Heynckes' Abschied im Pokalfinale: Jupp! Jupp! Jupp!
Jupp Heynckes ist sich immer treu geblieben. Ungewöhnlich in der Welt des Fußballs – aus der er sich mit dem DFB-Pokalfinale endgültig verabschiedet.
Als das Telefon klingelte, damals vor 20 Jahren in Lissabon, sprach Jupp Heynckes gerade über Fußball. Den Tag über hatte er dem Besucher aus Deutschland die Stadt gezeigt, hatte geschwärmt, hatte sich umschmeicheln lassen von den Menschen in der Innenstadt, die ihn als Trainer von Benfica erkannten, war sichtlich stolz. Am Abend wurde im Fernsehen irgendein unbedeutendes Spiel der zweiten Liga gezeigt. Heynckes kannte jeden Spieler, wusste, mit welchem Fuß der schießt. Dann, das Telefon.
Ein Anruf aus Deutschland. Zu hören war Heynckes, der deutlich mitteilte, „nein, das kann ich nicht machen, nein, das ehrt mich, aber nein, das mache ich nicht.“ Danach erzählte er, dass der Deutsche Fußball-Bund dran gewesen sei, der würde schon seit einiger Zeit nachfragen, ob er nicht Bundestrainer werden wolle. „Wissen Sie“, sagte er zum Besucher, „meine Frau ist schwer krank, die leidet unter dem Druck meines Berufes, die leidet unter der Öffentlichkeit, in der ich als Fußballtrainer nun mal stehe, und da soll ich Bundestrainer werden? Das werde ich ihr nicht antun.“
Schwarzes Hemd, schwarzer Anzug, Trauerkleidung
Ein Mensch, der das Angebot, den gefühlt wichtigsten Posten der Republik anzunehmen, aus Liebe ablehnt. Man wird von solchen Menschen in dieser Branche nicht viele finden.
20 Jahre später, sein letztes Spiel in der Champions League ist seit ein paar Minuten abgepfiffen, kämpft Heynckes sichtlich mit den Tränen. Zur Pressekonferenz hat er sich schwarz gekleidet, schwarzer Anzug, schwarzes Hemd, schwarze Krawatte, Trauerkleidung. Und spricht davon, dass dies ja nun definitiv sein letztes Spiel, schluck, als Trainer in der Champions League gewesen sei, schluck. Nie mehr werde er, der Fußballtrainer, verantwortlich sein für irgendeinen Verein, nicht mal für seinen FC Bayern München, schluck. Doch, doch, da werden gerade Tränen unterdrückt.
Warum auch nicht? Der Mensch ist kürzlich 73 Jahre alt geworden, er hat den Herbst seines Lebens erreicht, er ist drahtig wie eh und je, körperlich topfit, geistig ebenfalls, er ist gerade gescheitert nach grandioser Leistung, weil sein FC Bayern München nicht den Gegner Real Madrid ausreichend bezwungen hat, er tritt ab. Endgültig. Da dürften die Tränen schon kullern.
Aber dann hat er sich wieder. Schluckt noch einmal und sagt, dass er ihn gut findet, diesen Abgang, sehr nüchtern sagt er das, sehr sachlich, ein Mensch mit sich im Einklang. Ein Spiel hat er noch zu bestreiten, das Finale um den Pokal des Deutschen Fußball-Bundes am Samstag im Berliner Olympiastadion, und dann wird er nach rauschender Feier auf dem Marienplatz in München und der Denkmalisierung wieder zurückkehren auf seinen Bauernhof am Niederrhein, zur Gattin und zum Ruhestand und zum geliebten Schäferhund, der auch schon betagt ist. Das alles hat er verlassen für einen Freundschaftsdienst, um seinem FC Bayern München zu helfen in schwieriger Lage, er hat geholfen, aber nun muss es auch mal gut sein.
Und warum bewegt uns das, mehr als der Renteneintritt irgendeines anderen prominenten Menschen?
