Zum 100. Todestag von Franz Joseph I.: Kaiser-Dämmerung
Ganze 68 Jahre lang regierte Franz Joseph I. einen Vielvölkerstaat. 1916 starb der Monarch. Es war das Ende des Habsburgerreichs.
Er starb, wie er gelebt hatte: unweit seines Schreibtischs. Zwei Tage zuvor hatte Leibarzt Dr. Kerzl eine Lungenentzündung diagnostiziert, doch Franz Joseph I., Kaiser von Österreich, König von Böhmen und Apostolischer König von Ungarn, beugte sich am 21. November 1916 auch mit Fieber über die Akten. Immer wieder sank er vor Schwäche zusammen. Um 18 Uhr, nach bestimmt zwölf Bürostunden, brachte man den entkräfteten Monarchen ins Bett. Wenig später war er tot. Seine letzten Worte lauteten angeblich: „Bitte, mich morgen um halb vier wecken, ich bin mit meiner Arbeit noch nicht fertig geworden.“
Nicht, dass das alles überraschend gekommen wäre. Franz Joseph war bei seinem Tod 86 Jahre alt. Wie ihm, so ging damals auch dem Habsburgerreich, über das er herrschte, die Kraft aus. Nicht mal zwei Jahre später war es vorbei mit der österreichischen Monarchie, deren Geschichte bis ins ausgehende Mittelalter zurückreichte. Franz Joseph schien das Reich so sehr zu verkörpern, dass es zwangsläufig mit ihm untergehen musste.
Bis heute verbinden viele mit dem Kaiser die „gute alte Zeit“, das Österreich von einst, ein träges, aber schillerndes und ungemein komplexes Land, das Genies wie Sigmund Freud, Karl Kraus oder Gustav Klimt hervorgebracht hat. Dabei war der Kaiser selbst kein besonders farbenprächtiger Charakter. Was die einen als pflichtbewusst, arbeitsam und höflich beschreiben, gilt anderen als dröge und steif. Gegenüber langjährigen Geliebten blieb Franz Joseph vorzugsweise beim „Sie“.
Sein Bild hing in allen Winkeln von Mailand bis Czernowitz
Anekdoten über seine Anspruchslosigkeit sind Legion. Seine Nächte verbrachte er in einem Feldbett, sein einziges echtes Hobby war die Jagd, seine Leibspeise: Würstl mit Kren (Meerrettich). Dass die fantasiebegabte Kaiserin Elisabeth, bekannt als Sisi, mit diesem Mann nicht glücklich werden konnte, hatte sich früh abgezeichnet.
Was Franz Joseph zur Legende machte, war die simple Tatsache, dass er dank seiner robusten Natur so lange an der Spitze eines Staates stand wie kaum jemand anderer. Gebiete gingen verloren, Aufstände wurden niedergeschlagen und Reformen umgesetzt, Kronprinz Rudolf nahm sich das Leben, und Sisi fiel einem Attentat zum Opfer – der Kaiser mit dem markanten Backenbart jedoch blieb. Ganze 68 Jahre. Am Ende hatte er es mit Ministern zu tun, die noch nicht einmal geboren waren, als er einst den Thron bestieg. „Der ewige Kaiser“ heißt denn auch eine Ausstellung, die 100 Jahre nach seinem Tod gerade in der Österreichischen Nationalbibliothek zu sehen ist.
Joseph Roth beschreibt in seinem Roman „Radetzkymarsch“, dass das Bild von Franz Joseph hunderttausendfach in allen Winkeln des Habsburgerreichs hing, „allgegenwärtig unter seinen Untertanen wie Gott in der Welt“. Und dieses Reich war riesig! Es umspannte ein Fünftel Europas, reichte anfangs von Mailand bis Czernowitz in der heutigen Ukraine, im Norden von Prag bis Klausenburg in Siebenbürgen und im Süden bis an die Küste der Adria.
Bereits 1848 drohten die Aufstände, das Reich auseinanderzureißen
Unter den 50 Millionen Einwohnern gab es unterschiedlichste Nationalitäten und Religionen. Deutsche, Ungarn, Tschechen und Polen lebten in den Reichsgrenzen, Ruthenen (Ukrainer), Slowenen, Serbokroaten, Italiener, Bosnier, Rumänen. Katholiken, Orthodoxe, Muslime und Juden. Die Beziehungen untereinander waren angespannt, der ethnische und konfessionelle Flickenteppich war „seinem Wesen nach mittelalterlich, hatte aber in eine Zeit hinein überlebt, in der nationalistische Bewegungen in allen Kronländern seine Legitimität und seine Existenz in Frage stellten“, schreibt Historiker Philipp Blom.
