Online-Inkasso: Shoppen ja, zahlen vielleicht
Beim Onlinekauf begleichen Kunden ihre Rechnung häufig nicht. Berliner Start-ups wollen das ändern.
Ein Klick und schon landen die neuen Schuhe im Warenkorb. Noch einer und auch die neue Handtasche wird nach Hause geliefert. Einkaufen im Internet ist bequem und schnell. Doch es verleitet auch dazu, mehr zu bestellen, als man braucht – oder sich leisten kann. Für die Händler ist das ein ernstes Problem: In keinem anderen Bereich ist die Zahlungsmoral der Deutschen so schlecht wie beim Shoppen im Netz. Anders als im Geschäft steht der Verkäufer dem Kunden online schließlich nicht persönlich gegenüber. Zahlt er dann auch noch per Rechnung – was die Deutschen online am liebsten tun – muss der Händler blind darauf vertrauen, dass er am Ende sein Geld bekommt. Eine heikle Sache. Berliner Start-ups wollen das Problem lösen – und daran selbst gut verdienen.
Denn: „Nicht jeder Schuldner ist gleich ein schlechter Kunde“, sagt Ramin Niroumand. Es gebe viele Gründe, warum jemand seine Rechnung nicht begleicht. Überschuldung ist einer, Faulheit, Stress, Urlaub sind andere. Seine Theorie: Viele Schuldner zahlen durchaus noch – wenn sie nur richtig motiviert werden. Niroumand ist Geschäftsführer bei Finleap, einer Berliner Start-up-Schmiede, die sich auf die Gründung von Techfirmen aus dem Finanzbereich spezialisiert hat. Zuletzt hat er das Start-up Pair mitaufgebaut. Die Berliner Firma will die Art und Weise verändern, wie Händler mit säumigen Kunden kommunizieren. Statt hochoffiziell per Brief schreiben sie sie per Mail oder SMS an. Wer jung ist, wird geduzt: „Hallo Max, leider hast du deine Rechnung noch nicht beglichen“, heißt es locker. Das Ziel: Statt mit erhobenem Zeigefinger sollen die Schuldner fast freundschaftlich erinnert werden, dass sie noch zahlen müssen. Zusätzlich sollen die Kunden die offenen Beträge gleich per Mausklick begleichen können.
Online einkaufen, online Schulden bezahlen
Damit tritt das Start-up in Konkurrenz zu den klassischen Inkassounternehmen, die in der Regel ihre Schreiben per Post verschicken und einen Überweisungsträger aus Papier beifügen. Das sei längst nicht mehr zeitgemäß, sagt Niroumand. „Wer online einkauft, will auch seine Schulden online begleichen.“
So überzeugt Niroumand von diesem Modell ist, so skeptisch sind die Unternehmen, die das Berliner Start-up angreift. „Inkassofirmen schreiben die Kunden nicht ohne Grund per Post an“, sagt Marco Weber vom Bundesverband Deutscher Inkassounternehmen. „Das ist datenschutzrechtlich einfach der sicherste Weg.“ Die Gründer von Pair sagen hingegen, auch bei ihnen seien die Daten sicher. Zumal sie wie jedes seriöse Inkassounternehmen im Rechtsdienstleistungsregister gelistet sind. Wie die etablierten Anbieter auch verdient Pair an den Inkassogebühren, die der Kunde zahlt. Ihre Höhe sei abhängig vom Fall – lägen für den Anfang aber am unteren Ende dessen, was die klassischen Anbieter verlangen würden.
Studenten kriegen die Aufforderungen nicht vor Mittag
Dass die abweisend auf die neue Konkurrenz reagieren, mag auch daran liegen, dass die Gründer mehr machen, als ihre Forderungen per Mail zu verschicken. Denn sie passen sie individuell an. Die Ansprache, die Wortwahl, selbst der Zeitpunkt, wann die Nachricht verschickt wird: Nichts wird dem Zufall überlassen. Wer berufstätig ist, bekommt die Zahlungsaufforderung am Morgen – bei Studenten meldet sich das Start-up nicht vor dem Mittag. Wer wie angeschrieben wird, entscheidet dabei Rose: kein Mensch, sondern eine Maschine.
