Unerfüllter Kinderwunsch: Ein Kind um jeden Preis
Das Geschäft mit dem Kinderwunsch boomt. Doch manche Angebote wecken falsche Hoffnungen. Viele suchen nach Hilfe im nahen Ausland.
Der Kinderwunsch endet mit einem Kieferbruch. Seit Jahren versuchen Franziska Ferber, 30, und ihr Mann, ein Kind zu bekommen. Nach Ende der klassischen Therapie, der In-Vitro-Fertilisation (IVF), der Befruchtung der Eizelle im Reagenzglas, unternehmen sie einen letzten Versuch. Doch Ferber verträgt die neuen Medikamente nicht, knallt völlig geschwächt eines Morgens ohnmächtig auf den Küchenboden. Als Ferber im Krankenhaus langsam zu Kräften kommt, fragt ihr Mann vorsichtig, ob es das wirklich wert sei. Ob sie sich nicht von dem Gedanken verabschieden wollen, ein Kind zu bekommen. Um jeden Preis.
Einen fünfstelligen Betrag haben sie da schon investiert. Während ihre Freunde tolle Reisen machen, schick Essen gehen und das Leben genießen, geben Ferber und ihr Mann das Geld aus für Eizellenstimulation, Akupunktur, chinesische Tees. „Man klammert sich an jeden Strohhalm, denkt, wenn man sich nur genug anstrengt, noch einmal in eine neue Behandlung investiert, dann wird es schon klappen“, erzählt Ferber, „das ist ein regelrechter Strudel, in den man da gerät.“
Jedes sechste bis siebte Paar hat Schwierigkeiten, ohne ärztliche Unterstützung schwanger zu werden
Eine Verzweiflung, mit der sich viel Geld verdienen lässt. Neben den schulmedizinischen Möglichkeiten hat sich ein ganzer Markt rund um die Sehnsucht nach dem eigenen Kind etabliert: Ovolations-Test, Eisprung-Tracker, indianische Traumfänger, Fruchtbarkeitsmassagen, Kinderwunsch-Yoga, Moorbäder.
Die Zielgruppe ist groß: Jedes sechste bis siebte Paar hat Schwierigkeiten, ohne ärztliche Unterstützung schwanger zu werden, zeigt eine Untersuchung des Bundesfamilienministeriums. Wie Ferber und ihr Mann sind Paare betroffen, die erst Anfang 30 sind. Aber auch viele Frauen und Männer, die ihren Kinderwunsch aufgrund privater oder beruflicher Abwägungen immer weiter nach hinten schieben. „Oft wird daher aus einer zunächst gewollten Kinderlosigkeit eine ungewollte Kinderlosigkeit“, heißt es in der Studie des Ministeriums. Bekam eine Frau 1970 mit 24 ihr erstes Kindes, ist sie heute 29,3 Jahre alt - nicht allein aus privaten oder beruflichen Gründen. Auch Prominente wie kürzlich Schauspielerin Caroline Beil suggerieren, dass ein Baby mit 50 noch problemlos möglich ist.
103.981 Behandlungen haben die 134 Kinderwunschzentren in Deutschland – darunter elf Kliniken in Berlin – 2016 durchgeführt, zeigt das Deutsche IVF-Register. Ein neuer Höchststand seit 2004, seither übernehmen die Krankenkassen nicht mehr die kompletten Kosten, sondern in der Regel nur noch die Hälfte der etwa 5000 Euro pro künstlicher Befruchtung (einige Kassen zahlen weiterhin den vollen Betrag). Und zwar nur dann, wenn eigene Samen- und Eizellen verwendet werden, die Paare verheiratet sind, die Frau höchstens 40 Jahre, der Mann höchstens 50 Jahre alt ist.
