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Eine Besuchergruppe der AfD soll in der Gedenkstätte Sachsenhausen NS-Verbrechen relativiert haben. Der Guide bracht die Führung ab.
© picture alliance / dpa

Nach Eklat in Gedenkstätte Sachsenhausen: Wie die AfD Geschichte politisch instrumentalisiert

Sie sollen NS-Verbrechen relativiert, Gaskammern angezweifelt haben. Rekonstruktion des Besuchs einer AfD-Gruppe im ehemaligen KZ-Sachsenhausen.

Ganz zum Schluss verliert Frau L. die Contenance. Sie hat zwei Stunden lang eine Gruppe von AfD-Anhängern durch die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen geführt. Der Dessauer Bundestagsabgeordnete Andreas Mrosek hat eingeladen und die 33 Leute aus seinem Wahlkreis selbst nach Oranienburg begleitet. Als die Führung rum ist, bedankt er sich bei Frau L. per Handschlag: „Wir müssen dran arbeiten, dass so etwas nie wieder passiert.“ „Danke, richtig.“

Dann geht Mrosek mit seiner Wahlkreis-Delegation – etwa zur Hälfte Frauen und Männer, viele im mittleren Alter – wieder zum Bus. Er hört nicht mehr, wie Frau L. sagt, die AfD-Leute müssten ja wohl „Kreide gefressen“ haben. Und dann: „Ich will mir mal eben die Hand waschen.“

Seit die Partei im vergangenen Herbst in den Bundestag eingezogen ist, steht ihr ein besonderer politischer Service des Bundespresseamtes zu: Sie darf Interessierte aus den Wahlkreisen von AfD-Abgeordneten zu einer Informationsreise nach Berlin einladen. Neben anderen Programmpunkten ist dabei in der Regel auch ein Besuch der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen vorgesehen. Drei Gruppen der AfD waren bereits da. Die Touren werden vom Steuerzahler bezahlt.

„Das wird vorgeschlagen“, sagt der Dessauer Abgeordnete Mrosek auf die Frage, warum er mit seinen Leuten in die KZ-Gedenkstätte fahre, und er schwärmt während des Rundgangs von der Dampferfahrt am Vorabend auf der Spree, „sehr romantisch“.

Wird Relativierung des Holocausts bis zum Ort der Opfer getragen?

Dass Mrosek sich und seine Gruppe begleiten lässt, ist ungewöhnlich. Er weiß, dass seine Partei bei diesem Besuch unter besonderer Beobachtung steht. Denn nachdem eine AfD-Gruppe im Juli die Gedenkstätte besucht hatte, ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Neuruppin, unter anderem wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Die Gruppe, die auf Einladung von AfD-Fraktionschefin Alice Weidel in dem ehemaligen Konzentrationslager erschien, hatte einen Eklat provoziert. Nach Darstellung der Gedenkstätte wurden KZ-Verbrechen relativiert, ein Teilnehmer bezweifelte die Existenz von Gaskammern. Weidel selbst war nicht dabei.

Es wäre der schwerwiegendste Tabubruch in der deutschen Erinnerungskultur. Der Versuch, die Relativierung des Holocaust bis zum Ort der Opfer zu tragen. Wo wenn nicht in einem ehemaligen KZ, sollte es doch keinerlei Zweifel am Ausmaß der NS-Verbrechen geben.

Einer, der dabei war, ist Detlev Gallandt, Kreisvorsitzender der AfD am Bodensee. Er sagt, dass er „den Fall, wie er in den Medien aktuell dargestellt wird, nicht bestätigen“ könne. Dabei sagt Gallandt nicht, dass es sich ganz anders verhalten habe. Sondern erinnert sich nur nicht an eine Äußerung, „die eine solche Berichterstattung rechtfertigt“. Bloß ein Missverständnis? Alles nur aufgeblasen?

