Blumenkohl ist der nächste It-Kohl: Kohl macht sich fein
Eine Ewigkeit wurde der Blumenkohl verachtet und unter dicken Mehlsaucen versteckt. Nun beweisen kreative Köche: Dieses Gemüse ist sogar Fleisch für Vegetarier.
In den angesagten Restaurants der Welt hat er längst den Grünkohl als Star unter den Gemüsesorten abgelöst: In New York in dem auf Monate im Voraus ausgebuchten „Blanca“ serviert Küchenchef Carlo Mirarchi zwischen Flunder-Sashimi in weißer Gazpacho und Plankton-Agnolotti einen Gang aus geröstetem Blumenkohl, über den getrocknete Makrele gehobelt wird; im Kopenhagener „Noma“ gart René Redzepi Blumenkohl unter Tannenzweigen bei niedriger Temperatur; und in seinem „L’Atelier“ in London zeigt Joël Robuchon mit einer Blumenkohlcreme unter Hummergelee und Kaviar, dass sich der bleiche Kreuzblütler selbst in der obersten Gourmetliga behaupten kann.
Auch in Berlin tut sich einiges: Im „Hummus & Friends“ wird ein Grapefruit-großer Kopf gebacken und zu Hummus und scharfem Koriander-Pesto serviert. Für die Bar des „Pauly Saal“ inszeniert Arne Anker zeitgemäßes Barfood mit Retroelementen der Omiküche: Er mariniert und gart einen kleinen Kopf sous vide bei 90 Grad, frittiert ihn danach knusprig und toppt ihn am Schluss mit Semmelbrösel und frischen Kräutern.
Blumenkohl polnisch - ganz anders
Die wohl ausgefeilteste Kreation dürfte zurzeit die augenzwinkernde Reminiszenz an den Klassiker „Blumenkohl polnisch“ von Alexander Koppe aus dem „Skykitchen“ in Lichtenberg sein: Alles liegt auf einem Bett aus gerösteten Semmelbröseln und wird umspült von Parmesancreme und Nussbutter. Der Blumenkohl selbst tritt in verschiedenen Texturen auf, um ihn herum kugelt Kaviar aus Eiweiß und auf ihm thront ein Eigelb, das zuerst im Froster gestockt und danach temperiert in Form gebracht wurde.
Überall in der Stadt erarbeiten Profis neue Blumenkohl-Ideen, sie zerkrümeln, dehydrieren, lassen ihn in hauchdünnen Segeln über die Teller ragen oder als Creme ein wohlschmeckender Teppich sein, der den Stars aus Fisch und Fleisch die Schau stiehlt.
Noch sind beileibe nicht alle Möglichkeiten ausgereizt: Küchenmagier Heiko Antoniewicz, der unter Laborbedingungen nach neuen Aromen-Pairings forscht, kombiniert Blumenkohl mit Holunder, Mohn und Schokolade – selbst mit Kaffee soll er harmonieren.
Der nächste It-Kohl
Blumenkohl ist der nächste It-Kohl, das neue Gemüsewunder, ein echtes Superduperfood.
Man könnte den Hype aber auch als späte Wiedergutmachung sehen für ein Jahrhunderte andauerndes Missverständnis, für Schmach und Nichtachtung. Denn die Geschichte des Blumenkohls ist eine Leidensgeschichte, ein Martyrium eines Ausnahmegewächses, dessen Karriere doch eigentlich so vielversprechend begann:
Seine Vorfahren waren Wilde, mehr Blatt als Blume und noch weit davon entfernt, eine weiße, fleischige Pracht in sich zu tragen. Wo diese Wilden herkamen, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen: China, Orient, südliches Griechenland, Türkei – einerlei. Ziemlich sicher ist man sich allerdings darin, dass es Gärtner aus Kleinasien waren, die sich seine heutige Form ausdachten und ihn durch geduldige Selektion aus den Reihen der rustikalen Blattkohlgewächse in die Riege der feinen Blütenkohle erhoben.
Von barocker Opulenz
Sie erzogen den einst so Wilden, domestizierten seinen Wuchs und brachten ihm bei, wie man sich vor der Sonne schützt.
Das war die Geburtsstunde des Blumenkohls, des majestätischen Karfiols, einem „Kohlkopf mit akademischer Bildung“, wie Mark Twain vermutete. Damals waren die Köpfe noch deutlich kleiner als die hochgezüchteten Exemplare unserer Zeit. Aber sie hatten bereits ihre typische Form, die, wie Wilhelm Busch bemerkte, dem menschlichen Hirn nicht unähnlich ist.
In „Die Stadt der träumenden Bücher“ lässt Walter Moers den Lindwurm und Koryphäe in Zamonischer Botanik, Danzelot von Silbendrechsler, die „Dressur“ des Blumenkohls wie folgt beschreiben: „Der Blütendolde anerzieht der Gärtner die temporäre Fettsucht. Ihre zahllosen, zu einem kompakten Schirm zusammengedrängten Blütenknöspchen verfetten mitsamt ihren Stielen zu einer unförmlichen Masse (…) Pflanzenspeck. Der Blumenkohl ist also eine vor dem Aufblühen in ihrem eigenen Fett verunglückte Blume.“ Geerntet werde er „auf dem Gipfel seiner Verwirrung, (…) nämlich im höchsten und schmackhaftesten Stadium seiner Verfettung.“
Über Genua nach Frankreich und Deutschland verschleppt, erlag im 16. Jahrhundert ganz Europa den Reizen des neuen, höchst ergiebigen, zu beinahe barocker Opulenz neigenden weißen Gemüses.
