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Die Giraffenherde gehört zu den Attraktionen der Einrichtung.
© Zoo Paris

Zooarchitektur: Gehege von Paris

Sie ist die Koryphäe für Zooarchitektur. Natascha Meuser besuchte 50 Tiergärten – im modernsten war sie jetzt zum ersten Mal. Ein Rundgang durch den Bois de Vincennes.

Natascha Meuser nähert sich einem buckligen Sandhügel. Südamerikanische Guanakos dösen darauf in der Sonne. Warmer Sand, erklärt die Berliner Architektin, schafft Ruheflächen. Aufgeschütteter Kies, sie zeigt auf einige gesplitterte Pfade, bedeutet Laufwege. So lenkt man die Bewegung der Tiere im Gehege. Dieses befindet sich im Pariser Zoo, er soll der modernste in Europa sein, Meuser ist heute seine Kritikerin.

Die Architektin besucht seit mehr als zehn Jahren Tiergärten in aller Welt. Antwerpen, Kopenhagen, London – über 50 sind es inzwischen. Wenn ein Mitarbeiter ihres Berliner Büros ins Ausland muss, bringt er ihr Fotos mit. „Ich zwinge sozusagen jeden, einen Abstecher in die Zoos zu machen“, sagt sie. „Inzwischen bekomme ich auch ungefragt welche, das ist wie ein Schneeballsystem.“

Bei einer Querrecherche hat sie Anfang der nuller-Jahre festgestellt, dass es kaum Literatur über Tierhäuser, Tropenhallen oder Dickhäuterstallungen gibt. Also zog Meuser bequeme Schuhe an, besuchte zoologische Gärten, besorgte sich Grundrisse, fotografierte Besucherbrüstungen, katalogisierte Gebäude. Sie ist zur Koryphäe auf dem Gebiet der Zooarchitektur geworden, im Frühjahr ist das Ergebnis dieser Mühen erschienen, ein Buch, ach was, ein Ziegelstein von einem Grundlagenwerk, 500 Seiten dick, „Architektur im Zoo“ heißt es.

Zooarchitektur ist immer auch Gefängnisarchitektur

Meuser schaut sich nun die Freianlage der Guanakos an. Kaum sichtbar stehen Drahtfächer aneinandergereiht am Rand. Die filigranen Minipalmen formen einen elektrischen Zaun, der die Tiere vom Verlassen der Anlage abhält, eine verrückt-geniale Idee, die Natascha Meuser gefällt. Sie lehnt sich auf das breite brusthohe Holzgeländer: „Das nimmt man überhaupt nicht als Zaun wahr.“

Das Büro Meuser Architekten, das sie zusammen mit ihrem Mann Philipp gegründet hat, entwirft Botschaften in Neu-Delhi, Bamako und Astana. In Berlin-Mitte beschäftigt sich Natascha Meuser mit „materieller Sicherheit“, wie es im Fachjargon heißt, also der Absicherung von Gebäuden gegen Eindringlinge. Im Zoo begutachtet sie, wie Tiere ästhetisch am Ausbrechen gehindert werden. Zooarchitektur, sagt sie, ist immer auch Gefängnisarchitektur. So gern die Besucher es ausblenden möchten: Die Tiere sind hinter Panzerglas, Gittern oder Gräben eingesperrt.

Daran hat sich in knapp 220 Jahren nichts verändert, seit in Paris 1793 der erste wissenschaftlich geleitete Zoo der Welt gegründet wurde. Im Zentrum, im Jardin des Plantes, der bis heute ein kleiner Tiergarten ist. Er gehört zum Naturkundemuseum, genauso wie der Zoo, sechs Kilometer entfernt im grünen Bois des Vincennes. Er ist in fünf Biotope aufgeteilt, denen sich die Landschaftsgestaltung unterordnet. Europa, Subsahara, Madagaskar, Patagonien und Guyana. Das Zentrum bildet der künstliche Felsgipfel, der seit der Eröffnung 1934 steile 65 Meter in den Pariser Himmel ragt.

Nicht jeder Landschaftsarchitektentraum kann sich erfüllen

Expertin. Natascha Meuser vor dem künstlichen Felsen im Zoo der französischen Hauptstadt.
Expertin. Natascha Meuser vor dem künstlichen Felsen im Zoo der französischen Hauptstadt.
© Ulf Lippitz

Natascha Meuser geht nach Madagaskar, vorbei an müden Lemuren hinter Panzerglas. Sie drückt ihr Gesicht an die Scheibe. Kann man trotz Sonnenwetter gut durchsehen? Es geht so.