Gallandt möchte sich nicht näher dazu äußern. Dafür ist Hans Hausberger, ebenfalls Mitglied des AfD-Kreisverbandes Bodensee, gebeten worden, den Vorfall für die Partei aufzuklären. Der Österreicher ist am Telefon ein besonnener Mann, er ist Wirtschaftsprofessor und im Vorstand der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Er steht spürbar noch unter dem Eindruck seiner Nachforschungen, als er erzählt, wie er mit den mitgereisten Parteimitgliedern gesprochen habe. Auch er sagt, niemand aus der Gruppe habe von einer Wortmeldung berichtet, „die einen antisemitischen Touch gehabt hätte“.

Der Vorwurf: Der Guide der Gedenkstätte sei voreingenommen gewesen

Die Weidel-Gruppe sei am Sonntag in Berlin eingetroffen und Dienstag nach einem Lunch nach Sachsenhausen „verfrachtet“ worden. 17 Personen schlossen sich dem Guide an, der zunächst ein Einführungsreferat im Begrüßungsraum gehalten habe. „Es fiel unseren Leuten auf, dass der Referent von Anfang an extrem verkrampft, verkniffen wirkte“, sagt Hausberger. Fragen an ihn habe er „aggressiv abgebürstet“. Dabei seien die Fragen „nicht zu beanstanden gewesen“, fanden die Teilnehmer. Es habe den Anschein gehabt, dass der Mann voreingenommen gewesen sei und nur erwartete, dass etwas Ungeheuerliches passieren würde. Welche Fragen gestellt wurden, kann Hausberger nicht sagen.

Ihm ist von zwei Konfrontationen berichtet worden. Als es um die Lagergeschichte ging, sei von einem Teilnehmer die Frage erhoben worden, „ob es stimme, dass das Lager auch nach Kriegsende im Mai 1945 in Betrieb geblieben sei und dass viele Deutsche hier eingesperrt worden seien in erheblicher Zahl, darunter Nazis, aber auch viele Unschuldige, etwa der Schauspieler Heinrich George, der dann in Sachsenhausen starb“.

Der Fragesteller wartete die Antwort nicht ab, sondern sagte dem Referenten, dass der das doch, wenn er schon die Gesamtentwicklung schildere, „nicht vergessen“ sollte. Es war also weniger eine Frage als eine Ermahnung. Das habe der Guide extrem aggressiv gefunden, berichtet Hausberger, und angemerkt, „dass George faschistische Propaganda-Filme gedreht und noch bei Kriegsende über Rundfunk Durchhalteparolen verbreitet habe, weshalb es wohl keine Frage sei, dass er zurecht hier eingesperrt gewesen sei“.

Ein Teilnehmer fällt ihm ins Wort: "Das stimmt nicht!"

Die zweite Zuspitzung erfolgte am Ende der Führung. An diesem Punkt klaffen die Erinnerungen weit auseinander. So weiß der Guide zu berichten, dass er erneut unterbrochen worden sei, als er vom größten Massenmord im KZ Sachsenhausen erzählte. 1941 waren innerhalb von zehn Wochen mehr als 10.000 sowjetische Kriegsgefangene ermordet worden. Er führte aus, dass die Opfer zuvor nach den Kriterien des „Kommissarbefehls“ in den Kriegsgefangenenlagern selektiert worden waren. Da fiel ihm ein Teilnehmer ins Wort: „Das stimmt nicht.“

Der Referent brach seinen Vortrag ab. Unter diesen Umständen weigere er sich, die Führung fortzusetzen, sagte er. Worauf die Gruppe nach Darstellung der AfD selbstständig durch das ehemalige Lager weiterging, nach Auskunft der Gedenkstätte aber zum Ausgang geleitet wurde, was einem Rausschmiss gleichkäme.

Offenbar versuchte der Teilnehmer, der den Abbruch provoziert hatte, mit dem Guide nochmals über den Kommissarbefehl ins Gespräch zu kommen. Mit diesem Erlass vom 6. April 1941 hatte Hitler die Wehrmacht angewiesen, sowjetische Politkommissare bei Gefangennahme sofort zu erschießen, was als ein Beispiel für den „verbrecherischen“ Charakter der Kriegführung im Osten und der Wehrmacht gilt. Der Teilnehmer fand nun, so Hausberger, dass der Referent „habe dazusagen müssen“ welche Rolle die Russen in diesem Konflikt gespielt hätten. Und dass der Kommissarbefehl nach einem Jahr wieder aufgehoben worden sei.

