Nachruf auf Trainerlegende Udo Lattek: Der Mann mit dem Spürsinn
Udo Lattek hat alle großen Vereinstitel im Fußball gewonnen – auf seine Art. Jetzt ist der erfolgreichste deutsche Vereinstrainer im Alter von 80 Jahren gestorben. Ein Nachruf.
Sein letzter Erfolg als Trainer war einer, den er in seiner besten Zeit vermutlich als Beleidigung empfunden hätte. Im Frühjahr 2000, kurz nach Erreichen des gesetzlichen Rentenalters, ist Udo Lattek noch einmal auf den Platz zurückgekehrt. Es war ein Freundschaftsdienst für Gerd Niebaum, den Präsidenten von Borussia Dortmund. Der BVB, drei Jahre zuvor noch Champions-League-Sieger, steckte tief im Abstiegskampf, die Mannschaft war mit den Nerven am Ende – hätte es in dieser Situation einen Besseren geben können als Udo Lattek? Lattek war ein Trainer, der wie kein Zweiter die Stimmungen innerhalb einer Mannschaft erspüren und sie auf seine Art zu Höchstleistungen treiben konnte. „Meine Spieler müssen vor entscheidenden Spielen so heiß sein, dass sie Gras fressen“, hat er einmal gesagt.
Fünf Mal saß der alte Mann im Frühjahr 2000 bei den Dortmundern auf der Bank, an seiner Seite der junge Matthias Sammer, der für ihn die Tagesarbeit erledigte. Acht Punkte holte der BVB unter dem ungleichen Trainergespann, am Ende landete er – in gebührendem Abstand zur Abstiegszone – noch auf Platz elf. Es war der letzte Erfolg in Latteks langer Karriere. Wobei: Erfolg hat Udo Lattek eigentlich anders definiert: „Wo ich bin, ist immer oben!“ Der Bauernsohn aus Ostpreußen, der nach dem Krieg im Rheinland gelandet war und zunächst als Gymnasiallehrer gearbeitet hatte, hat alle drei Europapokalwettbewerbe mit Bayern München, Borussia Mönchengladbach und dem FC Barcelona gewonnen, er ist acht Mal Deutscher Meister geworden, hat drei Mal den nationalen Pokal geholt und ist mit dieser Bilanz hinter Ottmar Hitzfeld der erfolgreichste Fußballtrainer aus Deutschland.
„Ich war nie ein akribischer Arbeiter“, hat Lattek über sich gesagt. Als ausgewiesener Taktikexperte, der das Spiel neu erfunden hat, ist er ebenfalls nicht aufgefallen. Es gibt keinen typischen Lattek-Stil, von einem nüchternen Sinn für die Realität einmal abgesehen. „Ich gewinne lieber 1:0 als 4:3“, – das beschreibt seine fußballerische Idee vielleicht noch am treffendsten. Aber Lattek besaß ein untrügliches Gespür für den Erfolg, und er wusste, was er dafür zu tun und zu lassen hatte. Vor allem war er fast immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Als Lattek 1970 vom Deutschen Fußball-Bund zum FC Bayern München wechselte, hatten die Münchner eine Mannschaft, mit der man wenig falsch machen konnte – und vermutlich alles. Der Kader der Münchner mit Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Sepp Maier, Uli Hoeneß und Paul Breitner war zu Beginn der Siebziger eine Ansammlung aktueller und künftiger Superstars. Solche Konstellationen haben Lattek nie abgeschreckt. Im Gegenteil: Mit den richtigen Stars hatte er nie Probleme. Lattek wusste immer, an wen er sich halten musste. Mit Ersatzspielern gab er sich selten ab, die Führungsspieler hingegen wurden von ihm hofiert und durften sich fast alles erlauben. Von seiner Zeit bei Borussia Mönchengladbach (1975 bis 1979) erzählt man sich noch heute, dass Lattek mehr oder weniger das ausführte, was Kapitän Berti Vogts ihm zuvor eingeflüstert hatte.
Wie Lattek 1975 bei den Gladbachern, Europas Mannschaft des Jahres, gelandet ist, das sagt einiges über seinen ausgeprägten Spürsinn für Erfolg. Eigentlich hatte er zur neuen Saison schon bei Rot-Weiss Essen unterschrieben, doch nachdem er in der Zeitung gelesen hatte, dass Hennes Weisweiler die Borussia verlassen würde, rief er kurzerhand auf deren Geschäftsstelle an und hinterließ seine Telefonnummer – für den Fall, dass vielleicht Interesse an seiner Verpflichtung bestehe. „Was würden Sie denn machen, wenn Sie die Wahl zwischen einem Fahrrad und einem Mercedes hätten?“, hat er später einmal gesagt. Als „Mann der Sachlichkeit und der Realität“ hat sich Lattek selbst einmal bezeichnet, aber auch als „Hans Albers des Fußballs“. Ein Asket war Lattek nie. Er wusste immer auch das Leben zu genießen. Ein ehemaliger Spieler aus Mönchengladbach hat einmal erzählt, dass Lattek im Trainingslager den Aquavit aus Fantagläsern getrunken habe. „Die großen Trainer haben alle gesoffen: Weisweiler, Happel, Zebec“, hat er dazu gesagt, „und ich gehöre ja auch zu den Großen.“
An Selbstbewusstsein hat es ihm nie gemangelt, nicht in Barcelona, als er mit den Superstars Maradona und Bernd Schuster zu tun hatte, nicht als Sportdirektor beim 1. FC Köln mit dem jungen Trainer Christoph Daum oder später als meckernder Alter bei der Sendung „Doppelpass“ im DSF. Bis 2011 saß er insgesamt 786 Mal am Sonntagmorgen vor der Kamera und hinterm Weißbierglas und ließ die Nachgeborenen an seinen Erfahrungen teilhaben. In den letzten Jahren, nach einem Hirntumor, einem Schlaganfall und von der Parkinsonkrankheit gezeichnet, trat er nicht mehr öffentlich auf. Wie am Mittwoch bekannt wurde, ist Lattek am Sonntag, drei Wochen nach seinem 80. Geburtstag (Die respektvolle Geburtstags-Laudatio von unserem früheren Bayern-Berichterstatter Helmut Schümann finden Sie hier.), in einem Betreuungsheim in Köln gestorben. „Wenn im Himmel Fußball gespielt wird“, hat Nationalspieler Benedikt Höwedes zu seinem Tod gesagt, „dann ab sofort erfolgreich.“
Stefan Hermanns
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