Rose steht für „Realtime Online Settlement Machine“. Sie verwertet alle Daten, die das Unternehmen über die Zeit über einen Kunden sammelt. Zahlt er per Rechnung, Karte oder Paypal? Wie alt ist er und wo wohnt er? Öffnet er seine Mails sofort, wenn das Start-up ihn anschreibt, oder gar nicht? All das merkt sich Rose, verarbeitet die Informationen und vergleicht sie mit Daten anderer Kunden. Auf diese Weise wird die Maschine immer schlauer – und trifft immer öfter die richtigen Worte, um einen Kunden doch noch zum Zahlen zu bewegen.
Deutsche geben im Netz 40 Milliarden Euro aus
Das hofft zumindest Ramin Niroumand. Langfristig sollen von seinem Service auch die Schuldner profitieren. Vorstellen kann er sich zum Beispiel, dass Pair säumigen Kunden gleich alternative Einnahmequellen aufgezeigt: Wer seine Rechnung nicht begleichen kann, könnte etwa online gegen Bezahlung an einer Marktforschungsumfrage teilnehmen – seine Entlohnung würde automatisch mit seinen Schulden verrechnet.
Zwar sind solche Details noch Zukunftsmusik – doch es geht um ein großes Geschäft. Über 40 Milliarden Euro geben die Deutschen jährlich beim Shoppen im Netz aus. Das sind 40 Milliarden Euro, die erstmal vom Kunden zum Händler kommen müssen. So ist Pair auch längst nicht das einzige Start-up, das daran mitverdienen will. Ein Konkurrent ist die Schweizer Firma Ecollect, die säumige Kunden sogar per Whatsapp kontaktiert. Andere Start-ups haben sich darauf spezialisiert, den Händlern gleich alle Forderungen abzunehmen – ob die Kunden zahlungswillig sind oder nicht. Einer, der diesen Bedarf früh erkannt hat, ist Nelson Holzner. Vor sechs Jahren hat er in Berlin die Firma Billpay gegründet, die heute dem britischen Tech-Unternehmen Wonga gehört.
Rechnung, Kredit und Mahnung aus einer Hand
Billpay übernimmt gegen eine Gebühr das Risiko, dass der Kunde nicht zahlen kann. „Der Händler bekommt so in jedem Fall sein Geld“, sagt Holzner. Billpay kassiert dafür im Schnitt zwei Prozent des Rechnungsbetrags. Für die Berliner Firma zahlt sich das aus: Über Gebühren und Kreditzinsen kassiert sie mehr, als sie für unbezahlte Rechnungen aufbringen muss. 2015 hat Billpay nach eigenen Angaben erstmals schwarze Zahlen geschrieben. Holzner spricht von einem „klar positiven Ertrag“.
Acht Millionen Kunden zählt seine Firma bereits, jeden Monat kämen 300 000 neu dazu: Sie kaufen bei einem Onlineshop ein, bekommen die Rechnung später aber von Billpay. Wer will, kann über das Start-up auch gleich einen Sofort-Kredit aufnehmen und so die Rechnung erst in sechs bis zwölf Monaten begleichen. Dafür zahlen die Kunden zwar zwölf Prozent Zinsen, müssen aber nicht zur Bank und bekommen die Kreditzu- oder -absage binnen Sekunden.
Schufa nur im Ausnahmefall
Um dabei die richtige Entscheidung zu treffen, sammelt Billpay wie das InkassoStart-up Pair möglichst viele Daten. So erkennt der Computer den Stammkunden sofort wieder und gewährt ihm ohne Probleme Kredit – während er Alarm schlägt, wenn ein unbekannter Kunde über den Service nachts um vier gleich mehrere Smartphones auf Rechnung kaufen will. Binnen Sekunden entscheidet der Rechner, ob jemand kreditwürdig ist oder nicht. Eine Auskunftei wie die Schufa, die auf die Risikoeinschätzung von Bankkunden spezialisiert ist, schaltet Billpay nur im Ausnahmefall ein: wenn über einen Kunden zu wenig bekannt ist oder er für eine extrem hohe Summe einkauft. Wie Billpay nehmen etliche Start-ups Onlinehändlern das Risiko ab. Konkurrenten sind etwa Paymorrow aus Karlsruhe oder Billsafe aus Osnabrück, das mittlerweile zu Paypal gehört.
Sie profitieren von der Kauflust der Deutschen: In diesem Jahr sollen die Umsätze im Onlinehandel um zwölf Prozent steigen – auf über 46 Milliarden Euro.