KZ-Gedenkstätte bei Berlin: AfD-Anhänger verharmlosen Shoah
Nach dem Eklat um AfD-Besucher in der Gedenkstätte Sachsenhausen ermittelt die Staatsanwaltschaft. Das Problem: Die Teilnehmerliste ist nicht zu finden.
Nach dem durch eine AfD-Besuchergruppe in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen ausgelösten Eklat im Juli hat sich nun die Staatsanwaltschaft Neuruppin eingeschaltet. Die Polizei hat bereits in vergangenen Wochen nach einem Tagesspiegel-Bericht ein Verfahren wegen Volksverhetzung gegen Unbekannt aufgenommen. AfD-Anhänger sollen den Holocaust in Frage gestellt haben. Jetzt liegt der Fall bei der Staatsanwaltschaft: Bereits am Freitag hat sie den Besucherführer als Zeugen vernommen, der die AfD-Gruppe durch die KZ-Gedenkstätte begleitet und den Besuch abgebrochen hatte.
Teilnehmer einer Gruppe aus dem Bundestagswahlkreis der AfD-Fraktionschefin Alice Weidel am Bodensee sollen bei einem Besuch der Gedenkstätte am 10. Juli an Gaskammern gezweifelt und KZ-Verbrechen relativiert haben. Weidel war bei dem Besuch der 17-köpfigen Gruppe nicht dabei. Das Bundespresseamt hatte die Berlin-Reise der Gruppe – wie bei Bundestagsabgeordneten allgemein üblich – bezahlt. Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten hatte die Recherchen bestätigt. Nach dem Vorfall im Juli hatte die Stiftung keine Anzeige erstattet.
Ermittlungen wegen Verdacht auf Volksverhetzung
Ermittelt werde nun wegen des Verdachts auf Volksverhetzung, sagte der Chef der Neuruppiner Staatsanwaltschaft, der Leitende Oberstaatsanwalt Wilfried Lehmann, am Montag. Konkret prüft die Behörde, ob einzelne Personen der AfD-Gruppe den Holocaust gebilligt, geleugnet oder verharmlost und ob sie zudem die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht oder gerechtfertigt haben. Je nach Tatvorwurf stehen darauf zwischen drei und fünf Jahren Haft. Laut Lehmann prüft die Staatsanwaltschaft auch, ob eine Störung der Totenruhe vorliegen könnte. In diesem konkreten Fall geht es bei dem Straftatbestand um „beschimpfenden Unfug“ in öffentlichen Totengedenkstätten.
Einziges Problem für die Ermittler: Das Bundespresseamt hat keine Teilnehmerliste von der Besuchergruppe mehr, die Namen seien nicht mehr bekannt, sagte eine Regierungssprecherin auf Anfrage. Ob die Liste der Teilnehmer der Behörde nie vorlag oder nach dem Besuch vernichtet wurde, konnte bisher nicht geklärt werden. Der Zwischenfall war dem Bundespresseamt nach Tagesspiegel-Informationen seit Wochen bekannt.
Zweiter Zwischenfall bekannt
Bereits einen Monat vor dem Besuch der AfD-Gruppe auf Einladung von Alice Weidel hatte es einen weiteren Zwischenfall gegeben, wie jetzt bekannt wurde. Nach dem damals ersten Besuch einer AfD-Gruppe in der Gedenkstätte in Oranienburg überhaupt – es handelte sich um Besucher aus dem baden-württembergischen Wahlkreis des Bundestagsabgeordneten Volker Münz – wurde auf Facebook ein Foto aus der KZ-Gedenkstätte benutzt, um die Judenverfolgung im Nationalsozialismus zu verharmlosen und diese mit ablehnenden Haltungen gegenüber der AfD gleichzusetzen.
Das Café Rizz im Graefekiez in Berlin-Kreuzberg hatte Anfang Juni getwittert: „Aus gegebenem Anlass weisen wir darauf hin, dass Nazis generell inklusive zur Fußball WM bei uns nicht willkommen sind. Und damit meinen wir ausdrücklich Anhänger der AfD.“ Die Wirtin hatte zur Begründung für den vielfach geteilten Tweet eine Verrohung der Sitten in ihrem Lokal unter anderem beim Public Viewing angegeben.
Nazi-Karikatur verbreitet
Die AfD in der Göppinger Heimatregion des Abgeordneten Münz verbreitete als Protest gegen das Vorgehen des Cafés auf verschiedenen Facebook-Kanälen ein Foto, das aus der Dauerausstellung zur Geschichte der jüdischen Häftlinge im KZ Sachsenhausen stammt. Es zeigt eine antisemitische Karikatur aus der NS-Zeit mit dem Schriftzug „Juden sind in Rahnsdorf unerwünscht“. In einem Kommentar dazu hieß es auf der Facebook-Seite der AfD Unteres Filstal, damals wie heute sollten Unliebsame unterdrückt, diskriminiert und ausgegrenzt werden. Die Postings wurden später wieder gelöscht, Screenshots liegen dieser Zeitung vor.
Das Internationale Auschwitz-Komitee warf der AfD unter Hinweis auf die Visite der Besuchergruppe Weidels einen zunehmend offenen Rechtsextremismus vor und forderte eine Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz. Der Vorfall in Sachsenhausen zeige, dass antisemitisches Gedankengut und die Leugnung des Holocausts in der AfD weit verbreitet seien, erklärte Vizepräsident Christoph Heubner.
"Derartige Vorgänge sind völlig inakzeptabel"
Dik de Boef, Generalsekretär des Internationalen Sachsenhausen-Komitees, meldete sich aus Amsterdam und erklärte: „Dass an einem Ort wie Sachsenhausen, wo die Verbrechen der Nationalsozialisten offen zu Tage liegen, diese Tatsachen verharmlost und bestritten werden, hätten die Überlebenden niemals für möglich gehalten.“ Umso mehr sei das Internationale Sachsenhausen-Komitee – ehemalige Häftlinge, Angehörige und Unterstützer aus 14 Nationen – schockiert und entsetzt über die Vorfälle.
„Derartige Vorgänge sind völlig inakzeptabel und wir unterstützen voll und ganz die Haltung der Gedenkstätte, dass jeder Form von Revisionismus, Verharmlosung der NS-Verbrechen und Geschichtsfälschung konsequent entgegengetreten werden muss. Das sind wir den Opfern, aber auch uns selbst und künftigen Generationen schuldig.“ Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte, es handele sich nicht um einen Einzelfall. „Für Wahlerfolge ist der AfD offenbar jedes Mittel recht, auch wenn dabei die Würde der NS-Opfer mit Füßen getreten wird.“ Der Vorfall in der KZ-Gedenkstätte löste auch international ein breites Echo aus – Medien unter anderem in Österreich, Italien, Großbritannien, Belgien und der Schweiz berichteten.
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