ereignisse, den Insignien der Bedeutsamkeit: den schwarzen Limousinen, in denen er durch fremde Städte braust. Dem Prunk im Quai d’Orsay – dem Pariser Außenministerium –, dem Treffen mit Boris Johnson auf einem britischen Militärflughafen, dem Besuch beim russischen Amtskollegen Lawrow.
Vielleicht verschafft aber diese zur Schau gestellte Lässigkeit auch eine gewisse Distanz zum Druck der Probleme, mit denen sich Maas nun jeden Tag herumschlagen muss.
Er scheut keine Konflikte
Seitdem US-Präsident Donald Trump seine Wahlversprechen wahr macht, ist die Welt wirklich „aus den Fugen“, wie Frank-Walter Steinmeier als Außenminister oft raunte. Maas hat deshalb eine Art Rettungsmission übernommen. Nämlich möglichst viel zu erhalten von jener regelbasierten politischen und wirtschaftlichen Ordnung der Welt, die Trump einreißen will und auf die die Exportnation Deutschland angewiesen ist. Er weiß auch: Wenn überhaupt Erfolge erreichbar sind auf dieser Mission, dann nur, wenn Europa einig bleibt.
Zehn Wochen ist der 51-Jährige nun im Amt, und ziemlich schnell hat er deutlich gemacht, dass er Konflikte nicht scheut. Nicht mit Russland. Nicht mit der eigenen Partei, in der ihn nach harten Tönen in Richtung Moskau viele am liebsten zurückgepfiffen hätten.
Und nun Washington. Antrittsbesuch bei seinem neuen Amtskollegen Mike Pompeo an diesem Mittwoch, 15 Uhr Ortszeit. Ein Härtetest. Seit dem Nein von Gerhard Schröder zu George W. Bushs Irakkrieg waren die transatlantischen Beziehungen nicht mehr so angespannt. Zwischen Europa und den USA droht ein Handelskrieg. Trumps Regierung macht mobil gegen den Bau der Gaspipeline Nordstream 2. Und natürlich nutzt der Präsident jede Gelegenheit, die aus US-Sicht zu niedrigen deutschen Verteidigungsausgaben anzuprangern.
Vom Provinzpolitiker zum Chefdiplomaten
Noch schwerer wiegt: Trump hat das Atomabkommen mit dem Iran gekündigt. Pompeo, der frühere CIA-Chef, ein sicherheitspolitischer Hardliner, kündigte gerade die schärfsten Sanktionen aller Zeiten gegen den Iran an.
Maas hat schon vor seiner Ankunft wissen lassen, was er davon hält – wenig. Das Abkommen mit dem Iran, er will es unbedingt halten. Die Drohgebärden des US-Außenministers lässt er abtropfen: „In der Sache hat sich für uns nichts geändert.“
Vom Provinzpolitiker zum Chefdiplomaten der Bundesrepublik Deutschland, bereit zum Clinch mit der mächtigsten Regierung der Welt – das ist die Geschichte eines ziemlich unglaublichen Aufstiegs. Vor wenigen Jahren hätte jedenfalls wohl niemand darauf gewettet, dass der Sohn einer Schneiderin und eines Berufssoldaten einmal Außenminister werden würde. Er selbst wahrscheinlich auch nicht.
Der Mann aus dem kleinen Saarland, der jetzt die politische Bühnen der Welt bespielt – heute in Toronto, morgen in Paris oder in Buenos Aires – wäre um ein Haar in seiner Heimat am westlichen Rand der Republik versauert. Seine Karriere als SPD-Landespolitiker – festgefahren. „Der Heiko“, wie ihn seine Genossen nannten, trug nach drei Versuchen, im Saarland Ministerpräsident zu werden, das Image des Verlierers mit sich herum. Sein politischer Ziehvater Oskar Lafontaine, von der SPD zur Linkspartei gewechselt, spottete in Wahlkämpfen, Maas sei doch sein „Lehrling“. Als saarländischer Ministerpräsident hatte er Maas zum Staatssekretär gemacht.
Sigmar Gabriel als Retter
Sein Retter heißt Sigmar Gabriel, ausgerechnet. Der SPD-Chef holte den Juristen mit der schnellen Auffassungsgabe 2013 ins Justizministerium nach Berlin. Dass Maas ihn einmal aus der ersten Reihe der Politik verabschieden würde, ahnte damals keiner der beiden.
