Neue Hängung der Sammlung Boros: Böse Bilder
Eine Ausstellung, die zur Gegenwart passt: Das neue Arrangement der Sammlung Boros im Bunker mit viel figürlicher Malerei und modischen Skulpturen.
Still ist es im Bunker geworden. Das Farbleuchten vergangener Jahre hat die Räume verlassen, kinetische Spiegelobjekte von Olafur Eliasson sucht man ebenso vergeblich wie die kupferfarbenen Einzelteile der Freiheitsstatue von Danh Vo. Alles weggeräumt für die dritte Präsentation im Betonkoloss von Karen und Christian Boros, deren Sammlung seit 2008 in zeitlich groß bemessenen Abständen neu arrangiert wird.
Einen Kurator gibt es nicht in Boros’ Luftschutzbunker von 1942 in Sichtweite zum Friedrichstadtpalast. Das Paar wählt selbst aus dem mächtigen Fundus, der immer noch wächst und echte Überraschungen birgt. Wer hätte etwa gedacht, dass Christian Boros, in dessen Sammlung bislang die Konzeptkunst augenscheinlich dominierte, auch figürliche Malerei sammelt. Und zwar systematisch: Mit einer beispielhaften Arbeit gibt sich der Privatsammler selten zufrieden. Was er besitzt von Eliasson über den begehrten Sergej Jensen bis hin zu Bildern des früh verstorbenen Michel Majerus, tritt in Reihen auf. Dieses Prinzip vertieft die aktuelle Schau. Statt die Kunst wie eine Trophäe vorzuführen, formuliert Boros damit auch einen Anspruch: Der Besucher, der die Räume ausschließlich im Rahmen einer Führung besuchen darf, soll sich dennoch in das Werk eines jeden Künstlers vertiefen und sehen, was ihn umtreibt. Oder wie sich die individuelle Sprache verändert.
Boros holt sich Anregungen vor der Haustür
Die figürlichen Tafelbilder stammen allesamt von Uwe Henneken, einem in Berlin lebenden Künstler, der dem neo-romantischen Sehnen aus jüngerer Vergangenheit die perfekte Gestalt verliehen hat. Seine Wesen wirken wie aus Märchen oder Mythen, sind allerdings meist etwas desorientiert und leicht versehrt – als habe man sie in eine fremde Zeit gebeamt, in der sie sich nun zurechtfinden müssen.
Auf Henneken und seine quickbunten Gesellen stößt man allerdings erst in der oberen Etage. Wo es vorher leuchtet, ist ein Künstler wie Yngve Holen am Werk, der rote Rücklichter aus Karosserien baut und an die Wand hängt. Gleich neben die Scheinwerfer desselben oder vielleicht eines zweiten Autos, dessen Design unzweifelhaft eine Absicht verfolgt: Es soll ein menschliches Antlitz haben. Holen entdeckt solche Qualitäten noch im kältesten Sicherheitszaun, den er für ein wandgroßes Werk namens „Butterfly“ verwendet. Eine Assoziation von zarter, lebendiger Verschwendung zwischen all den hochtechnischen Materialien, die seine Arbeit auszeichnen. Der Künstler, Jahrgang 1982, war vergangenen Sommer auch auf der jüngsten Berlin Biennale vertreten, und es ist nicht das erste Mal, dass Boros sich seine Anregungen vor der Haustür holt.
Leiser, zweifelnder als noch vor ein paar Jahren
Im Erdgeschoss beginnt der Rundgang ebenfalls mit einer vertrauten Arbeit. „Mandi III“ von Kris Martin: ein schwarzes Anzeigebord, wie man es von Flughäfen kennt. Bloß gibt die große Installation des belgischen Künstlers keine Information, selbst wenn das typische Klackern der – damals noch analogen – Anzeige beginnt. Die Zeilen bleiben ewig schwarz und stehen für Martins Überlegungen zu Raum und Zeit.
Nichts bewegt sich, selbst der Jetsetter tritt auf der Stelle. Die dunkle Tafel ist Auftakt und symbolischer Begleiter durch eine Ausstellung, die zur Gegenwart passt. Leiser, vielleicht auch zweifelnder als noch vor ein paar Jahren, wo die Kunst von pneumatischen Kräften fast zum Platzen gebracht schien. Zwei schwarz-weiße Blätter von Martin, auf denen er dem Sammlerpaar „Life after Death“ (2015) verspricht, hängen in einem der Bunker-Kabinette. Unauffällig und doch wie ein Grundmotiv, das den Rundgang mit leiser Melancholie überwölbt.
Gebrochen wird es von den großen, auffälligen Installationen, wie sie Shooting-Star Katja Novitskova liefert. Ein halbes Pferd als großer Fotoaufsteller, ein Trampolin und ein roter Pfeil, der wie eine wütende Schlange in der Luft steht, genügen der jungen Künstlerin. Novitskova, ebenfalls Protagonistin der vergangenen Berlin Biennale, vertritt in diesem Jahr Estland auf der Biennale von Venedig. Ihr Erfolg ist evident, und man kann davon ausgehen, dass im Palazzo Malipiero ein ähnlich hybrides Produkt der Post-Internet-Art aufgebaut wird. Auffällig, dekorativ und beliebig zur Interpretation freigegeben. Ob „Pattern of Activation“ (2014) in ein paar Jahren jedoch ähnlich wenig Staub angesetzt hat wie etwa die Pop-Zeichenwelt von Michel Majerus, wird die Zeit zeigen.
Spiel mit dem Eindruck schneller, visueller Reize
Verschachtelter sind da schon die Strategien von Avery Singer. Die Gemälde der amerikanischen Künstlerin erinnern zwar ebenfalls an Kunst aus dem Internet, sind allerdings aufwendig gesprayt und spielen bloß mit dem Eindruck der schnellen, visuellen Reize. Gleichzeitig behaupten sie sich gegen die Graffitis der Wände, die noch aus jener Phase stammen, als im Bunker zu Techno getanzt wurde. Sergej Jensen, dem Boros in dieser Schau ebenfalls großzügig Platz einräumt, hat sich dagegen für weiße Hintergründe entschieden. Seine blassen Farbmuster und Leinwandstrukturen brauchen Ruhe, um ihre klandestine Schönheit zu entfalten. Ähnliches gilt für die Fotoserien von Peter Piller, der als Bildrechercheur vor vielen Jahren auf die absurdesten Gemeinsamkeiten gestoßen ist. Was nur Piller sieht, zeigen zum Beispiel seine – gefundenen – Luftaufnahmen von ländlichen Einfamilienhäusern, vor denen stets ein gerade gewaschenes Auto steht: Der Platz um den Wagen ist noch nass.
Nach einem eigenen Raum verlangt auch die Arbeit von Paulo Nazareth. Sie steht am Ende der Bunker-Tour ganz oben und stellt mit dem 1977 geborenen Brasilianer einen Künstlertypus in seltener Konsequenz vor. Nazareth ist stets unterwegs, lebt von dem, was ihm Menschen auf seinen (Tor-)Touren schenken und deklariert die Zeugnisse der Reisen zu seiner Kunst. Das Geld für den Verkauf teilt er mit dem Galeristen, der Nazareths Anteil gleich an Bedürftige weiterleitet – der Künstler hat sich längst schon wieder auf den Weg gemacht.
Sammlung Boros, Reinhardtstr. 20, Do–So nach Anmeldung auf der Website