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Demnächst zum tausendsten Mal. ZDF-Talkmaster Markus Lanz steht für die geglückte Kreuzung von U und E, von Spaß und Ernst.
© Screesnhot: Tsp

Markus Lanz: Ein Talk und sein Master

Markus Lanz gibt sich in seiner ZDF-Sendung gerne harmlos. Doch als Talkmaster hat er eine raffinierte Ausfragetechnik.

„Ein schöner Gedanke...“, sagt er gern mal, oder auch: „... eine fast philosophische Frage ...“. Dann wird er pragmatisch und sucht einen neuen Ansatz: „Ich fass das mal kurz zusammen“. Wer ihm ausweicht, wird zurechtgestutzt: „Sie antworten nicht!“. Doch lieber ist er entgegenkommend: „Ich will nur verstehen.“ Markus Lanz wälzt in seinen Talkshows nicht nur die Probleme der Weltpolitik und gibt dem Boulevard mit seinen Stars und Freaks viel Raum, er inszeniert auch die Kunst der Moderation mit ihren ungeheuer vielfältigen Anforderungen am Beispiel seines Profitums.

Was muss diese Figur, die man früher Gesprächsleiter nannte, so alles können? Sie muss sich in dem Dschungel aus Impulsen, Ansagen, Stimmungen, Argumenten, Leidenschaften, Pointen, Ängsten, Vorwürfen, Eitelkeiten, starken Sprüchen, schwachen Bildern, Wahrheiten, Irrtümern, taktischem Schweigen ganz ohne Navi hindurchfinden. Sie muss dabei die Gäste bei Laune und den roten Faden in der Hand halten, sich selbst nie in den Vordergrund spielen und doch superpräsent sein – das ist ein Drahtseilakt für schwindelfreie Entertainer, die zudem mit einem untrüglichen Instinkt für Spannung, Höhepunkt und den Moment der Lösung, den Applaus, ausgestattet sind.

Wann unterbricht der Moderator den Gast?

Allein die Sache mit der Unterbrechung: Wann lasse ich die Suada laufen, wann gehe ich dazwischen? Da machen weniger gut mitdenkende Moderatoren schmerzhafte Fehler. Oder die thematische Aberration. Da redet ein Gast über sonst was, nur nicht über den Punkt, der zur Debatte steht, wie locke ich ihn zurück zur Hauptsache? Und auch dies: Wie kriege ich den Autor eines Buches über die Flüchtlingskrise dazu, sich auf den Boulevard zu trauen, das heißt: sich in meiner Sendung zu Hause zu fühlen und freiweg die Stimme zu erheben? Man sollte eine Talkshow mal wie eine Symphonie hören und den Talkmaster als Dirigenten und Komponisten in Personalunion betrachten und ihn dann würdigen. Wohl kaum jemand bekäme hier so viele Punkte wie der ZDF-Mann Markus Lanz in der nach ihm benannten Show.

Die Fernsehkritik war ihm, als er 2008 zum ZDF kam, nicht unbedingt gewogen. Er war zuvor bei RTL, ein Everybody’s-Darling-Typ, gut aussehend, smart, doch irgendwie glatt, schlagfertig, das schon, aber doch zu brav. Und dann diese aparten Einzelheiten: ein Südtiroler, italienischer Staatsbürger, Pol-Expeditionen, Kochshows. Als er mit „Wetten, dass..?“ scheiterte, hatten es die meisten gleich gewusst. Wirklich interessante Formate wurden ihm kaum zugetraut.

Lanz schien als Unterhaltungs-Fuzzi abgestempelt zu sein. Seine Talkshow, derzeit im neunten Jahr vom Hamburger Studio aus auf Sendung, galt als mitternächtliches Geplänkel, nett, bunt, nicht weiter wesentlich. Aber Vorsicht. Lanz ist auf seine Weise ein Tiefstapler. Er tut immer sehr harmlos. Doch das ist nur seine Auffassung von Beruf und Funktion eines Moderators. Er hat wirklich eine Mission, er will Leute ins Gespräch und Probleme auf den Tisch bringen. Und zwar durch seine persönliche und unpersönliche, menschliche und professionelle Teilnahme an den vier bis fünf Promis, die da neben ihm im Halbkreis sitzen, an den Konflikten, die unsere Welt erschüttern und die sich in den Schicksalen und Kenntnissen der Gäste wiederfinden.

