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Die berühmten Date Paintings: Bilder mit dem Titel "A corner piece - Aug 1,2,3, Sept. 1,2,3, 2005, 2006" von On Kawara in einer Ausstellung im Leverkusener Schloß Morsbroich im Jahr 2009.
© dpa-Bildfunk
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On Kawara gestorben: Der Mann, der die Zeit zählte

Der japanische Künstler On Kawara gehörte zu den bedeutendsten Vertretern der Konzeptkunst. Am berühmtesten waren seine "Date Painings", kleine Tafeln mit dem jeweiligen Datum des Tages ihrer Entstehung. Am Donnerstag ist der 81-Jährige in New York gestorben.

Bei der Documenta 2002 saßen ein Mann und eine Frau in einem Glaskasten und sprachen eine unfassbare Zahl von Jahresdaten in ein Mikrofon, eingeteilt in Vergangenheit und Zukunft. Die Zahlenreihe beginnt jenseits jeder menschlichen Vorstellungskraft im Jahr 998 031 vor Christus und endet im Jahr 1 001 995 nach Christus. Ein irrer Zeitraum, mit Schreibmaschine auf 2000 Seiten in zwanzig dicke Buchbände getippt. Verfasst wurde das Werk „Eine Million Jahre“ von dem japanischen Konzeptkünstler On Kawara. Er, der sich seit den 1960er Jahren mit dem Verstreichen der menschlichen Lebenszeit beschäftigt hat, ist jetzt im Alter von 81 Jahren in Japan gestorben.

On Kawara wurde 29 774 Tage alt. So hätte er das wohl selbert formuliert. Der Künstler gab sein Alter immer nur mit der Zahl der Tage an, die er bisher gelebt hatte. Anonymität war Teil seiner Persönlichkeit, über Herkunft, Familie, sich selbst und und sein Werk wollte Japans bedeutendster Konzeptkünstler nie Auskunft geben. Seine Lebensaufgabe war eine andere: die Zeit systematisch in eine sichtbare Form zu bringen. In seiner berühmten Werkserie „Today“ ist ihm das auf faszinierende Weise gelungen. Am 4. Januar 1966 schuf der Künstler in seiner Wahlheimat New York das erste „Date Painting“. Mit Acrylfarbe und feinem Pinsel malte er das aktuelle Datum auf eine Leinwand, zunächst jeden Tag, später in größeren Abständen. Notiert wurde das Datum in der Sprache desjenigen Landes, in dem der Nomade On Kawara sich gerade aufhielt. Über 2000 Bilder sind auf diese Weise entstanden. Zu jedem fügte On Kawara Zeitungsausschnitte aus der lokalen Tagespresse hinzu, „I Read“ hießt diese Serie. Seine Kunst ist nüchterne Numerik und individuelles Tagebuch in einem, „eine Art Meditation, eine Übung, die nützlich ist, um sein Ich zu verlieren“, wie On Kawara es sagte.

1933 im japanischen Aichi-ken geboren, hat der akribische Systematiker nie eine künstlerische Ausbildung genossen und war doch ein meisterhafter Maler und Zeichner, das beweist sein Frühwerk. In den Bleichstiftzeichnungen aus den fünfziger Jahren, in denen oft verstümmelte Körper vorkommen, verarbeitete er seine Kriegserfahrungen und Erlebnisse in Hiroschima und Nagasaki. In den Datumsbildern schließlich gelang es ihm, die Gesamtheit aller Informationen und Eindrücke zu speichern, ohne noch ins Detail gehen zu müssen.

„Ich existiere nicht“, soll On Kawara von sich selbst gesagt haben. Dafür existiert sein einzigartiges Werk, wieder zu sehen ab Februar 2015 in einer großen Retrospektive im New Yorker Guggenheim Museum. Ihr Titel: "Silence".

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