Interview mit Klaas Heufer-Umlauf: „Jeder hat das Recht, verarscht zu werden“
Er machte Halligalli mit Joko Winterscheidt und sollte „Wetten, dass ..?“ moderieren. Klaas Heufer-Umlauf über Ausbeutung bei Viva und seine neue Late-Night-Show.
Herr Heufer-Umlauf, am Montag startet Ihre Late-Night-Show auf ProSieben. Den ersten Wunschgast haben Sie sich über Twitter eingeladen: Sigmar Gabriel soll bei Ihnen „Dampf ablassen“.
Er ist ja sonst nicht so inaktiv bei Twitter, aber diese Einladung hat er ignoriert.
Was sollte er Ihnen erzählen?
Ich hatte ihn eingeladen, als es damals so aussah, dass Martin Schulz statt ihm Außenminister würde. Es dürfen aber alle zu mir kommen, auch Gerhard Schröder, den habe ich neulich auf einer Veranstaltung in München erlebt. Er war mit seiner neuen Partnerin da …
… die aus Südkorea stammt …
… jemand drückte ihr Blumen in die Hand und sagte: Herzlich willkommen in Deutschland. Schröder antwortete: Ja, das will ich wohl meinen.
Mit 34 übernehmen Sie die schwierigste Disziplin des Unterhaltungsfernsehens. Ist Ihr Napoleon- Komplex damit kompensiert?
Mal sehen. Aus dem Prädikat „junges Talent“ wachse ich gerade raus, ich bin jetzt die Übergangsjacke der Late-Night-Unterhaltung. Nur befürchte ich, dass kein Mensch in Deutschland auf eine Show im Nachtprogramm wartet. Man redet von Königsdisziplin, aber eigentlich gilt das hierzulande nicht.
Früher gab es Stefan Raab mit „TV Total“.
Es gab auch Harald Schmidt, Jan Böhmermann macht auf ZDF Neo etwas Vergleichbares. Aber das Genre ist nicht in der Fernsehkultur verankert wie in Amerika. Dafür haben wir in Deutschland unsere Talkshows. Wie Fassbinder rumpöbelt oder Romy Schneider Burkhard Driest die Hand aufs Knie legt, das sind die Momente, die uns spät am Abend kulturell geprägt haben. Markus Lanz ist unser Lagerfeuer, weil er direkt daran anknüpft mit seiner typischen Runde: Er hat einen Experten, einen Politiker, einen Kontroversen und einen, der seit 40 Jahren mit dem Unimog durch Afrika fährt und davon berichtet.
Sie waren selbst häufiger zu Gast. In welcher Rolle wurden Sie gecastet?
Als der Witzige. Und wenn ich es nicht war, nahmen alle an, ich hätte schlechte Laune. Was soll ich machen, wenn ich nichts Witziges gefragt werde?
Ihnen kommt das Talkprogramm auch aus einem anderen Grund entgegen. Sie müssen Ihre Gäste nun nicht mehr jugendlich umarmen wie früher bei „Circus Halligalli“ mit Joko Winterscheidt.
Grundsätzlich finde ich es besser, sich die Hand zu geben. Manchmal gerate ich in Situationen, in denen ich jemanden umarmen muss, dann wird es hampelig. Wenn du einen wie Joko neben dir hast, der am liebsten nach jeder Show die Kabelhilfe auf den Mund küsst, wirkt man am Ende distanziert.
Robbie Williams hat Sie bei einem Duett in die Arme genommen und abgeknutscht.
Er darf mich jederzeit wieder küssen, bei einzelnen Lichtgestalten mache ich eine Ausnahme. Ich bin in Norddeutschland aufgewachsen, da ist man schon froh, wenn man miteinander spricht.
Mit Joko Winterscheidt an Ihrer Seite haben Sie jahrelang erfolgreich moderiert. Wird er Ihr Sidekick in der neuen Sendung?
Ich möchte am liebsten jemanden, der gar nicht ins Fernsehen will.
Joko muss man eher von der Kamera wegzerren.
Das ist ja auch sein Job. Aber es ist klar, dass er es nicht wird. Wir sind ja nicht Howard Carpendale, der zehnmal sagt: Große Abschiedstournee, und zwei Jahre später heißt es dann: Hello again.
Bei Schmidt gab es Charly Wagner, der Herrenwitze erzählte, und den Schimpansen in Wehrmachtsuniform. Geht das nach #MeToo und Pegida noch?
Ein Witz ist erst geschmacklos, wenn er nicht funktioniert. Der unwidersprochene Herrenwitz ist sowieso nicht meine Spezialität. Das können die Comedy-Kollegen besser.
Mario Barth, meinen Sie.
Zum Beispiel. Rassistische oder sexistische Witze muss ich mir nicht verkneifen, die fallen mir gar nicht ein. Ich finde das wirklich nicht lustig. Was nicht heißt, dass es in der Show nicht hart sein darf. Jeder hat das Recht, verarscht zu werden.
"Die Diskussion um Obergrenzen finde ich unerträglich"
Worüber machen Sie keine Witze?
