Interview mit Johann König: „Ich hatte vergessen, wie meine Eltern aussahen“
Ein Unfall stahl ihm das Augenlicht, trotzdem wurde er Galerist. Johann König über „Hiob“ am Krankenbett, seine Internatszeit und wie Aufzüge Kunst beeinflussen.
Herr König, Sie führen eine der wichtigsten Galerien der Stadt, vertreten den Konzeptkünstler Jeppe Hein und den Maler Norbert Bisky. Zum Zeitpunkt der Gründung 2002 konnten Sie selber nicht sehen, Sie waren halbblind …
… ich war formal blind …
…und Sie haben sich die Kunst durch Gespräche erschlossen. Funktioniert das?
Als Galerist hat man keine Kunsthandlung, man vertritt Künstler, die ihre Werke erst schaffen und die man als Sparringspartner in der Ideenfindung begleitet. Am Anfang ist da eh nichts zu sehen.
Mit elf Jahren hatten Sie in Frankfurt einen Unfall, die Munition einer Startschusspistole flog Ihnen in die Augen.
Ich war ein unvorsichtiges Kind. Genauso gut hätte ich vorher schon vor die U-Bahn fallen können.
Haben Sie das Unglück herausgefordert?
In dem Fall nicht. Ich habe gern Sachen umgeschachtelt, von einer Kiste in die andere, und wollte meine Baseballkarten neu lagern. Da habe ich die Kügelchen in eine Dose für Anglerblei getan. Sie müssen sich dabei verkantet oder erhitzt haben. Jedenfalls explodierte die Munition in der Hand und flog mir in die Augen.
Wie war das Kind Johann vor und nach dem Unfall?
Danach verschwand das Kind. Ich habe viel nachgedacht, musste ich ja, fast ein Jahr lang lag ich im Krankenhaus. Ich konnte überhaupt nichts sehen. Das ganze Gesicht war zerschossen, meine Hände waren verletzt, die Haut musste transplantiert werden. Ich habe Cortison bekommen, bin fett geworden und lag mit bandagierten Händen aufgequollen im Bett. In der Zeit habe ich viele Hörbücher gehört, „Felix Krull“, den gesamten Karl May, „Hiob“ von Joseph Roth.
Haben Sie vergessen, wie Farben aussehen?
Nein, ich hatte vergessen, wie meine Eltern aussahen. Leute, Gesichter, ich hatte nur grobe Erinnerungen daran. Der Mittelpunkt meiner Netzhaut war Gott sei Dank nicht zerstört, ich habe keine Linse mehr im Auge, keine Pupille, sondern nur noch Netzhaut und Hornhaut. Und die Hornhaut war immer eingetrübt. Das muss man sich vorstellen, wie wenn man durch Milchglas guckt.
Was hat Ihnen die Kraft gegeben, durchzuhalten?
Dass ich noch so klein war, noch nicht voll in der Welt drin, gerade erst in der Pubertät. Ich begann langsam, mich für Mädchen zu interessieren. Das war natürlich schlimm. Dick, immobil und mit Riesenbrille. Ich musste erst lernen, dass das Anderssein auch eine Qualität ist.
Gab es Menschen, die Ihnen geholfen haben?
Eine unglaublich inspirierende Figur war für mich On Kawara.
Der japanische Künstler und Freund Ihrer Familie.
Wenn er kam, hat er sich erstmal hingesetzt, um Keilriemen und Kisten zu bauen, da verstrichen schon zwei Stunden. Dann hat er die Rahmen bespannt, angefangen, Leinwände zu grundieren. Mit einer Ruhe und Konzentration! Ich sehe in diesem Werk auch die Bewältigung des Tages, dieses „I am still alive and I got up“. Das hat mich durch die Zeit im Krankenhaus getragen. Bei ihm hat sich nie etwas verändert. Die Schere, mit der er arbeitete, hatte er 1950 gekauft.
Ihre Mutter hat sich nie von Ihrem Unfall erholt.
Wir hatten manchmal Konflikte, wo ich gesagt habe: Mutter, das ist mein Unfall gewesen. Es war wie so eine Zeitrechnung: vor Christus, nach Christus. Vor dem Unfall, nach dem Unfall. Es wurde besser, als ich meinen Weg gegangen bin.
Inzwischen können Sie graduell sehen.
Ich hatte sechs Hornhauttransplantationen, heute kann ich gut sehen, manche Feinheiten entgehen mir jedoch. Es kann schon vorkommen, dass ich pornografische Details in einer Zeichnung von Camille Henrot nicht bemerke.
Wie hat Sie die Isolation im Krankenhaus geprägt?