Berlin unterstützt auch unverheiratete Paare bei der Kinderwunschbehandlung
Auch einige Bundesländer stellen Mittel für die „assistierte Reproduktion“ zur Verfügung. Berlin übernimmt im zweiten und dritten Behandlungszyklus 50 Prozent des Eigenanteils. Auch unverheiratete Paare können einen Antrag einreichen. Fast 20 Prozent der Frauen sind bereits nach dem ersten Zyklus schwanger. Nach dem dritten Versuch ist in Berlin, wie auch bei den (meisten) Krankenkassen, mit der Förderung Schluss. Wollen die Paare weitermachen, müssen sie selber zahlen - und geben wie Ferber dann teilweise den Gegenwert eines Mittelklassewagens aus, also um die 30 000 bis 40 000 Euro.
Einen Preis für die emotionalen Kosten gibt es dagegen nicht. Wer einen Kinderwunsch hat, rechnet nicht in Jahren, sondern in Monaten. Fünf Jahre bedeuten dann 60 Mal Hoffnung, 60 Mal Enttäuschung und Trauer. Noch immer gilt ein unerfüllter Kinderwunsch als Tabu, obwohl es so viele Paare trifft. „Wie oft bin ich damals als strebsame Karrierefrau abgestempelt worden, während ich mir nichts sehnlicher gewünscht habe als ein Kind“, erinnert sich Ferber, die damals Unternehmensberaterin war.
4000 Paare suchen jedes Jahr Hilfe im Ausland
In Deutschland setzt das Embryonenschutzgesetz der Reproduktionsmedizin klare Grenzen, immer mehr Frauen und Männer suchen deshalb Hilfe im Ausland. Sie interessieren sich für all das, was hierzulande untersagt ist: Eizellenspende, Leihmutterschaft, Diagnostik am noch nicht implantierten Embryo.
4000 Paare aus Deutschland wenden sich laut Europäischer Fachgesellschaft für Reproduktionsmedizin und Embryologie (ESHRE) an Kinderwunschzentren im Ausland, oft müssen sie nur die Grenze überqueren: In Polen ist die In-Vitro-Fertilisation mit Eizellenspende ab 4740 Euro zu haben. In Katalogen wird über Größe, Alter und Bildungsgrad der anonymen Spenderinnen informiert – nicht aber über ihre Motivation, die womöglich aus finanzieller Not heraus kommt.
Ethiker, Juristen, Psychologen und Reproduktionsmediziner haben sich kürzlich für eine Reform des Embryonenschutzgesetzes von 1990 und die Erlaubnis der Eizellenspende in Deutschland ausgesprochen. Darunter auch Andreas Tandler-Schneider, Reproduktionsmediziner am Fertility Center Berlin. Das „veraltete Gesetz“ erfasse nicht die neuesten technischen Entwicklungen, setze „die betroffenen Frauen, Paare und Kinder unnötigen gesundheitlichen Risiken aus.“ Der Vertragsentwurf der großen Koalition sieht jedoch keine Reform vor, der Reproduktions-Tourismus wird weiter florieren. Tandler-Schneider warnt jedoch vor Anbietern, die mit einer Geld-zurück-Garantie werben: „Das ist unseriös. Man kann und darf einem Paar nicht versprechen, dass es zur Geburt eines Kindes kommt.“
Auch bei Franziska Ferber gab es trotz des fünfstelligen Betrags kein „Return on Investment“. Nach ihrem Kieferbruch und dem Ende der Behandlung brauchte sie noch einmal drei Jahre, um sich endgültig von ihrem Kinderwunsch zu verabschieden. Heute berät sie als „Kindersehnsuchts-Coach“ Frauen und Männer, die an ihrem Kinderwunsch verzweifeln, hilft ihnen, in „Lebewohl“-Kursen davon Abschied zu nehmen.
Immer wieder bekommt sie aber auch Fotos und Danksagungen von Paaren, bei denen es doch geklappt hat mit dem Baby. Neid verspüre sie dabei heute keinen mehr, sagt sie. Wer Ferber anschaut, wird keine Narben sehen.
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