Taschkent in Usbekistan und Slawutytsch in der Ukraine: Open-Air-Museen des sowjetischen Wohnungsbaus
Ein verheerendes Erdbeben 1966, ein atomarer Super-Gau 1986: Zwei Mal wird die UdSSR am 26. April von Katastrophen getroffen. Taschkent und Slawutytsch entstehen völlig neu – mit Architekturstilen aus allen Ecken des Sowjetreichs. Was wir heute davon lernen können.
Am Montag, 25. April, wird der Autor Philipp Meuser ab 19 Uhr im Tagesspiegel zu Gast sein. Der Eintritt kostet acht Euro. Um Anmeldung wird gebeten: 030/206 96 930, info@dom-publishers.com
Die ersten Stöße erschüttern die Stadt am frühen Morgen. Es ist 5.23 Uhr, als Taschkents orientalische Lehmbauten und auch einige russische Ziegelgebäude aus vorrevolutionärer Zeit verheerende Risse bekommen. Das Epizentrum des Bebens liegt im Stadtkern, drei bis fünf Kilometer unter der Oberfläche. Seine Stärke „konnte man nicht genau ermitteln, da die Seismometer nicht für diese Leistung ausgelegt waren und sofort ausfielen“, erinnert sich Historiker Boris Golender, der die Katastrophe als junger Mann miterlebte.
Doch das ist nur der Anfang. Drei nicht enden wollende Wochen lang wiederholen sich die Erdstöße. Die Häuser, deren Statik nun schon geschwächt ist, können dem nicht standhalten. Sie brechen zusammen, und die usbekische Metropole versinkt im Staub. Insgesamt 35 000 traditionelle Wohnbauten werden in Schutt und Asche gelegt. Damals sieht es „wie nach einem Bombenangriff aus“, sagt Golender. Nur weil die meisten Bewohner nach dem ersten Beben in Zelten oder im Freien übernachten, bleibt die Zahl der Todesopfer verhältnismäßig gering.
Das alte Taschkent, im dritten Jahrhundert vor Christus erstmals erwähnt, Knotenpunkt in Zentralasien, nördlich der legendären Seidenstraße gelegen – dieser Ort, der Bilder von Kamel-Karawanen, Basaren und engen Gassen heraufbeschwört, verschwand vor 50 Jahren für immer.
Slawutytsch entsteht 50 Kilometer entfernt von Tschernobyl
Usbekistan ist zu dieser Zeit Teil der Sowjetunion, und das Erdbeben vom 26. April 1966 macht mit seinen Zerstörungen den Weg frei für eine neue sozialistische Stadt. Aus allen Teilen des kommunistischen Riesenreichs strömen Architekten und Bauleute herbei. Mit im Gepäck haben sie Serientypen, viele Ideen – und ihre lokalen Bautraditionen: aus Moskau und dem estnischen Tallinn ebenso wie aus Eriwan in Armenien und Baku in Aserbaidschan. Ein Wiederaufbau im Zeichen der Völkerfreundschaft.
Exakt 20 Jahre später – es ist ein gespenstischer Zufall – wiederholt sich die Geschichte. Wieder ist es der 26. April, wieder wird die Sowjetunion von einer Katastrophe getroffen. Dieses Mal handelt es sich um eine von Menschen gemachte. Im ukrainischen Tschernobyl kommt es zum Super-Gau. Wegen der Strahlenbelastung muss auch das benachbarte Prypjat geräumt werden, die Wohnstadt für die Mitarbeiter des Atomkraftwerks und deren Familien. Als Ersatz entsteht ein neuer Ort, 50 Kilometer entfernt von Tschernobyl: Slawutytsch. Jedes Viertel dieser letzten sowjetischen Planstadt wird jeweils von Architekten einer einzelnen Unionsrepublik gestaltet. Auch hier: Aufbau im Zeichen der Völkerfreundschaft.
Taschkent hat heute zwei Millionen Einwohner, Slawutytsch nur 25 000. Dazwischen liegen der Ural, die Steppe, das Kaspische Meer und mehr als 3000 Kilometer. Doch die gemeinsame Geschichte verbindet die beiden Städte bis in die Gegenwart. Nirgendwo auf dem ehemaligen Gebiet der UdSSR ist die Vielfalt des Plattenbaus so groß wie an diesen zwei Orten. Heute sind sie so etwas wie Open-Air-Museen des sowjetischen Wohnungsbaus. Bunte Fassadenmosaike, kaukasische Holzerker oder experimentelle Betonornamente – die verschiedenen Kulturen des einstigen Riesenreichs haben hier architektonisch ihre Spuren hinterlassen.