Die Besuche der anderen Kinder haben irgendwann aufgehört. Ich habe gelernt, dass man am Ende nur sich selber hat, mit sich im Reinen sein muss. Meinem Vater bin ich dankbar dafür, dass er mich ins Internat der Blindenstudienanstalt geschickt hat, ein Gymnasium mit einem Rehabilitationsprogramm. Ich habe aus dieser Zeit eine Zähigkeit und Hartnäckigkeit mitgenommen. Das hat mir bei der Galeriearbeit geholfen. Es ist nicht schwierig, anzufangen, es ist hart, nach fünf Jahren durchzuhalten. Wenn die Erwartungen der Künstler steigen, die Vorschusslorbeeren aufgebraucht sind, die „Jugend forscht“-Nachwuchssammler gekauft haben und die Großen noch abwarten. Dann beginnt die Arbeit.
„Die Kunst bekam durch den Pop einen anderen Stellenwert“
Ihre Galerie haben Sie in der St.-Agnes-Kirche in Kreuzberg, wo Sie Schulklassen und Milliardäre empfangen möchten.
Ich brauche die Milliardäre, weil ich meine Galerie finanzieren muss. Und die Schulklassen, weil ich Kunst vermitteln will. Dafür müssen wir das Geld über den Kunstverkauf reinholen oder über Kooperationsveranstaltungen mit Google oder Hugo Boss. Damit bauen wir Schwellenangst ab. „Ach, das ist gar nicht so schlimm hier, weder muss ich etwas kaufen noch verstehen.“ Viele haben bei Kunst das Gefühl, sie können sich das nicht anschauen, ohne vorher ein Buch gelesen zu haben.
Brauchen Sie dann ein Forum wie das Gallery Weekend, das kommende Woche stattfindet?
Durch die gesammelte Kraft aller teilnehmenden Galerien kommen mehr Leute in die Stadt. Für uns liegt das auf einer Ebene mit der Art Basel.
Immerhin die wichtigste Kunstmesse der Welt.
Das Gallery Weekend gibt uns die Möglichkeit, auf einen Künstler hinzuweisen und mit einer monumentalen Ausstellung dessen Karriere zu befördern. Die ganz großen Sammler gehen ja nicht mehr auf die Messen.
Weil es zu viele gibt?
Und weil uns die neuen Technologien erlauben, bereits im Vorfeld Kunstwerke zu verkaufen. Zum Leidwesen meiner Künstler transportiere ich das meiste mit dem Schiff, da es günstiger ist. Will ich einen Künstler im März auf der Art Basel Hong Kong ausstellen, muss er vor Weihnachten fertig sein. In den Monaten dazwischen können wir das Werk schon verkaufen. Die Vermittlungsarbeit erledigen die jeweiligen Betreuer, die sich um mehrere Künstler kümmern.
Als persönliche Assistenten?
Je nachdem. Wir haben eine Künstlerin, die will nicht alleine reisen, da kommt immer jemand von uns mit. Wir sind da, wenn es Ärger mit einem Kurator gibt, buchen Reisen oder vermitteln Wohnungen.
Wie viel des Preises streichen Sie dafür ein?
Die übliche Marge ist 50 Prozent. Davon zahle ich das Personal, die Messen, die Versicherung, die Künstlersozialkasse, die Miete.
Was bringt mehr Prestige: wenn das MoMA etwas kauft oder ein Sammler wie Christian Boros?
Das MoMA natürlich. Die kaufen nur nicht so viel. Und sie stellen es nicht sofort aus, da schon alles knallvoll gehängt ist.
Besprechen Sie mit Ihren Künstlern, was Sie von ihnen erwarten?
Nach dem Motto: Wir brauchen zwei mal zwei Meter, und es sollte grün sein? Nein. Wir sagen höchstens, komm, wir zeigen ein richtig großes Bild als Statement, auch wenn es sich schwerer verkauft.
Weil es automatisch teurer wird?
Der Preis ist nicht das Problem, sondern der Platz. Alles ab 2,40 Meter wird schwierig, weil es in New York nicht mehr in den Aufzug passt. Dann können die Sammler es nicht in ihr Loft hängen.
Als einer von wenigen Galeristen arbeiten Sie mit Auktionshäusern zusammen, was Ihnen sofort Kritik Ihrer Kollegen einbrachte.
Damit halte ich mich nicht auf. Ich arbeite für meine Künstler, außerdem setze ich mich für eine niedrigere Mehrwertsteuer und den Bürokratieabbau ein, das tu ich für den Nachwuchs. Es ist doch jedem selber überlassen, welche Form er findet, das Beste für seine Künstler zu erreichen.
Ihr Vater ist Kasper König, der bis 2012 das Museum Ludwig in Köln leitete. Ihr Onkel Walther König wurde durch die Museumsbuchhandlungen berühmt. Die Liebe zur Kunst weckte bei Ihnen jedoch der Kunstlehrer im Internat.
Weil er mich an zeitgenössische Kunst heranführte. Bei uns zu Hause wurde Beuys ja nicht erklärt. In der Blindenschule hat man mit Absicht zeitgenössische Kunst behandelt. Weil der Lehrer meinte, der normale Sehende stehe oft wie ein Blinder vor der Kunst.
In Museen waren Sie schon vorher.