Zum Zeitpunkt der Liquidierung sowjetischer Kriegsgefangener in Sachsenhausen 1941 war der Befehl allerdings in Kraft. Das Detail spielte für den Massenmord also keine Rolle. Trotzdem sah sich der Guide mit der Frage konfrontiert: Warum er solche Aspekte der Geschichte unerwähnt ließe, wenn es ihm um eine vollständige historische Darstellung gehe.

Die Leute hätten den Referenten bedrängt, hieß es

Ob der Guide in dem Moment „endgültig ausgeflippt“ sei, wie Hausberger erzählt wurde, oder nicht, sei dahingestellt. Man habe professionell auf „verfestigte revisionistische Weltbilder“ der Besucher und permanente aggressive Störungen reagiert, sagt Gedenkstättensprecher Horst Seferens. Die Leute hätten den Referenten auch körperlich bedrängt, um ihrem Standpunkt Nachdruck zu verleihen.

Trotzdem erschien der vom Tagesspiegel publik gemachte Vorfall der Gedenkstättenleitung in Sachsenhausen nicht schwerwiegend genug, um ein Ermittlungsverfahren anzustrengen. Allerdings legt sie Wert auf die Feststellung, dass man relativierende Äußerungen nicht dulde, egal von wem sie stammten.

Längst besteht heute über die Verbrechen des NS-Staates kein Zweifel mehr. Gedenkorten wie Sachsenhausen kommt innerhalb der deutschen Erinnerungskultur trotzdem eine andere als bloß aufklärende Funktion zu.

Sie verstören, fordern heraus, sind „grausig“ und bleiben das, was man nicht wegdiskutieren kann. Der Schrecken bekommt hier die Beglaubigung, die er im Alltag und angesichts seines Ausmaßes immer wieder einzubüßen Gefahr läuft.

Der niedersächsische AfD-Politiker Klaus Wichmann beteuert daher, die AfD betrachte den Holocaust „ganz sicher als einen Baustein unserer Erinnerung“. Doch der Fall zeigt auch, wie sehr der rechte Flügel der Partei Geschichte zu einem politischen Instrument gemacht hat. Das ist neu. Im Parlament wird zwar über die Deutung historischer Prozesse immer wieder kontrovers gestritten, doch bislang war keine Partei soweit gegangen, die Umdeutung selbst als politisches Ziel zu betreiben.

Schon Höcke forderte "eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad"

Bestes Beispiel dafür ist der thüringer AfD-Politiker Björn Höcke, der in seiner Dresdner Rede im Januar 2017 eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ gefordert hatte. Bei seinem Besuch in der KZ-Gedenkstätte verteidigt Andreas Mrosek die Ansichten seines Parteifreundes: Höcke spreche über die Zeit jetzt, meint Mrosek, er wolle nicht zurück zum Nationalsozialismus. „Das will keiner von uns.“

Mrosek, Jahrgang 1958, trägt einen Anzug, unter dem offenen Hemd ist ein breites Goldkettchen zu sehen. Er war Kraftsportler, fuhr zu DDR-Zeiten und auch danach zur See. 2002 kandidierte er auf der Liste einer Abspaltung der rechtsextremen DVU erfolglos für den Landtag von Sachsen-Anhalt. Ein Geschäftspartner habe ihn damals überredet, sagt er. Und, dass er später sogar in die CDU eingetreten und jahrelang dabeigeblieben sei. 2013 gründete er dann die AfD mit, errang 2016 ein Landtagsmandat, 2017 zog er in den Bundestag ein. Seine erste und bisher einzige Rede dort hielt er – zuständig für Verkehr – im Juni, in der er die Seenotrettung im Mittelmeer als „Flüchtlingsbootstourismus“ bezeichnete.