Mehr noch: Das Erdbeben von Taschkent und die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl bescherten der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts mit diesen zwei Städten bislang kaum beachtete Innovationsschübe. Aus ihnen lässt sich manches für die aktuelle Debatte über Notunterkünfte und die Zukunft des Wohnungsbaus lernen.
Breschnew flog noch am selben Tag los
Die Nachricht von dem großen Erdbeben ging 1966 sofort um die Welt. Die Tatsache, dass über die Naturkatastrophe offen berichtet wurde, war seinerzeit eine Sensation. Es herrschte Kalter Krieg, und Moskau wollte die Schwächen des Gegners, keinesfalls aber eigene Rückschläge offenbaren. Trotzdem flog Staats- und Parteichef Leonid Breschnew noch am selben Tag nach Taschkent, um Solidarität mit den Opfern zu bekunden. Er fand ein verwüstetes Stadtzentrum vor, aus dem moderne, baukonstruktiv verstärkte Büro- und Verwaltungsbauten wie Leuchttürme herausragten. Taschkent offenbarte sich als geteilte Stadt: einerseits die zerstörte und kaum noch lebensfähige Altstadt, andererseits die funktionierende Neustadt mit geringen Schäden.
Kurz vor dem Rückflug nach Moskau wandte sich Breschnew ans Volk: „Das ganze Land ist mit Taschkent!“ In einer pathetischen Rede formulierte er die Eckpfeiler für eines der größten Programme zum Umbau einer sowjetischen Millionenstadt. Die politische Führung der Sowjetunion und der Usbekischen SSR, so Breschnew vor Parteimitgliedern, sei „überzeugt, dass Moskau, Leningrad, die Russische Föderation, die Ukraine, Weißrussland, alle Nachbarn und alle anderen Sowjetrepubliken die Verpflichtung übernehmen, nicht nur einzelne Häuser, sondern ganze Quartiere wieder aufzubauen!“
Sechs Wochen später eine erste Bilanz: Das Beben hatte 4,5 Millionen Quadratmeter Wohnfläche zerstört. Zum Vergleich: Jährlich konnte die lokale Bauwirtschaft nur zehn Prozent davon aus eigener Kraft stemmen. Breschnews Versprechen eines schnellen Wiederaufbaus setzte Politik und Verwaltung in Taschkent unter Druck. Erst die proklamierte Völkerfreundschaft machte es möglich, die hochgesteckten Pläne umzusetzen. Was der Staat nicht kommunizierte: Der Umbau wurde auf Bereiche der orientalischen Altstadt ausgeweitet, die das Beben unbeschadet überstanden hatten. Der Abriss intakter Siedlungen war nur in einem System möglich, in dem Grund und Boden keine Ware darstellten und der Staat uneingeschränkten Zugriff auf Immobilieneigentum hatte.
Aus allen Teilen des Landes wurden in den Wochen nach dem Unglück Mitglieder der Jugendorganisation der Partei und Baubrigaden zur Nothilfe entsandt. Der Wiederaufbau wurde zu einer Legende, gefeiert in Kinofilmen und Propaganda-Büchern: Mit jugendlichem Lebensgefühl genießen darin Studenten aus allen Sowjetrepubliken ihren Sommereinsatz. Die Glorifizierung der Völkerfreundschaft – wie sie in dieser Intensität nicht bei den ebenfalls verheerenden Erdbeben in Aschgabat (1948) und Spitak (1988) belegt ist – setzte sich im kollektiven Gedächtnis der lokalen Bevölkerung fest. Den DDR-Schriftsteller Richard Christ inspirierte sie zu seinem bekannten Kinderbuch „Der Spinatbaum in der Wüste“, das in mehreren Auflagen erschien.