Viererkette? Heynckes hebt die Augenbraue
Noch zwei Szenen aus der Vergangenheit: Einmal, das war im Frühjahr 1989, da stand dieser Herr Heynckes auf einer Geburtstagsfeier im Botanischen Garten von München. Er unterhielt sich mit ihm wohlgesonnenen Journalisten, mit allerlei Fußballgrößen, mit ihm unbekannten Gästen des Geburtstagskindes. Ein Journalist, der heutige Ressortleiter des Sportteils der „Süddeutschen Zeitung“, wollte mit ihm über die damals noch moderne Variante der Fußballtaktik, die Viererkette, diskutieren. Heynckes, seinerzeit noch als spröde und gehemmt verschrien, hob kurz, leicht ironisch, die Augenbraue, „wollen Sie mir, also mir persönlich, Fußball erklären?“ Der Journalist verstummte, nein, Heynckes Fußball zu erklären, wäre, wie einen Eulenschwarm nach Athen zu tragen.
Kurz darauf, am selben Abend, am selben Ort, ging Heynckes auf einen anderen Journalisten zu, der immer wieder zu seinem in der Nähe geparkten Auto schaute, in dem sein zweijähriger Sohn schlief. „Nun gehen Sie mal zum Buffet, essen was, trinken was, und wenn Julius aufwacht, hole ich Sie oder ich beruhige ihn selber, ich habe eine Tochter großgezogen, ich kann das.“ Etwa eine Stunde sittete Josef Heynckes, der schon berühmte Fußballtrainer, das Baby, es wachte nicht auf.
Zwei Szenen, eine Person. Hier der Fachmann in eigener Sache, dem man nun nichts mehr über das Spiel erklären muss, dort der Mensch, der andere Menschen ernst nimmt. Auch seine Spieler. Ob das der Schlüssel seines Erfolges ist? Als Trainer hat Heynckes jetzt eine Art Wiedergänger. Jürgen Klopp, Trainer des FC Liverpool und Gegner von Real Madrid im Finale der Champions League.
Auch über den sagen die Spieler, dass sie für ihn durchs Feuer gingen. Nein, das ist falsch, das ist viel zu martialisch. Sie glauben ihm einfach. Bei Heynckes muckte nicht einmal ein Weltstar wie der versessene Arjen Robben auf, wenn er nicht spielen durfte. „Er wird seine Gründe haben, er hat sie mir erklärt, aus seiner Sicht haben sie mir eingeleuchtet.“
Raúl und Roberto Carlos als Nachbarn
Heynckes hat alle und alles gesehen in diesem Sport, in diesem Geschäft. Er hat mal in „La Moraleja“ gewohnt, einer überwachten und gepflegten Siedlung am Rand von Madrid. Da war er Nachbar von Davor Suker, Raúl, Clarence Seedorf, Roberto Carlos, Weltstars seinerzeit mit einem Einkommen von sechs Millionen Mark im Jahr, seine Angestellten als Trainer von Real Madrid. Aber seine Welt? Sein Leben? Er ist das neunte von zehn Kindern, er hat später neben dem Fußball Stuckateur gelernt, ist entdeckt worden von Hennes Weisweiler, dem legendären Trainer von Borussia Mönchengladbach, hat Karriere gemacht als Stürmer und Torschütze, noch heute ist er in der ewigen Bestenliste aller Torschützen der Bundesliga die Nummer drei hinter Gerd Müller und Klaus Fischer. Und Günter Netzer, sein Passgeber in alten Mönchengladbacher Zeiten, sagt noch heute, dass er der beste Fußballspieler in der damals fußballerisch besten Mannschaft gewesen sei. Weltmeister und Europameister mit der deutschen Nationalmannschaft wurde Heynckes natürlich auch.
