zum Hauptinhalt
Dank an den Großmeister. Trainer Jupp Heynckes führte die Mannschaft mit seiner unnachahmlichen Art wieder zusammen – und schließlich zur Meisterschaft.
© dpa

Der Meistermacher des FC Bayern München: Mensch, Jupp Heynckes!

Der FC Bayern München hat seine 28. Meisterschaft allein Trainer Jupp Heynckes zu verdanken. Eine Würdigung.

Mitte September war’s, ein Interview am Telefon. Jupp Heynckes war dann doch noch ins Plaudern geraten, er hatte gute Laune, musste immer wieder lachen, als er sich an seine Zeit beim baskischen Erstligisten Athletic Bilbao erinnerte. Am Ende des Gesprächs hatte man den Eindruck: Jupp Heynckes geht es gut, er ist mit sich und seinem Dasein fernab der großen Öffentlichkeit im Reinen – selbst wenn er wie so viele Rentner über die fehlende Zeit klagte. Er werde hierhin und dorthin eingeladen und schaffe es einfach nicht, alle Wünsche zu erfüllen.

Jupp Heynckes konnte ja nicht ahnen, dass das Gezerre um ihn kurz darauf noch ganz andere Ausmaße annehmen würde.

Drei Wochen später war er plötzlich wieder Trainer des FC Bayern München, und Ende November nahm die Diskussion um seine Person noch einmal deutlich an Fahrt auf – als Uli Hoeneß, der Präsident des FC Bayern, bei der Mitgliederversammlung erstmals von der Idee sprach, dass für Heynckes am Ende dieser Saison keineswegs Schluss sein müsse. Seitdem sah sich der 72-Jährige einer konzertierten Charmeoffensive der Münchner ausgesetzt. Und seitdem wurden selbst belanglose Halb- und Nebensätze von den Medien hin- und hergedeutet wie zu Sowjetzeiten die raren Verlautbarungen aus dem Kreml.

Heynckes hat nicht mal andeutungsweise zu verstehen gegeben, dass er von der ursprünglichen Vereinbarung – am Saisonende ist Schluss – abzurücken gedenke. Und obwohl jeder weiß, dass Prinzipientreue der zweite Vorname des Josef Heynckes ist, haben die hohen Herren bei den Bayern keinen anderen Plan verfolgt, als ihren Trainer zum Weitermachen zu bewegen. Sie haben sich so sehr und so lange darauf versteift, bis ihnen der natürliche Nachfolgekandidat Thomas Tuchel endgültig abhanden gekommen war – weshalb sie nun in der kommenden Saison mit einem Trainer vorlieb nehmen müssen, der erst einmal mit dem Makel leben muss, nur zweite oder dritte Wahl gewesen zu sein.

Man kann das typisch finden für den Bauchmenschen Uli Hoeneß. Man kann dessen Anhänglichkeit aber auch als klare Wertschätzung für seinen alten Freund Josef und dessen Arbeit deuten. Als Anerkennung dafür, was Heynckes in seiner vierten Amtszeit bei den Bayern geleistet hat. Um es mal deutlich zu sagen: Diese Meisterschaft, die achtundzwanzigste der Bayern insgesamt und die sechste am Stück, ist ohne Jupp Heynckes nicht vorstellbar.

Man muss sich nur noch einmal daran erinnern, wo die Mannschaft stand, als Heynckes im Oktober seine Arbeit aufgenommen hat; als er seine Frau Iris und den inzwischen weltberühmten Schäferhund Cando allein auf dem Anwesen am Niederrhein zurückließ. Ende September trennten sich die Bayern von Carlo Ancelotti, von dem sie sich erhofft hatten, er könnte eine Art Heynckes nur in jünger sein: ein international anerkannter Spielerversteher, der ein Wohlfühlklima schafft, in dem Bestleistungen möglich sind. In Wirklichkeit fühlten sich die Spieler unter dem italienischen Genussmenschen weitgehend unterfordert – was nicht zuletzt in einem desaströsen 0:3 gegen Paris St Germain zum Ausdruck kam. In der Bundesliga waren die Dortmunder mit ihrem Wundertrainer Peter Bosz schon fast uneinholbar enteilt. Drei Punkte betrug der Vorsprung des BVB, als Ancelotti gehen musste.

Dessen Assistent Willy Sagnol durfte sich für ein Spiel als Interimstrainer versuchen. In Berlin, bei Hertha BSC, verspielten die Münchner in der zweiten Halbzeit eine 2:0-Führung, die Dortmunder zogen auf fünf Punkte davon – und Sagnol sprach einen Satz, der aus heutiger Sicht abstrus erscheint, damals allerdings nicht: „Wir sind nicht mehr die stärkste Mannschaft in Deutschland.“

22 Spieltage später haben die Bayern aus fünf Punkten Rückstand auf den BVB 24 Punkte Vorsprung gemacht. Sie sind nicht nur längst wieder die stärkste Mannschaft Deutschlands; inzwischen wird darüber debattiert, ob sie Ende Mai wieder die stärkste Mannschaft Europas werden. Und ob sie nicht sogar das Triple aus Meisterschaft, DFB-Pokal und Champions League holen können, was ihnen in 118 Jahren Vereinsgeschichte exakt einmal gelungen ist. Vor fünf Jahren, als ihr Trainer zuletzt Jupp Heynckes hieß.

