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Khaled Omeirat hat, das sagt er selbst, jahrzehntelang Straftaten begangen. Darüber will der Familienvater reden.
© Hannes Heine

Einbrüche, Drogen, Haftstrafen: Ein Vater aus dem arabischen Omeirat-Clan erzählt

„Mein Nachname hat mir geholfen“ – Khaled Omeirat hat manches verbrochen, gehört aber nicht zum harten Kern seines Clans. Nun will er etwas richtigstellen.

An seine erste Straftat auf deutschem Boden erinnert sich Khaled Omeirat noch. Winter 1979, Diebstahl erdbeercremegefüllter Schokoriegel – einer Yogurette. Ein paar Monate zuvor kam Khaled, sieben Jahre, samt Familie aus Beirut nach Berlin. Kriminologisch gesehen eskaliert sein Leben in den nächsten 25 Jahren.

Die Omeirats sind eine jener arabischen Großfamilien, über die derzeit ständig gesprochen wird. Ermittler und Justizbeamte, Rotlichtgrößen und Kleinkriminelle in Berlin, Essen, Dortmund, zuletzt auch in Leipzig haben dauernd mit Omeirat-Männern zu tun.

Immer wieder fielen sie durch Gewalt, Betrug, Drogenhandel und Shishatabakschmuggel auf. Einzelne Zweige der Familie rechnen Ermittler der „ethnisch abgeschotteten Subkultur“ zu, die das Bundeskriminalamt als Form organisierten Verbrechens einstuft: der Clan-Kriminalität.

Auch in den Clans gibt es Böse und Weniger-Böse

Khaled Omeirat gehört nicht zum Kern aus Routineverbrechern, die sich ohnehin nicht offen äußern. Doch schon dass jemand aus den seichteren Gefilden einer der Großfamilien sprechen möchte, ist selten.

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Omeirat sagt, er wolle helfen, die Lage seinesgleichen zu verstehen. Die Grenzen, so lassen sich seine Ausführungen zusammenfassen, zwischen Bösen, Weniger-Bösen und Fast-Guten sind auch in arabischen Clans fließend. Und so redet Omeirat über den Wert bestimmter Familiennamen, schwierige Cousins und einen schlauen CDU-Mann.

„Mein Nachname hat mir geholfen, auch harten Stoff von Dealern auf Kommission zu bekommen“, sagt Omeirat. „Aus der richtigen Familie zu sein, das hilft.“ Das gilt zumindest in einem Leben, in dem fast niemand Müller heißt und um 9 Uhr ins Büro muss.

Clan-Mann ruft Kripo-Mann an

Khaled Omeirat sitzt an einem Winterabend in einem Berliner Lokal. Mit dabei ist Carsten Milius, der Berliner Vizechef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Milius sprach einige Wochen zuvor im Frühstücksfernsehen über die schwierigen Clan-Verfahren: über familieninternen Zwang zur Komplizenschaft, im Milieu verwendete Aliaspersonalien und die einst politisch gewollte Zurückhaltung der Behörden.

Omeirat, der in Marl im Ruhrgebiet lebt, sah die Sendung. Er wollte Milius nicht widersprechen, aber ergänzen. So rief der Clan-Mann den Kripo-Mann an, um einen Termin in Berlin auszumachen. Presse? Darf gern dabei sein.

„Das Wichtigste zuerst“, sagt Omeirat. „Nicht jeder von uns hat was verbrochen. Meine Brüder waren nie kriminell.“

Lesen Sie hier die Hintergründe zu den neuen Revieren der Clans in Berlin

Clans haben politisch Konjunktur. Bundesinnenminister Horst Seehofer, CSU, dankte seinen Beamten im Herbst, als sie nach juristischem und diplomatischem Dauerstreit einen Clan-Boss von Bremen nach Beirut abschoben. In Berlin wird Innensenator Andreas Geisel, SPD, im Frühjahr ein Lagebild zur Clan-Kriminalität vorstellen: In der Hauptstadt sollen Großfamilien am Maschinenpistolen-Überfall auf einen Geldtransporter, am Raub der Goldmünze aus dem Bodemuseum und an der Erschießung des im Milieu bekannten Nidal R. beteiligt gewesen sein.

