Leihmutterschaft: Gesetzesbruch für den Kinderwunsch
Bald wird Leela acht Jahre alt. Ginge es nach dem deutschen Staat, dürfte sie nicht bei ihren Eltern sein. Denn die haben das Gesetz gebrochen – und eine Leihmutter beauftragt.
Es gibt ein Mädchen, das hat drei Mütter. Von der einen hat es sein dunkelbraunes, beinahe schwarzes Haar und die weiche, karamellfarbene Haut. Von der anderen hat es ein Gefühl der Geborgenheit, den Klang eines Herzens, den Rhythmus von Schritten, den Singsang einer fernen Sprache. Von der Dritten bekommt es ein Zuhause, Liebe, Nahrung, Kleidung, zwei Brüder und eine Schwester. Hier lebt auch sein Vater.
Das Mädchen heißt Leela. In zwei Monaten wird sie acht Jahre alt, und Leela ist nicht ihr richtiger Name. Auf Hindi bezeichnet Leela die Schöpfung als göttliches Spiel. Leelas Existenz allerdings ist zurückzuführen auf menschliches Kalkül. Das Mädchen wurde von einer indischen Leihmutter ausgetragen und in Neu Delhi zur Welt gebracht. Seine biologische Mutter ist ebenfalls Inderin. Sie ist die Spenderin der Eizelle, die mit dem Sperma von Leelas Vater befruchtet wurde. Leelas soziale Mutter ist eine zierliche Deutsche Mitte 50, die deutlich jünger wirkt.
„Die glauben das nicht“
Leela, ihr Vater und ihre deutsche Mutter sitzen an einem langen Holztisch in einer geräumigen, offenen Küche in einem Einfamilienhaus in einer 11 000-Seelen-Gemeinde irgendwo im Westen Deutschlands. Auf dem Tisch liegen die laminierten Fotos zweier Frauen im Sari. Ernst blicken beide knapp an der Kamera vorbei. Die Bilder stammen aus den Akten der indischen Klinik, die Leela gezeugt hat.
Matthias Becker ist ein rationaler, hagerer Mann Mitte 40, der sagt, eine seiner wenigen Bauchentscheidungen sei es gewesen, dieses Kind zu bekommen. Er möchte nicht erkannt werden, ebenso wenig seine Frau, die hier Sandra heißen soll. Um Leela nach Hause zu holen, haben sie sich strafbar gemacht, darum sind auch die Orte in diesem Text geändert. Ginge es nach dem deutschen Recht, dürfte Leela nicht am Tisch sitzen.
Mit Buntstiften und Schere aber bastelt das Mädchen gerade dort ein Schild für die Klotür. Leela ist ein aufgewecktes Kind, neugierig und aufgeschlossen. Ihre eigene Geschichte kennt sie. „Wenn ich das den Großen sage, dass ich drei Mamas habe, dann lachen die nur. Die glauben das nicht“, sagt sie.
Das Embryonenschutzgesetz verbietet das
Die Beckers haben sich beraten lassen von einem Psychologen, der spezialisiert und international engagiert ist im Dienst von Adoptivkindern. Immer häufiger betreut er inzwischen auch Kinder aus Leihmutterschaft. In beiden Fällen rät er den Eltern, gegenüber den Kindern von Anfang an offen zu sein. Um sich mit sich selbst wohlzufühlen, müssen Kinder um ihre Herkunft wissen, darf es keine Geheimnisse geben. Also machen die Beckers mit, wenn Leela fremden Frauen sagt: „Die Mama, die hat mich ja gar nicht geboren. Ich habe drei Mamas.“ Sandra Becker zuckt mit den Schultern. „Ich lasse sie dann“, sagt sie.
Die Dienste einer Leihmutter in Deutschland in Anspruch zu nehmen, ist illegal. Das Embryonenschutzgesetz verbietet das: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer es unternimmt, bei einer Frau, welche bereit ist, ihr Kind nach der Geburt Dritten auf Dauer zu überlassen, eine künstliche Befruchtung durchzuführen oder auf sie einen menschlichen Embryo zu übertragen.“ Die Drohung richtet sich allerdings nur an Ärzte, die die künstliche Befruchtung vornehmen könnten. Die Ersatz- oder Leihmutter und die späteren Eltern gehen straffrei aus.
Die Botschaft stellt dem Kind keine Papiere aus
Probleme erwachsen ihnen allerdings, wenn sie das Kind, das in einem fremden Land von einer fremden Frau geboren wurde, als ihr eigenes Baby nach Deutschland bringen wollen. Deutschland erkennt beispielsweise von indischen Leihmüttern geborene Kinder deutscher Wunscheltern nicht als Deutsche an, auch wenn der Vater genetisch mit dem Baby verwandt ist. Die Botschaft stellt dem Kind keine Papiere aus. Für die Inder ist es allerdings deutsch. Das Kind ist damit staatenlos und kann das Land nicht verlassen.
