Studie "Die Ängste der Deutschen": Deutsche fürchten Terror und Zuwanderung
Die Deutschen sind so ängstlich wie seit Jahren nicht mehr. Ihre größten Sorgen sind ein Spiegelbild der aktuellen Nachrichtenlage.
Angst ist ein Gefühl, nicht das Ergebnis einer rationalen Überlegung. Sie entsteht, wenn der Instinkt eine Gefahr wittert. Ist mal nützlich und mal nicht. Den Deutschen wird eine generalisierte Angststörung nachgesagt. Auch bezeichnet als „German Angst“. Eine aktuelle Studie kommt nun zu dem Schluss: Das ist ein Mythos. Die Deutschen fürchten sich nicht aus Prinzip oder aus ihrem kulturellen Gedächtnis heraus. Sie fürchten sich, wenn es reale Gründe dafür gibt. Und davon gibt es im Moment so einige.
Nachrichten über Anschläge, gewaltbereite Extremisten und die Flüchtlingskrise haben dazu geführt, dass die Ängste der Deutschen innerhalb eines Jahres so stark zugenommen haben wie nie zuvor. Seit 1992 fragt das Infocenter der R+V Versicherung einmal im Jahr rund 2400 Bürgerinnen und Bürger ab 14 Jahren nach ihren Sorgen. Die Umfrage ist repräsentativ. Allgemein kommt sie zu dem Ergebnis: Der Angstindex, der Durchschnitt aller abgefragten Themen, stieg 2016 um zehn Prozentpunkte und erreichte mit 49 Prozent das bislang vierthöchste Niveau. Nach 2003, das durch den Irak-Krieg geprägt war; 2005 mit einer Arbeitslosenzahl von 4,8 Millionen; und 2010 mit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise.
Terror, Extremismus, Flüchtlingskrise
Wovor sich die Deutschen 2016 am meisten – und das zum ersten Mal – fürchten, sind terroristische Anschläge. Die Zustimmung nahm im Vergleich zum Vorjahr um 21 Prozentpunkte zu und erreicht einen Höchstwert von 73 Prozent. Das heißt, dass sich fast Dreiviertel der Befragten diesbezüglich Gedanken machen. Seit dem Anschlag auf das World Trade Center im Jahr 2001 hat sich der Wert beim Thema „Terror“ mehr als verdreifacht.
Die Angst vor politischem Extremismus hat sich von rund 49 auf 68 Prozent gesteigert. Damit kann linker, rechter und islamischer Extremismus gemeint sein. Vor Spannungen durch einen weiteren Zuzug von Ausländern sorgen sich aktuell 67 statt 49 Prozent der Menschen. Vor den Kosten der Schuldenkrise einiger EU-Staaten 65 statt 64 Prozent.
Möglicher Kontrollverlust des Staates
Die überwiegende Mehrheit befürchtet zudem, dass die Politiker von ihren Aufgaben überfordert und die Behörden bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise überlastet sind. Dass sich die Deutschen vor einem Kontrollverlust des Staates fürchten, sei ein „katastrophales Urteil für die politische Klasse“, sagte Manfred Schmidt, Politologe an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg und Studienberater, am Dienstag. Die Folge: 44 Prozent erteilen den Politikern eine Fünf oder Sechs. Nur sechs Prozent benoten sie mit einer Eins oder Zwei.
Obwohl die globalen Probleme Themen wie Arbeitslosigkeit oder Drogensucht der Kinder auf die hinteren Plätze verdrängt hat, nahmen die persönlichen Sorgen ebenfalls zu: 57 Prozent der Befragten haben Angst davor, im Alter ein Pflegefall zu werden, was acht Prozent mehr sind als im Vorjahr. 55 Prozent fürchten sich vor einer schweren Erkrankung. Steigende Lebenshaltungskosten und die Vorstellung von einem Krieg mit deutscher Beteiligung versetzten 54 Prozent der Befragten in Unruhe; bei 52 Prozent tun das Naturkatastrophen und eine schlechtere Wirtschaftslage. Bei insgesamt zwölf der 20 abgefragten Punkte stimmte mehr als die Hälfte der Deutschen zu. 2015 beschäftigten nur vier Themen die Mehrheit.
Was den Berliner besonders beschäftigt
„2016 ist das Jahr der Ängste“, sagte Schmidt und widerlegte zugleich die These von der „German Angst“. Was aber typisch deutsch sei, sei ein hohes Sicherheitsbedürfnis, extrem hohe Erwartungen an den Staat und an die Wirtschaft, und eine sehr pazifistische Grundhaltung. Faktoren, die sich in den Ergebnissen der Studie widerspiegeln würden.
Drei weitere Erkenntnisse sind: Der Angstindex der Ost- und Westdeutschen hat sich über die Jahre immer mehr angenähert. Frauen sind im Schnitt etwas ängstlicher als Männer – und auch wenn das Angstniveau in der Hauptstadt um sieben Prozent gestiegen ist, lebt der Berliner am entspanntesten. Die Menschen beschäftigt hier vor allem die Terrorgefahr (65 Prozent) – wenn auch nicht so sehr wie in allen anderen Bundesländern. Fast genauso viele glauben, dass die Behörden wegen der Flüchtlinge überfordert sind. 2015 dachte das knapp die Hälfte. Die Sorge, im Alter pflegebedürftig zu werden, ist im Vergleich zu den anderen Bundesländern mit 52 Prozent sehr niedrig.
Im Verlauf der vergangenen 25 Jahren haben sich die Ängste der Deutschen sehr gewandelt: Während sie Anfang der 1990er Jahre die Folgen der Renten- und Gesundheitsreform als Bedrohung empfanden, waren es Mitte der 90er Jahre die Folgen vor einer Rezession, um die Jahrtausendwende das Platzen der Dotcom-Blase und 2007 die Finanz- und Wirtschaftskrise. Was sich hingegen nie geändert hat: Trotz hoher Scheidungsraten belegt die Furcht vor dem Zerbrechen der Partnerschaft Jahr für Jahr den letzten Platz im Ranking.