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Roter Hahn. Das Gemälde „Der Krieg“ (1907) von Hans Thoma ist in der Ausstellung „Krieg des Geistes“ zu sehen.
© Städel Museum

Klassik Stiftung Weimar: Mit Goethe ins Gefecht

Sehnsucht und Identität: Zehn Jahre nach dem Brand der Anna-Amalia-Bibliothek schaut die Klassik Stiftung Weimar nach vorn – und zurück auf 1914.

Die Stadt von Goethe und Schiller, Nietzsche und Liszt ist auch die Stadt der abgebrannten Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek. Kein Krieg hat dem Rokoko-Bau vor zehn Jahren, am 2. September 2004, den roten Hahn aufs Dach gesetzt, sondern die Vernachlässigung von Reparaturen. Der Bibliotheksbrand war offenkundig das Menetekel, das die Klassik Stiftung Weimar (KSW) brauchte, um mit neuer Tatkraft in die Zukunft zu gehen. So deutete es Stiftungspräsident Hellmut Seemann an, als er am Freitag in Weimar sagte, „dass diese furchtbare Nacht durchaus etwas Schöpferisches hatte“: ein „neuer Geist“ sei in die Stiftung eingezogen.

Es war ein durchgeschmortes Kabel, das den Brand auslöste. Mit den knapp 70 Millionen Euro, auf die sich die Kosten des Wiederaufbaus des Gebäudes sowie die Restaurierung der beschädigten Buchbestände und die Wiederbeschaffung der Totalverluste am Ende belaufen werden, hätte man die unterbliebenen Modernisierungen wahrlich stemmen können. Seemann zeigte sich erfreut, dass es damals nicht zu Schuldzuweisungen kam, sondern zu großzügiger Hilfsbereitschaft.

Immerhin 11,3 Millionen Euro an Spendengeldern gingen bislang ein, zudem wurden der Bibliothek 16 000 Bücher geschenkt, die zusammen mit 25 000 Zukäufen den Totalverlust von 50 000 Bänden quantitativ beinahe ausgleichen. 10 000 verbrannte Bücher konnten durch Exemplare derselben oder vergleichbarer Ausgaben ersetzt werden. Knapp 120 000 Bücher wurden oder werden in diversen Werkstätten restauriert, demnächst auch das am Freitag stolz vorgezeigte, aus der Asche geborgene Exemplar der 1543 in Nürnberg gedruckten Erstausgabe von Kopernikus’ Buch über die Planetenumläufe, „De Revolutionibus Orbium coelestium“. Der Titel besagt, was das Buch auslöste: eine Revolution des Denkens.

28 000 Bände konnten aus dem brennenden Gebäude gerettet werden

Kostbarer Verlust: Die vor zehn Jahren beim Bibliotheksbrand schwer beschädigte Erstausgabe von Kopernikus' Buch über die Planetenumläufe.
Kostbarer Verlust: Die vor zehn Jahren beim Bibliotheksbrand schwer beschädigte Erstausgabe von Kopernikus' Buch über die Planetenumläufe.
© Reuters

Immerhin 28 000 Bände konnten seinerzeit aus dem brennenden Gebäude unversehrt herausgebracht werden. Es muss am genius loci gelegen haben. Die Anna-Amalia-Bibliothek bezeichnete Seemann, indem er die Ehrfurcht der Besucher beim Betreten des zierlichen Lesesaals beschrieb, als einen „sakralen Ort der Aufklärung“. Und er gebrauchte das Zauberwort „Identität“. Identität, das ist seit den Umbrüchen der Ära Napoleons das Korrelat zum Begriff der Nation. Nicht, dass Seemann davon gesprochen hätte. Aber man muss beides zusammendenken. Spätestens beim Besuch des vom Touristenstrom leider missachteten, dabei doch stets mit sorgfältig konzipierten Ausstellungen aufwartenden Neue Museum auf halbem Weg zum Bahnhof.

Dort ist die hintersinnig „Krieg der Geister“ überschriebene Ausstellung zu sehen, die den geistigen Aufmarsch zum Ersten Weltkrieg zum Thema hat. Die großen Geister spukten in vielen Köpfen derer herum, die hernach an der Front jäh erfahren mussten, dass das vermeintliche Geistesringen – mit Goethe ins Gefecht – im Schützengraben zum Kampf gegen Dreck und Läuse verkam.

Den Ersten Weltkrieg haben alle geführt, Russen, Franzosen, Italiener oder Türken. Vor allem aber die Deutschen meinten, ihn zum geistigen Ringen adeln zu müssen. Der Krieg wurde zur Konfrontation von „Kultur“ und „Zivilisation“ stilisiert. Doch gleich zu Beginn bescherte die deutsche Kriegsführung der gegnerischen Entente das Material für deren Propaganda. Nach der Brandschatzung der Universitätsbibliothek im belgischen Löwen, vollends nach der Beschießung der Kathedrale von Reims war es mit der Strahlkraft deutschen Geistes vorbei. „Seid ihr die Erben Goethes oder Attilas?“, auf diese handliche Formel brachte es der Romancier Romain Rolland.