Nun beim Anblick des Gittertors mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“ sagt er, so dass es alle hören: „Das Lagertor flößt einem schon Furcht ein.“ Er spricht über die „menschenunwürdigen Zustände“ im Lager, in dem zur Nazi-Zeit insgesamt 200.000 Häftlinge einsaßen, von denen viele ermordet wurden oder eines qualvollen Todes starben. Über die SS-Schergen sagt Mrosek: „Die waren alle Sadisten.“ Mrosek und seine Leute besichtigen eine Häftlingsbaracke, dann den Ort der früheren Genickschussanlage. Sie stellen Fragen. Nach der Selbstmordrate, medizinischen Versuchen oder den Zwangsprostituierten im Lagerbordell. In der Gaskammer, heute zentraler Gedenkort in Sachsenhausen, sagt Mrosek: „Schlimm, grausig“. Die Besucherführerin Frau L. sagt auf die Frage, ob AfD-Besucher für sie komplizierte Gäste seien: „Eigentlich bemühe ich mich, sie wie jede andere Gruppe zu behandeln.“

Es fällt ihr erkennbar nicht leicht.

Mitarbeiter der Gedenkstätte diskutieren über den Umgang mit AfD

Als sich die Dinge am 10. Juli in Sachsenhausen hochschaukelten, folgten einige AfD-Anhänger offenkundig der Überzeugung, dass man über Geschichte „diskutieren“ können müsse. Der Vorwurf, dass der Referent dieses oder jenes „doch auch hätte sagen können“, sprich: richtigstellen, folgte genau der Art von Rechthaberei, die in einem ehemaligen KZ völlig unangebracht ist: Der Boden des Lagers, in dem die Gebeine tausender Ermordeter liegen, ist kein neutraler Boden. Und ein Referent ist dort nicht so sehr Hüter der Geschichte, als Hüter des Ortes und seiner Integrität.

In Sachsenhausen hatte man das Problem kommen sehen. Seit Monaten gibt es unter den Mitarbeitern Diskussionen, wie mit AfD-Mitgliedern umzugehen ist, die mit den Informationsreisen des Bundespresseamtes zu der Gedenkstätte kommen. Doch zu einer eindeutigen Positionierung hat sich die Gedenkstättenleitung nie durchgerungen. Ob man der AfD Führungen verweigern dürfte, ist ohnehin fraglich. Es gelte aber die Linie: Wer sich respektlos verhält, fliegt raus.

Als der Guide über die 1943 eingerichtete Gaskammer berichtete, kam wiederum eine Nachfrage: „Und wie wurde die betrieben? Mit Zyklon B?“ Auf die Antwort des Guides, dass in Sachsenhausen ein flüssiges Blausäurepräparat verwendet wurde, sagte dieselbe Person: „Und das glauben Sie?“

Später griff ein Teilnehmer das Thema der Gaskammer wieder auf und sagte: „Gaskammern hat es im Zweiten Weltkrieg nur in den USA gegeben.“

Eklat wird Thema im Bundestag

Über Versuche anderer Mitglieder der Reisegruppe, sich dergleichen an dem Ort zu verbitten, ist nichts bekannt. Mindestens eine Äußerung wäre eine unmissverständliche Holocaust-Leugnung.

Am Abend des Sachsenhausen-Besuchs schickt Mrosek eine Nachricht: Die Veranstaltung sei „sehr informativ“ gewesen, heißt es da. „Ich hatte im Vorfeld versucht, mich gut darauf vorzubereiten und sehr intensiv zu studieren! Ich glaube, der Besuch der Gedenkstätte hat bei allen Besuchergruppenteilnehmern bleibende Erinnerungen hinterlassen.“

Am Mittwoch soll der Besuch der AfD in Sachsenhausen im Bundestagspräsidium Thema werden. Am Donnerstag im Ältestenrat. Es ist nicht das Ende der Geschichte.

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