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Serientäter. Jan Beckers gründet ein Start-up nach dem nächsten. Er sagt: „Im Grunde mache ich mich ständig überflüssig.“
© Hitfox

Millionen mit Ideen: Dieser Berliner gründet Firmen in Serie

Jan Beckers trifft andere nicht einfach so. Ohne Plan. Als Student hat der Unternehmer aus Berlin seine erste Firma gegründet – heute sind es 25. Jetzt nimmt sich der 35-Jährige die nächste Branche vor.

Es wird still im Hörsaal, als Jan Beckers über seinen wichtigsten Rohstoff spricht: sein Team. Hinter ihm wirft der Beamer das Wort in weißer Schrift auf orangefarbenem Grund an die Wand. „In der Industrie oder im Bau sind Stahl oder Beton die wichtigsten Ressourcen“, sagt er. Als Internetunternehmer habe man solche Rohstoffe nicht. „Deshalb ist eure wichtigste Ressource das Team.“ Die Studenten nicken, ein paar tippen Beckers’ Worte eifrig in ihren Laptop.

Der Mann, zu dem sie an diesem Abend im Hörsaal J 4 im Juridicum der Universität Münster aufschauen, hat hier selbst einmal studiert. Heute ist Beckers Unternehmer in Berlin, hat mit 35 Jahren bereits 25 Firmen aufgebaut, Millionen verdient.

Seriengründer nennt man in der Start-up-Szene Menschen wie ihn, die ein Unternehmen nach dem anderen hochziehen. Die Firmen produzieren wie andere Betriebe Maschinen, Autos oder Kleidung. Seine ersten drei Unternehmen hat Beckers schon während des Studiums gegründet und seitdem nicht mehr aufgehört: 1500 Menschen arbeiten heute für ihn, die meisten in Berlin. 350 Millionen Euro haben ihm Investoren wie Hasso Plattner oder die Supermarktkette Tengelmann anvertraut.

Mittagszeit heißt für Jan Beckers: Arbeitszeit

Ob man sich zum Mittagessen treffen wolle, hatte Beckers ein paar Wochen vor der Vorlesung in Münster gefragt und ein Restaurant in Mitte vorgeschlagen. Zehn Minuten vor der Zeit sitzt er draußen auf einem Sofa, die Beine übereinandergeschlagen, weißes Hemd, knallblauer Pullover. Er wirkt, als sei er im Urlaub. Dabei ist es Mittagszeit, und das heißt für ihn: Arbeitszeit. Jeden Tag geht Beckers mit jemand anderem essen, einem Mitarbeiter, Geschäftspartner oder Geldgeber. Eine Strategie, die er aus einem Managementbuch hat.

„Im Grunde mache ich mich selbst ständig überflüssig“, sagt er. Beckers entwickelt eine Geschäftsidee, sucht Geldgeber, baut ein Gründerteam auf. Dann lässt er die Truppe machen, greift nur noch ein, wenn es Probleme gibt. Und zieht weiter zum nächsten Projekt. So hat er einen Spielevermarkter gegründet, eine Kreditvermittlung, ein Onlineinkasso, selbst eine Bank. Nur eine seiner Firmen, eine Rabattplattform für Computerspiele, musste er wieder auflösen, andere hat er für Millionen verkauft. Ein enormer Erfolg in einer Branche, in der 80 Prozent der Start-ups scheitern.

Dabei hat Beckers nicht einfach nur Glück gehabt. Er hat das alles geplant, überlässt nichts dem Zufall. Auch nicht das Gespräch im Restaurant.

Er will Einfluss nehmen auf die Gesundheitspolitik

Monate vergehen, bis Beckers sich auf dieses erste Treffen einlässt. Er stehe ungern im Mittelpunkt, sagt sein Sprecher. Dass Beckers dann doch seine Meinung ändert, hat einen Grund: Für sein neuestes Projekt sucht er den Draht zur Politik, er will Einfluss nehmen auf die Gesetzgebung im Gesundheitswesen. „In vielen Bundesländern darf der Arzt einen neuen Patienten noch immer nicht per Ferndiagnose behandeln“, sagt Beckers. Er will das ändern, denn genau diesen Dienst bietet sein jüngstes Start-up an. Ein wenig Publicity kann da nicht schaden.

