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Du bist, was du isst. Jalil Dabit (l) und Oz Ben David mixen im Kanaan palästinensische und israelische Küche.
© DAVIDS/Sven Darmer

Israeli und Palästinenser betreiben Restaurant: Liebe geht durch den Magen - und Hass?

Jalil Dabit und Oz Ben David haben den Nahostkonflikt gelöst – in ihrer Berliner Küche. Sie servieren Hummus zur Völkerverständigung.

Das hier, sagt Oz Ben David und stellt den Teller in seiner Hand auf dem Tisch ab – das ist, wer wir sind. Neben ihm sitzt sein Freund und Geschäftspartner Jalil Dabit. Beide mit schwarzem Bart, dunklen Augen und leicht ergrautem Haar. Ben David, 36, ist Israeli. Dabit, 34, ist Palästinenser. Vor ihnen steht der Teller mit Hummus und Tomatensoße. Das hier, sagt nun auch Dabit, erzählt die Geschichte des Nahen Ostens.

Die Geschichte des Nahen Ostens ist vor allem eine Geschichte zweier Völker. Eine ziemlich blutige, aber darum soll es zunächst ausnahmsweise nicht gehen. Denn in Berlin funktioniert, was in Nahost seit fast 70 Jahren undenkbar ist – ein friedliches Miteinander von Palästinensern und Israelis. Dabit und Ben David haben eine der entscheidenden Zutaten dieses Erfolgs identifiziert: die Kichererbse.

Es ist ein warmer Samstag im Mai, Ben David hat gerade die Türen seines Restaurants Kanaan in der Kopenhagener Straße in Prenzlauer Berg geöffnet, da kommen schon die ersten Gäste. In der Küche hastet das Personal noch etwas unorganisiert hin und her. Alle sind sie jung, alle reden sie durcheinander. Syrer, Palästinenser, Schweden, Russen und Israelis arbeiten im Kanaan, sprechen ein Mischmasch aus Englisch, Hebräisch und Arabisch. Oz Ben David ruft einige Anweisungen über den Tresen. Die traditionelle Limonen-Limonade in einem großen Plastik-Tank ist schon angesetzt. Die Araber und Israelis, die hierherkommen, suchen alle dasselbe: den Geschmack von Hummus, von Heimat. Ben David schwört, dass auch schon eine Frau in Burka sich von ihm, dem Juden das Mittagessen auf der kleinen Terrasse des Kanaan servieren ließ.

Seit 400 Jahren ist die Familie im Kichererbsen-Business

Und das, während Israel seit einem halben Jahr wieder erlebt, was einige schon eine dritte Intifada, also einen gewaltsamen Aufstand der Palästinenser nennen. Mehr als 30 Israelis sind seitdem getötet worden, meist mit Messerstichen. Sicherheitskräfte töteten mehr als 200 Palästinenser, die meisten davon Attentäter.

Der Konflikt scheint fern, als Jalil Dabit seinen Mitarbeitern über die Schulter guckt, die gerade den Hummus anrühren. Dabit achtet darauf, dass alle sich genau an sein Rezept halten. Jalil Dabits Familie ist angeblich immerhin schon seit gut 400 Jahren im Kichererbsen-Business. Einer seiner Ahnen soll bereits für die osmanische Armee Hummus zubereitet haben. Sicher ist, dass sein Großvater ein Restaurant hatte, sein Vater sowieso. „Samirs“ heißt es und wird bis heute von Dabit im israelischen Ramla betrieben. Die Geschichte reicht aber noch viel weiter zurück. Kichererbsen wurden schon vor 8000 Jahren in der Steinzeit in Kleinasien kultiviert, auch im alten Troja haben die Menschen sich wohl davon ernährt. Und viele Muslime glauben, dass Sultan Saladin im 12. Jahrhundert nicht nur Jerusalem von den Kreuzrittern befreite, sondern auch noch auf die Idee kam, Kichererbsen mit etwas Sesampaste und Olivenöl zu Brei zu zerstampfen.