Eine riesige Schildkröte aus Glas türmt sich plötzlich vor ihr auf. „Oh, das Tropenhaus!“, ruft sie. Drinnen ruhen Kattas auf immergrünen Bäumen und schwimmen kugelrunde Manatis im Becken. Nicht alle Arten kommen von der afrikanischen Insel, die Hälfte des Hauses gehört bereits zum Regenwaldgebiet des Guyana-Biotops. Die Grenzen sind fließend, die Temperaturen konstant. 25 Grad bei 80 Prozent Luftfeuchtigkeit.

Es klappert über Natascha Meuser im Gebüsch. Ein feuerroter Löffler sucht nach Zweigen für sein Nest. Davon bekommt die Architektin nichts mit. Sie fotografiert gerade Grundrisse mit Notfallplänen. Denn Natascha Meuser ist kein Tierfan. Von Haustieren hält sie wenig, höchstens hegt sie einen unerklärlichen Respekt vor Vögeln.

Über dem Weg baumelt eine künstliche Liane. Darüber sollen sich die Faultiere von einer Seite des Dschungels auf die andere hangeln. Faulheit paart sich manchmal mit Klugheit. Die drei Tiere haben die Liane nie benutzt, stattdessen hängen sie lieber an den Metallstreben nahe des Daches, wo sie kein Besucher stört. Nicht jeder Landschaftsarchitektentraum kann sich erfüllen.

Natascha Meuser schaut sich um. „Ich finde das richtig cool.“ Und meint die dichte Bepflanzung, den gewundenen Weg durch den Dschungel, die gut getarnten Gehege innerhalb des Hauses und die Freiflughalle drumherum. „Das ist nicht diese Salatbeetatmosphäre wie im Berliner Tierpark“, sagt sie. Oder noch schlimmer: die Ferienclubatmosphäre wie im Gondwanaland, der Tropenhalle des Leipziger Zoos. Dort können Besucher auf einem Boot durch die Halle fahren, als seien sie auf einer Butterfahrt. Natascha Meuser sagt: „Das ist kein respektvoller Umgang mit den Tieren.“

"Da fühlt sich der Besucher gleich wie ein Zootier"

Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um zu erklären, wie es dazu kommen konnte. Meuser listet die bisherigen Epochen der Zooarchitektur auf: von den kolonialen Ausstellungspavillons im 19. Jahrhundert zu den gitterlosen Grabenanlagen wie im Hamburger Tierpark Hagenbeck 50 Jahre später und den funktionalen Bauten im frühen 20. Jahrhundert, als es vor allem um hygienische Aspekte ging. Wie man in den 1970er Jahren begann, naturnahe Gehege mit größeren Flächen und mehreren Arten zu bauen und seit den 1990er Jahren verstärkt zur Erlebnisarchitektur überging. Im Zoo Hannover beispielsweise kreierte man die Yukon Bay, wo Pinguine und Robben in einem umgebauten Tanker schwimmen und Eisbären vor einem Schiffskran baden. Frau Meuser schüttelt den Kopf.

So viele Tiergärten hat sie besichtigt, in Paris war sie jedoch nie – hier, wo einmal alles anfing und nun ein neues Kapitel des Zooerlebnisses beginnen soll. Der Park wurde nämlich 2008 geschlossen, die Paviane nach Edinburgh ausgeliehen, die meisten Tiere an andere Einrichtungen abgegeben, nur die Giraffenherde blieb auf dem Gelände. Und dann wurde sechs Jahre lang geplant, gegraben und gebaut, Käfige wurden abgerissen und 2000 Bäume gepflanzt. Der Garten sollte zeitgemäßer werden. Vor drei Jahren eröffnete er rundumerneuert, als Natascha Meuser keinen Zoo mehr sehen mochte.

