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In „Eleanor & Colette“ spielt Bonham Carter die psychisch kranke Eleanor Riese, die gegen die Verabreichung von Medikamenten kämpft.
© Bernd Spauke, Elsani Film

Helena Bonham Carter im Porträt: Die Hormone sind „a fucking nightmare“

Sie ist inzwischen 52, wirkt aber kindlich offen und erfrischend unhollywoodesk. Die Schauspielerin Helena Bonham gab die böse Hexe in „Harry Potter“ und die gnadenlose Königin in „Alice im Wunderland“. In ihrem neuen Film „Eleanor & Colette“ wagt sie sich an ein Tabuthema.

Der Star trägt Wärmflasche. In weißes Fell gekleidet liegt diese glamourös auf Helena Bonham Carters Bauch. Ein Virus hat die Schauspielerin erwischt, nach jedem Interview im Londoner Soho House muss sie schnell verschwinden. So schnell wie das eben geht mit dem bodenlangen verwickelten Schottenrock – Vivienne Westwood wahrscheinlich, ihre große Stilikone neben Marie Antoinette – und den Sneakern mit klobiger Sohle. Die dunklen dicken Locken, ihr Markenzeichen, sind zottelig zusammengesteckt, enden in einem losen Zopf. „Vogelnest“ sagen Journalisten gern zu ihrer Frisur. Schon beginnt Bonham Carter zu schwärmen von ihrer Wärmflasche, die ihr helfe, sich zu konzentrieren, zu funktionieren.

Erfrischend unhollywoodesk wirkt Bonham Carter im Gespräch, auch wenn sie – nach Meinung der „Times“ eine der zehn besten britischen Schauspielerinnen aller Zeiten – in Hollywood mitspielt. In „Ocean’s Eight“ etwa, einer weiblichen Räuberkomödie, die im Juni ins Kino kommt, tritt sie an der Seite von Sandra Bullock, Cate Blanchett und Anne Hathaway auf. Sie und der amerikanische Regisseur Tim Burton gaben mal ein illustres Paar ab. Mit dem Vater ihrer zwei Kinder wohnte sie in zwei aneinandergrenzenden Londoner Häusern. Sie lebten auch dann noch Wand an Wand, als sie sich 2014 getrennt hatten.

Aber nicht, dass man das Ganze jetzt für eine exzentrische Show hält, die Schublade kann sie gar nicht leiden. Sie sei so. Die Vorstellungen vieler Leute, was normal ist und was nicht, hält Bonham Carter für kleinkariert. Ihre viktorianischen Pluderhosen, die Hütchen, die kecken Sonnenbrillen – das ist keine Kostümierung, das sind einfach Kleider und Accessoires nach ihrem Geschmack.

Sie hat ein Faible für verletzliche Figuren

Oh Gott!, war der erste Gedanke, als man sie kurz zuvor auf der Leinwand gesehen hatte. Wie sie da schreit und strampelt und tobt in der Psychiatrie, als die Pfleger die rebellische Patientin schnappen, brutal fixieren, spritzen und stilllegen: „Einer flog übers Kuckucksnest“, 20 Jahre später.

„Eleanor & Colette“ heißt der Film, der am Donnerstag anläuft. Er beruht auf der wahren Geschichte von Eleanor Riese, einer schizophrenen und hochintelligenten Kalifornierin, der gegen ihren Willen in Kliniken immer wieder Medikamente verabreicht wurden, mit verheerenden physischen Folgen, an denen sie später starb. „Chemische Vergewaltigung“ nannte Eleanor Riese das, was ihr da angetan wurde, und wogegen sie sich wehrte. Mithilfe einer jungen Anwältin focht sie in den 80er Jahren gegen das medizinische Establishment ein Grundsatzurteil für die Selbstbestimmung von Patienten aus.

Bekannt wurde die Schauspielerin 1985 als Lucy Honeychurch in „Zimmer mit Aussicht“.
Bekannt wurde die Schauspielerin 1985 als Lucy Honeychurch in „Zimmer mit Aussicht“.
© mauritius images

Die Rolle ist wie geschaffen für Bonham Carter, man merkt, was für einen Spaß sie an Eleanors Widerborstigkeit hat, ihrem spitzbübischen Humor, ihrer unverblümten Direktheit. Der Engländerin gefallen auch Eleanors amerikanische Qualitäten, wie sie sie nennt: „Wärme, Zugänglichkeit, Direktheit, das ist etwas, was Briten von den Amerikanern lernen könnten.“ Man nimmt Bonham Carter ab, dass sie auch die anstrengenden Seiten ihrer Figur mag, ihre ständigen Forderungen. „Sie ist kompliziert. Sehr kompliziert.“ Die Schauspielerin hat ein Faible für verletzliche Figuren. Sie war fünf, als ihre eigene Mutter einen Nervenzusammenbruch erlitt. Drei Jahre war diese schwer krank – bevor sie sich selber zur Therapeutin ausbilden ließ. Für die kleine Tochter Jahre großer Einsamkeit. „Ich habe mich sehr verlassen gefühlt.“