Im Hörsaal in Münster sind die aufsteigenden Klappstuhlreihen gut gefüllt, es wird Limonade verteilt. Beckers’ Geschichte zu hören, mache das Gründen greifbarer, sagt Pico Petershagen, der im nächsten Jahr seinen Bachelorabschluss in Betriebswirtschaft macht. Sein Studienkollege Dennis Grimm sagt, er sei überrascht, wie bodenständig Beckers geblieben sei.

Es kommt auf die Leute an, mit denen man zusammenarbeitet

Ihr Vorbild steht nun vorne am Pult, die Beine breit auseinander, eine Hand in der Hosentasche. Nur Beckers’ Augenbrauen zucken hin und wieder unkontrolliert nach oben, als er den Studenten rät, sich rechtzeitig „ein Set an Leuten“ zu suchen, mit dem sie zusammenarbeiten wollen. „Mit wem ihr am Anfang eurer Karriere zusammenarbeitet, ist extrem wichtig. Es prägt die Standards, die ihr euch und anderen setzt“, sagt Beckers.

Wie wichtig das ist, hat er bei der Gründung einer seiner ersten Firmen gemerkt. Beckers hat sich damals mit einem Freund zusammengetan, weil er dachte, dass der etwas von Technik versteht. Später stellt sich heraus: Eigentlich kann dessen 14-jähriger Bruder besser programmieren als er.

Es scheint Beckers noch heute zu ärgern, dass er damals nicht den bestmöglichen Partner an seiner Seite hatte. Ausgerechnet er, der sich bewusst mit Menschen umgibt, die ihn weiterbringen. Der selbst seinen Freundeskreis auf potenzielle Geschäftspartner abklopft. Den Studenten rät er: „Ihr müsst wissen, wo ihr hinwollt und euch dann einen Plan machen, wie ihr dahin kommt.“

Mit 15 kauft Beckers seine ersten Aktien

Das Strategische hat es Beckers schon als Jugendlicher angetan, als er viel Zeit mit Computerspielen verbringt. Statt für „Supermario“ oder Autorennen begeistert er sich für Strategie- und Eroberungsspiele, bei denen man ein Reich aufbaut, ein Wirtschaftsimperium. Es geht dem jungen Beckers nicht ums Zocken, sondern um die Taktik. Mit 15 überzeugt er seine Eltern, ihm seine Führerscheinersparnisse vorzeitig auszuzahlen: 3000 D-Mark. Damit kauft er Aktien der Computerspielefirma Electronic Arts – macht aus seinen 3000 bald 9000 Mark.

Als Beckers später BWL studiert, ist es die Feierfreude seiner Kommilitonen, die ihn auf die nächste Idee bringt: Partys veranstalten und damit Geld verdienen, das wär’s. Um sicherzustellen, dass zu seinen Feten auch jemand kommt, baut er die Onlineplattform Studenta.de auf. Er schickt Studenten los, die Fotos auf diversen Partys in Münster machen und stellt sie ins Netz. Am nächsten Tag klicken sich Hunderte verkatert durch die Fotogalerien und stoßen so auf die Werbung für Beckers’ Feiern. Sein Plan geht auf. Zwei bis drei Partys die Woche organisiert er schließlich parallel zum Studium.

Als Student ließ er Professoren als DJs auftreten

Als Theresia Theurl das heute hört, lacht sie leise. Bei ihr hat Beckers damals studiert, später seine Diplomarbeit geschrieben. Sie kann sich noch gut an den Beckers von damals erinnern, den Partytypen, der selbst Professoren als DJs hat auftreten lassen. Und der neben dem Studium so sehr mit seinen Firmen beschäftigt war, dass sie es ihm hätten durchgehen lassen, Vorlesungen zu schwänzen. „Er war schon damals sehr umtriebig“, sagt Theurl. Dass die Partys ihn nicht ausgelastet haben, wundert sie nicht.

Das ist 2007. In den USA stellt Apple-Gründer Steve Jobs ein neues Gerät vor, das iPhone. Facebook ist vor nicht langer Zeit zum weltweit wichtigsten Online-Netzwerk geworden. Und Beckers weiß jetzt: Er will sein Geld mit dem Internet verdienen.

