Hauptstadt von Turkmenistan: Aschgabat - eine Stadt voller bizarrer Architektur
Sie ist das Zentrum eines abgeschotteten, rätselhaften Landes, das vom Erdgas lebt. In Turkmenistans Hauptstadt verwirklicht ein Diktator seine architektonischen Träume. Unser Autor, Architekt und Verleger Philipp Meuser, war dort
Diese Stadt könnte der Fantasie eines Kinderzimmers entsprungen sein, wo die Jüngsten mit ihren Buntstiften und Bauklötzen Häuser erfinden. Die Boulevards von Aschgabat sind breit, an ihrem Rand stehen weiße Marmorbauten mit bis zu 20 Geschossen. Auf einem Hügel über der turkmenischen Hauptstadt thront der neue Hochzeitspalast, und entlang der Berge zum benachbarten Iran, dem schiitischen Gottesstaat, reihen sich Regierungs- und Verwaltungsbauten. Das Außenministerium ist von einer großen Weltkugel gekrönt, Turkmenistan in glänzendem Gold markiert. Die örtliche Zahnklinik formt einen Backenzahn nach, der im grünen Rasen wurzelt.
Das Teppich- und Pferdemuseum der Stadt dürfte ebenso einzigartig sein wie die beleuchteten Zebrastreifen (die es allerdings nur in der Nähe des Präsidentenpalasts gibt, wo ohnehin kein öffentlicher Verkehr zugelassen ist) und die klimatisierten Bushaltestellen (ebenfalls nur in Sichtweite des Amtssitzes von Präsident Berdimuhamedow).
Aschgabat entwickelte sich im 19. Jahrhundert um einen russischen Militärstützpunkt. Ein schweres Erdbeben zerstörte die Stadt 1948 fast vollständig – danach wurde sie wieder aufgebaut, die entscheidenden Jahre der Umgestaltung waren aber die nach der Unabhängigkeit Turkmenistans von der Sowjetunion 1991.
Unter Präsident Saparmurat Nijasow, der sich „Turkmenbaschi“ (Vater aller Turkmenen) nennen ließ und einen Kult um seine Person etablierte, begann sich Aschgabat in ein baukünstlerisches Panoptikum zu verwandeln. Nijasow prangte auf Geldscheinen und im Logo des Staatsfernsehens, im ganzen Land ließ er Statuen von sich selbst und von seinen Eltern aufstellen, selbst die Monate wurden umbenannt – der Januar nach ihm, der April nach seiner Mutter.
Der plötzliche Tod des Diktators 2006 bedeutete für den abgeschotteten Wüstenstaat, dessen rigide Visa-Politik mit der Nordkoreas vergleichbar ist, keine wesentlichen Änderungen. Nachfolger Gurbanguly Berdimuhamedow gibt sich als „Mann des Volkes“ und als Pferdenarr – die Tiere sind nach Erdgas und Teppichen die Nummer drei auf der Exportliste. Vor knapp zwei Jahren überlebte der Präsident den Sturz bei einem Pferderennen nur mit Glück. Seine Gegner, die aus Ehrfurcht kein Überholmanöver gewagt hatten, konnten einen Bogen um ihn machen. Als die Gäste das Hippodrom verlassen wollten, kontrollierten Ordnungskräfte ihre Mobiltelefone – Videos von dem Ereignis haben es trotzdem auf Youtube geschafft. Politisch blieb Berdimuhamedow zunächst unauffällig. Heute eifert er „Turkmenbaschi“ mit dessen Architektur der Superlative nach.
Umgesetzt werden die Visionen von Baufirmen aus Frankreich und der Türkei. Sie buhlen mit gefälligen Entwürfen um Aufträge, die meist durch Kredite im Gegengeschäft mit Abbau- und Förderrechten für Bodenschätze finanziert ist.
An einen sparsamen Umgang mit Wasser ist nicht zu denken
Aschgabat hat mehr als 800 000 Einwohner. Es liegt inmitten einer wüstenähnlichen Landschaft, nur 40 Kilometer von der iranischen Grenze entfernt. Mit Wasser wird die Oasenstadt über den Karakumkanal versorgt, der sich über 1500 Kilometer durch das Land erstreckt und in der Wüste ergießt. Dieser Kanal, der sein Wasser dem Amurdarja entnimmt, ist eine der Ursachen für das große ökologische Desaster am Aralsee, der seit 40 Jahren kontinuierlich austrocknet.
An einen sparsamen Umgang mit Wasser ist in Aschgabat nicht zu denken. Selbst in Neubauten ist der Einbau von Wasserzählern keine Pflicht. Darüber hinaus ist das Stadtbild von unzähligen Brunnenanlagen und Fontänen geprägt. „Wasser ist von Gott gegeben – deshalb sollte es auch für alle kostenlos zur Verfügung stehen“, ist der immer wieder zitierte Satz des Präsidenten, der seine Hauptstadt in ein „Königreich der Brunnen“ verwandeln will und von seinem Volk kein Geld für die Wassernutzung verlangt. Selbst kleine Bauprojekte werden inzwischen von Wasseranlagen gerahmt. Dass dies durchaus positive Auswirkungen auf das Mikroklima der Stadt hat, macht sich vor allem im Hochsommer bemerkbar, wenn aufgrund der extremen Hitze von bis zu 50 Grad Celsius die Stromversorgung eingeschränkt werden muss. Sobald dann die Brunnen der Stadt abgestellt werden, steigt die Temperatur um bis zu fünf Grad an.
Aschgabats kaum zu übersehender Bauboom dient wie im kasachischen Astana, wo sich Präsident Nasarbajew eine neue Hauptstadt in der Steppe bauen lässt, als Spiegel einer vermeintlichen Erneuerung der Gesellschaft. Dabei werden Architekturtraditionen beschworen, die es in Turkmenistan außer bei Grab- und Sakralbauten niemals gegeben hat. Der Großteil des Nomadenvolkes ist erst seit drei Generationen sesshaft und hat sich den von den damaligen russischen Besatzern vorgegebenen Wohnformen – Plattenbau und Datscha – angepasst. Hinzu kommt, dass an die Zeit vor dem Erdbeben im Jahr 1948 kaum mehr als eine Handvoll Gebäude erinnert.
Auch wenn die älteste Bausubstanz Aschgabats daher erst knapp 70 Jahre ist, sind viele Häuser aus der Sowjetzeit vom Abriss bedroht. Gerade zwei Prozent der Bauten stehen unter Denkmalschutz. Zu diesen gehört eine Ikone der Sowjetmoderne, die 1975 nach Entwürfen von Abdullah Ahmedow fertiggestellte KarlMarx-Bibliothek. Mit ihrer Komposition aus Sichtbeton und dunklen Holzvertäfelungen gilt sie als ein Meisterwerk internationaler Baukunst der 70er Jahre. Sie allein ist eine Reise nach Turkmenistan wert. Dass die Fassade vor einigen Jahren mit weißem Marmor dem Geschmacksdiktat des Präsidenten angepasst wurde, irritiert eher die älteren Architekten, sofern sie inzwischen nicht nach Russland ausgewandert sind.
Unser Autor Philipp Meuser ist Architekt und Verleger in Berlin. Er plant derzeit unter anderem in Turkmenistan.
Philipp Meuser
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