„Ich würde mich nie besetzen“

Sie schnappt sich ihr strassbesetztes Handy, wischt sich durch die Fotoalben, bleibt zwischendurch bei ihrer amerikanischen Cousine hängen, dann bei ihrer ältesten Freundin, bis sie gefunden hat, was sie sucht: ein Bild ihrer Mutter. Wenn Bonham Carter eine neue Rolle lernt, konsultiert sie diese immer. Sie sieht mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede in ihren Tätigkeiten: „Wir versuchen beide, Menschen zu verstehen, Empathie zu entwickeln.“

Eleanor Riese passt besser zu Bonham Carter als die Anwältin, die sie eigentlich spielen sollte. Das ist allerdings 20 Jahre her. So lange ist sie schon involviert in das Filmprojekt, zusammen mit dem Drehbuchautor, länger als Regisseur Bille August. Sie bedauert die Verzögerung nicht. Vor 20 Jahren, glaubt Bonham Carter, wäre sie noch nicht reif gewesen für die Rolle der eigenwilligen Freiheitskämpferin. Die Anwältin verkörpert nun Hilary Swank.

Damals hätte Bonham Carter auch sicher nicht die Rolle der Co-Produzentin übernommen, um selber mitreden zu können, etwa bei Besetzungsfragen, und nicht nur, wie üblich, Anweisungen zu befolgen. „Als Schauspieler hat man wenig Mitspracherecht, ist anderen ausgeliefert.“ Der nächste logische Schritt wäre Regie, aber da winkt sie gleich ab. Zu anstrengend. Außerdem: „Ich würde mich nie besetzen.“ Sagt’s und bricht in ihr dreckiges Lachen aus, das in einen Hustenanfall übergeht, was ihren Spaß aber keineswegs trübt, und fischt sich einen Riegel Schokolade aus der großen Handtasche. Sie isst gerne. Und schläft gerne. Wenn es sein muss, auf der Couch ihres Therapeuten.

Die Sauna in Köln war eine Entdeckung

Sie brillierte in „Harry Potter“ als Hexe.
Sie brillierte in „Harry Potter“ als Hexe.
© imago/Cinema Publishers Collecti

Die Dreharbeiten zu „Eleanor & Colette“ liegen schon zwei Jahre zurück. Deswegen hat sie auch ihr Scrapbook mitgebracht, als Gedächtnisstütze. Details hat sie nicht mehr im Kopf, „so vieles ist verdampft“. Selbst wenn der Film in San Francisco spielt, wurde er überwiegend in Köln gedreht. An die Stadt am Rhein hat sie so gute Erinnerungen wie an das Hotel neben dem Dom, dessen Glocken sie gern lauschte. Und dann erst die Sauna, eine Entdeckung. Nackte Männer! In London schwitzt man nach Geschlechtern getrennt, noch dazu züchtig bedeckt. Mit den nackten Männern hat sie sich bestens unterhalten.

Bekannt wurde Helena Bonham Carter als liebreizende Engländerin in historischen Romanverfilmungen. Lucy Honeychurch, so hieß die Figur passenderweise, die ihr 1985 den Durchbruch bescherte, in „Zimmer mit Aussicht“. Inzwischen scheint sie fast auf eigenwillige, unbequeme, ja, verrückte Figuren abonniert zu sein. Die böse Zauberin Bellatrix Lestrange in den „Harry Potter“-Filmen, die gnadenlose Rote Königin in „Alice im Wunderland“, die wilde Marla im Kultfilm „Fight Club“. In „Sweeney Todd“ macht sie als Mrs. Lovett aus Leichen Fleischpasteten, für Burtons „Planet der Affen“ schlüpfte sie in die Rolle einer Schimpansin. Und in der dritten Staffel der Netflixserie „The Crown“ wird sie die Rolle der ungeliebten Prinzessin Margaret übernehmen, die sich selbst „die böse Schwester“ nannte.

Ihre Großmutter war mit Churchill befreundet

Bonham Carter stammt selbst aus einer schillernden Familie, so verwickelt wie ihr Schottenrock – „a massive melting mess“, ein massives Kuddelmuddel, auf das sie stolz ist. Vonseiten des Vaters alter englischer Politadel, die Familie ihrer Mutter scheint alles auf einmal zu sein: jüdisch, katholisch, spanisch, französisch, österreichisch. Russisches Blut soll da auch noch irgendwo blubbern. Der spanische Großvater mütterlicherseits verhalf als Diplomat Zehntausenden Juden in Bordeaux zu einem Transitvisum und damit zur Flucht, seine Frau, Bankierstochter, war Künstlerin. Helenas Vater hat als hochrangiger Banker Großbritannien beim Internationalen Währungsfonds vertreten und saß im House of Lords, die Großmutter väterlicherseits war Politikerin und enge Freundin Churchills, und der Urgroßvater führte von 1908 bis 1916 als Premierminister die letzte liberale Regierung im Lande an.