Der erste Eindruck am Einlass war ziemlich zeitgemäß. Sicherheitsleute kontrollierten Taschen. Über der Fläche zwischen Einlass und Kassenhäuschen war ein Gitter gespannt, daran rankte sich Goldregen. Natascha Meuser sagte: „Sehr gut, da fühlt sich der Besucher gleich wie ein Zootier.“

Die Anlage in Paris hat sie überrascht

Besucher. Ein Vater schaut sich mit seinem Kind die Paviane an.
Besucher. Ein Vater schaut sich mit seinem Kind die Paviane an.
© Ulf Lippitz

Der Garten ist 14,5 Hektar klein, ein Drittel seines Pendants in Charlottenburg. Auf einem drei Kilometer langen Rundweg und einem Kilometer davon abzweigenden Routen spazieren die Besucher durch den Park. Rund 190 Arten gibt es, allerdings keine Flagship-Tiere wie Elefanten, Gorillas oder Pandas. Dafür ist der Zoo stolz auf seine Fossas, madagassische Schleichkatzen, die wie kleine langgezogene Pumas aussehen und dafür berüchtigt sind, bis zu drei Stunden zu kopulieren.

Dass sie Architektin ist, merkt man daran, dass Meuser plötzlich stehen bleibt, auf den Boden starrt und versteht: Glatter Beton steht für den Rundweg, grobkörniger Waschbeton für Abzweigungen. „Clever“, sagt sie. Und vor allem: „Keine Elefantenabdrücke als Wegweiser wie in manch anderen Zoos.“ Das sei infantil.

Sie geht weiter zu den Robben. Eine Treppe führt zu einem Schaubecken, das Wasser schimmert türkisfarben, dahinter türmen sich künstliche graue Felsen, die wie mit sanfter Hand abgerieben aussehen. Es ist kein Tier zu erblicken. „Das ist Landschaftsarchitektur, keine verkopfte Naturnachbildung. Die sieht nicht so gestaltet aus, obwohl die Grasbüschel bewusst gepflanzt sind.“ Sie redet nun von einer Inszenierung, dass das Zoo- eben gleichzeitig ein Bühnenerlebnis ist. Sie dreht sich um. „So euphorisch bin ich selten in Zoos.“

Nach drei Stunden riecht es auch endlich

Nun kommen doch ein paar Publikumsmagnete, eine Gruppe von sechs Löwen. Wie es sich für die Raubkatzen gehört, schlafen sie tagsüber. Trotzdem bildet sich eine Besuchertraube, als erwarte sie eine Treibjagd. Und dann: „Es riecht! Endlich!“ Natascha Meuser bleibt stehen, atmet das scharfe Aroma aus Heu und Giraffenurin ein und rechnet nach: Drei Stunden hat es gedauert, bis sie das erste Mal von Duftmarken daran erinnert wurde, in einer tierischen Umgebung zu sein. Ein Bulle kaut auf der Freianlage vor dem großen Felsen provozierend langsam auf Heu herum. Drumherum Sand, ein paar Bäume als Schattenspender, Strauße, Antilopen und höher gelegene Mauern, auf denen sich die Besucher abstützen. „Eine schöne Variation von Gelände“, lobt Meuser im Expertenjargon. „Meist nehme ich Tiere in den Anlagen gar nicht wahr, hier will ich sie erleben.“

Sie guckt zum letzten Mal auf den Kunstfelsen. „Wie ein Kirchturm, der Orientierung gibt. Ohne ihn würde hier etwas fehlen.“ Die Anlage in Paris hat sie überrascht. „Das ist der modernste Zoo, den ich bisher gesehen habe.“ Wie Landschaft und Tiere miteinander harmonieren. Wie die Architektur sich zurücknimmt, bis man sie gar nicht mehr wahrnimmt. Wie die Tiere ihren Platz haben.

Der zoologische Garten hat eine Zukunft – und Natascha Meuser hat sie gesehen.

Reisetipps für Paris

ANREISE

Air Berlin, Easyjet, Germanwings und Air France fliegen täglich nach Paris. Mit dem Zug von den Flughäfen Orly oder Charles de Gaulle bis nach Chatelet fahren, dort in die Vorortlinie RER A nach Osten umsteigen und vom Bahnhof Nation den Bus 86 bis zur Endstation nehmen. Etwa eine Stunde und 20 Minuten für die Strecke einplanen.

ÖFFNUNGSZEITEN

Im Sommer ist der Zoo täglich von 9.30 bis 20.30 Uhr geöffnet. Das Ticket kostet 21 Euro (ermäßigt 15,50 Euro), online bestellbar unter parczoologiquedeparis.fr.

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