Das ist genug Zeug, um abzuheben, sich raus zu mendeln aus der Kleinbürgerlichkeit und sich schnöselig dicke zu machen wie etwa Cristiano Ronaldo, der Superstar von Real Madrid.
Hat er aber nicht, er ist immer erdnah geblieben.
Nun ehren sie ihn in dieser so eitlen Branche, verehren ihn in der gesamten Welt des Fußballs als ungemein erfolgreichen Trainer, in München ganz besonders, wo er die Titel fast schon mit Automatik holte. Zuletzt den 28. Meistertitel für die Bayern, den sechsten in Folge. Und auch wenn es nicht wie 2013 zum ersehnten Triple aus Meisterschaft, DFB-Pokal und Champions League reicht, die Unvergesslichkeit, ja die Unsterblichkeit hat er längst erreicht. Ein Sieg im Pokalfinale wäre der passende Schlusspunkt für eine Karriere voller Triumphe.
Das schafft man nicht alleine mit sportlichen Erfolgen, dazu bedarf es Charisma. Fleiß und Disziplin haben Heynckes immer schon ausgezeichnet, aber fleißig und akribisch sind auch andere. Heynckes ist darüber hinaus nahbar geworden, oder war es immer schon, verbarg es nur eine Zeitlang unter Misstrauen. 40 Jahre ist er nun schon Trainer, hat für neun verschiedene Vereine gearbeitet, für den FC Bayern viermal, man kann schon sagen, dass er den FC Bayern in seinem heutigen Selbstwertgefühl mitgeprägt hat. Und der Verein ihn.
Aus dem krampfigen Jupp, der mit vielen Journalisten seinen Zwist hatte und immer einen hochroten Kopf bekam, wenn er sich aufregte, ist ein gelassener Herr geworden. Einer, der über sich selbst lachen kann, gern auch über seine Spieler. Zum Beispiel über Thomas Müller, der ihn eigentlich zur Pressekonferenz vor dem Pokalfinale im Berliner Olympiastadion hätte begleiten sollen. „Aber wir wissen ja, dass er gern redet“, sagt Heynckes über Müller, „deswegen habe ich ihn ins Hotel geschickt, dass wir hier zügig vorankommen.“ So ein Witz wäre ihm früher nie über die Lippen gekommen, vor seinem letzten Spiel wirkt Heynckes gelassen und mit sich im Reinen.
Verbogen hat er sich nie
Vielleicht auch, weil er sich selbst in schwierigen Zeiten nie verbogen hat. Und die hatte er. Gleich zu Anfang, als er Borussia Mönchengladbach, seinen Heimatklub, von Udo Lattek übernahm. Der neidete es ihm, stichelte von Anfang an gegen den Neuling, der könne es nicht, sei unfähig. Er hat ihm das nie verziehen. Fast zehn Jahre später noch, längst erfolgreich und Lattek der Fehlverurteilung entlarvt, antwortete Heynckes im „Spiegel“ auf eine entsprechende Frage nach seinem Vorgänger, dass er zu dem nichts sagen wolle, weil er nur noch Positives denken wolle, ihm zu Lattek aber „nur Negatives“ einfalle.
Was ein weiteres Merkmal für Jupp Heynckes ist. Bevor er heuchelt, schweigt er lieber, auch das ist eher ungewöhnlich in der Szene. Er hat in Frankfurt gearbeitet, bei der Eintracht, gegen die er heute in seinem letzten Spiel antritt. Er hat sich dort mit vermeintlichen Stars wie Anthony Yeboah oder Maurizio Gaudino angelegt. In der Sache völlig zu Recht, in der Außenwirkung verheerend, weil er Publikumslieblinge abservierte. In diesen Frankfurter Zeiten saß er mal im Hinterzimmer der Vereinsgaststätte zum streng vertraulichen Hintergrundgespräch: „Wissen Sie“, sagte er, fast flüsternd, „ich weiß jetzt schon, dass ich hier nicht alt werde. Das Präsidium arbeitet mit mafiösen Strukturen, die Spieler sind verhätschelt, undiszipliniert, überbezahlt. Und der Präsident, dieser Matthias Ohms, aber das bleibt unter uns, ist ein Gangster, ohne Stil, ohne Anstand.“ Man darf das heute berichten, Heynckes sollte Recht behalten, kurz darauf war er gefeuert.