Seit einigen Jahrzehnten allerdings ist Hummus mindestens ebenso umstritten wie die Zweistaatenlösung. Wer den tragischen Aberwitz des Nahost-Konfliktes verstehen möchte, fängt vielleicht am besten erst mal damit an, den Streit um Hummus zu begreifen. Denn was gibt es Politischeres als Essen? Essen kann Heimat bedeuten - oder Fremde. Zugehörigkeit oder Abgrenzung. Ein vertrauter Geruch provoziert unwillkürlich Erinnerungen, schöne oder schmerzhafte. Ein Gericht sagt mehr als tausend Worte.

Der Rekord liegt bei zehn Tonnen Hummus

Hummus jedenfalls bezeichnen Araber und Israelis gleichermaßen als Nationalgericht. Neben den Israelis behaupten auch die Palästinenser, die Libanesen, Ägypter und wer in der Region sonst noch etwas auf sich hält, Hummus nicht nur erfunden zu haben, sondern auch um die einzig richtige Art der Zubereitung zu wissen. Am erbittertsten wird der Streit zwischen Israel und dem Libanon ausgetragen, wo viele palästinensische Flüchtlinge leben.

Für einen Eintrag ins Guinness-Buch bereiteten Köche im Libanon 2009 zwei Tonnen Hummus zu. Im Folgejahr holte Israel zum Vergeltungsschlag aus, die Köche liehen sich von einem Fernsehsender eine Satellitenschüssel und füllten sie mit vier Tonnen Hummus. Im Moment liegen die Libanesen wieder vorne: zehn Tonnen. Wäre das geklärt - aber da ist über Geschmack noch nicht gestritten worden.

Im Kanaan arbeiten Leute aus den unterschiedlichsten Ländern.
Im Kanaan arbeiten Leute aus den unterschiedlichsten Ländern.
© Sidney Gennies

Im Kanaan haben sie kurzen Prozess gemacht. „Best Hummus in Town“, steht auf einem Schild vor dem Eingang. Schwer zu beweisen oder zu widerlegen, jeder bessere Döner-Imbiss verkauft ja welchen. „Ich habe den Hummus nicht nach Berlin gebracht“, sagt Jalil Dabit deshalb, „ich habe den Hummus nach Berlin gebracht.“

Es war immer sein Traum, erzählt Dabit, das Familiengeschäft zu expandieren. Dann ging seine Freundin nach Berlin, um ihren Doktor zu machen. Bei einem Spaziergang durch Neukölln und nachdem er etliche Imbisse durchprobiert hatte, entschied Dabit, dass er dieser Stadt gerade noch gefehlt hatte. Jemand, der Hummus so zubereitet, wie er auch in Israel oder Palästina zubereitet würde, und nicht so, wie deutsche Großstädter glauben, dass er schmecken soll.

Der Markt ist da, seit Jahren zieht es immer mehr Israelis nach Berlin. Wie viele genau, weiß auch die Botschaft nicht, die von etwa 15 000 ausgeht, denn viele haben einen Zweitpass und tauchen nicht in der Statistik auf. Palästinenser sind noch schwieriger zu zählen, da sie keinen Staat haben. Fest steht: Es sind viele.

Dabits Partner, Oz Ben David, hat das früh erkannt. Er kam als Marketing-Experte nach Berlin, sein Job war es, Leuten wie Dabit den Einstieg in den europäischen Markt zu erleichtern. Ein Bekannter brachte die beiden zusammen, inzwischen sind sie Freunde.

Fürchtet er, eines Tages ein Messer im Rücken zu haben?

