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Der Mann, der Hitler besiegte. Gary Oldman als britischer Premier Winston Churchill.
© Focus Features

Film über Winston Churchill: Der Tiger von Downing Street

Der Brexit hat neues Interesse für Winston Churchill geweckt. Nun spielt Gary Oldman den Premierminister in Joe Wrights Film „Die dunkelste Stunde“.

Kämpfen wird er bis zum Ende. Er kämpft im Bett, am Schreibtisch und im Parlament, er kämpft sogar in der Badewanne. Und er wird sich nie ergeben. „Vorsicht, ich komme gleich im Naturzustand heraus“, warnt Winston Churchill seine Sekretärin, der er einen Text durch die Badezimmertür diktiert hat. Dann huscht er schon so, wie Gott ihn schuf, über einen Flur in 10 Downing Street, den Amts- und Wohnsitz des britischen Premierministers, der er erst seit wenigen Tagen ist.

Die Deutschen haben Frankreich erobert und die Truppen des Britischen Expeditionskorps bei Dünkirchen eingekesselt. Der Zweite Weltkrieg ist für das Vereinigte Königreich vielleicht schon verloren. Wenn da nicht dieser schildkrötenhaft gebeugte, unablässig an seiner Zigarre saugende Mann wäre, der weitermachen will, weiter diktieren, weiter trommeln, weiter kämpfen.

Joe Wrights Film über die dramatischen Tage im Mai und Juni 1940 heißt „Die dunkelste Stunde“. Aber eigentlich geht es um das Gegenteil, eine Sternstunde. Denn Churchill hat mit seiner Entscheidung, nicht mit Hitler zu verhandeln, nicht vor den Nationalsozialisten zu kapitulieren und auch ohne Verbündete im Krieg zu bleiben, dafür gesorgt, dass das Böse am Ende besiegt werden konnte.

Churchill war ein Genie darin, Worte zu Waffen zu machen

Christopher Nolan hatte dieselbe Geschichte über Bedrohung und Rettung im letzten Jahr in seinem Kriegsepos „Dunkirk“ schon einmal erzählt, aus der Perspektive der in Frankreich eingeschlossenen und schließlich glücklich evakuierten britischen Soldaten. Am Ende liest da ein Überlebender Churchills berühmte Durchhalterede vor: „Wir werden auf den Stränden kämpfen, wir werden auf den Feldern und auf den Straßen kämpfen.“

„Die dunkelste Stunde“ ist nicht weniger dramatisch, auch wenn es sich um ein Kammerspiel von der Heimatfront handelt. Über den Krieg wird vor allem geredet, zu sehen ist er bloß in einer Sequenz, in der deutsche Bomben auf die Festung Calais fallen. Die Männer dort werden geopfert, um derweil ihre Kameraden aus Dünkirchen in der Operation „Dynamo“ über den Ärmelkanal holen zu können.

Churchill war ein Genie darin, Worte zu Waffen zu machen. „Er hat die englische Sprache missbraucht und in die Schlacht geführt“, lässt der Film Außenminister Halifax sagen, Churchills Gegenspieler im Kriegskabinett. Halifax will selber Premier werden, er drängt auf Gespräche mit den Deutschen und hat bereits Kontakt zum italienischen Botschafter aufgenommen. Churchill hingegen weiß: „Man kann mit einem Tiger schlecht reden, mit dem Kopf in seinem Maul.“

Oldman ist ein Favorit für den Oscar

Ein wenig hat der Politiker selber etwas von einem alten Löwen, so wie Gary Oldman ihn spielt: oft schläfrig wirkend, aber im richtigen Moment mit der Pranke zuschlagend. Oldmans Performance ist ein Akt nahezu perfekter Mimikry. Optisch ähnelt er seiner Figur kaum, deshalb verbrachte er an jedem Drehtag drei Stunden in der Maske, um sich verwandeln zu lassen. Churchills zackig-wackeligen Gang hat Oldman genauso drauf wie dessen Wedeln mit einem Hut oder das selbstbewusste Spreizen von Zeige- und Mittelfinger zum Victory-Zeichen.

Eine Geste, die kriegsentscheidend gewesen sein könnte: Der Film zeigt ihre Verbreitung vom Blitzlichtgewitter der Fotoreporter bis auf die Titelseiten der Zeitungen. Oldman spricht als Churchill seufzend, nuschelnd oder stakkatohaft, seine Ausbrüche gipfeln in Aphorismen wie „Man hätte Macht haben sollen, als der Körper Kraft hatte.“ Der Schauspieler hat für seine Hauptrolle einen Golden Globe bekommen und ist nun ein Favorit für den Oscar.

