Reisen mit kleinem Budget: Reichen 100 Euro für ein Wochenende in Paris?
Wer ganz genau aufs Budget schauen muss, reist anders. Salsa im Park und Verhandeln à la Amélie sind die Rettung.
Dem „Economist“ zufolge ist Paris die zweitteuerste Metropole der Welt. Der Espresso im Straßencafé kostet drei Euro, das Abendessen in einer mittelmäßigen Brasserie 15, die Fahrt auf die Spitze des Eiffelturms 25. Und trotzdem muss es in der selbst ernannten Stadt der Liebe doch möglich sein, mit 100 Euro ein ganzes Wochenende zu verbringen. Der günstigste Weg, um von Berlin aus nach Paris zu gelangen, ist an diesem Tag ein Flug mit Easyjet für 66 Euro. Bleiben 34 Euro für drei Nächte und zwei Tage.
Einfach auf Amélie Poulain machen, denke ich. Die Hauptfigur aus dem Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“ erfreut sich in ihrem Paris an den kleinen Dingen. Setzt auf das Gute im Menschen. Ein bisschen naiv und optimistisch sein. Dann klappt das schon.
Es ist 23 Uhr, als ich aus dem Flughafen Charles de Gaulle trete und noch keine Idee habe, wie ich ins Zentrum komme. Ich gucke mich um. Vielleicht nimmt mich jemand als Taxi-Beifahrerin mit. Der Mann mit Aktenkoffer? Die jungen Frauen, leicht beschwipst und laut lachend? Haben vielleicht Humor. Nein, haben sie nicht. Eine Abfuhr folgt auf die nächste. Nach 30 Minuten habe ich es geschafft. Drei Franzosen laden mich ein, mit ihnen in die Innenstadt zu fahren.
Über Couchsurfing hatte ich vorher versucht, eine Unterkunft zu finden. „Schon andere Gäste.“ „Gerade nicht in Paris.“ Verlass war stattdessen auf Twitter. Ein alter Freund hatte eine Freundin, die bereit war, mich aufzunehmen. Erste Nacht in einem Durchgangszimmer mitten in Montmartre. Fünf Minuten bis zur Sacré-Coeur. Umsonst schlafen in Paris: fabelhaft.
Bei „Shakespeare and Company“ sind alle Plätze belegt
Gleich am nächsten Morgen geht’s hoch zur steinernen Sahnehaube. Die Touristenmassen ruhen noch, die Händler packen ihre Plastikeiffeltürme aus, die Treppe wird zu einem Labyrinth aus Menschen, und der Blick auf das im Morgengrauen vom Nebel zugedeckte Paris ist genauso kitschig, wie man sich das wünscht. In der Tasche habe ich noch einen Müsliriegel mit Haferkraft-Kakao-Geschmack.
Mit der Metro fahre ich für 1,90 Euro ins Zentrum. Gleich neben der Seine, gegenüber von Notre Dame, liegt die Buchhandlung „Shakespeare and Company“. Draußen grüne Fassade, drinnen schmale Gänge, reihenweise Regale und Menschen, die sich aneinanderdrücken. Im Internet bin ich auf das Programm „Tumbleweed“ gestoßen. Kreative sollen ein paar Stunden am Tag arbeiten und im Gegenzug hier übernachten können. Ein Vorstellungsgespräch ist notwendig, eine Reservierung nicht möglich. Ich lege mir zurecht, was ich beitragen kann, füge etwas über den „Kleinen Prinzen“ an – falls jemand nach meinem Lieblingsbuch fragt. Ohne nur einen einzigen Satz gesagt zu haben, werde ich abgewiesen. Es gibt nur drei Plätze, alle bereits belegt. Auf dem Boden schlafen darf ich auch nicht. Gut, dass ich im Notfall zurück zu meinen Gastgebern von gestern kann.
Entlang der Seine, vorbei an den Bouquinisten, die vor ihren aufgeklappten Holzkästen Karten und Reklameillustrationen anbieten, laufe ich bis zur gläsernen Spitze des Louvre. Der Eintritt kostet für unter 26-Jährige wie mich nichts. (Unabhängig vom Alter ist der Eintritt von Oktober bis März immer am ersten Sonntag im Monat kostenlos.) Die Mona Lisa lächelt, die Besucher lächeln zurück, und man könnte hier Stunden verweilen.
Paris sitzt den ganzen Tag draußen in den Cafés
Ich will nach zwei Stunden zum Supermarkt, weil ich Hunger habe. Zum Glück gibt es in jedem französischen Supermarkt vernünftigen Aufschnitt und duftendes Brot. Ziegenkäse, eine kleine Flasche Zitronenlimonade und ein Baguette. „4,54 Euro“, sagt die Verkäuferin freundlich.