Vornehme Blässe
Doch es war nicht nur die schiere Masse, die seinen Erfolg begründete: Er war von feinerem Geschmack, weil er weniger Senföl und damit Schärfe als andere Kohlsorten entwickelte. Und er besaß Stil: Vornehme Blässe – noblesse oblige – teilte zu dieser Zeit die Welt in Untertanen, die der Sonne ausgesetzt waren und Herrschaften, die zu Höherem geboren waren. Sein vom Sonnenlicht unbeflecktes, makellos weißes Fruchtfleisch hat der Blumenkohl allerdings nicht von Gottesgnaden – er verdankt sie einem Trick: Früher banden Gärtner die Hüllblätter über dem Blütenstand zusammen, so dass kein Licht die farbgebende Photosynthese in Gang setzen konnte. Heute schafft es der Blumenkohl dank intensiver Züchtung selbst, die Blätter über seinem Kopf zusammen zu schlagen.
Wann genau der Niedergang des eben noch so begeistert aufgenommenen Blütenkohls begann, lässt sich nicht bestimmen. Es waren wohl unsere genussfeindlichen Vorfahren, die den raffiniert und vielfältigst zubereitbaren Alleskönner zu einem dumpfen Sattmacher degradierten.
Während er in seiner alten Heimat gebraten, mariniert, in Teig ausgebacken oder gegrillt zu Höchstform auflief, verlor er in den kulinarischen Fängen unserer Ahnen jeden Biss und wurde bis zur käsig-krümeligen Unkenntlichkeit verkocht – was umso demütigender für ihn gewesen sein muss, weil durch langes Kochen die in Kohl gebundenen Schwefelverbindungen aufbrechen und teuflisch müffelnde Dämpfe freigesetzt werden. Wäre das nicht schon genug der Schmach, musste er sich die folgenden Jahrhunderte unter schweren Mehlsaucen oder verhackstückten Eiern und Semmelbrösel verstecken.
Ironie seiner Geschichte: Mit der Aufgabe jedes Raffinements wurde das Gemüse nur noch beliebter. Sollte man seine kulinarische Degradierung zum Volksernährer als Bekenntnis zu dem gerade aufkeimenden Egalitarismus verstehen können?
Die teuflisch-schwefelige Seele wurde ihm ausgetrieben
Nicht seine Schönheit wurde mehr bewundert, nicht seine komplexe Aromatik erforscht – man nahm ihn bei sich auf, weil er stark sättigte, wenig kostete und leicht zu züchten war. Er sicherte das Überleben in Krisenzeiten und blieb auch danach Teil europäischer Massenproduktion. Und des damit verbundenen Preiskampfes, der seit 1961 immer wieder in „Blumenkohlkriegen“ eskaliert: Bretonische Bauern, die wichtigsten Blumenkohl-Produzenten Europas, kippten damals aus Protest gegen die de-Gaullsche-Agrarpolitik tonnenweise Kohlköpfe auf Straßen und Gleise – ein Ritual, das bis heute gepflegt wird, wenn eine gute Ernte die Blumenkohl-Preise drückt. Was 2016 wieder der Fall sein dürfte.
Aber hier endet der tiefe Fall des aristokratischen Blütenkohls. Die Zeit ist reif, ihm eine zweite Chance zu geben. Spanischen Züchtern ist es inzwischen gelungen, ihm seine teuflisch-schwefelige Seele auszutreiben, wodurch er auch im stumpf verkochten Zustand gesellschaftsfähig bleibt. Hinzu kommt, dass sich in unseren Restaurants und Küchen die Erkenntnis durchsetzt, dass auf einem Teller nicht alles, was sich um das Fleischstück gruppiert, allein der Sättigung dienen muss.
Im Ganzen gebacken
Der Aufwertung der Gemüseküche, die Wertschätzung für alles Regional-Saisonale, von all dem profitiert er.
Die wichtigsten Impulse für seine Rehabilitierung kamen aber aus dem ostmediterranen und indischen Raum. Hier wurde das Wesen des Blumenkohls schon immer besser verstanden und dieses Wissen in gebratenen Blumenkohlröschen zu Joghurtsauce, in Kichererbsenteig ummantelten Pakoras und im Ganzen gebackenem Tandoori-Blumenkohl konserviert.
Mehr als jede andere Gemüsesorte musste der Blumenkohl für unsere Wertschätzung kämpfen. Jetzt endlich erfährt er die Beachtung, die er verdient. Denn er besitzt neben seinen vielfältigen Möglichkeiten der Zubereitung einer enorme Wandlungsfähigkeit, über die kaum ein anderes Gemüse verfügt: Er lässt sich perfekt anbraten, bleibt dabei leicht bissig und entwickelt feine, süßliche Röstaromen.
Blumenkohl ist das Fleisch unter den Gemüsen.
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