„Wir sind der Beweis, dass es funktioniert“, sagt Ben David. „Bei uns zählt nicht, wo du herkommst, bei uns zählt, welche Geschichte du zu erzählen hast.“

Die Geschichte der beiden, von dem Israeli und dem Palästinenser, die zusammen ein Restaurant betreiben, gefällt nicht allen. Jalil Dabit musste sich anhören, das sei ja mal wieder typisch: der Araber in der Küche, der Jude an der Kasse. Auch über Ben David schüttelten Leute den Kopf. Wie er mit so einem zusammen- arbeiten könne? Ob er nicht fürchte, eines Tages ein Messer im Rücken zu haben?

Nein, hatte er nicht, und auch Dabit steht nicht mehr oft selbst in der Küche. Er hat dem Personal genaue Anweisungen gegeben, und wenn ein neues Gericht auf die Karte soll, muss er das absegnen. Ein Kellner bringt die neueste Kreation. Wassermelone mit Minzblättern und Fetakäse. „Ganz gut“, sagt Dabit. Er wiegt nachdenklich den Kopf. „Einigen wird es schmecken, anderen gar nicht“, sagt er. Es sei sehr speziell. Dann nickt er. Speziell ist gut, speziell darf auf die Karte.

Die Geschichte ihrer Partnerschaft haben Dabit und Ben David auf die Speisekarte übertragen. Stolz sind sie auf ein Gericht, das ihnen, seit sie es erfunden haben, angeblich regelrecht aus den Händen gerissen wird. Von Gästen aus den unterschiedlichsten Ländern.

Das genaue Rezept zur Völkerverständigung ist geheim, natürlich. Nur so viel: Der Hummus wird nach Art von Dabits Familie zubereitet. Die Schakschuka, ein traditionelles jüdisches Gericht aus pochierten Eiern in einer Sauce aus Tomaten, Chilischoten und Zwiebeln, hat Ben Davids Großmutter beigesteuert. Sie haben beides kombiniert und das neue Gericht Hummschuka getauft. „Wir glauben, dass, wenn man zwei fremde Dinge zusammenbringt, etwas Stärkeres, Besseres daraus wird“, sagt Oz Ben David.

Essen als Statement, das gibt es auch woanders

„Hinter jedem Gericht steckt eine Geschichte, jedes Rezept steht für etwas“, sagt Dabit. Doch dass sie hier traditionelle Speisen wild durcheinandermixen, ist nicht nur Symbolik, sondern auch Verkaufsstrategie. Zum Beispiel das Malawach, traditionelles, jemenitisches, blätterteigartiges Brot, das normalerweise mit einem gekochten Ei und Gemüse serviert wird. Gibts hier auch mit Käse und Tomatensoße. Die Italiener stehen drauf, das erinnert sie an Pizza. Gibts aber auch mit Rote Bete und Schafskäse, eher etwas für Gäste vom Balkan. Für die vorsichtigen und konservativen Deutschen, sagt Ben David, haben sie sich auch was ausgedacht: „Kartoffelpuffer mit Hummus! So haben sie was Bekanntes und lernen zugleich etwas Neues kennen.“

Ja, reden die denn auch mal über Politik? - „Nein“, sagt Dabit. „Nie“, sagt Ben David. Was sie machen, stehe für sich.

Essen als Statement gibt es auch woanders. In Pittsburgh hat es das Lokal „Conflict Kitchen“ zu Berühmtheit gebracht. Dort werden Gerichte aus Ländern serviert, mit denen die USA im Streit sind. Eines ihrer ersten Menüs bestand aus Hummus nach palästinensischem Rezept und Schawarma. Aktuell auf der Karte: Chorescht-e fesendschan. Hühnchen mit Granatapfel, isst man in Iran. Und ein Imbiss im israelischen Kfar Vitkin bietet 50 Prozent Rabatt. Vorausgesetzt, ein Palästinenser und ein Israeli teilen sich ein Menü und sitzen am selben Tisch zusammen.