Über Tote und Verletzte muss man nicht lachen.
Und die SPD?
Für Siechende gelten andere Regeln.
Sie sind ein Unterstützer der Partei, haben Wahlwerbung für Martin Schulz gemacht. Können Sie guten Gewissens über die Sozialdemokraten witzeln?
Sicher. Wie wenig Selbstbewusstsein muss eine Partei haben, wenn sie einen Witz nicht verträgt!
Inzwischen kann man alles mit Ironie rechtfertigen: Brillen, Haarschnitte, Herrenwitze. Kann man ironisch auf ein Konzert von Helene Fischer gehen?
Kann man, wird trotzdem traurig.
Sie haben die Sängerin angegriffen, weil sie sich in politischen Debatten nicht äußert.
Die gesamte Schlagerbranche hält sich bedeckt. Die Sänger erreichen eine Menge Leute, sie singen den ganzen Abend von Liebe, und währenddessen wird woanders der Familiennachzug verhandelt. In einem Stadion mit 40 000 Zuschauern sitzen schon statistisch bedingt ein paar Menschen, die sich dafür einsetzen, dass niemand bei uns ankommen soll. Mich wundert es, dass sich keiner der Künstler mal eindeutig positioniert.
Was schwebt Ihnen vor?
Klare, unmissverständliche Aussagen. Hat doch beim Fußball auch etwas gebracht. In den 90er Jahren war es gang und gäbe, dass Zuschauer Affenlaute gemacht haben, wenn ein schwarzer Spieler nach vorne stürmte. Das traut sich kaum noch jemand, selbst im Fanblock drehen sich die Leute um: Tickst du noch richtig?
Wer sich öffentlich positioniert, muss mit Konsequenzen rechnen. Jan Böhmermann wurde für sein Schmähgedicht sogar von Erdogan angezeigt.
Das war vielleicht nicht die feinste Ausstülpung seines Humors, es hat ihn bestimmt selbst überrascht, was daraus wurde. Doch Jan hat etwas Historisches erreicht, ein Gesetz wurde abgeschafft, das der Majestätsbeleidigung.
Was würden Sie gern abschaffen?
Die Diskussion um Obergrenzen finde ich unerträglich. Es wird darüber gestritten, unter welchen Umständen es okay ist, dass die Kinder in lebensunwürdigen Situationen sitzen und wann etwas als Härtefall gilt. Ich finde es eklig, wie saturiert wir in diesem Land leben und dabei das Gefühl haben, notleidende Menschen vor der EU-Außengrenze seien gelöste Probleme. Ich kann damit leben, dass die beknackte AfD im Parlament sitzt. Das muss eine Demokratie aushalten. Aber dass die großen Parteien es nicht hinkriegen, den Nachzug zu regeln und Humanität herzustellen, enttäuscht mich maßlos.
Sich politisch einzumischen, war das einer der Gründe, Late Night zu machen?
Nein, dafür brauchst du keine Show. Ich bin weder Politiker noch Aktivist, ich bin Moderator. Ich will und kann damit nicht die Welt verändern. Und ich darf als Unterhaltungstyp nicht vergessen: Es gibt auch noch die Kardashians. Die ganze Regierungsbildung hielt mich davon ab, wichtige Sachen bei RTL 2 zu verfolgen. Sträflich, wie mir „Naked Attraction“ durchgerutscht ist.
Was bitte?
Da sitzen Singles nackt herum und halten ihre Pimmel in die Kamera. Eine Frau soll sich anhand der Körper aussuchen, in wen sie sich heute Abend verliebt – und am Ende zieht sie sich auch aus.
Das erträgt man nur, wenn man krank im Bett liegt.
Da gucke ich wie jeder normale Deutsche nachts Hitler-Dokus. Oder ellenlange Berichte über Schwerlasttransporte – wie ein Windkraftrad mit Sonderbegleitung durch halb Deutschland gefahren wird. Solche Sachen sedieren mich extrem.
Bei anderen tut es das „Traumschiff“.
Ich würde gern selbst mitspielen. Jedenfalls dann, wenn es wie bei Harald Schmidt läuft: Drehort vor Inhalt. Vier festgeschriebene Drehtage für sechs Wochen vor Tonga. Diese Tür möchte ich noch nicht zuschlagen.
Eine andere Tür haben Sie beim ZDF zugeschlagen. Sie waren zusammen mit Joko Winterscheidt als Moderator für „Wetten, dass ..?“ im Gespräch. Warum wollten Sie nicht?
Weil man sich zwei Jahre den Kopf darüber zerbrach, wer es macht, aber niemand hinterfragt hat, was man eigentlich machen will. Deshalb war das irgendwie nix.
"Ich habe beim Zivildienst mehr rausgehabt als bei Viva"
Wenn Sie an Fernsehabende Ihrer Kindheit denken, fällt Ihnen da auch die Show ein?