Nationalismus und Moderne: Weimar war die Stadt der Gegensätze

Weimar wurde seit Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend eine Stadt der Gegensätze – eine Stadt der Moderne, wie sie der Schriftsteller-Diplomat Harry Graf Kessler forderte und förderte, und zugleich eines rückwärtsgewandten Nationalismus, wie ihn der zunehmend antisemitische Schriftsteller Adolf Bartels oder der später zu Nazi-Ruhm gelangte Kulturpublizist Paul Schultze- Naumburg verfochten. Eben noch der einmütig gefeierte Hauptort der deutschen Klassik, wurde die Stadt zum Zankapfel der gegensätzlichen Lager. Eben weil sie eine unteilbare Einheit zu sein schien: „Die überschaubare Kleinstadt Weimar konnte noch als ein Ganzes wahrgenommen werden, eine in der Moderne selten gewordene Erfahrung“, heißt es im gedankenreichen Katalog, ohne den sich die an gedrucktem Material überreiche Ausstellung nicht wirklich erschließt.

Mit Weimar suchten sich die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppierungen ihrer „deutschen“ Identität zu versichern. Es einte sie das „staunende Hochgefühl über so viel deutsche Kultur auf derart engem Raum“. Doch schleichend stellte sich der „fatale Prozess der maßlosen Ideologisierung der deutschen Kultur im Zeichen der Klassik“ ein, den die Kuratorin Gerda Wendermann in der Ausstellung etwa mit Büsten von Luther, Schiller und Bismarck illustriert.

Weimar blieb der Ort der Selbstvergewisserung deutscher Identität.

Genius loci: Das Goethe-und-Schiller-Denkmal während des Festivals vor der Fassaden-Projektion "Genius Loci" vergangene Woche in Weimar.
Genius loci: Das Goethe-und-Schiller-Denkmal während des Festivals vor der Fassaden-Projektion "Genius Loci" vergangene Woche in Weimar.
© dpa

Gleichwohl war Weimar vor 1914 kein Ort kleingeistiger Verengung. Nur Wochen vor dem Kriegsausbruch traf sich hier die „Deutsche Shakespeare-Gesellschaft“ zu ihrem 50-jährigen Bestehen – und mit einem Mal standen sich ihre international bestens vernetzten Mitglieder unversöhnlich gegenüber. Ernst Haeckel, der damals hochberühmte Naturforscher von der Universität Jena – das man seit Schillers dortiger Professur mit Weimar zusammendenken darf –, gab seine zahlreichen britischen Ehrungen zurück.

Der Jenenser Philosophieprofessor und Nobelpreisträger für Literatur, Rudolf Eucken, unterzeichnete den als „Manifest der 93“ bekannten Aufruf „An die Kulturwelt!“ vom Oktober 1914, wie allerdings auch – um nur einige zu nennen – Gerhart Hauptmann, Peter Behrens und Max Reinhardt. Dieser Aufruf, gerichtet gegen den britischen Vorwurf deutscher Kriegsverbrechen, belegt die rapide Vereinseitigung, die den Kriegsbeginn begleitete. Dass die Weimarer sich alsbald von der Kriegsbegeisterung abwandten, zeigt die derzeitige Ausstellung freilich auch.

Weimar blieb der Ort der Selbstvergewisserung deutscher Identität. Im letzten Raum der Ausstellung prangt als Zitat: „Jetzt muss der Geist von Weimar, der Geist der großen Philosophen und Dichter, wieder unser Leben erfüllen.“ So sprach der SPD-Vorsitzende und alsbald erste Reichspräsident der Republik, Friedrich Ebert, zur Eröffnung der Nationalversammlung am 6. Februar 1919. Da war der Krieg gerade ein Vierteljahr vorüber.

Es warten also noch etliche Jubiläen auf die Goethestadt. So auch im Falle Bauhaus, dieser Chiffre der kulturellen Moderne schlechthin: Gegründet wurde das Bauhaus in jenem Jahr 1919 – in Weimar.

Bis zu dessen 100. Jahrestag soll der Neubau fürs Bauhaus-Museum stehen, gibt sich Klassik-Stiftungs-Präsident Seemann zuversichtlich. Den Bauplatz hat die Stadt bestimmt, recht gewagt und vielleicht etwas zu abseits am Rande der Altstadt. Immerhin ist die Finanzierung gesichert. Der vormalige Bundes-Kulturstaatsminister Neumann hatte recht plötzlich 45 Millionen Euro für Weimar locker gemacht und das Land Thüringen genötigt, die gleiche Summe draufzulegen. Auf Weimar als Sehnsuchtsort deutscher Identität konnte man noch immer setzen.

Weimar, Neues Museum, bis 9. November., Mi-Mo 10-18 Uhr. Katalog 39 €. – Weitere Infos unter www.klassik-stiftung.de

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