Nach Zugunglück in Bad Aibling: Gefahrenstelle Smartphone
Das Zugunglück von Bad Aibling geschah mutmaßlich, weil ein Fahrdienstleister abgelenkt war. Er spielte mit dem Handy. Auch die BVG und die S-Bahn wissen um das Risiko Smartphone.
Elf Menschen starben, als am 9. Februar zwei Regionalzüge der Oberlandbahnen bei Bad Aibling frontal aufeinanderprallten. Am Mittwoch erlag ein 46-jähriger Mann aus Rosenheim seinen schweren Verletzungen, zwei Monate nach dem Unfall.
Zwölf Menschen sind tot, mehr als 80 wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Wenn sich die Ergebnisse der Ermittler bestätigen sollten, dann nur, weil ein Fahrdienstleiter unaufmerksam war. Die Staatsanwaltschaft Traunheim teilte am Dienstag mit, der Bahn-Mitarbeiter habe während der Arbeitszeit ein Online-Spiel auf seinem Smartphone gespielt und sei deshalb abgelenkt gewesen. Zuerst hatte der Fahrdienstleiter den Zügen auf der eingleisigen Strecke falsche Signale gegeben, dann hatte er beim Senden der Notrufe die falsche Tastenkombination gedrückt, weshalb der Alarm nie bei den Zugführern angekommen sei.
Der Mann hatte sein Telefon während des Dienstes eingeschaltet und bis kurz vor der Kollision beider Züge ein Spiel darauf gespielt. Das habe der Beschuldigte zwar eingeräumt, er habe aber bestritten, dadurch unaufmerksam gewesen zu sein. Die Ermittler werfen dem 39-Jährigen nun nicht mehr nur ein Augenblicksversagen vor, sondern eine Pflichtverletzung. Der Mann wurde in Untersuchungshaft genommen, da ihm nun eine erheblich härtere Strafe droht.
Der schnelle Blick aufs Telefon für eine kurze SMS, einen interessanten Artikel oder ein kurzweiliges Spiel - er ist mittlerweile Routine für die meisten. Eine Routine mit womöglich tödlichem Ausgang, wie der Fall Bad Aibling zeigt. Nur sehr selten freilich mit solch schwerwiegenden Auswirkungen, aber das Sicherheitsrisiko durch Smartphones ist hoch. Denn wir lesen, schreiben und spielen nicht nur auf dem Sofa oder während wir als Passagiere in der U-Bahn sitzen, sondern immer öfter auch dann, wenn wir gehen, fahren oder arbeiten.
Viele Autofahrer unterschätzen das Risiko der Ablenkung
Gerd Gigerenzer, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, mahnt, viele Menschen müssten lernen, "beim Autofahren nicht dem übergroßen Drang nachzugeben, permanent das Handy zu checken oder Nachrichten zu senden. In den USA gibt es dadurch über 3000 Verkehrstote pro Jahr." Er kritisiert, selbst beim gemeinsamen Essen schafften es viele kaum noch, das Smartphone vom Tisch zu verbannen und stattdessen dem Gegenüber in die Augen zu schauen. Was am Esstisch ärgerlich ist, wird auf der Straße gefährlich. Forscher der Universität Braunschweig haben 12.000 zufällig vorbeifahrende Autos beobachtet. Dabei stellten sie fest, dass 4,5 Prozent der Fahrer mit ihrem Mobiltelefon hantierten. Der Großteil davon nicht telefonierend, sondern tippend.
"Die meisten Autofahrer unterschätzen das Risiko der Ablenkung", sagt Diana Sprung vom ADAC. Sie rechnet vor: "Wenn Sie 100 Kilometer pro Stunde fahren und nur eine Sekunde lang abgelenkt sind, legen Sie 27 Meter Blindflug hin." Erlaubt ist die Bedienung eines Telefons während der Fahrt nicht, viele Fahrer stört das offenbar nur wenig. Auch in den Dienstvorschriften für Fahrdienstleister der Deutschen Bahn ist festgehalten, dass private Smartphones nur dann bei der Arbeit genutzt werden dürfen, wenn es für die Tätigkeit unbedingt erforderlich ist. Das gelte auch für die Nutzung von Radio- und Fernsehgeräten.
Auch für Fußgänger ist der Blick aufs Smartphone gefährlich
Die S-Bahn-Berlin, die zur Deutschen Bahn gehört, hat die gleichen Vorschriften. Bei der BVG sei eine solche Vorschrift für die Leitstellen nicht explizit formuliert, es sei aber selbstverständlich, dass die Mitarbeiter während des Dienstes konzentriert und nicht durch Smartphones abgelenkt seien. "Dienst ist Dienst", sagt BVG-Sprecherin Petra Reetz. Für die Fahrer der U-, Straßenbahnen und Busse gelte selbstverständlich ein absolutes Handy-Verbot am Steuer. "Wer während der Fahrt mit einem Handy erwischt wird, ist sofort seine Fahrerlaubnis los", sagt Reetz.
Keine rechtlichen Konsequenzen muss befürchten, wer als Fußgänger auf sein Handy starrt. Auch davon sieht man im Stadtbild immer mehr, 2015 wurde das Kofferwort "Smombie" gar zum Jugendwort des Jahres gewählt. Der Begriff setzt sich zusammen aus "Smartphone" und "Zombie", weil diese scheinbar blind und unaufmerksam stur geradeaus laufen, ohne ihre Umgebung wahrzunehmen. Das ist zwar nicht verboten, kann aber gefährlich werden, weil die Betroffenen ständig den Blick nach unten gesenkt haben, statt sich auf den Verkehr zu konzentrieren. Eine Studie der Dekra-Unfallforschung hat festgestellt, dass von 14.000 beobachteten Fußgängern jeder sechste irgendwie mit seinem Handy beschäftigt war.
Unfallstatistiken gibt es dazu bisher keine. Es ist meist schwer nachzuweisen, ob und inwiefern die Nutzung eines Telefons ursächlich für einen Unfall sein kann. Im Bundesgesundheitsministerium gibt es keine Statistiken zum Risiko Smartphone, auch die Bundesanstalt für Unfallschutz am Arbeitsplatz kann keine Zahlen ausweisen. In Unfallberichten würde in solchen Fällen meist menschliches Versagen oder Unaufmerksamkeit erwähnt, aber spezielle Statistiken darüber, ob explizit ein Smartphone ein Ablenkungsgrund waren. (mit dpa, AFP)