In genau diese Situation war auch Familie Becker geraten. Erst Monate nach ihrer Geburt empfing Sandra Becker ihre indische Tochter am Flughafen. So lange hatte es gedauert, bis sie einen Weg gefunden hatten, das Mädchen aus dem Land zu bringen. Zwei Monate nach der Geburt musste Sandra Becker zurück nach Deutschland. Dort warteten ihre leiblichen Kinder. Ihr Mann blieb noch etwas länger und besorgte eine Nanny und eine Wohnung. Alle zwei Wochen flog er danach immer wieder für ein paar Tage nach Indien.
Wegen Fällen wie diesem hat es sich Rechtsanwalt Thomas Oberhäuser zum Ziel gesetzt, die Gesetzeslage zu ändern. Pro Jahr berät Oberhäuser rund 70 Familien, etwa 30 von ihnen vertritt er am Ende auch. Er weiß von vier weiteren Anwälten, die in Deutschland auf dem Gebiet tätig sind. „Ich könnte noch viel mehr betreuen, wenn ich mehr Zeit hätte“, sagt Oberhäuser.
„Der Bedarf wird nicht kleiner“
Seine Aufgabe besteht darin, dem Kind die Einreise zu ermöglichen und die Vaterschaft zu bestätigen. Schwieriger sei es, „die Wunschmutter auch als Mutter anerkennen zu lassen“, sagt er. In den USA – zum Beispiel – geschieht das durch eine Gerichtsentscheidung, die in Deutschland bestätigt werden muss.
Ausschlaggebend dafür ist das Wohl des Kindes. In der Ukraine wiederum stellen die Behörden eine Geburtsurkunde auf den Namen der deutschen Eltern aus. „Der Bedarf wird nicht kleiner, nur weil Deutschland bislang sagt, das darf es nicht geben“, sagt Oberhäuser. „In unserer globalisierten Welt gibt es zahlreiche Möglichkeiten, die im deutschen Recht bestehenden Einschränkungen zu umgehen. Das Verbot ist in vielen Ländern nicht relevant und damit praktisch weitgehend unwirksam.“
Es gibt keine Statistik darüber, wie viele Kinder aus Leihmutterschaft in Deutschland leben. 2017 berichtete die britische Zeitschrift „The Economist“ von 2200 auf diese Weise in den USA ausgetragenen Kindern allein im Jahr 2014. 400 Kinder wurden 2016 in Großbritannien von Leihmüttern geboren. Eine von vielen bei Europäern beliebte indische Klinik habe von 2004 bis 2015 mehr als 1000 Babys gezeugt und entbunden.
Moderne Form der Sklaverei
Für das Geld, das sie erhält, unterzieht sich die Leihmutter einer Hormonbehandlung. Sie stimuliert den eigenen Zyklus und bereitet ihren Körper auf eine Schwangerschaft vor. In den meisten Fällen setzen die behandelnden Ärzte ihr ein bis zwei befruchtete Eizellen einer anderen Frau ein. Die emotionale Bindung zu einem Kind, das genetisch nicht das eigene ist, soll auf diese Weise so gering wie möglich gehalten werden. Außerdem ist die gespendete Eizelle eine rechtliche Absicherung. Es ist schwieriger, Ansprüche auf ein Kind zu erheben, das nicht verwandt ist. Kritiker bezeichnen diese Form der Leihmutterschaft als moderne Form der Sklaverei.
Das enge Korsett des Embryonenschutzgesetzes führt dazu, dass in Deutschland offiziell keine Frau das Kind für jemand anderen austrägt. Stattdessen findet ein reger Tourismus statt in Länder Europas, Asiens oder in die USA. Je transparenter das Verfahren, desto aufwendiger und teurer ist es. Ethik kostet. Im Internet werden die Angebote teils aggressiv beworben.
Auch bei den im Februar zum zweiten Mal in Berlin ausgerichteten Kinderwunsch-Tagen präsentierten sich US-amerikanische Leihmutter-Agenturen und Fertilitäts-Kliniken inzwischen in einem eigenen, zentralen Bereich. Das Wunschkind wird damit zur international gehandelten Ware, die auch in Deutschland einen florierenden Schwarzmarkt gefunden hat. Da dieser Markt keiner Regelung unterliegt, besteht die Gefahr der Ausbeutung.
