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Sehenswürdigkeit. Im äußersten Westen Manhattans gibt es besonders viele Parkplätze. Von der New Yorker High Line aus hat man gute Ausblicke darauf.
© Timothy A. Clary/AFP

Parkplatzsuche in Big Apple: Warum man in New York jeder Parklücke misstrauen muss

Wichtige Leute beschäftigen Carsitter. Einer muss ja das Auto umstellen, wenn die Kehrmaschine kommt. Ein absurdes Theater.

Murray Tepper bleibt stehen. Er gibt doch seinen schönen Parkplatz nicht auf! Mögen andere Autofahrer an seine Scheibe klopfen, ihn beschimpfen, er bleibt sitzen und liest hinterm Lenkrad Zeitung. Dabei braucht er den Platz gar nicht, er hat einen festen im Parkhaus, für den Tepper eine happige Monatsmiete zahlt. Dort holt er seinen Wagen ab, um – auf der Straße zu parken. Allein, um die schiere Freude auszukosten, einen legalen ergattert zu haben. Er parkt den ganzen Tag, sein blauer Chevrolet Malibu ist bald stadtbekannt.

Das ist, kurz gefasst, die Geschichte des Romans „Tepper Isn’t Going Out“. In seiner Satire hat der „New Yorker“-Autor Calvin Trillin die Wirklichkeit nur sanft überzeichnet. In Manhattan wird das Parken zur Obsession. Ausgerechnet dort, wo nur eine Minderheit einen Wagen besitzt, mutiert es fast zur Fulltime-Beschäftigung, die höchste Konzentration und Cleverness erfordert, ein Vermögen und gute Nerven. Parken in Manhattan ist absurdes Theater.

Sit back and relax, wie die Amerikaner sagen, und lassen Sie sich einführen in dieses Höllenspiel, das mehr Ausnahmen als Regeln kennt, die sowieso kein Mensch versteht.

Auch im wirklichen Leben kann man ziemlich häufig Menschen in ihren stillstehenden Autos sitzen sehen. Nellie Perera hat das bis vor Kurzem jede Woche zweimal gemacht, bis sie jetzt nach Brooklyn gezogen ist. Die Künstlerin hat im West Village gewohnt. Und dort, wie in anderen Wohngegenden, etwa der Upper West Side, gilt das „alternate side parking“. Seinfeld hat ihm eine ganze Episode seiner Comedy-Serie gewidmet.

Schnell zur Seite fahren, dann sofort wieder in die Lücke zurück

Im Prinzip darf man sein Auto dort auf der Straße abstellen, ohne was dafür zu zahlen. Es muss nur verschwinden, wenn die Kehrmaschine kommt: zweimal die Woche. Dienstags und donnerstags etwa muss die linke Bordsteinkante morgens zwischen neun und halb zwölf komplett frei geräumt sein, mittwochs und freitags die rechte. Die ganze Woche müssen die Anwohner im Kopf haben, wo ihr Auto gerade steht und wann sie es diesmal umstellen müssen. In den Tagen zwischen den Kehraktionen bewegen sie es dann tunlichst nicht fort.

Nellie Perera hat sich an den kritischen Tagen um kurz vor neun einen Kaffee geholt, National Public Radio eingestellt, die „New York Times“ gelesen und sich mit den Nachbarn unterhalten, die es genauso machten wie sie: Ausharren, bis die Kehrmaschine kommt, schnell zur Seite fahren, dann sofort wieder in die Lücke zurück. Uff.

Wer verreist, und sei es nur für ein paar Tage, muss natürlich vorher daran denken, sein Gefährt in Sicherheit zu bringen, und das heißt im Zweifelsfalle in einen der Außenbezirke. Es sei denn, man findet einen guten Freund, der den Wagen an den entsprechenden Tagen aus der Gefahrenzone rausholt. Oder man zahlt einen Carsitter dafür, dass er das übernimmt.