Zur „Boutique sans Argent“, einem Bring-oder-nimm-dir-was-du-willst-Laden, fahre ich mit der Bahn. Es gibt Eierbecher, Bücher und Kinderschuhe. Eine alte Frau probiert einen weißen Hut an. Vornehm sieht sie aus. Zwei Mädels schauen nach XXL-Shirts. Hip-Hop-Style. Ich nehme ein Buch mit, das die schönsten Paris-Spaziergänge verspricht. Am Kiosk nebenan frage ich, ob alte Zeitungen übrig sind. Ja. In der U-Bahn singt eine junge Frau ein Lied von Adele. Am Centre Pompidou zückt Salah aus Ägypten seinen Kohlestift und zeichnet eine Karikatur von mir. Ich, bauchfrei, lächelnd mit Riesenzähnen, aber immerhin auch mit dem Riesenrucksack, den ich schon den ganzen Tag mit mir rumschleppe. Sonderpreis: ein Euro statt zehn.
Paris sitzt am liebsten den ganzen Tag draußen in den Cafés und Restaurants, jetzt am Abend sowieso. Herbst? Egal. Dagegen hat der Franzose Heizstrahler, Wein und die dampfende Knoblauchsauce der Schnecken. Ich packe mein restliches Baguette aus, zusammen mit dem mittlerweile warm gewordenen Käse, kaufe mir noch ein Wasser und setze mich auf eine Treppe. Gucke ein paar Jungs in Baggypants zu, wie sie zu Michael Jackson tanzen. Merke, wie ich mich freue, dass sie das umsonst tun. Weil sich nebenan trotzdem alle zuprosten, will ich versuchen, an ein Bier zu kommen.
Ohne Geld muss man ziemlich viel reden
„Kann ich ein halbes Bier für einen Euro bekommen?“ Der Kellner ist unbeeindruckt. Verzieht hinter seiner kugelrunden Potter-Brille keine Miene. Sagt nur „non“. Ein Viertel vielleicht? Noch mal non. Vorbei an glücklichen, sich zuprostenden Franzosen, drücke ich mich zurück auf die Straße, bin irgendwo zwischen Centre Pompidou und Seine. Eine Bar noch, denke ich, ein Versuch noch. Es ist Freitagabend, 20 Uhr, und fünf Minuten später laufe ich mit einem großen Becher frisch gezapftem Bier in der einen und gesalzenen Erdnüssen in der anderen Hand aus der Kneipe nebenan.
Ziemlich viel reden muss man ohne Geld. Um Dinge bitten und dann gespannt warten und darauf hoffen, dass sich auf den Lippen des Gegenübers ein Lächeln bildet.
Ich mache mich auf den einstündigen Fußweg zurück zu meiner Unterkunft. Der Abend hat sich über die Stadt gelegt. Die gusseisernen Laternen strahlen. Ein paar Pariser joggen, viele knutschen, die meisten trinken weiter. In einer Straße steigen Glitzerkleider und Lederpumps in einen Mercedes, in einer Gasse liegt eine zerschlissene Matratze. Der Eiffelturm leuchtet.
Je weiter weg von den Touristen, desto schöner
Der nächste Morgen startet wieder in Montmartre. Diesmal mit einem Monsieur in Jeans und Karohemd, der mich fragt, ob ich eine Münze für ihn habe. Ich entschuldige mich. Desolée. Habe ja leider selbst nix. „Alles cool“, sagt er. „Sie haben immerhin gelächelt. Das ist mehr als manch anderer.“ Ich lächle noch ein bisschen mehr. Nebenan verlieren zwei Jungs beim Hütchenspieler gerade 50 Euro. Ein Mann musiziert auf der Harfe.
Nach langer Internetrecherche habe ich herausgefunden, dass ein Wochenend-Metroticket für unter 26-Jährige den ganzen Tag und bis zum Flughafen gilt, für 8,90 Euro. Mein Flug wird am nächsten Morgen um sechs Uhr starten, die Nacht werde ich dort verbringen. Ich kaufe das Ticket und fahre erst einmal zum Kanal Saint-Martin. Im Buch aus der Boutique gibt es einen Spaziergang, den ich ausprobieren möchte. Die Route führt vorbei an Indien mit Turbanverkauf und Hähnchencurry, an der Türkei mit Obstständen und Dürüm, nach Afrika sind es nur wenige Schritte. Frauen flechten Rastazöpfe. Je weiter weg von den Touristen, desto schöner. In der Crêperie kaufe ich mir einen mit Ei für drei Euro. Dazu ein paar Nougatkekse. Etwas weiter, auf dem Place de la République, gibt es ein öffentliches Spielecafé. Schach, Türme bauen, Mühle. Alles umsonst. Manch einer hochkonzentriert, wie der alte Mann mit Schnurrbart, manch eine lachend, wie das junge Mädchen mit Pferdeschwanz, das „Vier gewinnt“ gewinnt. Wer mehr Bewegung sucht: Ein paar Metrostationen weiter, im Park de Bellevue, tanzt Paris Salsa.