Für Ermittler bedeutet Clan-Kriminalität, dass die Haupttäter aus einer Familie stammen und gemeinsam systematisch Illegales tun; Komplizen anderer Ethnien sind dabei bloß Handlanger. Die Familie wäre somit eine Bande, die mafiöse Struktur, zu der sich andere Täter erst organisieren müssten: Bei Rockern, Hooligans, Autoschiebern basiert gemeinsames Vorgehen ja meist nicht auf Blutsverwandtschaft.

Eine von unzähligen Razzien im Clanmilieu. Diesmal vergangenen Dezember in Wuppertal.
Eine von unzähligen Razzien im Clanmilieu. Diesmal vergangenen Dezember in Wuppertal.
© Christoph Reichwein/dpa

Haft mit 17, Hochzeit mit 26

Nicht prahlend, nicht verharmlosend, zählt Omeirat die Etappen seiner Devianz auf: Als Elfjähriger stiehlt er mit Kumpels einen Lastwagen, bricht später in Läden ein, Jugendarrest mit 14. Verkauft Gestohlenes, stemmt Spielautomaten auf, erste Strafhaft mit 17. Handelt mit Drogen, wird selbst süchtig, Abschiebung in den Libanon mit 21. Reist nach drei Jahren über Damaskus und Amsterdam zurück, verkehrt wieder im Milieu, landet für ein knappes Jahr im Gefängnis. Heiratet mit 26 eine Cousine, bekommt Kinder, wird allerdings auch danach mit Hehlerware und Drogen erwischt.

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„Hätte man mir die gleichen Chancen wie heute den Syrern gegeben“, sagt Khaled Omeirat, „wäre mein Leben komplett anders verlaufen!“ Anders als heute üblich, gibt es für ihn keine Sprachkurse, Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse. „Ich konnte kein Deutsch, hing in der Schule hinterher. Dann war ich 30 Jahre nur geduldet, ohne Job.“

Kokain-Klumpen bei einer Razzia in Neukölln 2019.
Kokain-Klumpen bei einer Razzia in Neukölln 2019.
© Hannes Heine

Vieles von dem, was Omeirat sagt, lässt sich nicht mehr überprüfen. Aber er will bei der Spurensuche helfen. Omeirat wird 1972 im konfessionell gespaltenen Beirut geboren, seine Eltern sind sunnitische Mhallami. Das ist eine ursprünglich aus Mardin in der Türkei stammende Volksgruppe mit eigenem arabischen Dialekt. Khaleds Vater Mustafa wanderte in den Sechzigern als Gemüsehändler nach Beirut aus. Im Libanon werden viele Mhallami nur als Staatenlose geduldet. Die im Nahen Osten verbreitete Clan-Kultur ist unter ihnen noch ausgeprägter und verfestigt sich im libanesischen Bürgerkrieg ab 1975: Den Mhallami geht es nicht um Ideen, Klasse oder Volk, sondern um die eigene Familie.

Khaled Omeirat stimmt CDU-Politiker Linnemann zu

Die Omeirats fliehen nach West-Berlin. Aus dem Libanon kommen damals auch die Abou-Chakers, Remmos, El-Zeins – alles Namen, die heute wegen aufsehenerregender Straftaten bekannt sind. Viele Omeirats bleiben in Berlin, noch mehr lassen sich im Ruhrgebiet nieder, Khaleds Eltern wollen weiter. Die Familie zieht nach Eberbach am Neckar. Bald hat Khaled neun Geschwister. Er spricht von einer glücklichen Zeit. „Ich hatte deutsche Freunde“, sagt er. „Wenn wir meine Cousins in Berlin besuchten, habe ich mich immer gefragt, warum die nur andere Araber kennen.“

Doch auch in der beschaulichen Provinz rutscht der Junge ab, verliert schon in der 1. Klasse den Anschluss, schwänzt. Heute sagt er: „Dieser CDU-Mann hat völlig recht: Erst Deutsch lernen, dann in die Schule!“

Carsten Linnemann, Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag, wurde von der Opposition scharf kritisiert, als er vergangenen August sagte: „Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen.“ Der Staat müsse eben Geld für Vorschulen ausgeben, versäumte Integration sei letztlich viel teurer.

Nach der Grundschule erscheint Khaled kaum noch im Unterricht. Das Tricksen, das Beute-machen-Wollen wird zur Routine – sein Vater schämt sich für seinen Sohn, doch die Prügel scheren den Jungen nicht mehr. Khaled Omeirat sagt, noch als Erwachsener habe er keine Arbeitserlaubnis, keinen deutschen, keinen libanesischen Pass gehabt. Wird man deshalb Dauerstraftäter?