Churchill, der Held, konnte auch ein Kotzbrocken sein. Die neue Sekretärin Elizabeth Layton (Lily James) nennt er „Girl“, er will sie nach dem ersten Tag gleich wieder rausschmeißen, weil sie die Schreibmaschinentasten so laut anschlage, dass „ich mich nicht auf die Gedanken in meinem Kopf konzentrieren kann“. Die Sekretärin beschwert sich bei Churchills Ehefrau Clementine (tough und charmant: Kristin Scott Thomas) über den Grobian, worauf diese entgegnet „Er ist ein Mann wie alle andere“ und Beispiele für die schlechten Manieren des Gatten aufzählt.

„Die dunkelste Stunde“ verliert sich aber nicht in Anekdoten, dafür ist die Zeit zu knapp, die Bedrohung zu groß. Wobei für Churchill die größere Bedrohung möglicherweise gar nicht von den Deutschen ausgeht, sondern von seinen Parteifeinden, die unter Führung des abgedankten Appeasement-Premiers Chamberlain (Ronald Pickup) gegen ihn konspirieren und den König (Ben Mendelson) auf ihrer Seite zu haben glauben.

Eine erstaunliche Renaissance

Zwei Dinge verzeihen die Gegner Churchill nicht: Dass er als Marineminister im Ersten Weltkrieg zehntausende Rekruten in die verlorene Schlacht von Gallipoli geschickt hat, und dass er sich auf die Seite von König Eduard VIII. schlug, der abtreten musste, weil er eine geschiedene Amerikanerin heiraten wollte.

Churchill wuchs als Sohn eines Lords in Wohlstand auf. „Ich bin nie Bus gefahren, ich musste nie für Brot anstehen“, sagt er der Sekretärin. „Aber ich glaube, ich könnte ein Ei kochen.“ In der Not verbündet sich der Ministerpräsident mit dem Volk. Churchill betritt erstmals in seinem Leben die U-Bahn, er wird erkannt, es kommt zu proletarischen Jubelszenen, und eine Frau ruft ihm zu: „Sie haben meine Unterstützung, besiegen Sie die Mistkerle!“ Seine Rede im Unterhaus wird zum Triumph. Aufgeben? „Wir wären Hitlers Sklaven, die Hakenkreuzfahne würde über dem Buckingham Palace wehen.“ Sogar Chamberlains Gefolgsleute applaudieren. Fast schon ein Happy-End.

Winston Churchill erlebt in Großbritannien gerade eine erstaunliche Renaissance, er ist der Held der Stunde, ein Mann, an dem sich die nach dem Brexit-Entscheid polarisierte und verunsicherte Nation aufrichten könnte.

Churchill als Patenonkel der Brexitbewegung?

Außenminister Boris Johnson, ein Architekt des EU-Ausstiegs, hat Churchill eine schwärmerische Biografie gewidmet (Klett Cotta). Große Politik wird von großen Männern gemacht, lautet die Quintessenz des Autors, der umso kleiner wirkt, je länger er Superlative und Ergebenheitsadressen aneinanderreiht. Taugt Churchill überhaupt zum Patenonkel der Brexitbewegung? „Nein“, hat Gary Oldman in einem Interview gesagt. „Er kämpfte für die Vereinigten Staaten von Europa.“

Neue Film- und Fernsehbiografien porträtieren Churchill auch als Helden im Abstieg. 1944 bekämpfte der Premierminister zunächst die geplante alliierte Invasion in der Normandie, als sie sich nicht mehr verhindern ließ, wollte er dann wie ein neuer Richard Löwenherz auf dem ersten Schiff dabei sein. Wie die Militärs und seine Frau ihm die absurde Phantasie ausredeten, davon handelt das Biopic „Churchill“ mit Brian Cox, das Anfang 2017 im Kino lief.

Die großartige Netflix-Serie „The Crown“ über Queen Elisabeth II. zeigt ihn als bärbeißigen alten Mann, der an seinem noch einmal errungenen Regierungschefposten klebt. „Man sagt, dass Sie ein Monster sind“, heißt es einmal. Churchill entgegnet: „Das stimmt, aber man muss ein Monster sein, um Hitler zu besiegen.“

Ab Donnerstag in 13 Berliner Kinos. OV Cinestar Sony-Center, OmU: Delphi Lux, Hackesche Höfe, International, Kino in der Kulturbrauerei, Rollberg

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