Kein Wunder, dass es das Habsburgerreich bereits im 19. Jahrhundert auseinanderzureißen drohte. Des Kaisers Bild war das einzig bindende Symbol, „das all den zentrifugalen Kräften zu trotzen schien“, wie es im Katalog zu „Der ewige Kaiser“ heißt.
Schon Franz Josephs Regentschaft beginnt mit einer niedergeschlagenen Revolution, der von 1848. Nach dem Sturz Napoleons 1814 ist Europa zunächst wieder fest in den Händen der alten Monarchien. Doch dann begehrt das Bürgertum auf, verlangt Pressefreiheit und die Mitsprache gewählter Volksvertretungen. Diese politischen Ziele verbinden sich mit der Forderung nach nationaler Souveränität. Nicht nur in Österreichs Haupt- und Residenzstadt Wien toben 1848 in mehreren Wellen Aufstände. In Budapest, Prag oder Mailand, wo sich Ungarn, Tschechen und Italiener vom Habsburgerreich lossagen wollen, werden die Kämpfe zum Teil noch erbitterter geführt. Im November drängt die kaiserliche Familie Ferdinand I. zum Abdanken. Ein unverbrauchter Nachfolger soll her.
Der junge Franz Joseph hat nur ein Ziel
Eigentlich wäre Ferdinands Bruder an der Reihe. Doch dessen Frau Sophie hat andere Pläne. Systematisch hat sie ihren ältesten Sohn als künftigen Kaiser aufgebaut und setzt sich durch. Am 2. Dezember wird der 18-jährige Erzherzog Franz zu Ferdinands Nachfolger ernannt. Dies geschieht im mährischen Olmütz, die Familie hat sich auf der Flucht vor der Revolution dorthin abgesetzt.
Der zweite Name des Kaisers soll Erinnerungen wecken an den reformfreudigen Urgroßonkel Joseph II. Doch der junge Franz Joseph hat nur ein Ziel. Alles soll so bleiben, wie es ist. Geboren 1830 in Schönbrunn, ist der kleine „Franzi“ in dem Bewusstsein erzogen worden, einmal Kaiser von Gottes Gnaden zu sein. Politische Parteien, die dem Herrscher reinreden, kommen in diesem Konzept ebensowenig vor wie Kronländer, die sich selbst regieren wollen. Die Erziehung ist streng, der Sechsjährige muss 18 Wochenstunden Unterricht absolvieren. Neben Französisch lernt er zur besseren Verständigung mit seinen Untertanen auch Italienisch, Tschechisch, Ungarisch sowie ein wenig Kroatisch und Polnisch. Franz Joseph absolviert sein Pensum vorbildlich und leidenschaftslos. Begeisterung entwickelt das Kind nur für die Armee. Als Erwachsener wird er bevorzugt Uniform tragen.
Zu einem erfolgreichen Militär macht ihn das nicht. Im Gegenteil. 1859 verliert er zwei entscheidende, blutige Schlachten in Norditalien. Österreich kämpft damals gegen Sardinien-Piemont, das von den Franzosen unter Napoleon III. unterstützt wird. In Folge der Niederlage müssen die Habsburger die Lombardei (die Region um Mailand) aufgeben – eine Voraussetzung dafür, dass wenig später der italienische Nationalstaat entstehen kann.
Der Kaiser wird doch noch zum Reformer
1866 folgt das nächste Debakel. Gemeinsam mit Bayern, Württemberg, Sachsen und anderen Staaten des „Deutschen Bunds“ geht es gegen Bismarcks Preußen. Wieder verlieren die Habsburger. Die entscheidende Schlacht findet im böhmischen Königgrätz statt. Italien kann sich zusätzlich das bis dato österreichische Venetien einverleiben. Berlin hat den Kampf um die Vorherrschaft und damit um die Zukunft Deutschlands gewonnen. Unter Bismarcks Regie entsteht der Norddeutsche Bund, aus dem das Deutsche Kaiserreich hervorgeht.