Gabriel sitzt in der ersten Reihe, als Maas am 14. März 2018 seine Antrittsrede im Auswärtigen Amt hält. Der neue Minister beschreibt eine Welt voller Gefahren, gegen die sich das offene, liberale Modell des Westens wehren muss. Russland ist in dieser Welt eine autoritäre Macht, mit der man die Auseinandersetzung nicht scheuen darf. Dann sagt Maas einen Satz, der nicht weniger ist als ein Bruch mit Gabriels Politik: Russland definiere „sich selbst immer mehr in Abgrenzung, ja teilweise Gegnerschaft zu vielen im Westen“. Dies müsse auch „die Realität unserer Außenpolitik“ verändern.
Gabriel, der sogar für die Lockerung der EU-Sanktionen gegen Russland eingetreten war, muss zusehen, wie sein Nachfolger sich abnabelt. Verhindern kann er es nicht mehr.
Ein Vatermord auf offener Bühne? Fest steht jedenfalls: Für den neuen Minister ist es von taktischem Vorteil, wenn er auf Distanz geht. Nur so kann er schnell aus dem übermächtigen Schatten von Gabriel heraustreten, dessen Beliebtheitswerte in nur zwölf Monaten im Auswärtigen Amt fast durch die Decke geschossen waren.
Ein Minister, der noch lernt
Kaum ist Maas am 15. März ins Büro des Außenministers eingezogen, geht es Schlag auf Schlag. Elf Tage später weist Deutschland wie andere Staaten russische Diplomaten aus, eine Reaktion auf das Giftattentat auf den Doppelagenten Skripal und dessen Tochter. Aus der SPD wird die Ausweisung scharf kritisiert – ein Warnschuss an den eigenen Minister.
Anfang April reagieren die USA, Frankreich und Großbritannien mit Raketen auf einen Giftgasangriff in Syrien. Maas nennt sie angemessen und notwendig – eine Einschätzung, die in der SPD wieder Widerstand provoziert. Im Parteipräsidium stellen sich Ende April wichtige Sozialdemokraten gegen seinen Kurs, der in ihren Augen mit der SPD-Tradition der Ostpolitik bricht. Maas ist auf Dienstreise, die Debatte wird vertagt. Womöglich sieht sich Maas auch deshalb weniger durch die Dogmen der Ostpolitik gebunden, weil er nicht wegen Willy Brandt in die Politik gegangen ist, sondern „wegen Auschwitz“, wie er einmal sagte.
Dann kommt die Probe, ob der neue harte Ton gegen Russland nur Rhetorik ist – oder auch Fortschritte bringen kann. Maas fliegt nach Moskau zum Antrittsbesuch bei seinem Kollegen Sergej Lawrow. Es ist in jeder Hinsicht ein ungleiches Treffen. Lawrow ist einer der erfahrensten Außenminister weltweit und gilt als einer der schwierigsten. Seine Gesprächspartner rede er in Grund und Boden, heißt es, und er lüge, ohne mit der Wimper zu zucken.
Maas-Kritiker bleiben unversöhnlich
Details aus dem Treffen mit Lawrow will Heiko Maas später nicht preisgeben. Es dauerte länger als gedacht, Fernsehaufnahmen des Außenministers bei der anschließenden Pressekonferenz zeigen ihn angespannt. Seine eigenen Argumente, er spricht deutsch, entwickelt er nicht frei, sondern liest sie vom Blatt ab.
Die Ergebnisse aber sind – besonders angesichts der ungleichen Ausgangsbedingungen und der angespannten Lage der Beziehungen – nicht schlecht. Maas sagt Unterstützung für ein Veteranenkrankenhaus in Russland zu. Die Russen willigen ein, einen sicherheitspolitischen Dialog auf Staatssekretärsebene wiederaufzunehmen und machen zumindest die vage Zusage, das Normandie-Format weiterführen zu wollen, also Gespräche zwischen Russland, Großbritannien, Frankreich und Deutschland über eine Lösung der Situation in der Ost-Ukraine.
Der Erfolg von Moskau entspannt auch den SPD-internen Streit um Maas’ Russlandkurs, zumindest ein bisschen. In der Partei sei das Verständnis für Maas’ Vorgehen gewachsen, sagt Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Er habe bewiesen, dass er sich bemühe, Russland als Partner zu gewinnen, ohne die Differenzen zu verschweigen: „Er nimmt den Dialog genau so ernst wie seine Vorgänger Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier.“ Maas-Kritiker in der SPD sind noch nicht versöhnt. Es werde im Parteivorstand Ende Mai hart debattiert werden, kündigen sie an.
