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Richard Grenell, US-Botschafter in Berlin.
© Odd Andersen/AFP

Richard Grenell, Alice Weidel, Jens Spahn: Rechts unterm Regenbogen

Beim CSD Berlin wird auch US-Botschafter Richard Grenell teilnehmen. Für ihn und andere Politiker wie Alice Weidel oder Jens Spahn ist es kein Widerspruch, erzkonservativ und homosexuell zu sein.

Zum siebten Mal nimmt die US-Botschaft an der Berliner Christopher Street Day Parade teil. Zum ersten Mal erfolgt diese Teilnahme unter einem Botschafter, der von Donald Trump nominiert wurde und damit von einem Präsidenten, der in seinem ersten Amtsjahr für eine wenig queerfreundliche Politik stand. So ließ er trans Personen aus dem Militär verbannen, setzte homofeindliche Richter, Minister und Ministerinnen ein. Sein Vize Mike Pence wollte vor Jahren die sogenannte Konversionstherapie staatlich fördern und weigerte sich, Homosexuelle als diskriminierte Minderheit anzuerkennen.

Der von Trump ernannte Botschafter Richard Grenell ist streng religiös und erzkonservativ. Er ist aber auch der erste offen schwule US-Chefdiplomat in Deutschland und wird an der Berliner CSD-Parade teilnehmen. Vereidigt wurde er im Mai, die Hand auf der Bibel, seinen Ehemann an der Seite. Von niemand Geringerem als Mike Pence.

Vor Grenell erregte schon Milo Yiannopoulos Aufsehen

Wieso unterstützen queere Menschen Parteien und Personen, die eine offensichtlich homofeindliche Politik vertreten? Vor Grenell erregte in den USA schon der ehemalige Breitbart-Journalist Milo Yiannopoulos Aufsehen, der während des Wahlkampfs prominenter Sprecher der Gruppe „Gays for Trump“ war. Yiannopoulos hetzte aufs Übelste gegen Feminist*innen, Migrant*innen und trans Personen, obwohl er selbst schwul ist. Dass Menschen, die selbst Diskriminierung erfahren haben, mit anderen diskriminierten Gruppen solidarisch sind, scheint zwar naheliegend, ist aber keineswegs automatisch der Fall. Im Gegenteil nehmen einige sogar persönliche Nachteile in Kauf, um eine bestimmte politische Agenda zu unterstützen. Das zeigte sich auch bei den mehrheitlich weißen Frauen in den USA, die trotz Trumps sexistischen Aussagen für ihn stimmten.

Klar ist, dass es in der LGBTI-Community konservativ und rechts eingestellte Personen gibt, wie überall sonst in der Gesellschaft. Was im Übrigen keineswegs ein neues Phänomen ist, man denke nur an den SA-Chef Ernst Röhm oder den 2002 ermordeten niederländischen Rechtspopulisten Pim Fortuyn. Dennoch verwundert es, wenn homosexuelle Politiker und Politikerinnen Parteien angehören, die sich aktiv gegen die eigene Community wenden.

Alice Weidels Standardantwort

In Deutschland wird wohl keine Politikerin so oft mit diesem Widerspruch konfrontiert wie Alice Weidel, die lesbische Vorsitzende der AfD-Fraktion im Bundestag. Ihre Standardantwort ist ausweichend. Ja, sie habe ein liberaleres Verständnis von Familie als ihre Partei. Wie sie im Tagesspiegel-Interview erklärte, gäbe es aber „wichtigere Politikfelder“, wegen derer sie in die AfD eingetreten sei. Um die rechtspopulistische Agenda der AfD durchzusetzen, nimmt Weidel also in Kauf, dass ihre eigene Familie von ihrer Partei nicht als solche anerkannt wird.

Gleichzeitig wird Weidels Lesbischsein von der Partei instrumentalisiert und als Zeichen von Toleranz verkauft. Bezeichnend ist auch ein Plakat der Berliner AfD von 2016, das sie unter anderem beim Christopher Street Day präsentierte. Es zeigte zwei junge weiße Männer mit der Aufschrift: „Mein Partner und ich legen keinen Wert auf die Bekanntschaft mit muslimischen Einwanderern, für die unsere Liebe eine Todsünde ist“. Die Berliner AfD setzte sich in ihrem Wahlprogramm gegen die Ehe für alle, gegen das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare und gegen angeblich „von Lobbygruppen sexueller Minderheiten“ geförderten Sexualkundeunterricht ein.

Obwohl die AfD also Politik gegen die LGBTI-Community betreibt, lässt sie in ihrer Berliner Kampagne ein schwules Pärchen für sich sprechen. Sie benutzt weiße, männliche Homosexuelle, um die deutsche Kultur, die als tolerant gegenüber sexuellen Minderheiten präsentiert wird, gegen „die Muslime“ abzugrenzen, denen diese Toleranz vorgeblich abgeht.

Diese Strategie kann als homonationalistisch bezeichnet werden. Die Gender- und Queer-Theoretikerin Jasbir Puar hat den oft missverstandenen Begriff in ihrem Buch „Terrorist Assemblages“ von 2007 geprägt. Mit dem Konzept von Homonationalismus wollte sie nicht ausdrücken, dass Homosexuelle besonders nationalistisch sind. Vielmehr beschreibt Puar einen amerikanischen Diskurs nach 9/11, der eine scharfe Abgrenzung von „guten“, patriotischen Amerikanern und „bösen“, terroristischen Muslimen als den „Anderen“ formuliert. Diese Abgrenzung führt dazu, dass einige Mitglieder vorher ausgegrenzter Gruppen mehr Akzeptanz genießen. Meist wohlhabende und weiße Homosexuelle werden als Repräsentanten traditioneller westlicher Werte wie individuelle Freiheit neu gesehen und genutzt, um sie gegen angeblich homophobe Kulturen auszuspielen.

Befreundet mit dem US-Botschafter: Jens Spahn

Diese Abgrenzung lässt sich auch in zahlreichen Aussagen von CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn finden. Sein Profil erinnert an das von Richard Grenell, mit dem Spahn befreundet ist: religiös, konservativ, schwul. Der Politiker zeichnet den „reaktionär konservativen Islam“ als Feindbild und sieht die CDU als Kämpferin für Lesben- und Schwulenrechte. Dabei war es die Union, die jahrelang eine Öffnung der Ehe blockierte.Spahn selbst setzte sich zwar dafür ein, verteidigte nach außen aber stets die konservative Linie seiner Partei.

Spahn fordert die Vermittlung deutscher „Leitkultur“ an Schulen und will Burkas verbieten. Damit gehört er zu den Hardlinern in der CDU. Er sagte der Zeitung „Die Welt“, dass er beim Thema Islam eine „besondere Sensibilität“ habe, da Homosexuelle wie er in einer islamischen Gesellschaft „vom Turm geworfen“ würden. In der deutschen Mehrheitsgesellschaft findet Spahn hingegen keine Spuren von Homophobie. In einem Interview mit der „Zeit“ erzählte er, dass es es nicht als homophob betrachte, wenn ein Katholik ein Problem mit der Ehe zwischen zwei Männern hat. Intolerant sind in den Augen Jens Spahns immer nur die „Anderen“.

Der LSU-Wagen auf dem CSD München wurde blockiert

Während die AfD auch dieses Jahr nicht an der Berliner Christopher Street Day Parade teilnehmen darf, ist der Wagen der Lesben und Schwulen in der Union (LSU Berlin) wieder dabei. Beim CSD in München Mitte Juli hinderten rund 20 Aktivist*innen den Wagen der LSU Bayern mit einer Sitzblockade am Losfahren. Sie kritisierten die Flüchtlingspolitik, die hetzerische Rhetorik der CSU und, dass die Partei nach wie vor gegen die Ehe für alle kämpfe.

Nach mehreren Aufforderungen durch die Polizei wurde die Blockade beendet. Die Debatte um Toleranz, Rassismus und die Rolle der LGBTI-Community in diesem Diskurs hat gerade erst begonnen.

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