Drei Stunden Shakespeare für fünf Euro
Am frühen Abend fahre ich zum Arc de Triomphe. Der ist für unter 26-Jährige auch gratis. Die Schlange ist lang, eine halbe Stunde stehe ich an, der Blick auf den Stern, die Champs-Elysée und den Turm ist dafür ziemlich schön. Zurück am Boden frage ich einen Tuktukfahrer, ob er mit mir eine Minirunde um den Triumphbogen fährt. Gratis? Der Mann, seinen Irokesenschnitt hat er zum Schwanz zusammengebunden, dazu ein Ziegenbart, überlegt kurz. Lächelt. Nickt. Ich steige in sein rotes Rad, er fährt los, fährt im Kreis, fährt noch weiter und biegt ab. Sagt „Surprise“ und überrascht mit einer Extratour bis zum Eiffelturm und zurück. Gerührt biete ich ihm meine restlichen Kekse an. Kekse mag er nicht. Und vielleicht rührt mich das noch ein bisschen mehr. Zum Abendessen gibt’s Hummus und ein halbes Baguette, das ich kurz vor Ladenschluss geschenkt bekommen habe. Etwas mehr als fünf Euro habe ich jetzt noch. „Geh zur Comédie-Française“, hatten mir meine Gastgeber gleich am ersten Abend empfohlen. Da werden eine Stunde vor Aufführungsbeginn Restplätze verkauft. Und das Theater, gold-rot mit Samt und Stuck, ist gigantisch.
Jetzt stehe ich hier.
„Gibt es noch Restplätze?“
„Ja, zwei. Aber da sieht man wirklich gar nichts.“
„Gar nichts?“
„Sehr wenig!“
„Ich habe nur ein Minibudget und mir extra fünf Euro aufgehoben.“
„Hätte ich noch fünf Euro und nur einen Abend. Ich wüsste sie nicht besser investiert.“
Drei Stunden Shakespeare, und ich konnte maximal sehen, was auf der rechten Seite der Bühne passiert. Aber der Verkäufer hatte recht: Gelohnt hat es sich trotzdem.
Um fünf Uhr klingelt der Handywecker zum Check-in
Danach geht es schnell zur Metro. Bis zum Bahnhof und mit dem Bus weiter in Richtung Flughafen. Das Ticket gilt offiziell bis Mitternacht. Angekommen am Gare de l’Est bleiben noch 20 Minuten. In der Bahnhofshalle steht ein schwarzes Klavier. „À jouer“, steht darauf geschrieben. „Zu spielen“. Gerade ist niemand da, der musiziert. Schade, denke ich, wäre die perfekte Gelegenheit, die letzten Groschen loszuwerden, und setze mich auf den Hocker. Ich kann nicht Klavier spielen. Nur ein Lied habe ich mal gelernt, irgendwann in der zehnten Klasse, während des Schüleraustauschs in einen Vorort von Paris. „La valse d’Amélie“. Yann Thiersens Titelmelodie aus dem Amélie-Film. Die Töne erklingen, einige falsch, andere verhallen. Ich muss weiter Richtung Flughafen.
Die Nacht am Flughafen lässt sich mit Schlafsack und auf dem Boden erstaunlich gut rumkriegen. Allein der Putzroboter, der von links nach rechts fährt, nervt. Ich schlafe trotzdem ein. Bin schließlich kein Roboter und zu müde. Um fünf Uhr klingelt mein Handywecker zum Check-in. Ich ziehe mir noch einen Cappuccino am Automaten. 1,40 Euro. Nie war Geld besser in Billigkaffee investiert. 27 Cent bleiben.
Reisetipps für Paris
Hinkommen
Von Berlin aus günstig mit Easyjet (ab 66 Euro). Frühbucher sparen. Um den Klimaschaden zu kompensieren, kann man einen CO2-Ausgleich zahlen. Etwa bei atmosfair.de.
Unterkommen
Frühbucher können versuchen, via Couchsurfing unterzukommen. Ansonsten sind Hostels die günstigste Alternative. Ein Bett im Schlafsaal gibt es ab 20 Euro – etwa im „Plug inn Montmartre“.
Rumkommen
Bleibt man mehrere Tage in Paris, empfiehlt sich für die Metro ein Carnet (Zehner-Ticket). Das kostet 14,90 Euro statt 19 Euro im Einzelverkauf.
Ann-Kathrin Hipp