Im Hörsaal wirft Beckers ein Foto an die Wand. Es zeigt ihn in jüngeren Jahren, ein junger Mann hat kumpelhaft den Arm um ihn gelegt. „Sucht euch einen Mentor, der das macht, was ihr machen wollt“, rät Beckers. Wie man so jemanden findet, will ein  Student wissen. Beckers sagt: „Das ist ein Geben und Nehmen. Ihr müsst eurem Mentor etwas anbieten.“ So wie er es getan hat.

Beckers sucht sich einen Mentor, der ihn unterstützt

Der junge Mann auf dem Foto ist Lukasz Gadowski. Als Beckers ihn kennenlernt, ist Gadowski Mitgründer von StudiVZ, der deutschen Facebook-Konkurrenz. Und er hat einen Internet-Blog, auf dem er über Start-ups schreibt: „Gründerszene“. Beckers bietet Gadowski an, den Blog auszubauen. Kostenlos – er will kein Geld, nur ein paar Tipps. So wird Beckers noch als Student Chefredakteur von „Gründerszene“, macht aus dem Blog ein Internetportal, das Gadowski später an den Axel-Springer-Konzern verkaufen wird.

Obwohl Beckers dafür keinen Lohn bekommt, zahlt es sich aus. Während er seine Diplomarbeit schreibt, gründet er mit Studienkollegen Absolventa, eine Plattform, auf der Berufsanfänger ihren Lebenslauf hochladen und so potenziellen Arbeitgebern zugänglich machen können. Mentor Gadowski wird sein erster Investor. Auch gelingt Beckers mit seiner Hilfe eine Kooperation mit StudiVZ.

Anschließend holt Gadowski Beckers nach Berlin. Gadowski hat das Geld und die Ideen – Beckers setzt sie um und bekommt dafür Firmenanteile. Zwei Mal funktioniert das gut. Madvertise, eine Firma, die Werbung auf Handydisplays bringt, geht später für einen zweistelligen Millionenbetrag an Franzosen. Fyber, eine Firma, die Bannerwerbung anbietet, bringt 150 Millionen Euro ein.

Nur eine Firma musste er bislang wieder auflösen

Doch dann macht Beckers einen Fehler: Er fühlt sich zu sicher. Ausgerechnet bei den Computerspielen erlebt er seinen ersten Rückschlag. Beckers und seine Mitgründer wollen virtuelle Währungen für PC-Spiele verkaufen, doch die Spieleunternehmen ziehen nicht mit. Die Gründer schwenken um, kaufen Restposten von Spielekonsolen auf und bieten die über ihre Internetseite günstig an. Doch kaum jemand will noch Konsolen kaufen, die meisten spielen lieber auf ihrem Smartphone. „Wir hätten einmal mehr über die Geschäftsidee nachdenken sollen“, sagt Beckers heute.

Dabei hat er Glück gehabt. Er muss keine Insolvenz anmelden, keine Mitarbeiter entlassen. Auch von dem Geld, das sie bei Investoren eingesammelt haben, ist noch genug da. Wenn aus der einen Firma nichts wird, dann aus der nächsten. Doch statt alles auf eine Karte zu setzen, fährt Beckers von nun an mehrgleisig. Denn baut man eine Firma auf und die geht pleite, ist das tragisch. Baut man mehrere auf und aus einer wird nichts, kann man das verkraften. So gründet Beckers parallel Applift, einen Vermarkter für Smartphonespiele, und Gamefinder, eine Suchmaschine für Onlinespiele. Später kommen weitere Firmen dazu. Beckers ist jetzt Seriengründer.

Mit den Samwers will Beckers nicht verglichen werden

Es ist ein Konzept, das auch schon andere in der Gründerszene reich gemacht hat. Allen voran die Samwer-Brüder mit ihrer Start-up-Fabrik Rocket Internet. Auch sie haben das Gründen von Techfirmen professionalisiert. Trotzdem will Beckers mit ihnen nicht verglichen werden. Während die Samwers bestehende Geschäftsmodelle kopieren und weltweit ausrollen, konzentriert sich Beckers auf die Nische. Er hat Teams für Marketing, Vertrieb, Personal, Technik und reine Branchenexperten. So macht er binnen Wochen aus einer Idee eine Firma.