Er empfand sein Leben als vergeudet
Matthias Becker nahm einen Kredit auf, um sich sein Kind leisten zu können. Insgesamt mehr als 130000 Euro habe er am Ende bezahlt, um Leela in sein Leben zu holen. 25 000 Euro sollte die Leihmutter bekommen. Die Beckers stockten auf 40000 Euro auf. Jedes Jahr reist Matthias Becker nach Indien, um die Frau zu besuchen, die seine Tochter zur Welt gebracht hat. Jedes Mal bringt er ihr Geld mit, „weil wir sicherstellen wollen, dass es der Frau gut geht. Wir wollen, dass sie sich eben nicht ausgebeutet fühlt“, sagt er. „Das ist auch für unser eigenes Gewissen“, sagt seine Frau. „Eine Art Entwicklungshilfe. Damit konnte ich mich beruhigen.“
Seit 2005 sind Matthias und Sandra ein Paar. Für Sandra war es die zweite Ehe. Aus erster Ehe brachte sie eine Tochter und zwei Söhne mit. Matthias wollte ein gemeinsames Kind. Sie war Mitte 40 damals. Hormonbehandlungen, um ein Kind zu bekommen, lehnte sie ab. Für ein Adoptionsverfahren waren beide zu alt.
Matthias bekam Depressionen und empfand sein Leben als vergeudet. Der rationale Teil in ihm übernahm und begann zu recherchieren.„Ich wollte mich dem nicht in den Weg stellen. Ich dachte nur, da nimmt mir jemand etwas ab, was bei mir nicht mehr geht und er wird dann glücklich“, sagt Sandra.
Die osteuropäischen Anbieter in Russland und der Ukraine empfand das Paar als unseriös. Die Möglichkeiten in den USA waren ihnen zu teuer. In London trafen sie sich dann mit einer Familie, deren Kind in Indien ausgetragen wurde.
„Was hast du gemacht? Du bist ein schlechter Mensch“
Die indische Leihmutter der Beckers ist Krankenschwester, Mutter einer Tochter und geschieden. Sie habe wieder bei ihrer Familie leben müssen und kein Geld gehabt, sagen die Beckers. Mit dem Kind hätten sie der Frau eine Wohnung ermöglicht, deren Tochter eine gute Schulbildung. Erst später, sagt Sandra Becker, sei ihr die Dimension ihres Handelns aufgegangen: „Ich habe auf Arte Reportagen gesehen über eine Klinik in Indien und dachte nur: Was hast du gemacht? Du bist ein schlechter Mensch, du hast Menschen in Indien ausgebeutet. Der Vorwurf haftet, der wird auch nicht weggehen.“
Leelas Leihmutter hatte per terminiertem Kaiserschnitt entbunden. Sehen durfte sie das Baby nicht. 20 Minuten später lag das Kind in den Armen seiner deutschen Mutter. Durch Zufall trafen die Beckers die Inderin ein paar Tage später noch einmal auf dem Krankenhausflur. Eine Krankenschwester dolmetschte deren Frage, ob sie das Kind einmal anschauen möchte, um Abschied zu nehmen. Sie wollte.
Inzwischen dürfen Wunscheltern ihre Kinder nicht mehr in Indien in Auftrag geben, wenn die Leihmutterschaft in ihrem eigenen Land verboten ist. Immer wieder gab es Berichte über Frauen, die ihren Vertrag als Leihmutter nicht einmal lesen konnten, Probleme mit Kindern, die das Land nicht verlassen durften und Probleme mit Eltern, die ihre Kinder nicht abholten.
Sie hat sich geschämt
Der Anwalt Thomas Oberhäuser würde am liebsten das amerikanische Modell in Deutschland eingeführt sehen: Agenturen werben, untersuchen und vermitteln Leihmütter und Eizellspenderinnen. Sie stellen sicher, dass die Frauen in stabilen Verhältnissen leben, körperlich und geistig gesund sind und ihren Körper nicht allein aus finanziellen Gründen zur Verfügung stellen. „Wenn die Frau wirklich in der Lage ist, frei zu entscheiden, ob sie das machen möchte, dann ist es schwer, zu sagen, dein freier Wille ist weniger wert als unsere Grund- und Wertvorstellung“, sagt er.
Leela Becker hat am Ende das Land mit dem Pass eines anderen deutschen Kindes verlassen. Plötzlich gab es ein indisches Mädchen in dem kleinen deutschen Ort. Auf dem Amt gab Sandra Becker an, die Mutter zu sein. Zwei Jahre lang habe sie sich nicht ins Rathaus getraut, sagt sie, weil sie sich geschämt habe, so offensichtlich gelogen zu haben.
Leela wird älter, sie reflektiert ihre eigene Herkunft. In ein paar Jahren will sie gemeinsam mit ihren Eltern nach Indien reisen, ihre Leihmutter besuchen, Reis essen, bloß keine Linsen, und Curry und bunte Kleider kaufen. „Sie braucht jemanden, mit dem sie sich austauschen kann“, sagt Matthias Becker, „jemand mit der gleichen Geschichte.“ Darum erzählt er seine und die seiner Tochter. Er wünscht sich Normalität.
Christina Wittich