Mit „Wetten, dass ..?“ sind wir alle aufgewachsen. Um Viertel nach acht geht’s los, und die letzte Stunde schläft man. Mein Vater thronte in seinem Sessel, meine Schwester und ich haben uns möglichst geräuschlos drum herum aufgereiht. Je weniger man von sich gab, umso größer war die Chance, dass man bis zum Ende gucken konnte. Und Sonntagabend lief „Lindenstraße“. Diese Serie gewordene Depression hat mir schon als Kind klargemacht, wie schön wir es haben, dass wir nicht dort wohnen müssen.
Was haben Sie heimlich geschaut?
Die Bumsfilme auf Sat.1, abends um zehn. Die frühen 90er waren die Zeit des aufkommenden Privatfernsehens, wo anfangs alles gesendet wurde. Wenn draußen die Eltern grillten, saß ich mit den Nachbarkindern drinnen bei „Liebesgrüße aus der Lederhose“. Meine frühkindliche Prägung. Und Wrestling! Bret „The Hitman“ Hart, Ultimate Warrior, Macho Man Randy Savage – alle inzwischen tot, zu viele Steroide. Das hat meine Mutter erst verboten, als einige Wrestler anfingen, sich absichtlich mit versteckten Rasierklingen die Haut aufzuschneiden, damit sie bluteten.
Konnten Sie sie austricksen?
Über uns wohnte eine Familie, jeden Tag fuhr die Mutter mit einem Mofa zur Videothek an der Ecke, hat zwei Videos ausgeliehen, sie am selben Tag überspielt und nachmittags noch „Raumschiff Enterprise“ aus dem Fernsehen aufgenommen. Auf die Weise hatte sie drei neue Videos pro Tag, fein säuberlich katalogisiert. Das war ihre Arbeit. Da konnte man hochgehen und sich „Freddy Krueger“ Teil 1 bis 7 auch mit acht Jahren angucken. Ich vermute, die Familie ist später von der Digitalisierung ziemlich überrascht worden.
Haben Sie sich damals in Shows hineingeträumt?
Ich hatte die grobe Idee, dass ich mal Fernsehen mache oder auf einer Bühne stehe. Als Schauspieler, nicht als Moderator, das war kein greifbarer Beruf für mich. Erst als ich Mitte der 90er Jahr Viva gesehen hatte, dachte ich: Neben dem Faxgerät bei Mola kann ich auch sitzen.
Viva galt damals als ziemlicher Chaoshaufen.
Moderator war dort ein Ausbildungsberuf. Da gehst du hin und wirst direkt vor eine Kamera gestellt. Ich hatte sonntags den letzten Tag im Krankenhaus beim Zivildienst und montags die erste Livesendung. Bei einem Casting mit Gesichtskontrolle, etwa 500 Leute in Köln, habe ich mich durchgesetzt. Als ich den Vertrag bekam, durfte ich meinen Zivildienst um zwei Monate verkürzen.
Das hat Viva-Chef Dieter Gorny durchgeboxt?
Er hat leider immer vergessen, wer ich nochmal war. Ihm habe ich mich, glaube ich, drei Mal vorgestellt. Und immer wenn ich ihm auf irgendeiner Veranstaltung entgegenkam, schaute er mich entgeistert an. Seine Frau kannte das schon. Die lief dann rum wie die Feuerwehr und musste seine Brände löschen. „Ja ja, der Dieter, ein bisschen vergesslich. Aber du hast super moderiert.“
War die Bezahlung bei Viva oder MTV dem öffentlichen Bild eines Teenie-Stars angemessen?
Nein. Ich habe beim Zivildienst am Ende mehr rausgehabt als bei Viva. Klamotten gab es immer umsonst, ich will mich nicht beschweren. Jeden Tag stand ich in einem quietschbunten Studio, das aussah wie für das Kinderprogramm von Super RTL, habe eine Livesendung moderiert und konnte machen, was ich wollte. Da hat nie jemand reingeredet. Die Viva-Chefs haben sich gar nicht darum gekümmert. Die haben das Programm immer ohne Ton laufen lassen.
Eine Leistung aus dieser Zeit: Sie haben in einem Video von Scooter mitgewirkt.
Mir gefiel die Idee, dass Sänger HP Baxxter vor Boxentürmen steht, wie gewöhnlich in sein Mikro schreit, und plötzlich werde ich für drei Sekunden eingeschnitten und brülle seinen Text.
Weil er ein Idol Ihrer Kindheit war?
Ach, das war eine Meta-Verehrung, aus der Zuneigung wurde. Wenn Scooter in Hamburg spielen, kommt auch Rapper Jan Delay vorbei, und das macht er nicht, weil er zu Hause die Musik hört.
Sondern weil HP Baxxter ein toller Typ ist?
Er hat mich einmal auf seinen Geburtstag eingeladen, das ganze Haus war eine Party, das Wohnzimmer eine Tanzfläche. Ich habe HP begrüßt, „du bist irre“, hat er gesagt und weitergetanzt. Klaus Meine von den Scorpions kam auf mich zugestürzt, der war froh, einen normalen Menschen zu sehen, und wich mir nicht mehr von der Seite. Nach drei Stunden tanzte HP immer noch vor seinem Bücherregal, ich bin los, und HP rief nur: „Du bist doch irre.“
Christian Vooren, Ulf Lippitz