Fragt man Mitarbeiter von Beckers, verliert keiner ein schlechtes Wort über ihn, auch diejenigen nicht, die inzwischen nicht mehr für ihn arbeiten. Er würde jedem auf Augenhöhe begegnen, sagt einer. „Er setzt einem keine engen Grenzen, sondern lässt einen machen“, sagt ein anderer. Trotzdem habe Beckers immer den Überblick, greife wenn nötig lenkend ein. „Selbst wenn er nur kurz zu einer Besprechung dazustößt und das Thema neu für ihn ist, legt er den Finger sofort in die Wunde.“

Man muss seine Ziele immer höher stecken

An der Wand im Hörsaal erscheint jetzt etwas, was wie ein Wirbelwind aussieht. „Ihr müsst eine Aufwärtsspirale schaffen“, sagt Beckers. Man muss seine Ziele immer höher stecken, immer einen Schritt weiter gehen. So reicht es Beckers vor vier Jahren dann auch nicht mehr, eine Spielefirma nach der nächsten zu gründen. Er nimmt sich die nächste Branche vor: die Finanzwirtschaft.

Die hat es ihm angetan, seit er als Teenager seine ersten Aktien gekauft hat. Und ihn fasziniert, wie rückständig die Banken sind. „Die Institute sind bei der Digitalisierung viel zu spät dran“, sagt Beckers im Berliner Restaurant. Er bestellt das Tagesmenü, Steak und Salat, seine Hände liegen ruhig auf dem Tisch. Nach dem Essen wird er zu Fuß zum Büro laufen – ein Auto besitzt er bis heute nicht. Wenn nötig, ruft er sich mit einer App auf dem Handy ein Taxi. Bankgeschäfte will er genauso einfach machen.

Der Höhepunkt ist die Gründung der eigenen Bank

Finleap nennt er seine zweite Startup-Fabrik. Die gründet seit 2014 Firmen, die Geld von Sparern im Ausland anlegen, beim Kontowechsel helfen, für Händler säumige Zahler ermahnen oder ein Online-Pfandhaus betreiben. Der Höhepunkt ist vor zwei Jahren die Gründung der eigenen Bank: Solaris heißt die, hat eine Lizenz von der Finanzaufsicht und betreut Start-ups.

Man fragt sich, wie Beckers das noch toppen will. Doch er stürzt sich auf den nächsten Sektor, der so stark reguliert ist, dass hier bislang nur wenige Start-ups unterwegs sind: die Gesundheitsbranche. Mit der Unterstützung der Politik hofft er ganz neue Geschäftsmodelle entwickeln zu können. Schon jetzt hat Beckers’ dritte Start-up-Fabrik Heartbeat Labs das Portal Fernarzt und einen Online-Hebammendienst gegründet. Auch hat er in eine Babyphone-App, einen digitalen Hörtest und ein Start-up investiert, das OP-Geräte miteinander vernetzt. Andere Länder seien jedoch schon viel weiter, sagt Beckers und erzählt von elektronischen Patientenakten und Onlinesprechstunden. „Es ist eine gute Sache für die Gesellschaft, wenn die Gesundheitsbranche effizienter wird.“

Beckers empfiehlt die Biografie von Warren Buffett

Im Hörsaal beginnt nun die Fragestunde. Die Studenten wollen wissen, welche Bücher Beckers empfiehlt (die Biografie von Warren Buffett), wie man Programmierer findet (indem man auf die richtigen Partys geht) und ob man berufsbegleitend gründen kann (geht – wird aber schwer, Geldgeber zu finden). „So viele Fragen stellen die in meinen Vorlesungen nie“, sagt Professorin Theurl.

Dann kommt Beckers zu seinem letzten Tipp, den er den Studenten noch mitgeben will: „Man darf den Spaß an der Arbeit nicht verlieren.“ Er selbst lädt Mitarbeiter deshalb schon mal auf sein Hausboot ein, das er sich nach einem der Firmenverkäufe gegönnt hat. Nach welchem, weiß er nicht mehr so genau. Das Hausboot, sagt er, war eine gute Investition. Er hatte so eins mal für eine Firmenparty ausgeliehen – das war ein voller Erfolg. Weil man die Boote aber Monate im Voraus reservieren muss und nie weiß, ob dann auch die Sonne scheint, hat er sich lieber selbst eins angeschafft. Auf etwas Unvorhersehbares wie das Wetter will sich Beckers nicht verlassen.

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