Schon vor dem Erdbeben gab es Pläne für einen Umbau von Taschkent
Der ZK-Beschluss zum Wiederaufbau ermöglichte es, Tausende Sowjetbürger temporär nach Taschkent umzusiedeln – trotz immenser Kosten für den Staat und der Entbehrungen für die Helfer. Bis 1968 wurden mehr als 35 000 Orden „Erbauer Taschkents“ verliehen, davon knapp ein Drittel an Bürger anderer Sowjetrepubliken. Allein diese Zahl gibt eine Vorstellung von den Menschenmassen, die auf den Baustellen bewegt wurden. Die Arbeiter wurden von den Agitatoren der Partei sowie von Fotografen begleitet, sodass 1966 und 1967 die am besten dokumentierten Jahrgänge in der Geschichte des sowjetischen Taschkent sind.
Dass Taschkent in kürzester Zeit neu entstand, hing jedoch nicht nur mit dem Einsatz der Helfer zusammen. Denn: Schon vor dem Erdbeben hatte es konkrete Pläne für einen weitreichenden Umbau der Stadt gegeben. So sollten verwinkelte Gassen durch breite Magistralen ersetzt werden. Vorbild waren die Bauten am Neuen Arbat in Moskau, die ebenfalls eine historische Struktur unter sich begraben hatten.
Erst Anfang 1966 war in Taschkent ein entsprechender Generalplan in Kraft getreten. Dieser wurde nun modifiziert; das Erdbeben ermöglichte einen beschleunigten Start. Der Umbau der orientalischen, kolonialen und durch Stalin geprägten „Collage City“ zu einer Musterstadt sowjetischer Planung wäre also auch ohne das Beben vollzogen worden – allerdings nicht in so kurzer Frist und in dieser Radikalität.
Bereits sechs Wochen nach dem Beben werden Grundsteine gelegt
Rund um das Epizentrum wurden etwa 300 Hektar freigeräumt. Da eine lückenlose Dokumentation der Erdbebenschäden nicht erfolgte, lässt sich keine sichere Aussage treffen, inwieweit diese großflächige Baufeldfreimachung in den Schäden, den Wünschen der Stadtplaner oder dem Druck von Politikern begründet lag.
Bereits sechs Wochen nach dem Erdbeben wurden in den innerstädtischen Mikrorajons Z-1 und Z-2 die Grundsteine gelegt. Dabei handelte es sich um städtebauliche Ensembles, wie sie in jener Zeit in allen Metropolen der UdSSR gebaut wurden. Taschkent brauchte da keinen Vergleich mit den neuen Magistralen in Moskau, Kiew oder Minsk zu scheuen.
Das Besondere waren jedoch nicht die beeindruckenden Quantitäten und die schnelle Fertigstellung, sondern die Vielfalt der realisierten Bauten: In Taschkent findet man heute orientalische Fassadenmosaike ebenso wie hölzerne Erker, die aus dem Kaukasus stammen.
Das Programm, das Architekten, Ingenieure und Bauleute aus allen Sowjetrepubliken nach Taschkent brachte, war auf 18 Monate ausgelegt. Teilweise wurden die Bauten durch Baubrigaden und ehrenamtliche Helfer, etwa Studenten der Jugendorganisation Komsomol, auf Basis vorhandener Typenprojekte in Ziegelbauweise errichtet. Andere Projekte wurden in Plattenbauweise von geschulten Arbeitern aus Schwesterrepubliken montiert. Nachzuweisen sind aber auch Wohnbauserien von nicht-usbekischen Projektinstituten in zwei Stadtbezirken. Dabei handelte es sich überwiegend um Ziegelbauten, die ursprünglich an anderen Orten entworfen worden waren und an das warm-trockene Klima in Usbekistan angepasst wurden. Das Bauprogramm war variantenreich, gleichwohl basierte es bis auf wenige Ausnahmen auf bereits durch das Bauministerium genehmigten Serientypen.
In den Mikrorajons im Zentrum, die von den Projektinstituten ZNIIEP schilischtscha, MNIITEP (beide Moskau), LenSNIIEP (Leningrad) und KiewSNIIEP (Kiew) verantwortet wurden, ergänzten lokale Architekten die neuen Stadtquartiere mit ausdrucksstarken öffentlichen Bauten.
In der Ukraine agierten die Architekten im Kiefernwald
1986 lief der Aufbau einer sowjetischen Stadt in viel kleinerem Maßstab ab. Aber auch in Slawutytsch kamen Planer und Baubrigaden aus verschiedenen Sowjetrepubliken zusammen. Für die Menschen aus Prypjat bedeutete der Umzug in die neue Stadt zwei Jahre später das Ende einer Odyssee in Zwischenunterbringungen.
