Vorwurf fahrlässige Tötung: Zugunglück von Bad Aibling: Der Prozess beginnt
Am 9. Februar starben in Bad Aibling beim frontalen Zusammenstoß zweier Regionalzüge zwölf Menschen. Nun muss sich der damals zuständige Fahrdienstleiter vor dem Gericht verantworten.
Dieses Gericht hat Erfahrung mit Prozessen um große Unglücke. Am Landgericht Traunstein wurde über die Schuldfrage beim Einsturz der Eislaufhalle in Bad Reichenhall vom 2. Januar 2006 verhandelt; 15 junge Menschen kamen damals ums Leben. Der Dachkonstrukteur erhielt eine Bewährungsstrafe, ein Architekt und ein Gutachter wurden freigesprochen. Im Februar verurteilte dasselbe Gericht einen 47-Jährigen zu drei Jahren Haft. Er ist für den Tod von sechs Urlaubern verantwortlich, die 2015 bei einem Inferno in seinem Bauernhof starben – der Brandschutz war unzulänglich. Nun befasst sich eine Große Strafkammer in der oberbayerischen Stadt wieder mit einem Unfall katastrophalen Ausmaßes.
Von Donnerstag an muss sich ein Fahrdienstleiter der Deutschen Bahn wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung verantworten. Dem Mann wird vorgeworfen, den Frontalzusammenstoß zweier Nahverkehrszüge am 9. Februar in Bad Aibling verschuldet zu haben. Das Bahnunglück – eines der schwersten in der deutschen Nachkriegsgeschichte – kostete zwölf Menschen das Leben. Fast 90 Insassen wurden teils lebensgefährlich verletzt. Der Bahn-Mitarbeiter spielte bis kurz vor dem Zusammenstoß das Fantasy-Rollenspiel „Dungeon Hunter 5“ auf seinem Smartphone, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Er soll in dem Spiel, in dem es um das Töten von Dämonen geht, einen Krieger rekrutiert und eine Mission gestartet haben Dabei hätte er sein privates Handy im Dienst gar nicht benutzen dürfen.
Alarm erreichte die Züge nicht
Vom Spielen abgelenkt schickte er den Ermittlungen zufolge beide Züge zwischen den Bahnhöfen Kolbermoor und Bad Aibling gleichzeitig auf die eingleisige Strecke. Technische Vorrichtungen, die das eigentlich verhindern, setzte er durch ein Sondersignal außer Kraft. Als er den verhängnisvollen Irrtum bemerkte, beging er laut Anklage einen weiteren Fehler: Er wollte die Lokführer warnen, erwischte aber den falschen Knopf, sodass der Alarm nicht in den Zügen ankam.
Mehr als 20 Angehörige von Todesopfern sowie Schwerverletzte nehmen als Nebenkläger am Prozess teil. Ein zum Unglückszeitpunkt 17-Jähriger aus Rosenheim, der im Wrack eingeklemmt wurde und mit schwersten Verletzungen überlebte, hat schon angekündigt, dass er wenigstens an einem der sieben Verhandlungstage vor Gericht erscheinen will. Doch erst muss der junge Mann eine weitere Operation überstehen. Die Retter hatten an jenem 9. Februar Stunden gebraucht, bis sie ihn als letztes lebendes Opfer bergen konnten. Beinahe hätten sie ihn übersehen, weil er in den Trümmern schwer zu entdecken war.
Im Prozess werden viele Zeugen aussagen, vor allem Polizisten und Bahnmitarbeiter. Außerdem hat der Vorsitzende Richter Erich Fuchs mehrere Sachverständige geladen, die etwa zur Handynutzung des Angeklagten oder zu den Signalanlagen auf der Unglücksstrecke und dem Stellwerk in Bad Aibling befragt werden. Viele bahntechnische Details dürften dabei bis ins Kleinste erörtert werden.
Deformierte Waggons
Rückblende: Faschingsdienstag, 9. Februar, frühmorgens. Auf der Bahnstrecke zwischen Holzkirchen und Rosenheim ist nicht viel los. Es sind Ferien, daher sitzen keine Schüler im Zug, etliche Berufspendler haben sich freigenommen. Um 6.47 Uhr krachen die beiden Züge mit einem weithin hörbaren Knall ineinander. Ein Triebwagen wird aus dem Gleis geworfen, der andere bohrt sich in einen Waggon des anderen Zuges, schlitzt ihn regelrecht auf.
Den an der schwer zugänglichen Unfallstelle eintreffenden Rettungskräften bietet sich ein schreckliches Bild. Feuerwehrleute müssen neun Tote und Dutzende Verletzte aus deformierten Waggons holen. Der Zusammenstoß hat enorme Kräfte freigesetzt. Es dauert den halben Tag, bis auch das letzte Opfer geborgen ist. Drei Menschen erliegen in Krankenhäusern ihren schweren Verletzungen. Die erschütternde Bilanz: 12 Tote und 89 Verletzte.
Schnell wird klar, dass das verheerende Unglück auf menschliches Versagen zurückgeht. Ein technischer Defekt scheidet aus. Der Fahrdienstleiter im Stellwerk von Bad Aibling gerät bereits am Unglückstag ins Visier der Ermittler, bleibt aber zunächst auf freiem Fuß. Der inzwischen 40-Jährige wird von der Bahn an einem geheimen Ort betreut.
Beschuldigter in Untersuchungshaft
Zwei Monate später wird das schier Unfassbare bekannt: Beim Auslesen der Daten auf dem beschlagnahmten Smartphone des Fahrdienstleiters stellen die Ermittler fest, dass der Mann bis kurz vor dem Unfall auf seinem Handy spielte. Der Ermittlungsrichter schickt ihn daraufhin in Untersuchungshaft. Aus Mitleid von Opfern und Hinterbliebenen mit dem erfahrenen Bahn-Mitarbeiter wird Wut. Gut fünf Monate nach dem Unglück erhebt die Staatsanwaltschaft Traunstein Anklage. Die Höchststrafe bei fahrlässiger Tötung beträgt fünf Jahre.
Der schwer gezeichnete Mann, der eingeklemmt im Wrack fast schon dem Tod geweiht war und nur durch den großen Einsatz der Helfer überlebte, kündigte im „Münchner Merkur“ kürzlich an, dem Fahrdienstleiter im Sitzungssaal wenigstens einmal ins Gesicht schauen zu wollen. „Und ich möchte die Gewissheit haben, dass er geradestehen muss für das, was er getan hat.“ Paul Winterer/dpa