24 Dollar für eine halbe Stunde - ein Schnäppchen!

Parkhäuser müssen ihre Preise am Eingang kundtun. Die Faustregel: Je kürzer, desto teurer. Auf die Gebühren kommen noch Steuern.
Parkhäuser müssen ihre Preise am Eingang kundtun. Die Faustregel: Je kürzer, desto teurer. Auf die Gebühren kommen noch Steuern.
© Susanne Kippenberger

Wer in Manhattan eine Parklücke findet, sollte ihr erst mal misstrauen. Oft hat es nämlich einen Grund, warum die Stelle frei ist. Etwa weil dort ein feuerroter Hydrant steht. Und der soll 4,5 Meter Freiraum um sich herum haben. Oder weil dort nur Lehrer, Polizisten und andere Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes mit einer speziellen Erlaubnis ihren Wagen abstellen dürfen (davon gibt es 114 000 Stück). An Straßenlaternen hängen oft mehrere Schilder übereinander, die genau spezifizieren, wer hier wann parken darf oder gerade nicht, bis keiner mehr durchblickt, und wer sich doch hinstellt, garantiert abgeschleppt wird. Noch schlimmer: Wenn dort gar kein Schild hängt, nur die Bordsteinkarte blau angestrichen ist, was bedeutet, dass das Parken montags bis freitags von sieben Uhr früh bis 19 Uhr streng verboten ist. Außer es gilt eine Ausnahme.

Wer keine Lust hat auf dieses ganze zeit- und nervenraubende Ballett, fährt gleich ins Parkhaus, die Tiefgarage oder auf eine jener schäbigen Brachflächen, die als Auto-Abstellplatz zwischengenutzt werden. Dort gilt eine simple Faustregel: Je kürzer, desto teurer. Die ersten Minuten werden in Gold aufgewogen, 24 Dollar für eine halbe Stunde als Sonderangebote angepriesen. „Bis zu einer halben Stunde“ steht da manchmal, als sei das ganz besonders viel Zeit für den Preis. Tagessätze von 50 Dollar, Monatsmieten von 300 bis 1000 Dollar erscheinen da geradezu als Schnäppchen. Allerdings kommt man bei den günstigeren Häusern auch nicht rund um die Uhr an sein Auto ran und muss eine Viertel- bis ganze Stunde vorher anrufen, dass man seinen Wagen haben will.

An Straßenlaternen hängen oft mehrere Schilder übereinander. Da blickt keiner mehr durch.
An Straßenlaternen hängen oft mehrere Schilder übereinander. Da blickt keiner mehr durch.
© Alamy Stock Photo

Für SUVs und andere Übergrößen zahlt man einen Aufschlag, und für alle gilt: Auf den Preis kommen noch mal 18,37 Prozent Steuern drauf. Plus Trinkgeld. Meist muss der Fahrer nämlich seinen Schlüssel abgeben, Parkwächter können die Wagen effizienter zusammenquetschen. Wenn diese in Freiluftregalen gestapelt werden, darf eh kein Laie ran. Parkwächter verdienen einen Hungerlohn, sie sind auf Trinkgelder angewiesen.

Die Zahl der Parkhäuser und -plätze geht seit Jahren deutlich zurück

Das ganze Theater ist umso absurder, da die New Yorker ja wie erwähnt besonders wenige Wagen haben, verglichen mit dem Rest des autobesessenen Landes. Sie fahren Taxi, Uber, Bus und U-Bahn. Und zwar so viel wie noch nie. Trotzdem bleiben noch 1,4 Millionen PKWs in der Stadt, verteilt auf die fünf Bezirke. Nicht mitgerechnet die Pendler, Touristen und vor allem Lieferanten. Manhattan ist eine Insel, von der Zahnbürste bis zum Hochhausgerüst muss alles angeliefert werden. Die Laster quetschen sich durch Tunnel und über Brücken, halten in der zweiten Reihe. In der Mitte Manhattans sind sie sowieso die Einzigen, die wochentags zum Be- und Entladen auf der Straße halten dürfen.

Und die Zahl der Parkhäuser und -plätze geht seit Jahren deutlich zurück. Die Entwicklung begann in den 1980er Jahren, mit der Verabschiedung des landesweiten „Clean Air Acts“. Die 80er waren für New York eine dramatische Zeit, die Stadt war dreckig, gefährlich, pleite. Freiwillig zog da niemand hin. Damals erfand der Designer Milton Glaser die legendäre Kampagne I love New York, ein Geschenk an seine Heimatstadt. Heute nur noch ein Souvenir, war es damals ein echtes Statement. Zur selben Zeit dachten sich die städtischen Verkehrsplaner ein paar pfiffige Sprüche aus, die helfen sollten, ans Ziel zu kommen: die Reduzierung des Individualverkehrs, die Abschreckung von Pendlern und Besuchern, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen sollten. „Don’t Even Think of Parking Here“ wurden sie gewarnt, oder: „No Parking. No Standing. No Stopping. No Kidding!“

30 Jahre später boomt New York, die Immobilienpreise sind explodiert, viele Bewohner längst rausgedrängt. Den Zwischennutzern der Brachflächen wird gekündigt, Parkhäuser werden abgerissen; zwischen 1996 und 2006 sind 237 verschwunden, das sind 18 Prozent. Raum ist zu kostbar, um ihn an Autos zu verschenken. Jetzt werden dort Büros und Wohnungen gebaut, meist Luxusdomizile. Deren Eigentümer garantiert nicht U-Bahn fahren, sondern besonders große Karossen. In Soho, wo früher niemand außer Künstlern wohnen wollte, kam jetzt ein Garagenplatz für eine Million Dollar auf den Markt.