Keine Aufrüstung im Baltikum
Am Tag nach seinem Besuch in Moskau bei Lawrow trifft Heiko Maas die Außenminister der drei baltischen Länder im litauischen Badeort Palanga. Das deutsch-baltische Treffen ist ein festes Format, das etwa ein Mal im Jahr stattfindet. Es ist ein kurzer Flug am frühen Morgen von Berlin aus. Kaum ist die Maschine gelandet, steigt Maas die Gangway hinunter und schüttelt seinem litauischen Amtskollegen Linas Linkevicius die Hand. Der massige Mann klopft Maas kräftig auf die Schultern.
Die Stimmung ist entspannt und herzlich, endlich einmal. Auch Maas’ Team hat gute Laune. Der Lawrow-Test ist bestanden, ein Besuch bei Freunden in einem Hotel nur fünf Minuten vom Ostseestrand, weißer Sand. Und doch gibt es ein Problem: In weniger als einem Jahr verlassen die Briten mit ihrer militärischen Macht die EU, weshalb kleinere osteuropäische Länder von Deutschland einen größeren Beitrag zur Sicherheit einfordern – gegen die russische Bedrohung, die sie fürchten.
Die Aufrüstung gegen den großen Nachbarn – seit 2017 hat die Nato ihre Truppenpräsenz im Baltikum ausgebaut – reicht ihnen nicht als Reaktion auf die russische Annexion der Krim. Deutschland führt den Truppenverband in Litauen mit rund 1000 Nato-Soldaten. Doch die drei Minister wollen mehr: Die Luft- und Seestreitkräfte könnten ausgebaut werden. Maas hört mit gesenktem Blick zu, sieht dann auf, sucht den Blickkontakt zu den Kollegen. Seine Antwort, knochentrocken: „Eine Aufstockung ist kein Thema für uns.“
Der einzige "Slimfit"-Politiker der SPD
In der Öffentlichkeit scheint Maas seine offensive Lässigkeit nach und nach ablegen zu wollen, das Image des stilbewussten Sozialdemokraten, der vor zwei Jahren vom Männermagazin „GQ“ zum bestangezogenen Mann in Deutschland gewählt worden war. Es hatte ja funktioniert:
Obwohl er schon so lange im politischen Geschäft ist, verkörpert er nun auch die Erneuerung der SPD-Ministerriege. Das hat unter anderem mit seiner äußeren Erscheinung zu tun: Maas, der Triathlet ist, wirkt drahtig in seinen modischen Anzügen, er ist gewissermaßen der einzige „Slimfit“-Politiker, den die SPD zu bieten hat.
Nun aber übt er den gemessenen Schritt des obersten Diplomaten. Er ist ja jetzt jeden Tag im Fernsehen. An diesem Mittwoch sicher wieder – nach dem Treffen mit Pompeo.
Seine Botschaft hat Maas schon vorher in die Welt gesetzt: „Wir müssen uns mehr denn je für eine faire, gerechte und auf Regeln basierende internationale Ordnung einsetzen.“ Es klang wie eine Kampfansage an Trump und sein Team.
Dabei sind die USA für Maas so etwas wie ein Traumland, immer noch. Nach dem Abitur fuhr er mit dem Auto quer durch die Vereinigten Staaten. Fragt man ihn nach Amerikas Zukunft nach Donald Trump, spricht er über die Kraft der Zivilgesellschaft. Er scheint darauf zu hoffen, dass die USA zu Regeln, Verlässlichkeit und Gegenseitigkeit zurückkehren.
Und was kann Maas dem US-Kollegen anbieten, wenn der nach der Steigerung der deutschen Rüstungsausgaben fragt? Lange vor Trump hatten sich die Nato-Staaten darauf geeinigt, bis 2024 eine Steigerung auf zwei Prozent des Bruttosozialprodukts anzustreben. Davon ist Deutschland weit entfernt. Und im Gegensatz zu Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will die SPD das auch nicht entscheidend ändern. Das wird auch sein Gastgeber wissen.
Daheim werden sich viele wünschen, dass Maas auch im direkten Gespräch mit Pompeo und beim Statement danach die Unterschiede hart benennt – ohne viel Rücksichtnahme. Denn das Ansehen der Regierung Trump ist in Deutschland noch schlechter als das Wladimir Putins. Die Deutschen wollen sich wiedererkennen in ihrem Chefdiplomaten. Und Maas weiß: Wenn sie ihm vertrauen, dann trauen sie ihm auch höhere Aufgaben zu. Es gibt Menschen in der SPD, die sehen in Heiko Maas aus Saarlouis bereits den nächsten Kanzlerkandidaten der SPD.
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