Unesco-Welterbe: Orte zum Bestaunen
39 Unesco-Welterbestätten gibt es in Deutschland. Der Titel bringt Geld – und mehr Touristen.
Das Alte Land vor den Toren Hamburgs, die Franckeschen Stiftungen in Halle an der Saale, der Naumburger Dom – sie und noch viele andere Baudenkmale, Naturlandschaften, Stadtensembles und Industrieanlagen hoffen auf den Titel Unesco-Welterbestätte. Bislang wurden 39 deutsche Orte gekürt. Nun könnten weitere hinzukommen. Vom 28. Juni bis zum 8. Juli wird das Auswahlkomitee in Bonn tagen und danach das Ergebnis verkünden. Wer die Ausszeichnung ergattert, verspricht sich davon finanzielle Förderung, mehr Aufmerksamkeit und Touristen.
„Der Titel im Jahr 1998 war für uns eine Anerkennung. Die Besucher kommen aber auch so, Weimar ist so bekannt wie Berlin“, sagt Johann Philipp Jung von der Direktion Schlösser, Gärten und Bauten der Klassik Stiftung Weimar. Teilweise müssen Touristen zurückgehalten werden, die sich an historischer Stätte auf die Spuren von Goethe und Schiller begeben. „Ins Goethe Wohnhaus kann nur eine begrenzte Zahl von Menschen, weil es sonst zu voll würde und die Räume Schaden nähmen. Wir präsentieren Goethes Werk deshalb stärker in der neuen Dauerausstellung im Goethe-Nationalmuseum“, sagt Jung.
Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek dürfen nach dem Brand nur 20 Besucher gleichzeitig besichtigen, um das Raumklima nicht mit zu hoher Feuchtigkeit zu belasten. „Wir kommunizieren die Kontingentierung umfassend, aber nicht jeder Tourist informiert sich vorher im Internet. Das kann zu Konflikten führen“, räumt Jung ein.
Fagus-Werke und Völklinger Hütte
Die Fagus-Werke im niedersächsischen Alfeld, der erste Industriebau der Moderne, gehören seit 2011 zu den Welterbestätten – die einzige weltweit, in der heute noch produziert wird. Bei Führungen durch die nach Plänen vom einstigen Bauhaus-Direktor Walter Gropius erbauten Produktionshallen und beim Rundgang durch das Museum kann sich der Besucher über Industriearchitektur, Schuhmode oder die Bedeutung von Holz als Werkstoff informieren. Konzerte und kleinere Kunstausstellungen sollen zusätzlich auch die eigenen Bürger ansprechen.
„Wir haben seit 2011 unsere Gästezahlen mehr als verdreifacht. Es kommen Architekten genauso wie Freizeitgruppen von weit her. In unserer Region gibt es für die Fagus-Werke durch den Titel eine größere Wertschätzung“, sagt Karl Schünemann vom Förderverein.
Historische Industriearchitektur plus moderne Kunst – das ist das Konzept der Völklinger Hütte, das weltweit einzige erhaltene Eisenwerk aus der Blütezeit der Eisen- und Stahlindustrie. Bis November präsentiert diese Unesco-Welterbestätte auf einer Fläche von 100 000 Quadratmetern die Urban Art Biennale 2015. Zur Ausstellung „Ägypten – Götter, Menschen, Pharaonen“ kamen 180 000 Besucher. Zusätzlich kann man sich beim sieben Kilometer langen Rundgang durch die Sinter-, Gebläse- und Erzhallen vorbei an Hochöfen auf die Spur der einstigen Produktion begeben. „Industriekultur versöhnt die Hochkultur mit der Alltagskultur der Menschen“, ist Generaldirektor Meinrad Maria Grewenig überzeugt.
Mit Apps will man Kinder und Jugendliche locken
Die historischen Altstädte von Stralsund und Wismar sind seit 2002 Welterbestätten. „1995 lag der Leerstand in der Altstadt bei 36 Prozent, heute nur noch bei 9 Prozent und die Zahl der Einwohner ist von 5000 auf 8000 gestiegen. Durch ein Bundesinvestitionsprogramm für Welterbestätten haben wir vor fünf Jahren mehr als 20 Millionen Euro bekommen – nur durch dieses Geld konnten wir bedeutende Bauten sanieren und neue Attraktionen schaffen“, sagt Norbert Huschner, Leiter des Amtes für Welterbe, Tourismus und Kultur in Wismar.
„Für einheimische Gäste ist angesichts der Vielzahl deutscher Unesco-Welterbestätten oft nicht ganz klar, worin ihre Besonderheit besteht“, sagt Claudia Höhl vom Dommuseum Hildesheim. Für Kinder und Jugendliche spiele dieser Titel gar keine Rolle.
Mitarbeiter des Mariendoms und der Michaeliskirche in Hildesheim überarbeiten derzeit ihr Konzept für junge Besucher und überlegen, sie künftig mit einer App anzusprechen. Vor übertriebenen Erwartungen warnt die Kunsthistorikerin. „Sie rennen uns nicht die Bude ein, wenn wir mit einer App und auf Facebook vertreten sind oder per Touchscreen Inhalte vermitteln. Wir wollen sie stärker über einzelne Objekte erreichen und dabei das selbstständige Denken fördern“, kündigt Höhl an.
Gäste aus dem Ausland kommen nicht bloß wegen des Unesco-Titels
Der Unesco-Titel für den Mariendom und die Michaeliskirche habe vor allem für Touristen aus Japan, China oder Indien eine Bedeutung. Höhl: „Für sie ist das ein Leitfaden für Europa, der anzeigt, was man gesehen haben muss.“
Welche Rolle der Unesco-Titel bei der Reiseplanung der ausländischen Besucher tatsächlich spielt, bleibt offen: Bei einer aktuellen Umfrage der Deutschen Zentrale für Tourismus unter 15 000 internationalen Gästen zu ihren beliebtesten Zielorten in Deutschland liegt das Schloss Neuschwanstein an der Spitze, gefolgt vom Europa-Park Rust, dem Kölner Dom, der Altstadt von Rothenburg ob der Tauber, der Heidelberger Altstadt mit dem Schloss, dem Brandenburger Tor, der Loreley, dem Bodensee sowie dem Münchner Oktoberfest.
Aus dieser Liste sind lediglich der Dom in Köln, das Obere Mittelrheintal mit der Loreley sowie die Bodensee-Klosterinsel auch Unesco-Welterbestätten.
Am 7. Juni ist Unesco-Welterbetag. Näheres zu Veranstaltungen unter unesco-welterbe.de
Joachim Göres