Erst die Parkuhr füttern, dann selber essen

Stapelware. Um Platz zu sparen, werden die Autos oft in offenen Regalen untergebracht. Viele Parkhäuser werden jetzt abgerissen und bebaut.
Stapelware. Um Platz zu sparen, werden die Autos oft in offenen Regalen untergebracht. Viele Parkhäuser werden jetzt abgerissen und bebaut.
© Emmanuel Dunand/AFP

Mussten Immobilienentwickler früher für Wohneinheiten soundsoviele Stellplätze vorweisen, ist es heute umgekehrt: Wer mehr als ein Minimum anbieten will, muss sich von der Stadt eine Sondergenehmigung holen, die meist abgelehnt wird. Michael Bloomberg hat die umweltfreundliche Politik in seiner zwölfjährigen Amtszeit ab 2002 massiv vorangetrieben. Der Bürgermeister richtete Fußgängerzonen ein (am Times Square!), schenkte überhaupt dem Zweibeiner erstmals ernsthafte Aufmerksamkeit, erweierte Busspuren, legte Radwege an. Wieder ein paar Parkplätze weniger. Heute flitzen die Radler oft an den Automobilisten vorbei, deren Durchschnittsgeschwindigkeit in Manhattan 17 Stundenkilometer beträgt.

Für Bloombergs Nachfolger Bill de Blasio scheinen da nur noch Revolutiönchen übrig zu bleiben. Gerade hat der amtierende Bürgermeister stolz die Einführung einer App verkündet, mit deren Hilfe man Parkgebühren a) bargeldlos, und b), noch wichtiger, aus der Ferne bezahlen kann. Fortan müssen zumindest Smartphone-Besitzer nicht mehr wie angestochen mitten im Geschäftsessen oder romantischen Dinner aufspringen und nach draußen rennen: „to feed the meter“.

Die Parkuhr zu füttern, die oft nur ein, zwei Stunden auf einmal schluckt, ist eine Pflicht, für die jeder Verständnis hat. Denn nicht nur die Parkgebühren sind hier besonders hoch, sondern auch die Strafgebühren. Bloß dauerte das Nachwerfen meist ziemlich lange, man hatte ja mit Sicherheit keinen Platz vor der Restauranttür gefunden. So wurde das Steak kalt. (Wobei: Dass es überhaupt noch Parkuhren gibt, erfüllt den Berliner fast mit Nostalgie.)

Wozu um Himmels willen hat man als New Yorker überhaupt einen Wagen?

Revolutiönchen Nummer zwei: In einem zweijährigen Pilotprojekt, so de Blasio, werden 600 Parkplätze für Car Sharing reserviert. Das sich in New York, im Vergleich zu Berlin, erstaunlich langsam etabliert.

Ob weniger Parkplätze automatisch weniger Verkehr bedeutet, darüber gehen die Meinungen auseinander. Denn auf der Suche nach einer Abstellmöglichkeit kurven die Leute noch länger durch die Straßen, verstopfen diese und verpesten die Luft. Die Gegenseite argumentiert, dass die Fahrer eben diese Suche und die teuren Strafzettel bald satt haben und sich von ihrem Vierrad trennen. So wie der Krimiautor Jeffery Deaver , der nach seiner Ankunft im Big Apple, noch nicht vertraut mit den komplizierten Spielregeln, vier Knöllchen an einem einzigen Tag bekam. Eine Woche später habe er sein Auto abgeschafft.

Bleibt die wichtigste Frage: Wozu um Himmels willen hat man als New Yorker überhaupt einen Wagen? Um das Kind zum Zoo zu kutschieren, das eigene Restaurant zu beliefern, Kunst zu transportieren, zur Therapeutin in den Vorort zu kommen, am Wochenende rauszufahren, so einige Antworten. Manche haben einfach Spaß an dem Spiel.

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