Er hat auch mal auf Schalke gearbeitet, bei einem anderen Bundesligaklub mit Vornamen Skandal. Es war das zweite Mal, dass ihn seine Nase täuschte, oder er seinem vorherigen Bauchgefühl, dort nicht hinzugehören, misstraute. Dort, wo der Manager Rudi Assauer auf großen Maxe und Macho machte, Havannas rauchte, nicht redete, sondern polterte und die Lüge zum Geschäft machte, so sehr, dass er einem Journalisten des Boulevards mal 10 000 Mark für dessen Schweigen über Interna anbot. Zur Ehrenrettung des Boulevardjournalismus sei gesagt, dass der Mann das Angebot ablehnte. Wieder Hinterzimmer, wieder Flüsterton, wieder Herr Heynckes: „Können Sie mir sagen, was ich hier zu suchen habe? Was habe ich mit einem Herrn Assauer zu besprechen, der die Rolex am Arm für das höchste erreichbare Gut hält?“ Nein, der Mann, der vom fast fanatischen Arbeitertrainer Hennes Weisweiler erzogen worden war, hatte auch dort nichts zu suchen.
Dann doch lieber Bilbao, wo die Aufgabe gewaltig war, weil er aus politischen Gründen nur Basken als Spieler einsetzen durfte, dann doch lieber nach Teneriffa, wo er eine arg limitierte Mannschaft in die Spitze des spanischen Fußballs führte. Und am liebsten doch nach Bayern. Seinem FC Bayern. Dort haben sie ihn 1991 davongejagt, nein, eher in allen Ehren entlassen nach einer Serie von Niederlagen mit einer vom Verletzungspech gebeutelten Mannschaft. Vielleicht war der Verein damals noch nicht reif für einen Mann wie Heynckes, der wie der damalige Schatzmeister Hegerich, ein Urbayer, höhnte „nicht einmal einen g’scheiten Schweinsbraten essen mag“. Vielleicht war Heynckes auch noch nicht reif für den FC Bayern, obwohl er da schon zwei Titel eingefahren hatte, war zu spröde für die allgegenwärtige Münchner Presse, nicht bajuwarisch genug, nicht barock.
"Sie wissen ja, heucheln kann ich nicht"
Aber auch da blieb er bei seiner Linie. Als er seine Papiere bekommen hatte, stieg er die Treppe der Vereinszentrale in der Säbener Straße hinab. „Nein, nein“, raunte er, „ich möchte jetzt nichts sagen. Was ich zu sagen hätte, kann ich nicht sagen. Und Sie wissen ja, heucheln kann ich nicht.“
Drinnen im Büro des Managers saß Uli Hoeneß und war vom Donner gerührt, weil er den Freund entlassen musste. Dem Vernehmen nach und nach Aussage seiner langjährigen treuen Sekretärin, soll Hoeneß zum Taschentuch gegriffen haben, weil er mit den Tränen kämpfen musste.
Das werden sie mit großer Wahrscheinlichkeit am Sonntag bei der Saisonabschlussfeier auf dem Marienplatz oben auf dem Rathausbalkon wieder tun. Spätestens, wenn die Fans ihren Trainer wieder mit bürgerlichem Vollnamen feiern, weil sonst der Reim nicht aufgeht: „Josef Heynckes, Josef Heynckes, du bist der beste Mann.“ Schluss. Aus. Vorbei. Der Mann geht. Vielleicht sollten sie in der Trainerausbildung noch ein Fach aufnehmen, das Jupp Heynckes gelehrt hat: Immer Mensch bleiben.