Markus Lanz will den Mehrwert

Sein Schlachtruf: „Ich freu mich sehr!“, nachdem er einen Gast vorgestellt hat, ist natürlich eine Floskel. Aber sie ist auch sein Credo. Markus Lanz will den Mehrwert, der entsteht, wenn kluge, betroffene, erfahrene, witzige Leute sich um ein Thema herumsetzen und loslegen, herauskitzeln. Und er freut sich drauf, zu zeigen, dass er weiß, wie.

Nun gut, so was Ähnliches wollen alle Talkmaster. Was ist das Besondere an Lanz? Erst mal das Konzept, so wie es zur Zeit steht: Anfangs reden ein oder zwei Experten, zum Beispiel Elmar Theveßen vom ZDF oder Professor Christian Hacke, ausführlich über die Angst vor dem Terror oder amerikanische Bomben auf Syrien, andere äußern sich über die Möglichkeit, Flüchtlinge zu integrieren oder aus dem Land zu schaffen, über Erdogan und sein Referendum; es gibt Nachfragen von Lanz und manchmal einen kurzen Disput, aber meistens Konsens, und dann gleitet die Sendung hinüber von der großen Politik in die nicht minder großen Areale des Alltags, der Künste, des Fußballs, des Spaßes und der Sonderbarkeiten. Eine Imkerin berichtet, ein türkischer Unternehmer oder ein Transgendermodel. Frank Elstner ist da, Peter Maffay, Mariele Millowitsch, Marcel Reif oder Jasmin Tabatabai. Sie alle können an der politischen Thematik andocken und tun das auch oft; der Nachbau eines klassischen Salons, eines Treffpunkts der Künstler und Geister um einen Mittelpunkt herum, der sie bekannt macht und ausfragt, ist perfekt.

Der zweite Pluspunkt: Lanz’ Fragetechnik. Sie ist vorsichtig, wie es sich gehört. „Stimmt es, dass Sie ..?“ Aber nur so lange, bis er die Bremsklötze der Diskussion – Vorurteile, ideologische Tiraden, dogmatische Versatzstücke, Ausweichmanöver und Ablenktechniken – spürt. Dann wird er wuschig und stellt sich quer: „Stoppstoppstopp!!“ Es ist kein Wunder, dass es 2014 ausgerechnet Sahra Wagenknecht war, die er regelrecht bedrängt hat, nun mal ein Statement pro Europa abzugeben, so hart, dass es eine Petition an das ZDF gegeben hat, Lanz doch bitte zu entlassen, da er seine Gäste verbal misshandele.

Dirigent der Symphonie

Der wichtigste Punkt für Lanz ist der dritte: seine Fähigkeit, Pfadfinder im Dschungel, Dirigent der Symphonie zu sein. Er geht gedanklich mit seinen Gästen mit, läuft ohne in Atemnot zu kommen neben ihnen her, ahnt, wo und wohin sie abbiegen werden, lässt sie, hindert sie, treibt sie, bremst sie, das alles oft fast unmerklich, und er ist bei allen gleich aufmerksam, ob das nun Dirk Schümer ist, dem er zuhört, oder Richard David Precht, Ulrich Kienzle, Gaby Decker, Lars Ricken, Karl Lagerfeld oder Ingrid van Bergen. Er lauscht und interveniert unter großer Spannung, und wenn die sich im Resümee oder in der Pointe löst und das Studiopublikum klatscht, lacht er gern sein charakteristisches Lachen. Wer genau hinhört, erkennt einen Kicherton darin, ein Giggeln, das die meisten seiner Auftritte selbstironisch färbt. Die Botschaft: So ernst sollt ihr das alles hier nicht nehmen. Aber Trump? Putin? Die AfD? Das ist doch wohl ernst. Lanz wäre der Erste, hier zuzustimmen. Also was ist nun? Ernst oder Spaß? Es ist beides im Widerspruch, und Lanz trägt ihn, erträgt ihn, verkörpert ihn.

Seit es das Fernsehen gibt, verlangen die Kritiker dieses Mediums nach einer Einheit von U und E, wehren sie sich gegen diese urdeutsche Spaltung des Programms in seriöse Langeweile und eine Unterhaltung, die nur noch Quatsch macht, also auch bloß langweilig ist. Die geglückte Kreuzung von U und E gibt es im ZDF immer dienstags bis donnerstags gegen 23 Uhr zu sehen, demnächst zum tausendsten Mal. Wobei nicht jede Sendung glückt, die Kreuzung aber schon.

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