Sie selbst würde nie in die Politik gehen. „Ich glaube nicht, dass ich da überleben könnte.“ Schon allein, weil Humor dort eher unerwünscht sei. „Man soll verantwortungsbewusst rüberkommen.“ Außerdem, glaubt sie, sei sie zu sehr Individualistin. „Ich würde missverstanden, falsch zitiert, das würde alles im Schlamassel enden.“

Auf dem Set in Köln hat sie ihren 50. Geburtstag gefeiert, inzwischen ist sie knapp 52 – und hat noch immer ein fast kindliches Gesicht, eine kindliche Ausstrahlung und Offenheit. Wobei: Dass Teile ihres Körpers nicht so funktionieren, wie sie sollen, sie etwa eine Lesebrille tragen muss, passt ihr gar nicht. Und dann die Hormone – „a fucking nightmare“, ein beschissener Albtraum. Dafür, so ihre Erfahrung, nehmen Selbstvertrauen, Humor und Freiheit mit dem Alter zu. „Wenn man bereit ist, bestimmte Dinge loszulassen.“

„Ich fing früh an zu arbeiten und wurde erst spät erwachsen“

Bonham Carter in Tim Burtons „Alice im Wunderland“.
Bonham Carter in Tim Burtons „Alice im Wunderland“.
© imago/ZUMA Press

Als Spätentwicklerin beschreibt Helena Bonham Carter sich gern. „Ich habe früh angefangen zu arbeiten. Aber ich habe lange gebraucht, um erwachsen zu werden.“ Erst mit 30 ist sie zu Hause ausgezogen, da war sie längst ein Star, hatte eine fünfjährige Beziehung mit dem Schauspieler und Regisseur Kenneth Branagh hinter sich. „Ich bin ziemlich alt geboren und habe dann aufgehört zu wachsen“, hat sie mal in einem Interview gesagt. Dass sie zu Hause und damit Kind geblieben ist, hat viel mit ihrem Vater zu tun. Nach einer schief gelaufenen Hirntumor-Operation hatte dieser einen Schlaganfall erlitten und war für den Rest seines Lebens gelähmt.

Helena war damals 13. Und beschloss, sich nicht runterziehen zu lassen, selbst etwas zu tun. Mit den 100 Pfund, die sie bei einem Lyrikwettbewerb gewonnen hatte, kaufte sich die Schülerin in eine Schauspielerkartei ein.

Mit Eleanor Riese spielt Bonham Carter eine extrem gläubige Katholikin. Woran sie selber glaubt? Sie lacht sich kaputt. „Das versuche ich immer noch rauszukriegen.“ Auf jeden Fall glaubt sie an die Existenz höherer Kräfte. An die Verbindung mit Toten. An die Liebe, auch nach der schmerzhaften Trennung von Burton. Und an die Astrologie. „Ich weiß nicht, warum, aber es funktioniert.“ Ihr Sternzeichen: Zwilling. Die gelten als kommunikativ und gesellig, neugierig und geistig rege, offen gegenüber Neuem. Hassen Langeweile. Teilen ihre Meinung unverblümt mit.

Man müsse stur sein, um was zu erreichen

Offenbar glaubt sie auch an Zeichen. Dass ihre Mutter Elena heißt, so ähnlich wie Eleanor, dass sie in Köln einen Supermarkt namens Riese entdeckt hat, Eleanors Nachname, ja, dass die trotz ihrer schweren Krankheit so engagierte Frau Riese heißt, all das kann für sie kein Zufall sein.

Bonham Carters Großmutter Lady Violet hat in den 1950er Jahren einen Radiobeitrag zum Thema Glauben aufgenommen, der mit den Worten beginnt: „Vor allem glaube ich ans Leben.“ Dann setzt die liberale Politikerin mit großer Selbstverständlichkeit hinzu: „Ich habe Vertrauen ins Leben.“ Sie glaube an Mut, an die Entschlossenheit, nicht zu resignieren. Helena Bonham Carter stimmt aus vollem Herzen zu. Das ist es, was sie an Eleanor ebenso wie an ihrem eigenen Vater so bewundert: ihren gewaltigen Mut angesichts widrigster Umstände.

Von ihren Eltern, mit denen sie eine innige Beziehung verbindet, hat sie viel Kraft bekommen, den Glauben an sich selbst. (Was nicht bedeutet, dass sie nicht bis heute zu scharfer Selbstkritik neigt.) Ihre Mutter, die immer offen über ihren Nervenzusammenbruch gesprochen hat, nennt sie „einen der stärksten Menschen, die ich kenne“. Nicht nur als Therapeutin gebe diese anderen ein Gefühl der Sicherheit. „Die Leute erzählen ihr alles.“ An ihrem Vater bewundert sie seinen Humor, dass er nicht bitter wurde oder wütend, immer seine Neugier behielt.

Das Durchhaltevermögen hat Helena Bonham Carter von ihren Eltern geerbt. Oft wird sie als eigensinnig und stur bezeichnet, auch das eine Ähnlichkeit mit der Figur von Eleanor. „Ich glaube, man muss stur sein, um was zu erreichen. Das ist nur ein anderes Wort für Entschlossenheit. Dafür weiterzumachen, immer wieder: Steh auf, versuch’s noch mal.“

Susanne Kippenberger

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