Ich war ziemlich genervt vom Aufwachsen in der Kunstwelt. Selbst die Ferienorte wurden nach Ateliers oder Museen ausgewählt. Wir sind immer zu irgendwelchen Künstlern gefahren, die in Irland wohnten, weil sie dort keine Steuern zahlen mussten. Im Kunstunterricht merkte ich auf einmal, hey, das sind alles Leute, die ich kenne. On Kawara, Gerhard Richter, Joseph Beuys.
Was verbanden Sie mit denen?
Mit On Kawara fuhren wir in den Urlaub, Gerhard Richter war der Trauzeuge meiner Eltern. In der Schule habe ich auch gemerkt, dass die Kunst durch den Pop einen anderen Stellenwert bekam. Das sehe ich jetzt bei meinen vier Kindern. Die finden das spannend, wenn Michael Ballack ein Bild bei mir kauft oder Kanye West in die Galerie kommt.
„Monika Grütters sieht uns Galeristen nur als Verwerter“
Gehen Sie mit den älteren Kindern ins Museum?
Nur wenn sie etwas davon haben. Im Gropius-Bau haben wir uns mal Anish Kapoor angeguckt, den fanden sie super, mit dieser Farbschießmaschine. Einem Besuch gehen große Verhandlungen voraus. Komm, wir gucken uns das zusammen an, danach fahren wir zu „Tommys Tobewelt“.
Und in den Ferien geht es zu Ihrem Bruder Leo, der in Manhattan ebenfalls eine Galerie betreibt.
Er hat ein Haus außerhalb von New York, in den Catskill Mountains, totale Natur, mit einem Teich, Wald. Da steht dann der Pick-up vor der Tür, es gibt Dinner wie im Film. Ein Gewehr hat er auch.
Munition hat Sie fast Ihr Augenlicht gekostet, und Sie lassen Ihre Kinder schießen?
Da passt mein Bruder mehr als auf. Mein Sohn darf natürlich nicht allein schießen, und wenn er böllert, sag ich ihm: Trag eine Schutzbrille! Ich glaube, dass Verbote nichts bringen.
Die Familie ist Ihnen wichtig. Trotzdem haben Sie Ihrem Vater zunächst verheimlicht, dass Sie eine Galerie eröffnet haben.
Weil ich mir sicher war, dass er dagegen sein würde, und ich die Auseinandersetzung mit ihm gescheut habe.
Was hatte sich Ihr Vater für Sie vorgestellt?
Gar nichts. Er wollte nur, dass ich Abitur mache und nicht zum Bund gehe. Er hatte einen richtigen Bundeswehrhass. Uns zwei Brüdern hat er eine Weltreise zum Abitur versprochen. Die haben wir beide nicht in Anspruch genommen. Ich habe versucht, ihn davon zu überzeugen, dass er mir das Geld für ein Studium lieber bar auszahlt. Hat leider nicht geklappt. Mein Onkel Walther hat mir dann Geld geliehen.
Konnten Sie mit Ihrem Vater nicht gut streiten?
Ich wollte ihn loswerden. Habe versucht, nichts zu machen, was mit ihm zu tun hatte. Später habe ich ihm von einem Künstler erzählt, guck mal, der ist jetzt bei mir. Er sagte über dessen Arbeit nur: Das ist die schlechteste Skulptur, die ich in meinem Leben gesehen habe. Ich war so irritiert, dass ich Abstand zu meinem Künstler brauchte. Jahre später sagte er über ihn: „Nicht schlecht“. Das ist das größte Lob aus seinem Mund.
Sie mochten nie, dass er alles der Kunst unterordnete. Trotzdem wohnen Sie neben der Galerie.
Wir sind hier mitten im Grünen, 20 Meter von uns entfernt liegt der geografische Mittelpunkt Berlins. Da bin ich stolz drauf. Wenn ich ins „Borchardt“ will, brauche ich 15 Minuten, in die „Paris Bar“ auch. Es hat Vorteile, schnell zum Abendessen zu den Kindern hochzugehen und danach noch einem Besucher etwas Wichtiges zu zeigen.
Die Galerie hat besondere Öffnungszeiten. Sie ist sogar sonntags geöffnet.
80 Prozent der Besucher fragen, was der Eintritt kostet. Weil sie denken, es ist ein Museum! Das ärgert mich ein bisschen an der Politik, dass sie uns nicht stärker würdigt.
Was soll die Politik da machen?
Ich habe das Gefühl, dass Monika Grütters uns Galeristen nur als Verwerter sieht und nicht als Beitragsleistende zur Kulturlandschaft.
Sie möchten eine Förderung bekommen?
Nein, nur so wie bei Buchverlagen, bei denen die Mehrwertsteuer auch bei sieben und nicht bei 19 Prozent liegt. Momentan ist der deutsche Kunstmarkt international nicht wettbewerbsfähig. Das kann doch nicht sein, dass es für einen deutschen Sammler billiger ist, bei meinem Konkurrenten in New York ein Bild zu kaufen als bei mir!
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