Nach dem Italien-Fiasko befindet sich nicht nur die Stimmung von Franz Joseph an einem Tiefpunkt, sondern auch die seiner Untertanen. „In Gast- und Kaffeehäusern scheue man sich nicht, den Kaiser zu schmähen“, berichtet der Polizeiminister. In der Armee grassieren Korruption und Misswirtschaft, sechs Prozent der Truppe sind vor der Solferino-Schlacht desertiert, oft Ungarn und Italiener. Noch schlimmer: Der Staat steht vor der Pleite. Mehrere hohe Beamte, darunter ein Finanzminister, haben sich das Leben genommen. Unruhe kommt auf.
In den ersten Jahren seiner Regentschaft hat der Kaiser einen progressiven Verfassungsentwurf auf Eis gelegt und absolutistisch regiert. Er glaubte, sein Riesenreich in allen Belangen persönlich führen zu müssen. Mit den verlorenen Kriegen gibt er diesen Anspruch nun schrittweise auf.
1867 fällt eine wichtige Entscheidung
So existiert ab 1861 ein Parlament; es wird „Reichsrat“ getauft, weil dieser Name stärker als „Reichstag“ nach einem beratenden Gremium klingt. Mit den Jahren dürfen sich immer mehr Bürger an den Wahlen zum Abgeordnetenhaus – eine von zwei Reichsrats-Kammern – beteiligen. Ab 1907 haben alle volljährigen Männer das Wahlrecht. Es gibt mit dem „Oktoberdiplom“ und dem „Februarpatent“ ab 1860 Vorstufen zu einer modernen Verfassung, die aber erst nach der Niederlage gegen Preußen eingeführt wird.
Die „Dezemberverfassung“ schreibt bürgerliche Grundrechte und die Verantwortung der Minister fest. Sie garantiert die Unabhängigkeit der Justiz. Das ist überfällig in einem Land, das sich zunehmend industrialisiert, auch wenn viele ländliche Gebiete arm und rückständig bleiben. Franz Joseph ist damit doch noch zum Reformer geworden – und zum konstitutionellen Monarchen, der er nie sein wollte. Künftig beschränkt sich seine Rolle weitgehend auf Armee und Außenpolitik.
Allerdings gilt die „Dezemberverfassung“ nur für einen Teil des Reichs. Denn 1867 fällt noch eine andere wichtige Entscheidung. Wien kommt jener Volksgruppe entgegen, die am lautesten für ihre Eigenständigkeit kämpft: den Ungarn. Aus dem Kaisertum Österreich wird nach langen Verhandlungen die Österreichisch-Ungarische Monarchie. Kaiserlich und königlich. Sie wird kurz k.u.k. oder scherzhaft Kakanien genannt, auf Ungarisch cs. és kir. (császári és királyi). Der „Ausgleich“ sichert Budapest eine Reichshälfte zu, in der die Ungarn mehr oder weniger das Sagen haben, mit eigenem Parlament und eigenen Ministerien. Ruhige Zeiten brechen an, auch wenn die Nationalitätenkonflikte keineswegs gelöst sind. So werden tschechische Abgeordnete die Arbeit des Reichsrats häufig aus Protest lahmlegen.
"Mir bleibt doch gar nichts erspart auf dieser Welt!"
Franz Joseph thront symbolisch über beiden Teilen der k.u.k.-Monarchie. Dafür muss er nun noch König von Ungarn werden. Die Krönung in Budapest am 8. Juni 1867 sei der Höhepunkt seines Herrscherlebens gewesen, schreiben die Historiker Michaela und Karl Vocelka in ihrer Franz Joseph-Biografie. Es ist ein ungeheures Spektakel. Der Kaiser reitet auf einem weißen Pferd, die ungarische Hocharistokratie zeigt Rubine, Perlen und alte Kostüme. Bei herrlichem Wetter führt der Festzug in die Matthiaskirche, wo Franz Joseph niederkniet. Die Stephanskrone setzt ihm ausgerechnet Ministerpräsident Gyula Andrássy aufs Haupt. Einst, als Aufständischer, sollte Andrássy nach dem Willen des Kaisers gehenkt werden.
Drei Wochen später erreicht Franz Joseph eine Hiobsbotschaft. Sein Bruder Ferdinand Maximilian ist im politisch unruhigen Mexiko erschossen worden. Die Franzosen hatten ihn zum Kaiser des mittelamerikanischen Landes gemacht. Franz Joseph selbst hat 1853 ein Attentat überlebt, doch auf seiner Umgebung scheint ein Fluch zu liegen. Besonders heikel ist der Suizid des Kronprinzen 1889. Bevor er sich selbst richtet, erschießt Rudolf, an Syphilis tödlich erkrankt, seine 17-jährige Geliebte. Eine unvorstellbare Schande für den tiefgläubigen Katholiken Franz Joseph.