Heynckes ist auch in fortgeschrittenem Alter noch der Wettkampftyp

Im Grunde hat Heynckes die Geschichte von damals tatsächlich fortgeschrieben – und das nicht nur, weil viele Spieler der Triple-Saison immer noch tragende Rollen bei den Bayern besetzen. Heynckes hat es geschafft, dieses Team, das zu den ältesten in der Bundesliga gehört und das im Herbst einen ziemlich satten Eindruck machte, noch einmal zu aktivieren. Ein Selbstläufer war die Meisterschaft nicht, auch wenn es der deutliche Vorsprung, die Ergebnisse und die vielen Siege suggerieren. Die Bayern waren nicht mehr die alles beherrschende Übermannschaft, ihr Titel ist nicht zuletzt durch die erschreckende Schwäche der Konkurrenz entscheidend begünstigt worden.

Trotzdem: Jupp Heynckes hat aus der Mannschaft das herausgeholt, was noch in ihr steckt – auf seine Art. „Er treibt uns an, hat extrem frischen Wind reingebracht“, sagt Nationalspieler Thomas Müller. „Er hat den Fuß immer auf dem Gaspedal und lässt uns nicht zur Ruhe kommen. Er fordert sehr viel Leistungsbereitschaft ein.“

Heynckes ist auch in fortgeschrittenem Alter noch der Wettkampftyp, der er schon als Stürmer der Gladbacher Fohlenelf in den sechziger und siebziger Jahren war. Wenn er mal nicht getroffen hatte, schloss er sich vor Frust zu Hause ein und wollte niemanden sehen oder sprechen. Diese Besessenheit hatte Heynckes auch, als er 1979 mit gerade 34 Jahren Trainer in Mönchengladbach wurde. „Er war von Ehrgeiz zerfressen“, erinnert sich Herbert Laumen, der mit ihm zusammengespielt hat. „Wenn da ein Spiel in die Hose gegangen ist, durfte keiner einen Mucks sagen oder lachen.“ Der inzwischen verstorbene Wolfram Wuttke, der von 1980 bis 1982 unter Heynckes gespielt hat, hatte ihn aus dieser Zeit als introvertierten Pedanten in Erinnerung behalten: „Der achtete auf jede Kleinigkeit und hatte seine Augen überall“, hat der frühere Nationalspieler dem Magazin „11Freunde“ erzählt. Mannschaftsintern wurde Heynckes damals Osram genannt, weil er bei jeder Gelegenheit rot anlief.

Aus seiner Zeit bei Eintracht Frankfurt Mitte der Neunziger blieb allein die Suspendierung der Stars Yeboah, Gaudino und Okocha in Erinnerung. „Er hat die Eintracht mit dieser Aktion auf Jahre kaputtgemacht“, hat Anthony Yeboah ihm nachgesagt. Und 2004 begründete Schalkes Manager Rudi Assauer Heynckes’ Entlassung mit den Worten: „Der Jupp ist ein Fußballer der alten Schule.“

Man fragt sich, ob das derselbe Jupp Heynckes ist, der heute als perfekte Besetzung für die Rolle des Elder Statesman im deutschen Fußball gilt, dem überall mit größter Wertschätzung begegnet wird, der den Aufgeregtheiten der Branche mit maximaler Gelassenheit begegnet und selbst die nervige Dauerdebatte um seine persönliche Zukunft zum Schluss mit schöner Selbstironie gekontert hat.

Man tut Heynckes Unrecht, wenn man den Erfolg der Bayern allein auf seinen Umgang mit der Mannschaft reduziert, auf die Verbreitung guter Stimmung. Gemeinsam mit seinem Co-Trainer Peter Herrmann hat er das Team auch physisch wieder auf Vordermann gebracht. Heynckes hat zwar keine taktische Revolution ausgerufen, aber einige gezielte Änderungen vorgenommen, die ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Arturo Vidal zum Beispiel, den er seit der gemeinsamen Zeit in Leverkusen als Kämpfer schätzt, hat Heynckes so an seiner Ehre gepackt, dass er noch einmal wichtig für das Team werden konnte. Und Javi Martinez ist wieder zu einer zentralen Figur für die Defensive der Bayern geworden.

Trotzdem steht über allem die menschliche Komponente, für die Jupp Heynckes in der Mannschaft geschätzt wird. „Jeder Spieler fühlt sich wichtig, jeder wird ins Boot geholt“, sagt Innenverteidiger Jerome Boateng. „Das gibt uns Spielern das Gefühl, dass man diesem Mann was zurückgeben möchte.“

Mal sehen, ob dieses Gefühl noch zu mehr reicht als nur der deutschen Meisterschaft.

Zur Startseite