Noa Provizor setzt sich für Frieden ein - mit Mode

Dass es diese Rabattaktion weltweit in die Nachrichten schaffte, sagt viel über ein Land aus, in dem jede freundschaftliche Geste zwischen Israelis und Palästinensern als Seltenheit gilt. In Berlin ist das anders und Noa Durum Provizor glaubt zu wissen, warum. Die 32-jährige Israelin isst öfter im Kanaan, anders als die Betreiber ist sie aber sehr politisch. Sie war Friedensaktivistin, verweigerte den Militärdienst, der in Israel auch für Frauen Pflicht ist. „Berlin öffnet deinen Geist“, sagt Provizor. In Israel gebe es immer diese latente Gefahr, das allgegenwärtige Militär. „Man muss sich nur umschauen, die Stadt ist so divers. Hier hatte ich das erste Mal Luft für neue Gedanken.“

Ein Gedanke war es, Rucksäcke zu designen aus dem Stoff der Kufiya, dem „Palituch“. „Wenn Israelis dieses Muster sehen, denken sie, dass sie gleich einen Stein an den Kopf kriegen“, sagt Provizor und lächelt milde. „Ich wollte die Kufiya aus dem militanten Kontext lösen.“ Neben ihr steht einer dieser Rucksäcke, vernäht in einer Fabrik in Hebron, Westjordanland.

Hebron, ausgerechnet. Die Stadt 30 Kilometer südlich von Jerusalem steht wie kaum ein anderer Ort für den Hass, der Juden und Palästinenser entzweit, ein Hass, der älter ist als der Staat Israel. 1929 gab es dort ein Massaker, bei dem 67 Juden getötet wurden. Seit Jahrhunderten hatten sie dort mit ihren Nachbarn zusammengelebt. Ein Gerücht reichte, und das Morden begann. Lange vor dem illegalen Siedlungsbau, lange vor der ersten Intifada.

Im Kanaan berufen sie sich deshalb auf eine Tradition, die noch weiter zurück- liegt. „Kanaan“, sagt Jalil Dabit, „gab es schon vor Palästina und Israel.“ Der Name bezeichnet das Gelobte Land, das Abraham von Gott versprochen wurde. Und Abraham als Stammesvater akzeptieren Vertreter aller drei Buchreligionen - Christen, Juden und Muslime - gleichermaßen.

In der Nähe des Restaurants lag früher der Todesstreifen

Oz Ben David wischt mit einem Stück Pitabrot die letzten Hummusreste vom Teller. „Was man kennt, was man gemeinsam hat, davor hat man keine Angst“, sagt er. Ihr Restaurant betreiben sie in einer Hütte, einem DDR-Überbleibsel mit viel Betoncharme und Holzverkleidung. Die Graffiti an den Wänden haben sie drangelassen, aber immerhin etwas Sand in den Hof gekippt - ein klein bisschen Tel Aviv. „Wir wollen nicht die Geschichte dieses Ortes einfach überschreiben. Nur unsere Elemente hinzufügen, sodass etwas Neues entstehen kann“, sagt Ben David.

Das Rattern eines ICE übertönt ihn. Die Bahntrasse liegt unterhalb der Terrasse. Alle fünf Minuten fährt eine S-Bahn vorbei. Vor 25 Jahren verlief hier der Todesstreifen. Fünf Menschen wurden auf der damals stillgelegten Strecke zwischen Schönhauser Allee und Gesundbrunnen erschossen, als sie in den Westen fliehen wollten. Drei Menschen starben nicht weit entfernt, als sie sich auf Höhe der Bornholmer Straße aus einem Zug stürzten, weil dort der Weg zur Grenze am kürzesten war.

Ben David hat anfangs nicht gewusst, was hier einst passierte. Doch er mag den Gedanken, dass er an einem solchen Ort nun Menschen aus allen Teilen der Erde zusammenbringt. Der Wall aus Stahlbeton, der Israel von den Palästinensergebieten trennt, ist an vielen Stellen doppelt so hoch wie die Berliner Mauer früher. Im Kanaan kann man das leicht vergessen.

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