Während in Taschkent das historische Zentrum erst durch das Erdbeben zerstört und dann von den Stadtplanern bewusst ausradiert wurde, agierten die Kollegen in der Ukraine auf freiem Feld und im Kiefernwald.
Zwischenzeitlich hatte sich das stadtplanerische Verständnis in der Sowjetunion grundlegend gewandelt. Umweltverantwortung und Postmoderne waren auch in der sozialistischen Welt keine Fremdworte mehr. In Slawutytsch kumulierten Öko-Bewusstsein, die Suche nach einer nutzerfreundlichen Stadt und die staatliche Fürsorgepflicht in einem Stadttypus bislang unbekannter Art. Die Stadtform gleicht einem Fußabdruck, dessen Zentralbereich von Grünanlagen und öffentlichen Räumen geprägt ist. U-förmig reihen sich zehn Wohngebiete, die von Planerteams aus acht verschiedenen Teilrepubliken der UdSSR geplant und ausgeführt wurden: Neben dem Stadtkern gibt es ein armenisches, ein aserbaidschanisches, ein georgisches, ein russisches, ein lettisches, ein estnisches, ein litauisches und schließlich ein ukrainisches Viertel – jedes mit deutlichen Anleihen an die jeweiligen regionalen Bautraditionen. Außerdem besonders an Slawutytsch: Es fehlen Bauschmuck und Monumente, wie sie sonst typisch waren für sowjetische Werksiedlungen.
Um das Trauma der Bewohner durch einen hohen Erholungscharakter zu lindern, setzte Chefarchitekt Fedir Borowyk auf eine harmonische Komposition der Bauten und eine behutsame Einbindung der Natur als stadtbildprägendes Element. „Wir hatten die klare Vorgabe, so viele Bäume wie möglich zu erhalten“, erinnert sich Borowyks damaliger Mitarbeiter Wolodymyr Petrow, der heute ein Planungsbüro in Kiew leitet. „Die Architekten hatten außer ein paar Straßenführungen keine strengen Vorgaben und konnten ihre Ideen umsetzen. Die Balten bauten Holzhäuser, die Armenier ließen Tuff-Steine anliefern.“ In der Tat geben die unterschiedlichen Materialien den einzelnen Quartieren ihren individuellen Charme. Auffallend sind die unterschiedlichen Gebäudetypologien, die von freistehenden Einfamilienhäusern über schmale Reihenhäuser bis zu Wohnblöcken und einigen Hochhaus-Dominanten reichen.
Chruschtschows Rede prägte eine Generation von Architekten
Man muss die Zwänge, denen sowjetische Architekten durch Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Normen ausgesetzt waren, kennen, um die monoton wirkenden Beispiele des Wohnungsbaus zu verstehen. Im Jahr 1954 hatte der damalige Parteichef Nikita Chruschtschow eine Rede gehalten, die der Auftakt zur Entstalinisierung war. Darin widmete sich Chruschtschow der Architektur. Das Signal: weg vom Zuckerbäckerstil, hin zu uniformen, einfachen Wohnbauten, die man überall schnell und billig errichten konnte. Seitdem hatte der serielle Wohnungsbau eine ganze Generation von Architekten geprägt.
Vor diesem Hintergrund ist es nur allzu verständlich, dass sowjetische Architekten bei den Bauaufgaben, die ihnen einen gewissen Spielraum im Entwurf ließen, besonders kreativ wurden. Zu diesen Aufgaben gehörten etwa Fassadenschmuck, Balkonbrüstungen oder Eingänge. Sofern die von lokalen Architekten gestalteten Entwürfe durch örtliche Parteigremien bestätigt wurden, erhielten Großtafeln, Betonfertigteile oder bauliche Sonnenschutzelemente mitunter traditionellen Dekor. Ein spezielles Augenmerk verdienen Fassadenmosaike, die in die Betonplatten eingelassen wurden – eine dauerhafte Verbindung von Architektur und Kunst.