Für die damalige Zeit skandalträchtig sind auch sein bisexueller Bruder Ludwig Viktor, der sich in öffentlichen Bädern Männern nähert, und natürlich Kaiserin Elisabeth, die von Beginn an nicht klarkommt mit den strengen Regeln am Hof, nach Südeuropa oder an die Seite ungarischer Grafen flieht. Der Kaiser duldet es.
Seine aufrichtige Liebe zu Sisi hindert ihn freilich nicht, über viele Jahre Liebschaften zu unterhalten. Als Elisabeth 1898 in Genf von einem Anarchisten niedergestochen wird, fällt Franz Josephs berühmt gewordener Satz: „Mir bleibt doch gar nichts erspart auf dieser Welt!“
Er ließ in Wien die Ringstraße errichten, die bis heute das Stadtbild prägt
Ein anderer Ausspruch des Monarchen ist die Leerformel „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut“, mit der er sich über Kunst, Kultur und Begegnungen zu äußern pflegt. Angeblich beginnt er damit, nachdem sich ein Architekt der Staatsoper das Leben genommen hat. Das Gebäude war von vielen, auch vom Kaiser, kritisiert worden.
Obwohl Franz Joseph regelmäßiger Theatergänger ist, läuft das lebendige künstlerische Leben Wiens, das um 1900 eine Blüte erlebt, an ihm vorbei. Kulturell geprägt hat er die Stadt trotzdem. Es war der „ewige Kaiser“, der in den 1850er Jahren beschloss, die Befestigungsanlagen um die Innere Stadt – jetzt der 1. Bezirk – zu schleifen und stattdessen eine Prachtmeile zu errichten. Die Ringstraße mit ihren gewaltigen öffentlichen Gebäuden wie Staatsoper, Hofmuseen oder Burgtheater spiegelt bis heute den Glanz der damaligen Zeit.
Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs mischt sich in den Glanz die Ahnung von der nahenden Katastrophe. Sie beginnt dann auf dem Balkan, wo die österreichischen Interessen seit Langem mit denen Russlands kollidieren. Die Ermordung von Erzherzog Franz Ferdinand, Neffe des Kaisers und Thronfolger der Doppelmonarchie, durch einen serbischen Nationalisten in Sarajevo ist der Funke, der den Weltenbrand mit 17 Millionen Toten entzündet.
Am 28. Juli 1914 erklärt Österreich-Ungarn dem mit Russland verbandelten Serbien den Krieg. Am selben Tag veröffentlicht Franz Joseph eine Erklärung, die in der „Wiener Zeitung“ erscheint. Darin heißt es: „Ich vertraue auf Meine Völker, die sich in allen Stürmen stets in Einigkeit und Treue um Meinen Thron geschart haben“.
Vier Jahre später finden sich diese Völker in neuen Staaten – Republik Deutschösterreich, Tschechoslowakei, Jugoslawien oder Polen – wieder. Die Doppelmonarchie ist Geschichte.
Bücher zum Jubiläum
Christoph Schmetterer: Kaiser Franz Joseph I., Böhlau Verlag, 229 Seiten, 19,99 Euro. Vergleichsweise knapper und gut strukturierter Überblick zu Leben und Wirken des Kaisers.
Michaela und Karl Vocelka: Franz Joseph I: Kaiser von Österreich und Ungarn, C.H. Beck, 458 Seiten, 26,95 Euro. Umfassende Biografie, die kaum Fragen offenlässt.
Hans Petschar (Hg.): Der ewige Kaiser: Franz Joseph I. 1830-1916, Amalthea Verlag, 256 Seiten, 29,90 Euro. Prächtiger und sehr informativer Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, die noch bis zum 27. November in der Österreichischen Nationalbibliothek zu Wien läuft.
Katrin Unterreiner: Franz Joseph. Eine Lebensgeschichte in 100 Objekten. Amalthea Verlag, 192 Seiten, 26,95 Euro. Der Kaiser pars pro toto – erklärt anhand von Zigarettenetuis, Kaffeekannen und Gemälden. Ein Museumsbesuch für daheim.
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