Ein Bild des bekannten Intensivstraftäters Nidal R. in Berlin-Neukölln. Er war 2018 erschossen worden.
Ein Bild des bekannten Intensivstraftäters Nidal R. in Berlin-Neukölln. Er war 2018 erschossen worden.
© Paul Zinken/dpa

Von allen Einwanderern schneiden Schüler aus arabischen Familien nach etlichen Vergleichen besonders schlecht ab. Das hat auch, so berichten Lehrer, mit dem Machowahn, der Verachtung der Ungläubigen, dem Mantra von der Ehre zu tun.

Staatliches Versagen habe es zwar gegeben, sagte die frühere Ausländerbeauftragte des Berliner Senats, Barbara John, kürzlich: „Doch darin die Ursache für den planvollen Aufbau krimineller Familienunternehmen zu sehen, ist eine Irreführung, politisch gewollt oder ignorant dahergeredet.“ Zehntausende Familien diverser Herkunftsländer haben sich in Deutschland schließlich nicht zu mafiösen Clans entwickelt.

Geschlossenheit und Brutalität

Ähnlich bewertet das Ralph Ghadban. Der im Libanon geborene Fachautor ist gefragt. Auf gut besuchten Veranstaltungen berichtet Ghadban, dass viele der Libanon-Flüchtlinge nach ein, zwei Jahren durchaus hätten arbeiten dürfen – und dennoch werde auch von ihnen ein Opfermythos gepflegt. Die Clans merkten, sagt Ghadban, wie weit man in Deutschland mit Geschlossenheit und Brutalität kommen könne.

Sozialarbeiter, Lehrer, Ermittler bestätigen, dass die Familienoberhäupter darauf achten, dass Verwandte geheiratet werden. Islamische Dogmen verstärken die Abgrenzung von der westlichen Gesellschaft noch. Ghadban, der wegen seines aktuellen Buchs aus den Clans heraus so bedroht worden ist, dass er Polizeischutz erhielt, schreibt: „Die mitgebrachten soziokulturellen Strukturen wurden verfestigt“, Deutschland werde als Beutegesellschaft betrachtet. Dabei sind die meisten Clan-Verdächtigen deutsche Staatsbürger, viele hier geboren.

Viele derjenigen, die während des libanesischen Bürgerkrieges nach Deutschland kamen, haben keine Pässe - oder gleich mehrere.
Viele derjenigen, die während des libanesischen Bürgerkrieges nach Deutschland kamen, haben keine Pässe - oder gleich mehrere.
© Hannes Heine

Khaled Omeirat bestellt sich noch ein Bier. Was die islamische Frömmigkeit betrifft, ist er gelassener als viele seiner Berliner Verwandten. „Mir wird auch an Weihnachten immer warm ums Herz“, sagt er. „Aber ich kenne Leute, die hier aufgewachsen sind und fast nie was mit Deutschen zu tun hatten.“

"Niemand will vor der Familie als Schwächling dastehen"

In den Clans verlassen sich Täter darauf, dass Brüder, Söhne, Onkel bei Konflikten zu Hilfe eilen. Polizisten werden oft von einem Mob umringt, weshalb eigens ein Spezialeinsatzkommando gerufen wird, um Familientreffs zu durchsuchen. Und die Familie hilft nicht nur auf der Straße.

An die Adressen milieuinterner Konkurrenten, potenzieller Opfer oder behördlicher Gegner kommen Clan-Männer mitunter, ohne dass sie über Spitzel in der Polizei verfügen müssen. Milieukenner berichten, dass sich in den Großfamilien meist ein Cousin, eine Nichte oder ein Onkel findet, der bei einem Mobilfunkanbieter, einer Autovermietung oder einer Hausverwaltung arbeitet. Da hierzulande fast jeder in einer solchen Datei registriert ist, können zu Namen entsprechende Anschriften gefunden werden.

Der Druck auf die Clans ist stärker geworden, fast täglich gibt es eine Razzia im Milieu. Omeirat sagt, er glaube nicht an schnelle Resultate: „All die Razzien bringen wenig. Niemand will vor der Familie als Schwächling oder als Verräter dastehen.“ Berliner Szenekenner berichten, dass Haftstrafen in den Clans als lästig wahrgenommen würden, aber nicht als so hart, dass ein Bruch mit der Familie infrage käme. Und das gilt sowieso nur, wenn überhaupt Urteile gefällt werden. Ermittler aber kommen nicht nur wegen des familiären Schweigegelübdes oft kaum weiter.

Schwer bewaffnete Beamte sichern eine Durchsuchung im Clanmilieu in Berlin.
Schwer bewaffnete Beamte sichern eine Durchsuchung im Clanmilieu in Berlin.
© Hannes Heine

Omeirat holt drei Pässe aus der Tasche

Zumindest die erste in Deutschland lebende Mhallami-Generation erschwert Ermittlungen und Abschiebungen dadurch, dass oft nicht rechtssicher zu klären ist, bei wem es sich eigentlich um wen handelt. Korrekte Papiere fehlten schon im Libanon oder wurden nach der Ankunft in Deutschland vernichtet, eine einheitliche Transkription aus dem Arabischen gab es nicht.

Omeirat holt drei Pässe aus der Tasche. Die Behörden in Beirut stellen ihm in den Neunzigern doch Papiere aus. In den in Deutschland angefertigten Übersetzungen gibt es ihn in sechs Schreibweisen und mit drei verschiedenen Geburtsdaten. Mal steht da „Omeirate“ mit „e“ am Ende, mal Khalit mit „i“ und „t“. Mal ist er im Januar, mal im Juli geboren. Tatsächlich, sagt Omeirat, sei er im April zur Welt gekommen.

Bei einer Massenschlägerei zwischen Clans in Essen wird ein Mann festgenommen. Die Stadt ist Hochburg bekannter Großfamilien.
Bei einer Massenschlägerei zwischen Clans in Essen wird ein Mann festgenommen. Die Stadt ist Hochburg bekannter Großfamilien.
© Johannes Neudecker/dpa

Wie es weitergeht? Khaled Omeirat wagt keine Prognose. Vor einigen Monaten wurde in Gelsenkirchen ein Mann zu Sozialstunden verurteilt. Bevor der Täter einen Wettbürobetreiber verprügelte, hatte er dem Opfer gesagt: „So spricht man nicht mit einem Omeirat.“ Im Januar wurden Berliner Angehörige des Clans verhaftet, weil sie 850 Kunden mit Kokain beliefert haben sollen.

Doch Omeirats gibt es sehr, sehr viele. Unklar ist, wie eng die einzelnen Zweige verwandt sind, wer mit wem zu tun hat. Fest steht: Ungezählte Unbescholtene tragen in Deutschland diesen Namen. Lageristen, Sozialarbeiter, Gastronomen, ein Berliner Wissenschaftler, ein Essener Lokalpolitiker. Und immer wieder sagen Einzelne, die einen der anderen bekannten Clan-Namen tragen, dass sie deswegen Nachteile befürchten.

An ihn, sagt Khaled Omeirat, sei 2013 der letzte Strafbefehl ergangen: „Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubter Einreise“ – es ging um ein aus Holland mitgebrachtes Gramm Marihuana für den eigenen Joint.

"Müssen keine Omeirats sein, Muslime aber schon"

Während der Flüchtlingskrise 2015 engagiert sich Omeirat in seinem Wohnort Marl, übersetzt ehrenamtlich für ankommende Syrer, hilft bei Besorgungen. Im Rathaus haben sie das bemerkt. Er hat nun einen Aufenthaltstitel und eine Arbeitserlaubnis, beides vorläufig. Ihn ärgert das, er will Gewissheit.

Seine zwei Söhne und drei Töchter haben – wie ihre Mutter – die türkische Staatsbürgerschaft. Bald schließen die Kinder die Schule ab, wie Omeirat sagt, mit „guten Noten“. Sein ältester Sohn mache schon eine Ausbildung im Einzelhandel. Keines der Kinder sei straffällig geworden.

Wen sie werden heiraten dürfen? „Das müssen keine Omeirats sein, Muslime aber schon. Wegen der Traditionen, dem Essen und so.“ Seit Dezember arbeitet Omeirat erstmals in seinem Leben regulär. Als Küchenhelfer in einem Hotel, 15 Stunden die Woche. Es fängt klein an.

Hannes Heine

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