Bis heute gilt Taschkent als gelungenes Beispiel
Besonders ausgeprägt war diese Lust am architektonischen Schmuck in den südlichen Sowjetrepubliken, etwa im multiethnischen Kaukasus und im islamisch geprägten Zentralasien. Unter diesen Regionen hatte sich die Usbekische SSR besonders als ein Ort entwickelt, an dem nationale Traditionen mit sowjetischen Baunormen eine Symbiose eingingen. Bis heute gilt Taschkent als gelungenes Beispiel für den Versuch Moskaus, den Architekturkollektiven und Baukombinaten in den fernen Unionsrepubliken eine gewisse gestalterische Freiheit zu lassen. Provokant ausgedrückt: Die sowjetische Ideologie der Serie und das islamische Regelwerk der sich wiederholenden Grundformen basieren zwar auf unterschiedlichen kulturellen Wahrnehmungen, sind sich aber in der architektonischen Anwendung ähnlich.
Da das Planen und Bauen strikt getrennt und eine Bauleitung oder eine künstlerische Oberleitung durch den entwerfenden Architekten nur in Ausnahmefällen wie etwa bei bedeutenden Gesellschaftsbauten vorgesehen war, sind die Namen der Entwurfsverfasser im seriellen Wohnungsbau selten überliefert. Als eigenständige Kunstform sind Fassadenschmuck und Plattenbauelemente bislang kaum beschrieben worden.
Vor allem belegen der Umbau von Taschkent und der Neubau von Slawutytsch den Austausch von Know-how innerhalb der gesamten Sowjetunion. Dass diese groß angelegte Transformation der Stadt als „Teil der Völkerfreundschaft“ von der sowjetischen Propaganda als mediengerechtes Thema erkannt wurde, mag die Bedeutung der Baukunst unterstreichen, die neben Weltraumfahrt und Militärtechnik hohes Ansehen bei Bevölkerung und Politik genoss.
Die Zerstörung einer Stadt als Innovationsmotor zu betrachten, fällt Architekturhistorikern in der zeitlichen Distanz immer leichter als den Nothelfern in der akuten Bedrohungslage. Erstaunlich ist aber, welche Parallelen aus den Mechanismen der Unglücksbekämpfung gezogen werden können – selbst wenn die Katastrophen an sich unterschiedlicher kaum sein könnten. Diese Erkenntnis gilt für den großmaßstäblichen Städtebau ebenso wie für die detailfreudige Architektur.
Im Norden der Ukraine entstand die erste Ökostadt
Staatlich verordnete Arbeitseinsätze, die Mobilmachung sämtlicher Ressourcen in der Bauwirtschaft und die dutzendfache Errichtung identischer Gebäude ermöglichten sowohl nach dem verheerenden Erdbeben als auch nach dem tödlichen Atomunfall einen Wiederaufbau in Hochgeschwindigkeit. Für viele Beobachter überraschend: Beide Beispiele setzten Akzente in der Architekturgeschichte. Während Taschkent als Stadt mit den schönsten Plattenbauten der Welt wiederaufgebaut wurde, entstand im Norden der Ukraine die wahrscheinlich erste Ökostadt überhaupt.
Die Neubauten in Taschkent und in Slawutytsch konnten nur in einem solchen Tempo errichtet werden, weil Typenprojekte in der Schublade lagen und zuvor erfolgreich realisiert worden waren. Dass trotz serieller Bauten keine Monotonie entstand, ist den vielen Architekten zu verdanken, die parallel am Aufbau einer ganzen Stadt mitwirkten: Es war, als hätten einzelne Schüler einer Schulklasse mit standardisierten Legosteinen verschiedene Häuser zusammengesetzt; der Lehrer suchte die besten Beispiele heraus und ließ diese mehrfach nachbauen, bis eine ganze Legostadt entstand.
In unserem westlichen Verständnis von Baukultur werden serielle Gebäude fast immer gering geschätzt. Ein Fehler. Taschkent und Slawutytsch beweisen, dass man auch mit Typenbauten Gebäude schaffen kann, die sehr unterschiedlich aussehen. Heute, wo wegen der Flüchtlingskrise schnell Wohnraum geschaffen werden muss, sollte man von diesem Beispiel lernen.
Der Autor ist Architekt in Berlin. In seinem Verlag „Dom Publishers“ sind gerade zwei englischsprachige Bücher zum Thema erschienen: der Architekturführer Slawutytsch von Ievgeniia Gubkina und „Seismic Modernism“ über Taschkent von Philipp Meuser selbst.
Philipp Meuser
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität