Neuer US-Botschafter in Berlin: Richard Grenell – der selbsternannte Problemlöser
Er möchte Europas Konservative stärken: Richard Grenell, neuer US-Chefdiplomat in Berlin, hält wenig von Diplomatie. Einer seiner Vorgänger rät: Seid froh, dass es so ist.
Es ist warm und stickig, auf dem Boden stehende Ventilatoren summen vor sich hin, bringen aber kaum Kühlung. Hostessen in hellblauer, originaler Uniform der Pan American World Airways – kurz Pan Am, jener 1991 pleite gegangenen US-amerikanischen Fluggesellschaft – servieren Drinks und Häppchen. Auf ihren Namensschildern steht noch das historische „Frl.“. Dort hinten, in einer Ecke des holzgetäfelten, niedrigen Raumes, hat früher oft Willy Brandt gesessen, wird erzählt, mit Blick durch die Panoramafenster über West-Berlin. Ein 270 Grad Rundumblick.
Hier, im zehnten Stock, dem Penthouse des Eden-Hochhauses an der Budapester Straße in Berlin-Charlottenburg, kommt eine seltsame Sehnsucht auf – nach einem Amerika, das den Westteil der Stadt beschützte, das immer da war, wenn es brenzlig wurde. Der Retro-Chic der Pan-Am-Lounge erzeugt ein Retro-Gefühl.
Da kommt er, forschen Schrittes, Richard „Ric“ Grenell, der neue US-Botschafter in Deutschland, eine stattliche Erscheinung, wie man so sagt, begleitet von seinem Lebenspartner Matt Lashey. Hündin Lola fehlt, das dritte Familienmitglied. Auf seinem Twitter-Account stellt Grenell sich selbst mit diesen drei Sätzen vor: „Eine Krebserkrankung hat mich stärker gemacht; mein Hund steuert mein Leben; bin ein nicht perfekter Nachfolger von Jesus Christus.“ Grenell ist ein Rechter, er ist fromm und schwul – das ist selbst im Multikulti-Berlin eine nicht ganz gewöhnliche Kombination.
Grenell und Lashey bahnen sich ihren Weg durch rund hundert vom Aspen-Institut – eine der einflussreichsten jener Einrichtungen, die Denkfabrik genannt werden – eingeladene Gäste aus Politik, Wirtschaft, Medien. Es ist ein Empfang zu Grenells Ehren. Wer ist dieser Mann, der unmittelbar nach seiner Ankunft in Deutschland am 8. Mai für Furore sorgte, Ärger auslöste, Rufe nach sofortiger Ausweisung laut werden ließ? Ist er der Botschafter seines Landes, des ganzen Landes, zurückhaltend, diplomatisch, erklärend, die Wogen glättend? Oder ist er das Sprachrohr von Donald Trump, aggressiv, fordernd, rechts, kompromisslos? Es hat in dieser Frage Irritationen gegeben: So würde wohl ein gelernter Diplomat die Vorgänge beschreiben.
Er selbst: ein Brückenbauer, Problemlöser und Macher
Angespannt wirkt Grenell an diesem Abend. Das legt sich später. Seine Begrüßungsworte hält er frei, er spricht konzentriert und betont warmherzig. Als große Geste aktuell im Rücken hat er den historischen Handschlag Trumps mit Nordkoreas Diktator Kim Jong Un. Ein Gast murmelt etwas von einem Lastwagen voll mit Kreide, der offenbar in der US-Botschaft vorgefahren sei.
Dabei sagt Grenell nichts, was er nicht schon vorher, in diversen Interviews, akzentuiert hätte. Wie prägend jene acht Jahre für ihn gewesen seien, die er als Pressesprecher für mehrere amerikanische Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York verbracht habe; wie sehr er in dieser Zeit die europäischen Partner zu schätzen gelernt habe, gerade auch die Deutschen; wie zuversichtlich er sei, dass sich ein transatlantischer Handelskrieg vermeiden lasse; und dass er selbst ein Brückenbauer, Problemlöser und Macher sei.
Das soll sein Image sein und werden. Problemlöser. Listen erstellen, Aufträge abarbeiten. Bloß keine Ideologie! Bei einem Mittagessen vor drei Wochen mit einer kleinen Runde von Journalisten in der US-Vertretung am Pariser Platz sagte Grenell, er sei, wie Trump, in hohem Maße politisch inkonsistent. Mal fühle er sich als Liberaler, mal als Konservativer. Er passe in keine Schublade.
Das empfinden andere anders. Grenell begann sein Amt als Chefdiplomat der USA in Deutschland mit einem frech-forschen Tweet, adressiert an deutsche Unternehmen. Die forderte er auf, ihre Geschäftsbeziehungen zum Iran unverzüglich zu beenden.
Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz und ehemals deutscher Botschafter in den USA – Amtsbeginn am 11. September 2001 um 8 Uhr morgens – gab Grenell den Rat, sich nicht als erstes im Gastland unbeliebt zu machen, sondern sein Land zu erklären.
Der Schlagabtausch war allerdings nur das Vorgeplänkel zum richtigen Ärger. Anfang Juni gab Grenell in seiner Berliner Residenz ausgerechnet dem rechtspopulistischen Breitbart News Network ein Interview, das mehrere Sprengsätze enthielt. „Ich möchte unbedingt andere Konservative in ganz Europa stärken.“ – „Ich glaube, dass es durch das Scheitern linker Politik einen Aufschwung konservativer Kräfte gibt.“ – „Es gibt das Erwachen einer schweigenden Mehrheit, die Eliten und deren Blase ablehnt.“ – „Sebastian Kurz ist ein Rockstar. Ich bin ein großer Fan.“
Enger Vertrauter von Trump
Das saß. Was folgte, war ein Empörungsgewitter quer durch fast alle Parteien und Lager. Ex-SPD-Chef Martin Schulz: „Grenell benimmt sich nicht wie ein Diplomat, sondern wie ein rechtsextremer Kolonialoffizier.“
Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Omid Nouripour: „Ein Botschafter Amerikas vertritt alle Amerikaner, nicht nur Breitbart und Fox News.“
Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht: „Wer wie US-Botschafter Richard Grenell meint, nach Gutsherrenart bestimmen zu können, wer in Europa regiert, der kann nicht länger als Diplomat in Deutschland bleiben.“
Der Vizechef der Unions-Bundestagsfraktion, Johann Wadephul: „Wir erwarten, dass der US-Botschafter die Interessen seines Heimatlandes vertritt und jede Beteiligung an politischer Meinungsbildung in Deutschland unterlässt.“ Die Bundesregierung forderte von der US-Seite eine Erklärung.
Die „New York Times“ empfahl die Abberufung Grenells. In der „Washington Post“ wertete Anne Applebaum die Äußerungen Botschafters als direkte Unterstützung rechtspopulistischer Kräfte und Parteien in Europa. Falls Trump die Beziehungen zu Deutschland wichtig seien, sollte er Grenell sofort zurückbeordern, forderte Daniel Larison auf der Webseite des Magazins „The American Conservative“.
Grenell gilt als enger Vertrauter von Trump. Dessen Präsidentschaftskandidatur hat er früh unterstützt. Die Frage allerdings, wie groß sein Einfluss auf den Präsidenten ist, beantwortet er so: „Jeder, der einmal mit Donald Trump gearbeitet hat, weiß natürlich: Er trifft die Entscheidungen selbst.“ Beim Treffen von Trump mit Angela Merkel im Weißen Haus war Grenell dabei. Die Chemie zwischen beiden sei großartig, meint Grenell, Merkel habe einen tollen Humor und könne gut mit dem Präsidenten scherzen.
Am meisten gefordert sind US-amerikanische Botschafter in Berlin, wenn Bundeskanzleramt und Weißes Haus – wie jetzt beim Thema Außenhandel – miteinander in Konflikt geraten. Während der Obama-Jahre war die Lage relativ entspannt, mit einer Ausnahme: der NSA-Skandal. Ganz anders war es in der ersten Bush-Präsidentschaft, als es um die Folgen des 11. September, um den Afghanistan- und den Irakkrieg ging. George W. Bush und Gerhard Schröder waren wie Feuer und Wasser. Botschafter sorgen dann dafür, dass die Lage zumindest nicht eskaliert. Dafür, dass beide Seiten wenigstens im Gespräch miteinander bleiben.
Nach Fürsprechern muss man lange suchen
Grenell indes lud für den 13. Juni um 12 Uhr 30 zu Ehren des österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz in seine Residenz in Berlin-Dahlem zu einem Mittagessen ein. Kurz ist prononcierter Kritiker von Angela Merkels Flüchtlingspolitik, hat soeben sieben Moscheen schließen lassen und 60 Imame ausgewiesen. Das Mittagessen finde auf Initiative der österreichischen Seite statt, beteuerte die US-Botschaft. Die Bundesregierung war, gelinde gesagt, verstimmt.
Doch damit hatte der 51-jährige Grenell den Bogen offenbar überspannt. Nach zwei Treffen mit Andreas Michaelis, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, der, wie es in Regierungskreisen hieß, den neuen US-Botschafter auf die Gepflogenheiten des diplomatischen Umgangs nach dem Wiener Übereinkommen hinwies, das Diplomaten verpflichtet, sich nicht in die inneren Angelegenheiten des Gastgeberlandes einzumischen, gab Grenell sich einsichtig. „Ich bedauere die Tatsache, dass meine Worte falsch interpretiert wurden“, sagte er am vergangenen Wochenende, „ich habe nicht die Absicht, mich in politische Angelegenheiten aktiv einzumischen.“
Auch Kabinettsmitglieder redeten offen mit Grenell. Ein gutes Verhältnis zu ihm haben offenbar Gesundheitsminister Jens Spahn, Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen aufgebaut. Jedenfalls wurde das Mittagessen mit Kurz prompt abgesagt, angeblich, weil es auf österreichischer Seite Terminschwierigkeiten gegeben habe. Und beim German Marshall Fund, der Grenell am Montag zu einer Tagung über die Trump-Politik erwartet hatte, ließ sich Grenell entschuldigen. So gab es dort niemanden, der das Platzenlassen des G-7-Gipfels durch den US-Präsidenten offiziell erklären konnte.
Deutschen Unternehmensvertretern indes bietet sich eine Gesprächsmöglichkeit mit Grenell ab Mittwoch. 33 wird er dann zum Investitionsgipfel „SelectUSA 2018“ in Maryland begleiten. Dessen Motto lautet „Invest Here. Grow Here. Succeed Here.“
Nach Fürsprechern Grenells muss man derzeit jedoch lange suchen. Einer davon ist einer seiner Vorgänger, John Kornblum. „Was würde es nützen, wenn man in Berlin einen klassischen Atlantiker sitzen hätte, der die Unruhe stiftenden Ansichten Trumps nicht mitteilt?“, schrieb Kornblum in einem Gastbeitrag für die „Welt am Sonntag“. Grenell wolle den Deutschen lediglich verständlich machen, warum die Störungen und Disruptionen, die von Trump ausgehen, gut für sie seien. Grenells undiplomatisches Verhalten und seine Art, deutlich zu werden, könnten sich als nützlich erweisen.
„Der Krebs hat aus mir einen besseren Menschen gemacht"
Das Bild vom rechtsrevolutionären Haudegen, der twittert und rhetorisch trampelt wie Trump, verändert sich jedoch durch einen Blick auf Richard Grenells Biografie. Eigentlich gehört er zum klassischen Flügel der Republikaner. Er hat für George W. Bush gearbeitet, war kurze Zeit im Team von Präsidentschaftskandidat Mitt Romney, war Sprecher von vier US-Botschaftern bei den Vereinten Nationen. Multilaterale Zusammenarbeit, Demokratie, Menschenrechte, Völkerrecht – das sind keine Fremdworte für ihn.
Auch persönlich kann er sein, etwa wenn er über seinen Glauben, seine Homosexualität oder die überwundene Krebserkrankung spricht. „Der Krebs hat aus mir einen besseren Menschen gemacht. Er hat mich gelehrt, jeden Tag zu genießen und das Leben ohne Bedauern zu leben“, sagt Grenell in einem Interview in der „Bunten“, geführt von Daniel Funke, dem Ehemann von Jens Spahn. „Die Krebserkrankung brachte mich näher zu Gott. Ich habe damals viel gebetet, wollte Frieden finden und die Angst besiegen, egal ob ich diesen Kampf überleben werde oder nicht.“
In einem anderen Interview lobt Grenell die Toleranz Trumps. „Als schwuler Konservativer habe ich lange auf einen solchen Präsidenten gewartet. Er ist der erste Präsident der Vereinigten Staaten, der die Heirat von Homosexuellen befürwortet hat, als er ins Amt gekommen ist.“
Grenell, ein klassischer Konservativer, nur etwas lauter, direkter und dramatischer als andere? Die AfD jedenfalls zeigt sich erfreut über ihn. Deren Vizechef Kay Gottschalk begrüßt Grenells Angebot, den neuen Konservativen in Europa zur Macht verhelfen zu wollen. Im Kampf gegen die „sozialistisch linke Einheitssoße in der EU“ müsse man zusammenarbeiten.
In der Pan-Am-Lounge, hoch über den Dächern Berlins, ist die Stimmung längst aufgetaut. Aspen-Deutschland-Chef Rüdiger Lenz schiebt Grenell und Lashey mit ruhiger, unsichtbarer Hand von einer Smalltalk-Gruppe zur nächsten. Iran, Handel, Kim, Trump, Merkel, G 7, kaum ein Thema wird ausgespart. Manchmal blitzt die Argumentationslust des Botschafters durch. Man merkt ihm seine Zeit als TV-Star bei „Fox News“ an. Doch zum Streit kommt es nie. Nicht hier, nicht jetzt.